Das X Hauptstück.
Von Fügung der Zwischenwörter.
(INTERJECTIONUM.)

[595] 1 §. 1 Anmerkung.


Die Zwischenwörter, welche eine Leidenschaft des Gemüthes ausdrücken, regieren eigentlich keine Endung: ausgenommen, Wohl und Wehe, welche die dritte Endung fodern, als:


Wohl mir! Wohl uns des feinen Herren! Wehe mir, daß ich ein Fremdling seyn muß zu Mesech! Wehe dir Chorazim! Wehe dir Bethsaida! Doch könnte man sagen, daß auch Ach und O die fünfte Endung foderten. Z.E. Ach Gott vom Himmel sieh darein! O Himmel! was ist das? O großer Gott von Macht! Doch ist dieß nicht immer so; denn bisweilen folget auch auf O, die erste Endung: z.E. O! große Noth! d.i. welch eine große Noth ist das.


2 Anmerkung.


2 §. Die meisten Zwischenwörter stehen im Anfange der Rede; ausgenommen Leider! und, wills Gott! die auch in der Mitte stehen können. Wun der und Traun, stehen immer in der Mitte.


Z.E. Es ist leider! mit uns dahin gekommen; anstatt: Leider! es ist mit uns etc. Wir wollen euch, wills Gott![595] (so auch, geliebts Gott, oder wo Gott will) übers Jahr besuchen. Sie denken, Wunder! was sie für Thaten gethan haben. Sie haben, traun! dem Feinde viel Abbruch gethan.


3 Anmerkung.


3 §. Das Wort leider! pflegt bisweilen auch mit dem Worte Gott, und zwar in der zweyten Endung verbunden zu werden.


Z.E. Leider Gottes! soweit ist es mit uns gekommen; oder soweit ist es, leider Gottes! nunmehr schon gekommen. Was für ein Sinn aber darunter verborgen liege, ist schwer zu sagen. Ob es vom Leiden Gottes, oder Christi, zu verstehen sey, getraue ich mir nicht zu entscheiden. Indessen könnte es doch wohl seyn: denn man hat mehr Ausrüffe und Betheurungen von heiligen Dingen hergenommen. Z.E. von Sacramenten: imgleich Potzstern; das ist, Gottes Stern; welches vieleicht auf den Stern der Weisen zielen mag; imgl. Potztausend, d.i. Gottes tausend Elemente.


4 Anmerkung.


4 §. Ein altes Zwischenwort ist das bekannte Zeter! dessen Bedeutung und Ursprung auch ungewiß ist: indessen wird es mit, über etwas, verbunden.


Man rufet bey Todesurtheilen: Zeter über diesen armen Sünder! Da man aber diesen Ausruf auch mit Mordio zu paaren pflegt; dieser aber gewiß ausländisch ist, indem er entweder vom französischen MORT DE DIEU! oder noch besser aus dem Wälschen, von AMORE DI DIO, herkömmt: sollte sich denn jenes Zeter nicht auch etwa von unsern Nachbarn herschreiben? Das Abschiedswort Adieu, das sich bis auf den untersten Pöbel, und bis in geistliche Lieder ausgebreitet hat, ist unstreitig aus dem Französischen À DIEU! das ist, Gott befohlen! entsprungen.


[596] 5 Anmerkung.


5 §. Übrigens sind gewisse Provinzen mit Zwischenwörtern so reichlich versehen, daß man sich in der guten Schreibart hüten muß, sie nicht alle anzunehmen.


Manche klingen sehr barbarisch, manche grob und unflätig: manche sind in andern Landschaften lächerlich und unverständlich, wo sie nicht mit einem gewissen Tone der Stimme ausgesprochen werden. Z.E. Man spricht hier in Meißen oft: Je nu! Ey nun ja doch! Ich dachte! Ich dächte, was mich bisse! u.d.m. Diese kann man anderwärts kaum aussprechen, viel weniger verstehen. Eben so sind das österreichische Halt, oder Halter; und hier das pöbelhafte gleech, oder meech, unnütze Zwischenwörter, die eine Rede nur lächerlich machen: wenn man gleich weis, das jene von ich halte dafür, oder halt ich; diese aber von glaube ich, meyne ich, ihren Ursprung haben.

6 §. Und hierbey mag es für dießmal, in Ansehung der Wortfügung, sein Bewenden haben. Es sind freylich noch viele Anmerkungen übrig, die man darüber machen könnte: allein, für dießmal wollen wir die Anfänger damit nicht überhäufen. Ein andermal könnte noch von der zierlichen Wortfügung eins und das andere beygebracht; imgleichen eine gute Warnung wegen der ausländischen Fügungsarten, die uns einige Neuere haben aufdringen wollen, gegeben werden. Man könnte auch noch eine nützliche Warnung wider die schädlichen Neuerungen in der Wortfügung anhängen: und diese würde desto nöthiger seyn:


Da diese Schreibesucht

Der Sprache Zierlichkeit wird wieder in die Flucht

Verjagen, wie zuvor.


Opitz.


Doch diese so genannte grammatikalische Kühnheit, oder besser, Frechheit und Verwägenheit, muß billig in eigenen[597] Schriften bestrafet werden: da itzo jedermann sich einbildet; das hieße die deutsche Sprache verbessern, wenn er sie so zerzerret und zermartert, daß kein Glied eines Satzes auf der ihm gehörigen Stelle bleibt. Hier mag es genug seyn, daß ich vor allen Neuerungen, dieses oder jenes, auch sonst großen und scharfsinnigen Schriftstellers, gewarnet habe.[598]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 595-599.
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