Das IV Hauptstück.
Von den Reimen in der deutschen Poesie.

[687] 1 §.


Unsere ältesten Dichter sind nicht mit einer gewissen Syllbenzahl und dem Wohlklange ihrer Verse zufrieden gewesen, wie die Griechen und Römer; sondern haben auch noch am Ende derselben, einen gleichen Laut der letzten Syllben begehret. Dieses sehen wir aus dem ältesten Poeten, der uns übrig geblieben ist, nämlich Ottfrieden, dem weißenburgischen Mönche; dem Schüler des Rhabanus Maurus; der um die Zeiten der Söhne Karls des Großen gelebet hat. Z.E. in seiner Vorrede vergleicht er seine Deutschen mit den Römern und Griechen: S. Schilt[er]. THES. GERM. T.I.p. 22. 23.


Sie sint so same chuani

selb so thie Romani

Nie tharf man thaz ouch redinon

Thaz kriachi ni es wideron

Sie eigun in zi nuzzi

so samalichi1 wizzi

In felde joh in walde

so sint sie same balde etc.2


D.i. Sie sind eben so kühn,

als selbst die Römer,

Auch darf man das nicht sagen,

daß sie den Griechen weichen;

Sie eignen ihnen zu Nutze,

(sich) eben solchen Witz;

Im Felde und im Walde

sind sie eben so kühn.[687]


2 §. Hier sieht man nun, daß die zwo zunächst beysammenstehenden Zeilen einander in den letzten Syllben, entweder völlig, oder doch einigermaßen gleich klingen: und diese gleichen Endungen nennet man den Reim. Von diesem besondern Zierrathe unserer Dichtkunst, haben nun viele Kunstrichter Untersuchungen angestellet, wo er wohl hergekommen seyn, oder wer ihn zuerst erdacht und gebrauchet haben möchte?3 Denn weil die Reime ein so wichtiges Stuck der heutigen europäischen Dichtkunst sind, daß nicht nur die Deutschen, sondern Italiener, Franzosen, Spanier, Portugiesen, Engländer, Holländer, Dänen, Schweden und Pohlen, ja auch so gar die Russen reimen: so hat man durchaus wissen wollen, welches Volk sich diese Erfindung zuzueignen berechtiget sey? Es geht aber hier, wie mit den Ursprüngen großer Häuser; deren Stamm sich insgemein in den dunkelsten Zeiten verliert, ohne daß man ihre erste Quelle recht anzugeben weis. Wir wollen indessen die vornehmsten Meynungen kürzlich vortragen, und von den Italienern anfangen.

3 §. Die Wälschen gestehen es fast einhällig, daß ihre ältesten Dichter ihn von den Provincialpoeten in Frankreich bekommen haben. Herr Muratori bekennet sogar, in s. Buche DELLA PERFETTA POESIA, p. 8. selbst, daß man ihre Sprache nicht eher, als nach 1100, und also im XII Jahrhunderte angefangen zu schreiben: und daß die Sicilianer[688] zuerst gereimte Verse gemachet haben. Crescimbeni, in seiner ISTORIA DELLA VOLGAR POESIA, stimmet ihm nicht nur völlig bey, sondern bekennet noch dazu: daß beyde es von den alten Provenzalpoeten gelernet hätten; als welche schon in besonderm Rufe gewesen, als einige wälsche gute Köpfe dahin gereiset, und nach ihrem Muster Reime machen gelernet. Dieses stimmet nun sehr damit überein, was die Franzosen uns von ihren Provenzalpoeten erzählen4. Diese haben erst im XII und XIII Jahrhunderte geblühet, und lauter gereimte Verse gemachet: daher denn einige, aus Übereilung und Unwissenheit, diese alten TROUBADOURS, d.i. Erfinder, oder Dichter, für die Erfinder der Reime ausgegeben5.

4 §. Allein, Huetius, in seinem Tractate vom Ursprunge der Romanen, sieht den Ungrund davon ein; fällt aber dafür, sowohl als Salmasius, auf die Meynung: die Provenzalpoeten hätten die Kunst zu reimen, von den Arabern gelernet, die im VIII Jahrhunderte aus Africa nach Spanien kamen, und allerley kleine Herrschaften daselbst aufrichteten. Nun ist es zwar nicht zu läugnen, daß freylich die arabischen Poeten, schon zu Mahomets Zeiten, ja noch eher, gereimte Verse gemachet; doch ohne eine gewisse Syllbenzahl, oder ein Syllbenmaaß zu beobachten. Ich kann dieses hier mit ein Paar Proben bestätigen, die mir ein gelehrter Mann, und[689] öffentlicher Lehrer der arabischen Sprache allhier, Hr. D. Reiske, von oberwähnten alten Gedichten freundschaftlich mitgetheilet hat6.[690]

5 §. Da es nun also eine unstreitige Sache ist, daß die arabischen Dichter in den ältesten Zeiten gereimet haben: so fraget sichs, ob die Provenzalpoeten diese Kunst von ihnen gelernet haben? Das ist wohl richtig, daß im VIII Jahrhunderte Karl der Große, mit den Saracenen schwere Kriege geführet; auch nach der Zeit von ihnen mancher Einfall in die mittäglichen Provinzen geschehen. Ferner können im X und XI Jahrhunderte einige Franzosen nach Spanien gekommen seyn; oder sonst die arabische Sprache, an den spanischen Gränzen gelernet haben. Allein, in Ermangelung näherer Beweise, kann man es doch nicht sicher behaupten: daß sie auch die Poesie und die Reime von ihnen gelernet. Man hassete die Saracenen zu sehr, und verfluchte sie, als Heyden, die man mit Stumpf und Stiel ausrotten müßte. Außer dem steht uns die ganze Art der provenzalischen Reime im Wege: welche nicht in ganzen Gedichten einerley, sondern immer in zwo und zwo kürzern Zeilen verschieden gewesen. Hergegen war dieses eben die Art der deutschen Reime, die zweyhundert Jahre vorher, ehe noch die Araber in Spanien mächtig genug waren, und die Provenzaldichter zu blühen anfiengen, schon Ottfried, der Verfasser des Siegsliedes auf König Ludwigen, und andere mehr, in Deutschland gemachet hatten.

