Das VI Hauptstück.
Von Fügung der Hülfswörter.
(VERB. AUXIL.)

[557] 1 §.


Von diesen Wörtern würde man es fast nicht nöthig haben, besondere Regeln zu geben, wenn nicht gewisse Misbräuche des vorigen Jahrhunderts es erfoderten, ihnen abzuhelfen. Denn theils hat man die Hülfswörter bey den Zeitwörtern gar zu oft weggelassen; theils hat man sie in der Fügung mit andern, auf die unrechten Stellen gesetzet. Beydes aber verursachet bald eine Dunkelheit, bald einen Übelklang; weswegen man dieser Unart vorbeugen muß. Z.E. Wenn ich so schriebe:


Dero Schreiben habe zu recht erhalten, und da sehr über die von Ihnen gemeldete Krankheit erschrocken, sogleich zum Vätter geschickt, solches melden zu lassen. Wenn hätte sollen oder können rathen; so hätte sagen würden, daß sie sich hätten sollen besser in acht nehmen; womit nebst dienstl. Gruß und Anwünschung guter Besserung bin und beharre etc. Hier fehlet überall das ich; und außer dem ist das hätte, sagen, würden, ein märkischer Provinzialfehler, den unter andern Reinbeck oft begangen; für, ich würde gesaget haben.


Die I Regel:


2 §. Die Hülfswörter, dörfen, haben, können, mögen, sollen u.d.gl. erfodern eben so wohl, als die andern Zeitwörter, die Wörterchen, Ich, Du, Er, bey sich; und diese sollen daher durchaus nicht weggelassen werden.


Es ist also eine eingebildete Zierlichkeit oder Bescheidenheit, wenn manche Briefsteller schreiben: Dero Zuschrift[557] habe erhalten, ohne das ich; dafür bin sehr verbunden, für bin ich, oder so: bitte sehr, mir damit zu helfen; oder, beharre, verbleibe, und ersterbe mit aller Hochachtung u.s.w. Alle diese Auslassungen des Fürworts ich, sind eine bey andern heutigen Völkern (die Wälschen ausgenommen), unerhörte Demuth oder Schamhaftigkeit, die weiter nichts, als eine Verderbniß der Sprache wirket. Scheuen sich denn Franzosen und Engländer ihr JE, oder I, zu setzen, wohin es gehöret? Oder sind diese Völker etwa nicht höflich1?


Die II Regel:


3 §. Bey der völlig und längstvergangenen Zeit, lasse man das Haben, Seyn, und Werden nicht ohne dringende Noth, und erhebliche Ursache weg; damit man nicht dunkel und unverständlich schreibe.


Z.E. Wenn man schreibt: da er bey mir gewesen; da ich vernommen; da er gebohren und gestorben; u.d.m. Hier ist es allenthalben zweifelhaft, ob das ist, oder war; das[558] habe, oder hatte; das ward oder worden; u.s.w. zu verstehen ist: welches aber den Sinn sehr undeutlich machet. Aus diesem Misbrauche aber ist noch ein anderer entstanden, da man gar die Wörterchen bin und habe, zu der Zeit ausläßt, wenn sie keine Hülfswörter, sondern rechte Zeitwörter sind: Als ich versichere dich, daß ich kein Geld (nämlich habe): oder wie Opitz schreibt:


Darf auf der wüsten See nicht immer furchtsam schweben,

Von Winden umgeführt, da zwischen Tod und Leben

Ein daumendickes Brett. (ist)


Die III Regel:


4 §. Wann indessen zuweilen viele solche Hülfswörter zusammen stoßen sollten: so kann man freylich, um des Wohlklanges halber, dasjenige, welches der Deutlichkeit unbeschadet, am entbehrlichsten ist, weglassen.


Die Schreibart der Kanzleyen und Gerichtsstäten, ist bisweilen an weitschweifigen Wortfügungen so fruchtbar, daß wohl drey, vier solche Hülfswörter kurz hinter einander kommen. Hier ist es nun rathsam, ein haben, seyn, oder werden, zu verbeißen, damit die Weitläuftigkeit nicht zu groß werde, und einerley Ton nicht zu oft komme, und keinen Ekel erwecke. Exempel kommen überall vor.


Die IV Regel:


5 §. Auf die Bedingungsformeln; Dafern, wofern, im Falle, wann, wenn, u.d.gl. folgen die Hülfswörter nach ihren Zeitwörtern, am Ende des Sinnes: läßt man sie aber weg, oder fraget schlecht weg, so stehen sie ganz forn.


