Zuschrift

[503] Fürstinn,


Die der Pindus kennt,

Und die deutschen Musen ehren;

Darf die Glut, so in mir brennt,

Deutschland Deinen Vorzug lehren?

Darf ich hier im Meißnerlande,

Welches Muld und Elbe netzt,

Melden, was am Donaustrande

Deinen edlen Sinn ergetzt;

Und mit freyem Kiel es wagen

Deinen Werth der Welt zu sagen?


Ja! ich wag es. Phöbus winkt,

Und gebeut mir, nicht zu schweigen.

Klio will mir, wie mich dünkt,

Deines Geistes Größe zeigen.

Singe, ruft sie mit Entzücken,

Ihren Trieb zur Wissenschaft;

Singe von den heitern Blicken,

Und von Ihrer Worte Kraft;

Wenn der weisen Carolinen

Mund und Kiel zu Rednern dienen.[504]


Holde Muse, gib mirs ein!

Lehre mich so Sylb als Reime;

Denn mein Witz ist sonst zu klein,

Daß ich leicht die Pflicht versäume.

Der erhabnen Trauthson Wesen

Duldet kein gemeines Lied:

Ihr Verstand ist auserlesen,

Wie man ihn nicht häufig sieht;

Und vor Ihren scharfen Sinnen,

Kann nichts schlechtes Platz gewinnen.


Regt sich Pallas nicht in Ihr,

Wenn Ihr großer Geist Sich stärket,

Und mit lechzender Begier

Kluger Schriften Vorzug merket?

Ihr entscheidendes Empfinden

Prüft der Bücher wahren Werth;

Weis das Innre zu ergründen,

Das sich Kennern nur erklärt.

Ja Sie weis bey Nebendingen

In der Menschen Herz zu dringen.


Drum hat Sie der Völker Lust,

Deutschlands Kaiserinn erhoben:

Diese stellt ja jede Brust,

Eh Sie wählt, auf scharfe Proben.

Doch der Fürstinn edle Triebe

Fand Sie groß und tugendhaft;

Fand Sie würdig Ihrer Liebe,

Und von seltner Eigenschaft;

Kurz, die Zucht von theuren Zweigen

Fand Sie nur der Trauthson eigen.[505]


So viel lehrt die Muse mich,

Mehr wird Dir dieß Buch entdecken,

Wo, gepriesne Fürstinn! Dich

Deutsche Lieder nicht erschrecken.

Wo mein Rohr dem besten Kaiser

Treuer Ehrfurcht Weihrauch streut;

Und ein Theil der Lorberreiser

Deiner Kaiserinn geweiht;

Mußt ein Blatt die Welt auch lehren,

Deine Weisheit zu verehren.


Eurer Hochfürstl. Durchl.

Meiner gnädigsten Fürstinn und Frau,


Leipzig, den 12 Febr. 1751.


unterthänigster und gehorsamster Diener,

Gottsched.[506]

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Band 1: Gedichte und Gedichtübertragungen, Berlin 1968/1970, S. 503-507.
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