6 §. Man könnte also die Reimekunst der Provenzalpoeten, viel besser von den Westgothen herleiten, die etliche Jahrhunderte vorher, eine lange Zeit auf der mittelländischen Küste von Frankreich geherrschet, und von welchen das Land Gothia genennet worden. Denn vieleicht haben diese schon, als deutsche Völker, eine Art von gereimten Liedern unter sich gehabt, worinn sie die Siege und Thaten ihrer Vorfahren[691] besungen; wie man beym Redner Priscus, vom Könige Attila findet, daß er sich bey der Tafel solche gothische Lieder singen lassen. Man könnte sie auch von den alten Burgundern, die sich in Gallien niedergelassen hatten; oder von den Normannen, die auf der africanischen, italienischen und französischen Küste kurz zuvor gewesen waren, gelernet haben. Will man aber in Ermangelung näherer Beweise dieses nicht glauben: so muß man sie nothwendig von den deutschen Franken selbst herholen, die sich unter Pharamunden und seinen Nachfolgern, Galliens bemächtiget hatten; und in ihren Liedern, die sie aus Deutschland her mitgebracht hatten, die Thaten ihrer Helden zu besingen pflegten: wie Tacitus, Jornandes und Cassiodor von allen Arten der Deutschen, Gothen und Longobarden berichten.

7 §. Denn es herrscheten ja im IX und X Jahrhunderte noch die Nachkommen Karls des Großen, als eines deutschen Herrn, in Frankreich, und das fränkisch Deutsche war die dasige Hofsprache7. Ottfrieds und anderer deutschen Dichter Werke, wurden in Frankreich gelesen, und haben selbst bis in die Provence kommen müssen: ob diese gleich noch von besondern Herren regieret ward. Ja Karl der Große hatte, nach Eginhards Berichte, die ältern deutschen Lieder gesammlet, und aufzubehalten gesuchet; welche zweifelsfrey auch gereimet gewesen. Was ist nun also wahrscheinlicher, als daß die alten Provenzalpoeten die Kunst zu reimen, weit eher und leichter von den Deutschen, als von den Saracenen in Spanien lernen können? Wir glauben auch dieses desto leichter, da Rollin selbst uns solches zugesteht8; obwohl andere und neuere Franzosen, viel lieber Schüler der Saracenen, als der deutschen Franken; lieber ihrer ärgsten Feinde, als ihrer tapfern Sieger und damaligen Beherrscher, gewesen seyn wollen.[692]

8 §. Der ganze Zweifel, der hier noch übrig bleibt, ist dieser: woher denn unsere Deutschen die Kunst zu reimen gehabt? und ob sie dieselbe nicht vieleicht von den Arabern gelernet haben? Was das erste betrifft; so könnten ja dieselben wohl schon zu Cäsars und Taciti Zeiten, die auch der deutschen Barden und Lieder gedenken, im Schwange gegangen seyn. Denn daß sie dieselbe von den Arabern oder Saracenen gelernet hätten, ist darum nicht glaublich, weil sie niemals mit ihnen etwas zu thun gehabt: es müßtens denn die in Spanien herrschende Gothen gewesen seyn, als die[693] Saracenen daselbst eingefallen. Allein, von dieser ihren Gedichten wissen wir nichts, und nach Deutschland sind keine Araber gekommen. So gut also diese vormals in Arabien auf den Wohlklang der Reime verfallen sind; so gut auch die Chineser schon vor des Confucius Zeiten gereimet haben sollen9: eben so leicht haben auch die alten deutschen Barden, von sich selbst darauf gerathen können.

9 §. Was mich hierinnen noch mehr bestärket, das sind Ottfrieds Vorreden zu seinen verdeutschten Evangelien, sowohl die in lateinischer, als in deutscher Sprache. Ob er gleich viel von seiner Sprache und Poesie redet, so erwähnet er doch mit keinem Worte, daß er der erste sey, der gereimte Verse gemachet habe. Er setzet es ausdrücklich, als eine bekannte Sache voraus, daß die deutsche Poesie gereimte Zeilen haben müsse10. Da er auch vieler weltlichen schmutzigen Lieder gedenkt, die zu seiner Zeit gesungen worden: so müssen dieselben vorzeiten, auch wohl schon in gereimten Versen gewesen seyn. Wäre es nämlich eine Neuerung gewesen, zu reimen: so würde er sich darüber eben sowohl entschuldiget haben, als er es über andere Stücke gethan hat. Endlich hat er ja nicht nach arabischer Art, ganze Gedichte auf einen Reim gemachet; sondern immer nur zwo und zwo Zeilen gereimet.[694]

10 §. Nun möchten vieleicht noch die nordischen Völker, als die Dänen und Schweden, sagen: die Deutschen hätten die Kunst zu reimen von ihnen zuerst gelernet. Allein, fürs erste, sind ja die Gränzen des alten Deutschlandes, zu des Tacitus Zeiten, bis an den Nordpol gegangen: und also würde es einerley seyn, ob die deutschen Völker dießseit, oder jenseit der Ostsee die Reime erfunden hätten. Und gesetzt, daß die Dänen oder Schweden ein eigen Volk ausmachen wollten: so gesteht ja Stiernhielm, in der Vorrede zu dem Ulfila, Verelius, u.a.m. daß man in Schweden keine ältere Überbleibsel, als aus dem XIII Jahrhunderte habe. Sehen wir aber die älteste Probe ihrer alten nordischen Dichtkunst, in der isländischen Edda an: so ist dieselbe ohne alle Reime. Worm in der LITTERATURA DANICA, giebt zwar ältere Proben der alten Runen, aus dem IX Jahrhunderte, von dem berühmten Starkater an11; die aber eben so wenig gereimet sind. Dieses giebt nun eine schlechte Wahrscheinlichkeit, daß ihre ältern Gedichte gereimet gewesen seyn sollten. S. meine Krit. Dichtk. 5te Ausgabe, a.d. 71 Seite; imgl. Morhofs Unterricht von der deutschen Sprache 268 S. und Schilters Vorrede zum Ottfried, 12 S.

11 §. Nun möchte uns noch irgend ein Freund der alten Lateiner einwenden, daß die römischen Poeten schon hin und wieder lateinische Verse gemachet, die bald in der Mitte, bald am Ende mit einander gereimet. So wenig ich dieses[695] läugnen kann, wo es der Augenschein giebt12; so wenig bin ich überzeuget, daß solches von ihnen mit Fleiße, oder mit gutem Bedachte geschehen sey. Wäre dieses, so würden sie es öfters, oder in ganzen Gedichten, vom Anfange bis zum Ende gethan haben. Allein, wo findet man im Virgil, Ovid, oder Horaz, oder in irgend einem Dichter, bis auf den Boethius, oder Prudentius, ein einziges von der Art? Das einzige, was noch dieses Ansehen, eines durch und durch gereimten Gedichtes behaupten könnte, ist Kaiser Hadrians schönes Sterbliedchen:


ANIMULA, VAGULA, BLANDULA,

HOSPES COMESQUE CORPORIS,

QUÆ NUNC ABIBIS IN LOCA ETC.