Z.E. Wenn du das überlegen wolltest. Dafern sie das gethan haben; im Falle ihr euch entschließen könnet;[559] u.d.gl. Dieß kann auch heißen: Wolltest du das überlegen; Haben sie das gethan; Könnet ihr euch entschließen; u.d.gl. Imgleichen im Fragen: Sollen wir dahin gehen? wollen wir diesen Schimpf erdulden? Sollte man das denken? u.d.gl.


Die V Regel:


6 §. In allen Aufmunterungen und Wünschen, wo kein O daß! oder Ach! vorher geht, steht auch das Hülfswort vor seinem Zeitworte.


Z.E. Laßt uns von hinnen gehen! Laßt uns eilen! Möchten wir doch den Tag erleben! Könnten wir uns doch endlich retten! Müßten wir nur den Jammer nicht ansehen! Sollten wir nur nicht alle die Noth erleben! Hätte ich nur meine Freyheit! u.d.gl. Kanitz schreibt:


Möchte mir ein Lied gelingen,

Sie nach Würden zu besingen!


Und Flemming singt:


Wollte sie nur, wie sie sollte!

Und sollt ich nur, wie ich wollte etc.


Die VI Regel:


7 §. Es ist eine große Unrichtigkeit, wenn eine gewisse Landschaft spricht: ich hätte ihn loben würden; anstatt daß es heißen sollte, ich würde ihn gelobet haben.


Denn ich hätte würden, ist in der Abwandelung des Hülfswortes werden, gar keiner Zeit gemäß: (S. im 4 §.) ja das habe schicket sich ganz und gar nicht zum werden. Hergegen aus haben, kann mit dem werden, schon die bedingte zukünftige Zeit entstehen:


ich würde haben, (HABITURUS ESSEM)

du würdest haben,

er würde haben, u.s.w.[560]


Und daraus entsteht hernach der Ausdruck; ich würde gesaget, gethan oder gelobet haben. Wem die obige Redensart nicht bekannt ist, der kann sie in einigen märkischen Schriftstellern z.E. im Reinbek finden.


Die VII Regel:


8 §. Wann viele Hülfswörter bey einem Zeitworte zu stehen kommen: so setze man eins vor, die andern nach demselben; damit sie nicht gar zu dick auf einander kommen.


Z.E. ich versichere dich, daß ich dahin würde gekommen seyn, wenn ich nicht wäre abgehalten worden. Dieses klingt etwas besser, als wenn man, gekommen seyn wäre, und abgehalten worden wäre, geschrieben hätte. Hergegen wenn nur ein einziges Hülfswort da ist, so muß es in der verbindenden Art allemal hinten stehen; wie in dem I Abschnitte des VI Hauptstückes der Wortforschung, bey der Abwandelung des Hülfswortes gewiesen worden.


Die VIII Regel:


9 §. Wenn das Wort werden ein Hülfswort eines andern Zeitwortes ist, so verliert es in der völlig und längst vergangenen Zeit die Vorsyllbe ge; ist es aber ein selbständiges Zeitwort, so behält es dieselbe.


Z.E. Ich bin gelehret worden; du bist geliebet worden; er ist befördert worden, nicht geworden. Hergegen sagen einige unrecht: Er ist Graf, Hofrath, Doctor, Magister worden. Denn weil hier kein ander Zeitwort ist, so muß das Worden, sein ge behalten; er ist Kanzler, Abt, Pfarrer, Rector u.s.w. geworden2.


[561] Die IX Regel:


10 §. Es ist ein Misbrauch im Reden, wenn einige die völlig und längstvergangene Zeit thätiger Zeitwörter, mit einem doppelten habe, zu bilden pflegen.


Z.E. Ich habe es ihm gesaget gehabt, ich hätte es ihm gerathen gehabt, u.d.gl. Alle dieß gehabt ist überflüßig, und saget nichts mehr, als wenn es nicht da stünde. Nun kommen zwar diese und dergleichen Fehler in Schriften nicht so leicht vor: aber wenn sie Fehler sind, so muß man sie, auch der Redenden wegen, anmerken, und davor warnen.


Die X Regel:


11 §. Wenn man den Anfang gemachet hat, in einem Satze eine gewisse Zeit der Hülfswörter, oder andrer Zeitwörter zu brauchen: so muß man damit durchgehend fortfahren: es wäre denn, daß die Sache selbst eine Änderung erfoderte.