Allein, wer es genau betrachtet, der wird ebenfalls finden, daß die Reimkunst hier gar nicht die richtige ist. Wenigstens hat sie ihm keine Nachfolger zugezogen.[696]

12 §. Da nun also die Reime als ein Eigenthum der deutschen Dichtkunst übrig bleiben: so ist es allerdings ein Denkmaal der sieghaften Waffen des alten Deutschlandes, sowohl als des siegenden Witzes unserer Vorfahren, daß ganz Europa von ihnen reimen gelernet. Alle heutige Völker nämlich lieben die gereimten Verse: und wenn gleich einige zuweilen auch reimlose Gedichte machen, wie die Wälschen und Engländer: so fehlet es doch viel, daß dieselben eben so viel Beyfall finden sollten; zumal wenn sie kein Syllbenmaaß beobachten. Unsere deutsche Dichtkunst, die selbiges beobachtet, kann sie zwar ohne Reim auch zeigen; doch würden sie viel daran verlieren, wenn man sie ganz verbannen wollte13.

13 §. Die deutschen Reime sind dreyerley. Denn es reimen sich entweder nur einzelne, oder zwo, oder drey Syllben zweyer Wörter mit einander. Die erste Art wird die männliche genennet, als: Macht, Pracht; Stein, klein; Genuß, Verdruß; Fähigkeit, Ergebenheit, u.d.gl. Die zweyte Art heißen weibliche Reime, ohne Zweifel weil sie viel zärtlicher und weicher klingen; als Leben, geben; erlangen, [698] unterfangen, u.d.gl. Die dritte Art endlich könnte man kindische Reime nennen: weil sie gar zu spielend und klappernd herauskomen; als predigen, entledigen; brüderlich, lüderlich, u.d.gl. Dieser Art Reime findet man schon in Ottfrieden, und andern Alten.

14 §. Von diesen Reimen muß man nun folgende Regeln merken.


Die I Regel:


Männliche Reime müssen einen langen Ton auf der letzten Syllbe haben, nicht aber einen kurzen.


So reimen sich denn folgende Zeilen gut:


Wasser rinnt und eilet sehr,

Schnelle Pfeile fliegen mehr.


Opitz.


Ich rede hier aber von langen Syllben nach unserer Aussprache, nicht nach der griechischen und römischen Quantität. So reimet z.E. der Froschmäuseler nicht unrecht; ob er gleich zum Theile übel scandiret:


Denn mein Gemahl Penelope

Schreyt nun zwanzig Jahr Ach und Weh.


Hergegen reimet folgendes übel, weil die letzte Syllbe der ersten Zeile den Accent nicht hat:


Both ihm dazu eine Nußschal,

Darinn der Honig überquall.


Die ungewissen Syllben hergegen, können ohne Schwierigkeit zu männlichen Reimen dienen: z.E. Königinn, Häuchelschein, wunderlich, u.d.gl.m. So singt Opitz:


Wir schmähen die Natur, und heißen diese Zeit,

So uns zu bitter wird, des Glückes Grausamkeit.


[699] Die II Regel.


15 §. Ein guter Reim muß auch einerley Klang haben: d.i. Syllben, die einen gezogenen Ton haben, reimen sich mit denen nicht, die einen scharfen Laut geben.


So reimte z.E. Opitz nicht genau, wenn er schrieb:


Das ist meines Lobes Ziel,

Daß ich stets mehr lernen will.


Denn ein langes und ein scharfes i, klingen bey uns nicht gleich: ob man gleich in Schlesien das will, etwa so lang dehnen mag, als ob wiel da stünde. Eben so wenig reimen sich Hohl und voll, Kohl und soll, Bahn und kann: kahl und überall, Ton und Salomon, Fuß und muß, Mus und Schluß etc. Man muß hier nur ein gutes Gehör, und zwar nicht aus einer schlechten, sondern guten Provinz zu Rathe ziehen; denn nicht jede Landschaft hat hier ein Recht, den Ausspruch zu thun. So reimet z.E. ein Frank, nach Omeisens Zeugnisse, ein Mann und der Thron; weil man in und um Nürnberg saget: ein Mohn. Aber wer wird dieses für gut gelten lassen14?


Die III Regel:


16 §. Ein guter Reim muß zwar soviel möglich, mit einerley Selbstlautern geschrieben; die Mitlauter am[700] Ende aber, müssen wenigstens mit einerley Werkzeugen der Sprache gesprochen werden.


So reimen sich in Obersachsen nicht nur Streit und Fröhlichkeit, sondern auch Leid; bald und kalt, hart und ward, imgleichen Haupt, und geraubt; weg und keck; Sarg, und Mark, lang und krank. Hergegen sollten heut und beut, sich wohl mit erfreut; aber nicht mit Zeit reimen. Denn wer die Selbstlauter recht ausdrücket, der höret hier einen ganz andern Ton in eu, als in ei. Eben so wenig sollten sich sieht mit be müht; spürt und ziert, trägt und legt, und hört mit ehrt reimen. Denn überall werden hier zarte Ohren in der Aussprache einen Unterschied des Tones gewahr. Allein, freylich pflegt die hiesige meißnische Aussprache, Dichtern eine größere Freyheit zu verstatten; die auch von den besten Poeten begierig ergriffen worden: welche geglaubet, man müsse für die Ohren, nicht aber für die Augen reimen.


17 §. Es ist schwer, hier den Ausschlag zu geben, wer Recht hat, oder nicht. Aller Landschaften Aussprache zu billigen, ist nicht rathsam: denn was würden wir nicht für Reime bekommen? Allein Provinzen aber die Last aufzulegen, daß sie sich nach einer einzigen richten sollen; ist auch schwer. Ich halte es also für das sicherste, sich nach der Schrift zu richten; doch so, daß man in gewissen Selbstlautern eine mehrere Freyheit erlaube. Z.E. schlägt und legt reimt sich in den meisten Ohren, ob es schon nicht gleich buchstabiret ist. Warum sollte man es denn nicht reimen? Ein anders ist es mit ü und ie, ö und e: denn diese unterscheiden sich zu sehr: fühlt und spült reimen sich also nicht mit zielt und spielt; hört und stört, nicht mit nährt und fährt; diese hergegen nicht mit lehrt und unversehrt u.s.w.15


[701] Die IV Regel:


18 §. Wörter, die sich reimen, müssen vor dem übereinstimmenden Selbstlaute verschiedene, oder gar keine Mitlauter haben.


So reimet sich Mann und kann, Rath und That, Stadt und hat; Noth und Brod, Gott und Spott; aber nicht Mann und jedermann, der Rath und Verrath; Stadt und anstatt; Tod und todt; oder wie der Froschmäuseler:


Ja das verachte Gräselein

Hat seinen Feind am Schäfelein.


Denn hier sind die Mitlauter vor dem Reime einerley. Die Franzosen sind hierinn anderer Meynung, und halten diese letztern Reime noch für besser und vollkommener, als die ersten. Zwar erlaubet man bey uns, noch in dem einzigen Falle, einerley vorhergehende Buchstaben, wenn zweene Mitlauter zusammen kommen, davon gleichwohl die ersten verschieden sind: als Braut, vertraut; schlägt, legt; trügt, rügt. Gleichwohl findet man auch in den besten Dichtern Exempel, daß sie wider diese Regel gesündiget haben.


Die V Regel:


19 §. Man muß in den männlichen Reimen die Syllben nicht gewaltsam zusammen ziehen, vielweniger am Ende700[702] das e oder sonst einen Selbstlaut abbeißen: weil dieses die Verse hart machet. Z.E.


Damit niemand auf dieser Erd,

Zu sehr stolzier und sicher werd;


Rollenh[agen]


wo an beyden das e fehlt; oder so:


Und etliche teyge Holzbirn',

Die fast wollten den Schmack verlier'n,


Ebend.


worinn außer andern Fehlern auch die Ausstoßung des e im Reime nicht erlaubet ist: weil sie die Aussprache sehr schwer machet. So darf man auch nicht zerr'n, kehr'n, hol'n, verstol'n, u.d.gl. sagen. Nun kann man zwar, dem Reime zu gut, in den Zeitwörtern, auch in der richtigen Abwandlung, ein e auslassen; als er liebt, für liebet, du liebst, für liebest. Allein, das ist nur erlaubet, wenn kein doppelt t, oder ein d und t zusammen kömmt; als gerüst't, verschüt't, er reit't, leid't, er kleid't; wo man es unmöglich recht aussprechen kann.


Die VI Regel:


20 §. Wenn sich die Verse am Ende gut reimen, so dörfen sich doch in der Mitte und im Anfange keine gleichlautenden Syllben finden.


Dieses ist nicht nur in den Mönchszeiten eine üble Gewohnheit gewesen; sondern auch von den Pegnitzschäfern eines Theils wieder auf die Bahn gebracht worden. Von den ersten reimten einige so:


DIFFICILES STUdeo PARTES, QUAS BIBLIA gestat,

PANDERE SED NEqueo, LATEBRAS NISI QUI MANIfestat,

AUXILIANTE deo, QUI CUI VULT SINGULA præstat,

DANTE JUVAMEN eo; NIHIL INSUPERABILE restat.[703]


Andere aber noch künstlicher so:


SIC EGO DOctorum COMPEGI SCRIPTA meorum,

FLORIBUS AUctorum LOCA CERTA TENENDA LIbrorum,

IN SERIE QUOrum TEXTUS PATET HIC POSItorum,

PER ME CUNctorum CONSUMMATORQUE Bonorum.


Das sieht nun recht arabisch gereimt aus. Allein, die letztern machtens nicht viel besser; wie die Probe zeiget:


Es wallt das Fluthgelall, die schnellen Wellen schwellen,

Die helle Wellenzell ballt den cristallnen Wall etc.


Oder so; daß man vor allen Reimen die Verse nicht sehen kann:


Ihr Matten voll Schatten, begrasete Wasen,

Ihr närbigt und färbigt geblümete Rasen etc.


Die VII Regel:


21 §. Die Reime, die man einmal gebrauchet hat, müssen so bald nicht wiederkommen; weil dieses dem Gehöre verdrüßlich fallen, und eine Armuth in der Sprache zeigen würde.


Es ist also gut, daß man alle gleich, oder auch nur ähnlich klingende Reimschlüsse, in einem Gedichte vermeidet; zumal wenn es kurz ist; denn in langen Heldengedichten, Trauerspielen u.d.gl. von etlichen hundert Zeilen, läßt sich solches nicht ganz vermeiden. Muß man aber ja bisweilen denselben Ton des Reimes, nach zehn oder zwanzig andern Reimen wieder brauchen: so hüte man sich nur vor denselben Wörtern. Z.E. Wenn man hallen und fallen gehabt hätte: so könnten wohl wallen und lallen, oder sonst etwas ähnliches; aber nicht die ersten Wörter sobald wieder kommen.


[704] Die VIII Regel:


22 §. Was die weiblichen Reime insonderheit betrifft; so müssen Wörter dazu genommen werden, die den Ton auf der vorletzten Syllbe haben, am Ende aber ganz kurz lauten.


Hier fehlet zum Exempel Rollenhagen wider das erste, wenn er schreibt:


Unter diesen Raub der Bergemsen

Des Goldkäfers und andrer Bremsen etc.


Denn emsen ist hier, wegen der Zusammensetzung, kürzer geworden, als die vorstehende Syllbe Berg. Wider das andere aber sündigen auch von neuern Dichtern, die sich solcher Reime bedienen, die fast Spondäen ausmachen. Z.E. Nahrung, Erfahrung, Wahrheit, Klarheit u.d.gl. Denn ob die letzten Syllben gleich in der Scansion für kurz gelten können, so fodern sie doch einen längern Aufenthalt der Zunge am Ende einer Zeile, als der fließende und reine Wohlklang leidet. Am besten klingen die Reime, die sich auf e, en, el, er, est und et endigen, als welche Syllben gewiß kurz sind.


Die IX Regel:


23 §. In weiblichen Reimen müssen die Mitlauter und Selbstlauter, in der Mitte und am Ende des Reimes, viel genauer überein kommen, als in den männlichen.


Es ist also nicht genug, wenn dieselben etwa Buchstaben desselben Werkzeuges (LITTERÆ EJUSDEM ORGANI) sind; und es reimen sich also die Raben mit Wapen, die Raupen mit glauben, Rache mit Flagge, sagen mit Sprachen, weichen mit zeigen, das Leiden mit reiten, das Reden mit Trompeten, ganz und gar nicht. Viel weniger darf man so reimen, wie Rollenhagen:


Der Kalk von Wasser muß anbrennen,

Die Schwämm davon aber aufschwemmen:[705]


Am allerwenigsten aber darf man den Selbstlaut des einen, dem andern zu gefallen, verwandeln: wiewohl Opitz es bisweilen gethan, wenn er Sinnen mit künnen, kimmt mit nimmt, und Sonnen zu Brunnen, Gunst mit umsonst gereimet hat; welches ohne Verwandlung der Selbstlauter unmöglich angeht.