Z.E. Er sprach zu mir, ich sollte ihm, wenn ich wollte und könnte, (nicht will und kann) den Gefallen thun. Wenn ich aber nicht dörfte oder möchte, (nicht, darf und mag, oder gedorft, oder gemocht) so bäthe er mich doch, ihn zu schonen; verbände sich auch mit aller Aufrichtigkeit, mich schadlos zu halten. Imgleichen so: Was ich vermocht habe, das habe ich gethan, (nicht, that ich, oder thue ich;) so gut ich gewußt und gekonnt, (nicht, weiß oder kann). Oder so: Was ich zu deinem Besten nützlich befinden werde, das werde ich nicht unterlassen; will dir auch mit allem Vermögen beystehen, u.d.m.


12 §. Weil auf den rechten Gebrauch der Hülfswörter im Deutschen sehr viel ankömmt, wenn man deut lich reden, und recht verstanden werden will: so muß man sich durch das Lesen der besten Schriftsteller, in ihrem rechten Gebrauche[562] befestigen. Denn die Gewohnheit ist der große Lehrmeister der Sprachen: und alle diejenigen fehlen, die aus Neuerungssucht, etwas besonders aushecken, das den Leuten fremd, neu und unerhört vorkömmt. Dergleichen ausgekünstelte Wortfügungen nun machen auch die Rede dunkel und unverständlich: wovor uns Cicero und Quintilian, als dem größten Fehler eines Schriftstellers, so oft gewarnet haben3.

Fußnoten

1 Ich weis wohl, daß auch schon in alten Büchern zum Theil, das ich verbissen worden: allein, wie nicht alles Alte schlecht ist, so ist auch nicht alles gut, was bey den Alten vorkömmt. Man muß unparteyisch wählen, was der Vernunft, dem Muster der besten Sprachen, und dem richtigern Gebrauche gemäß ist. Der gute Camerarius mag also immerhin in seinen 1572 zu Leipzig gedruckten Dialogen geschrieben haben: Habs vernommen etc. bins zufrieden etc. will davon sagen etc. u.d.gl. Er ist kein AUTOR CLASSICUS, dem man folgen müßte, wenn man was bessers findet. D. Luther hat es in der Bibel nirgends ausgelassen; ja auch in seinen andern Schriften wird man es selten vermissen. Und gesetzet, er hätte es auch ausgelassen: so gilt doch bey mir Quintilians Ausspruch: NEQUE ID STATIM LEGENTI PERSUASUM SIT, omnia, quæ magni autores dixerint, utique esse perfecta. NAM & LABUNTUR ALIQUANDO, & ONERI CEDUNT, & INDULGENT INGENIORUM SUORUM VOLUPTATI; NEC SEMPER INTENDUNT ANIMUM, & NONNUNQUAM FATIGANTUR: CUM CICERONI DORMITARE INTERDUM DEMOSTHENES, HORATIO VERO ETIAM HOMERUS IPSE VIDEATUR. L.X.C. 1. ED. GRYPH. 1549. P. 502.


2 Eben so ist es mit wollen. Ich habe das thun wollen, ist recht: denn hier ist es ein Hülfswort. Allein, ich habe gewollt, ist ein selbständiges Zeitwort: Aber ihr habet nicht gewollt: steht in der Bibel.


3 Der letzte schreibt im Eing. seines VIII B. PRIMUM SUNT OPTIMA, MINIME ACCERSITA, & SIMPLICIBUS, ATQUE AB IPSA VERITATE PROFECTIS SIMILIA. NAM ITA, QUÆ CURAM FATENTUR, FICTA & COMPOSITA VIDERI ETIAM VOLUNT, NEC GRATIAM CONSEQUUNTUR, & FIDEM AMITTUNT: PROPTER ID, QUOD SENSUS OBUMBRANT, & VELUT LÆTO GRAMINE SATA STRANGULANT – –. ATQUI SATIS APERTE CICERO PRÆCEPERAT, IN DICENDO VITIUM, VEL MAXIMUM ESSE: a vulgari genere orationis, atque a consuetudine communis sensus abhorrere. SED ILLE DURUS ATQUE INERUDITUS! Nos melius! QUIBUS SORDENT OMNIA, QUÆ NATURA DICTAVIT! QUI NON ORNAMENTA QUÆRIMUS, SED LENOCINIA: QUASI VERO SIT ULLA VERBORUM, NISI REBUS COHÆRENTIUM VIRTUS![563]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 557-564.
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