Die X Regel:


24 §. Man vermeide auch hier, noch eifriger, als in männlichen Reimen, den gezogenen Ton der Selbstlauter, mit dem scharfen zu paaren.


So reimen sich Schatten mit rathen, schaffen mit schlafen oder strafen, wäre mit Ehre, bethen mit trompeten, nennen mit können, schließen mit müssen, fließen mit büßen, Priester und Register, u.d.gl. ganz und gar nicht. Und wenn gleich viele, auch sonst gute Dichter, solches gethan hätten, so sind sie doch darinn weder zu loben, noch nachzuahmen. Ein anders wäre es noch, wenn beyde Wörter mit einerley Buchstaben geschrieben würden, als leben und heben, geben und beben, sehen und gehen. Denn obgleich hier in Meißen die Töne dieser ersten Syllben nicht gleich lauten; indem heben, beben und gehen so lautet, wie das doppelte e in Seele, heeben, beeben, geehen: so zeiget doch die einträchtige Schrift mit leben, geben und sehen, daß diese Aussprache nicht allgemein sey.


Die XI Regel:


25 §. Auch ist noch zu merken, daß in weiblichen Reimen, kein doppelter Mitlauter sich zu einem einfachen reimet.


Z.E. Ermahnen und Kannen, Muhmen und brummen, wähnen und nennen, bethen und retten, hüten und bitten, Bühnen und Sinnen, reimen sich auch darum nicht, weil[706] diese Verdoppelung darinn statt hat. Denn die Selbstlaute machen es nicht; weil auch Leviten und bitten, böser und größer, weisen und heißen, Namen und beysammen, sie traten und hatten, hüten mit Hütten sich durchaus nicht reimen. Die Ursache davon ist, daß auch die Verdoppelung des Mitlauters, in dem vorhergehenden Selbstlaute, gleich einen scharfen Ton zuwege bringet. Daher thun denn diejenigen übel, die in strafen und schlafen, auch wohl Schafen, eben sowohl ein ff schreiben, als: in schaffen, raffen, gaffen, u.d.gl. die einen scharfen Ton haben.


Die XII Regel:


26 §. Mit dem Doppellaute ü ist es etwas besonders, daß er auch von sich selbst unterschieden werden muß, wenn er ein ss oder ein ß hinter sich hat.


Denn im ersten Falle wird er scharf, als in müssen, Schlüssen, und das ss trennet sich: hergegen in büßen, Füßen, versüßen, ist er gezogen; und das ß gehöret ganz unzertrennt zu der folgenden Syllbe. Eben so ist es mit dem ie, in schließen, fließen, genießen, entsprießen; welche sich daher mit missen, wissen, Gewissen, und zerrissen nicht reimen können; wenn man einem zarten Gehöre ein Genügen thun will.


27 §. Mit diesen zwölf Regeln wegen der Reime, wird man so ziemlich auskommen können; wenn ich nur noch einige Anmerkungen überhaupt, von der Vermischung und Abwechselung derselben werde gemachet haben. Die Alten nahmen sich hier eine ungebundene Freyheit, und mischten in einem Gedichte nach Belieben, männliche und weibliche, ohne Regel und Ordnung durch einander, nachdem es ihnen bequem fiel. So machten es Ottfried, Winsbeck, König Tyrol, Eschenbach, u.a.m. ja selbst Hans Sachs, Burchard Waldis und Rollenhagen im Froschmäusler,[707] machtens noch nicht besser. Ringwald aber zwang, in seiner deutschen Wahrheit, gar alle weibliche Reime, durch Auslassung des e, männlich zu werden: z.E.


Denn ob dirs gleich in solchem Springn

Ein wenig möchte misgelingn,

Etwa ein Wunde überkomn

Oder gar werden weggenomn etc.


28 §. Allein, andere, die ein besseres Gehör hatten, haben sich schon seit dem XII Jahrhunderte bemühet, eine Ordnung darinnen zu halten. So ist der Urheber des Heldenbuches, den ich für Heinrichen von Efterdingen halte, wie ich einmal mit mehrerm zeigen werde, sehr ordentlich damit verfahren. Z.E.


Es saß da in Lamparten,

Ein edler König reich,

Auf einer Burg, hieß Garten,

Man fand nit seines gleich,

Man nennet jn Herr Otnitten,

Als ichs vernommen han,

Man fand zu den gezitten

Kein Fürsten so lobsan.


Eben so haben es der obenerwähnte Teichner, Meister Joseph und D. Luther gemacht; deren genaue Richtigkeit man in diesem Stücke nicht genug loben kann. Und da Ringwald durchaus lauter männliche Reime haben wollte; so hatte Rebhuhn schon vor ihm, ganze Gedichte in männlichen, und andere ganz in weiblichen Zeilen gemachet.


29 §. Allein, um Opitzens Zeiten ward das, was vorhin nur eine Willkühr gewesen war, durch sein Beyspiel und seiner Poeterey Regeln, zum Gesetze, und zur Schuldigkeit aller seiner Nachfolger. Man setzte es völlig fest, daß man weibliche und männliche Reime, entweder getrennet, oder ungetrennet, ordentlich vermischen müsse: und es scheint,[708] daß auch die Musik hierzu Anlaß gegeben; wenn im Gegenfalle, die Melodie entweder eine Note zu viel oder zu wenig hatte. Daher hat man denn heutiges Tages in vierzeiligen Versen folgende Reimgebäude gemacht:


1.2.3.4.5.6.

LebtGabenBrandBittenMuthSterben,

schwebthabenhabenZuchtlabenHand,

nehmenlichtStandSittenGrabenSand,

schämenbrichtGabensuchtGuterben.


30 §. Die ersten beyden mit ungetrennten Reimen, werden in heroischen, satirischen und ernsthaften Gedichten immer auf einerley Art gebrauchet: die beyden mittelsten werden billig in verliebten, zärtlichen, traurigen Gedichten, als zu Elegien, angewandt; und die beyden letzten Arten kommen fast nur in Sonnetten vor. In sechs- acht- und zehnzeiligen Strophen steht es einem jeden frey, neue Versetzungen der Reime zu machen: sie geben aber einen sehr ungleichen Wohlklang. Z.E. in sechszeiligen sind folgende die besten, die ich nur mit Zeichen ausdrücken will:


– –U – –U – –U

–U – – –U –U –

1) –2) –U3) –U4) –5) –U6) –

–U – – –U – –U

– –U – –U –U –

– –U –U – –U –


Von allen diesen Arten sind in unsern besten Dichtern Exempel zu finden: und jede hat ihre besondere Anmuth: wenn nur der Sinn der Zeilen am rechten Orte geschlossen wird.

31 §. Die achtzeiligen Strophen in Liedern und Gesängen, sind entweder nur Verdoppelungen der obigen vierzeiligen, oder Verbindungen derselben: die denn viele Veränderungen[709] zuwege bringen, und immer einen verschiedenen Wohlklang geben. Die besten davon sind folgende Arten:


– –U – –U – –U – –U

– –U –U – –U – – –U

1) –U2) –3) –4) –U5) –U6) –7) –U8) –

–U – –U – – –U –U –

– –U – –U –U – – –U

–U – – –U – –U –U –

– –U –U – – –U –U –

–U – –U – –U – – –U


Doch sieht ein jeder, daß noch viel mehr solche Veränderungen möglich sind, die ein jeder nach Belieben versuchen kann. Die unordentlichen Vermischungen der Reime sind den sogenannten recitativischen Versen, oder der Poesie der Faulen überlassen worden; die bey weitem soviel Anmuth nicht hat, ja bisweilen der Prose selbst nachzusetzen ist.

32 §. Fraget man nun, ob denn dergestalt die Reime ein nothwendiges Stück der deutschen Verse sind? und ob es gar nicht angeht, reimlose Verse zu machen: so antworte ich auf das erste mit Nein, und auf das andere mit Ja. Hätte unsere Sprache kein Syllbenmaaß, und keinen daraus entstehenden Wohlklang: so müßten wir freylich die Reime für etwas wesentliches in unserer Poesie ausgeben, wie die Franzosen thun. Allein, das Gegentheil ist oben sattsam erwiesen worden: folglich erhellet auch die Möglichkeit reimfreyer Verse bey uns; worinn aber unsere Dichter die Wälschen und die Engländer zu Vorgängern gehabt. Unter jenen hat nämlich schon Trißino vor 2000 Jahren sein Heldengedicht ITALIA LIBERATA DA I GOTHI16; von diesen aber Milton fast vor 100 Jahren sein verlohrnes Paradies in ungereimten Versen geschrieben.[710]

33 §. Der erste, der es meines Wissens bey uns versuchet hat, ihnen nachzuahmen, ist nach Conrad Gesnern, der solches in lateinischen Versarten gewaget, Ernst Gottlieb von Bergen gewesen, der schon 1682 das verlohrne Paradies in solche Verse übersetzet hat. Eine Probe davon wird es zeigen:


So schnarchte er, Beelzebub hingegen

Darauf: o du der Großfürst unser aller,

Dem niemand Allmacht – ohn zu widerstehn

Annoch vermag: wenn dieß Heer deine Stimm,

Ihr größte Zuversicht, nur wieder höret,

(Zuvor so oft gehört, so hoch gepriesen,

Da es im Streit aufs schärfst und ärgste kam) etc.


Allein, ein jeder wird leicht sehen, wie schlecht dieser Versuch ausgefallen ist17.[711]


34 §. Gleichwohl fand sich bald darauf der berühmte Kanzler Veit Ludewig von Seckendorf, der 1695 Lucans Heldengedicht vom pharsalischen Kriege, in diese Art von Versen übersetzte. Auch davon will ich eine Probe geben:


Es kracht die Last des Baums, der sonst die Segel trägt,

Und nun gebrochen wird; da springen hinten ab

Von dem verlaßnen Schiff der Bots- und Rudermann,

Gleich in die Wellen hin, und macht ein jeder sich

Schon einen Schiffbruch selbst, wenn gleich der Kiel noch hält,

Und nicht zerscheitert ist.


Man wird auch hieraus leicht sehen, daß diese Verse schon viel besser klingen, als des von Bergen; der so barbarisch und undeutsch schreibt, daß auch die Reime selbst seinen Versen nichts geholfen haben würden18.[712]

35 §. Nach der Zeit haben verschiedene versuchet, ob sich solches nicht mit besserm Erfolge thun ließe, als es von diesen Vorgängern geschehen war: und ich kann es nicht läugnen, daß ich selbst vor mehr als zwanzig Jahren, in dem Biedermanne, und nachmals in den Reden und Gedichten der hiesigen deutschen Gesellschaft, bey der Aufnahme eines Freyherrn von Seckendorf, Proben davon gegeben. Auch in meinen Gedichten wird man, nebst einigen Originalen, Übersetzungen, sonderlich einige anakreontische Oden finden, die ich ohne Reime nach dem griechischen Syllbenmaaße gemachet: worinn sich nicht nur vor kurzem ein geschickter Fortsetzer gefunden, der sie alle dergestalt geliefert; sondern auch ein muntrer Nachfolger hervorgethan, der billig ein deutscher Anakreon heißen kann. Ich schweige noch sehr vieler andern Stücke von dieser Art, die in den Belustigungen des Verstandes und Witzes, und anderwärts zum Vorscheine gekommen: so daß es nunmehr keinem Zweifel weiter unterworfen ist, ob die Sache im Deutschen angehe.

36 §. Indessen ist es gleichwohl einmal gewiß, daß diese ungereimten Verse in Übersetzungen alter Dichter, keinen geringen Nutzen haben würden. Man würde vermittelst derselben, weit genauer beym Texte bleiben, und den Sinn der Urschrift gewissenhafter ausdrücken können, als wenn der Reim manche Abweichung unvermeidlich macht. So habens die Engländer diesen reimlosen Versen zu danken, daß sie die meisten alten Dichter auch in poetischen Übersetzungen lesen können; welchen Vorzug aber die Franzosen entbehren müssen19.[713]

37 §. Sodann könnten in Schauspielen, sonderlich von der komischen und lustigen Art, die wir bisher nur in ungebundener Rede abgefasset, diese reimlosen Verse, auf eine bequeme Art Dienste thun. Hier würde man nämlich ohne den poetischen Wohlklang zu verlieren, gleichwohl von der täglichen Sprache, durch die Reime nicht zu sehr abweichen dörfen; und dadurch den Alten ähnlicher werden können. Dieses öffnet nun einem glücklichen Dichter unserer Zeiten, der sonst zu Lustspielen eine Fähigkeit hat, ein neues Feld, sich hervorzuthun, und andern ein Muster zu geben, dem sie folgen können. Ich wünsche, daß sich bald jemand diesen neuen Lorberkranz erwerben möge20.

38 §. Übrigens ist von den reimlosen Versen in diesem Hauptstücke, wo ich von Reimen handle, nichts mehr zu sagen. Wer sich darinn hervorthun will, muß den Abgang der Reime durch allerley andere Schönheiten zu ersetzen wissen; sonderlich aber muß er durch einen ungezwungenen Wohlklang das Ohr zu gewinnen suchen. Denn sollte dieses nicht geschehen, so würden unzählige Leute lieber eine fließende[714] Prose, als solche geradebrechte Verse, ohne Lieblichkeit und Anmuth lesen wollen. Die bloße Zahl der Syllben nämlich, macht keinen solchen Eindruck bey unsern Deutschen, daß man sie für ein zureichendes Merkmaal der Verse halten sollte21.

Fußnoten

1 Wie wir itzo sagen gleichsam, so sagten die Alten umgekehrt samalich, von sam und gleich, oder lich, LIKE: wie noch die Plattdeutschen und Engländer sagen.


2 Bald, oder bold heißt kühn: wir habens noch, in Trunkenbold, Leupold, Haubold, Wa mbold, u.d.m. Nichts ist lächerlicher, als wenn der Abt Massieu, in s. HISTOIRE DE LA POESIE FRANÇOISE, dieses Ottfrieds, Evangelium, zu einem französischen Gedichte machen will; dessen Sprache aber itzo nicht mehr verständlich wäre, weil sich das Französische seit der Zeit sehr geändert hätte. So unwissend sind die guten Leute in ihren alten Geschichten, daß sie nicht mehr wissen, daß die Franken, die sich des alten Galliens bemächtiget, auswärtige, und zwar deutsche Völker gewesen; die denn auch bis auf Hugo Capeten ihre deutsche fränkische Sprache geredet, obgleich ihre Unterthanen romanisch, d.i. ein verdorben Latein sprachen. Allein, Massieu wollte gern herausbringen, daß die französische Sprache, das älteste gereimte Gedicht aufzuweisen hätte: darum mußte er uns bestehlen.


3 S. den Morhof im Unterr. von der deutschen Sprache.


4 Siehe des Nostradamus Geschichte derselben, oder den kurzen Auszug, den DES CHAMPS in s. HISTOIRE DU THEATRE FRANÇOIS, T.I. daraus gemachet. Auch der obangezogene Massieu, nebst dem ungenannten Herausgeber der POESIES DU ROI DE NAVARRE, vergißt dieses nicht, in der Einleitung, die er denenselben vorgesetzet. Und es ist also gar nicht zu läugnen, daß die Wälschen das Reimen aus der französischen Provence gelernet.


5 Wer Proben davon zu sehen verlanget, schlage den Neuen Büchers. der schön. Wissensch. nach, auf der 113 S. des V Bandes. Indessen sind diese Provenzaldichter gar keine Franzosen, sondern entweder Savoyarden, oder Spanier zu nennen gewesen, mit deren heutigen Sprachen jene itzo verlorne Mundart weit mehr, als mit der Französischen übereinstimmet.


6 Die erste ist aus einem Lobgedichte auf den Mahomet, welches sein Urheber, wie die Geschichte lautet, diesem falschen Propheten selbst hergesaget; so daß selbiger mit ihm, im Anfange des VII Jahrhunderts gelebet hat. Das Arabische lautet also:


1 V. BANAT SOADON FACALBI 'L JAUMA MATBULO

MOTAJJAMON ATSCHRAHA, LAM JOFDA MACBULO;


2 V. WA MA SOADA GADAT ALBAINI, IDZ RAHALU,

ILLA AGANNON GADHIDH OT THERSI MACKHULO.


Man bemerke bey dieser Art Verse zu machen 1) die entsetzliche Länge der Zeilen; der in Europa niemals eine Versart gleich gekommen ist. Die erste nämlich hat 26, die andere aber 28 Syllben. 2) Bemerke man, daß in der ersten Zeile die beyden Hälften sich reimen, in der andern und allen folgenden aber geschieht solches nicht. Solche Verse hat nun weder in Frankreich, noch in Italien, jemals jemand gemachet; welches gewiß geschehen seyn würde, wenn man sich die Mohren zum Muster genommen hätte. S. das ganze Ged. in des Büchersaals X B. 3) Mit eben demjenigen Reime nun, womit es angefangen hat, fährt das ganze Gedicht bis ans Ende fort, ob es gleich ziemlich lang ist. Denn so endiget sich der 3 V. mit MALULO, 4) MASCHMULO, 5) JAALILO, 6) MACBULO, 7) TABTILO, 8) GULO, 9) GERBALO, 10) TADHILO, 11) ABATHILO, 12) TAMBILO, 13) MARASILO, 14) TABGILO, 15) MAGHULO ETC. woraus man auch sieht, daß sie es im Reimen so gar genau nicht nehmen. Eben das nun thun alle arabische Poeten; daß sie nämlich den einmal erwählten Reim, im ersten Verse zweymal, in allen folgenden eines Gedichtes aber, nur am Ende einmal beybehalten. Eben das wird auch folgende Probe aus dem andern Gedichte zeigen, welches noch älter, und schon im Anfange des fünften Jahrhunderts, gemachet seyn soll. Die Übersetzung davon hat Herr D. Reiske mir gütigst mitgetheilet:


v. 1. MA COLLA JAUMIN JANAL OL MARO MATHAlaba,

WALA JOSAWWEGOHO 'L MACDARO MA WAhaba,


v. 2. WA AHZAM ON NASI MAN, EN FERSATON ARADHAT,

JAM JAGAL AS SABABA 'L MAUSULA MONCAdhaba ETC.


D.i.


v. 1. Man erlanget nicht alle Tage was man suchet, denn

das Schicksal machet einem seine Gaben blutsauer.

v. 2. Der Klügste unter den Menschen ist also der, welcher die

Gelegenheit seinen Zweck zu erreichen, nicht fahren läßt etc.


7 Dieses gesteht der Verf. der Einleitung vor den POESIES DU ROI DE NAVARRE, selbst. S. des Büchers, der sch. Wiss. V B.a.d. 335 S. und zwar nicht nur vor Karls des Großen Zeiten, sondern auch unter Ludwigen dem II, dem Sohne des Gütigen; welchem auch das bekannte EPINICION auf den Sieg über die Normannen, das im Schilter steht, in altfränkischer Sprache überreichet worden.


8 Auf der 324 Seite seiner MANIERE D'APPR. & D'ENS. LES BELL. L. heißt es: NOS LANGUES MODERNES, PAR OÙ J'ENTENDS LES LANGUES FRANÇOISE, ITALIENNE & ESPAGNOLE, VIENNENT CERTAINEMENT DU DEBRIS DE LA LANGUE LATINE, PAR LE MELANGE DE LA LANGUE TUDESQUE, OU GERMANIQUE – – – Et c'est peut être de ccette Langue là, que nous sont venües les Rimes etc. Ein gelehrter Freund hat hier die Muthmaßung, die mir seht wahrscheinlich klingt: daß nämlich der erste Provenzalpoet, den die Franzosen (z.E. Nostradamus, und Deschamps. S. auch des Crescimbeni ISTORIA DELLA VOLGAR POESIA T. II. P. 11.) anzugeben wissen, Gottfried Rudel, ein Deutscher von Geburt gewesen sey. Er beweist dieses aus dem Namen, der gewiß nichts wälsches, spanisches, oder lateinisches an sich hat; sondern ganz deutsch ist. Ein Rüde heißt bey uns ein Schafhund, und das el zeigt die Verkleinerung an. Einige Leute heißen ja noch Riedel, und Rudel, welches eben daher kömmt. Es könnte also dieser Deutsche ungefähr nach der Provence gekommen seyn, und die dasige Sprache gelernet haben. Wie nun Ovid, in seiner Verbannung nach Tomos, nicht nur getisch, oder gothisch gelernet, sondern auch gar gothische Verse gemachet: so könnte auch dieser Deutsche angefangen haben, provenzalische Verse und zwar nach deutscher Art, mit Reimen zu machen: die denn wegen des Wohlklanges, soviel Beyfall gefunden, daß sie bald überhand genommen, und in Wälschland und Spanien nachgeahmet worden. Wenigstens stimmet auch die Zeitrechnung, und die ganze Art der provenzal. kurzen und paarweise gereimten Verse, ganz wohl überein. S. auch den CLAUDE FAUCHET in s. RECUEIL DE l'ORIGINE DE LA LANGUE, ET POESIE FRANÇOISE.


9 S. davon in der Geschichte der Kön. Akad. der schön. Wiss. zu Paris II B.a.d. 369 S. des Hrn. Frerets Abhandl. von der Poesie der Chineser. Z.E. eine Art sieht so aus:


VŒNE, KHEOU, CHENE MIENE.

LO IH CHEE, NANE. PIENE.

TEH I. TSOO. – – I. CHING.

TCHIOU. HAI. TSINE-KIENE.


Und diese Verse hat der König VŒNE VANLI gemachet.


10 Seine Worte sind diese: NON QUO SERIES SCRIPTIONIS HUJUS METRICA SIT SUBTILITATE CONSTRICTA, SED Schema omæotelevton ASSIDUE QUÆRIT. APTAM ENIM IN HAC LECTIONE, & PRIORI DECENTEM, & consimilem QUÆRUNT VERBA IN fine sonoritatem. – – – QUÆRIT ENIM LINGUÆ HUJUS ORNATUS – – omæotelevton, I.E. CONSIMILEM VERBORUM TERMINATIONEM OBSERVARE.


11 Worms Worte lauten davon so P. 177. HEIC ENIM NEC SYLLABARUM ATTENDITUR QUANTITAS, UT APUD LATINOS, nec ultimarum cujusque versus syllabarum sonus similis, UT IN MODERNIS; SED SEDECIM CONSONANTIÆ IN SINGULIS REQUIRUNTUR STROPHIS, DEBITO LOCO ATQUE ORDINE DISPOSITÆ. ETC.


12

Z.E. ECLOGA IV. V. 50. reimet Virgil so:


ASPICE CONVEXO NUTANTEM PONDERE mundum,

TERRASQUE TRACTUSQUE MARIS CÆLUMQUE profundum.


ITEM GEORG. L.I. V. 407 & 408.


ECCE INIMICUS ATROX MAGNO STRIDORE PER auras,

INSEQUITUR NISUS, QUA SE FERT NISUS AD auras.


GEORG. L. II. V. 343 & 344.


NEC RES HUNC TENERÆ POSSENT PERFERRE laborem,

SI NON TANTA QUIES IRET FRIGUSQUE calorem.


GEORG. L. II. V. 500 & 501.


QUOS RAMI FRUCTUS, QUOS IPSA VOLENTIA jura.

SPONTE TULERE SUA, CARPSIT; NEC FERREA jura.


L. CIT. V. 509 & 510. patrum, fratrum.

IBID. L. 4. V. 340 & 341. Ambæ, ambæ.

ITEM ÆNEID. L. 2. V. 341 & 342.


ET LATERI AGGLOMERANT NOSTRO; JUVENESQUE Choræbus

MYGDONIDES, ILLIS, QUI AD TROJAM FORTE diebus etc.


ÆNEID. L. CIT. V. 456 & 457.


SÆPIUS ANDROMACHE FERRE INCOMITATA solebat

AD SOCEROS, ET AVO PUERUM ASTYANACTA trahebat.


ÆNEID. L. 2. V. 459. 460. 461. 462.


TELA MANU MISERI JACTABANT IRRITA Teucri

TURREM IN PRÆCIPITI STANTEM SUMMISQUE SUB astra

EDUCTAM TECTIS, UNDE OMNIS TROJA VIDEri,

ET DANAUM SOLITÆ NAVES, & ACHAICA castra.


ÆNEID. L. 3. V. 656 & 657.


IPSUM INTER PECUDES VASTA SE MOLE moventem,

PASTOREM POLYPHEMUM & LITTORA NOTA petentem:


ÆNEID. L. 4. V. 331 & 332.


DIXERAT. ILLE JOVIS MONITIS IMMOTA tenebat

LUMINA, & OBNIXUS CURAM SUB CORDE premebat.


ÆNEID. L. 5. V. 385 & 386.


DUCERE DONA JUBE. CUNCTI SIMUL ORE fremebant

DARDANIDÆ, REDDIQUE VIRO PROMISSA jubebant.


ÆNEID. L. 6. V. 463 & 464. ciebat. tenebat.

ÆNEID. L. 7. V. 187 & 188. sedebat. gerebat.

ÆNEID. L. 7. V. 245 & 246. Aras. tiaras.

ÆNEID. L. 7. V. 653 & 654. esset. esset.

ÆNEID. L. 8. V. 271 & 272. semper. semper.

ÆNEID. L. 8. V. 396 & 397. fuisset. fuisset.

ÆNEID. L. 8. V. 646 & 647. jubebat, premebat.

ÆNEID. L. 9. V. 182 & 183. ruebant. tenebant.

ÆNEID. L. 9. V. 544 & 545. Helenor, Helenor.

ÆNEID. L. 11. V. 886 & 887.


DEFENDENTUM ARMIS ADITUS, INQUE ARMA ruentum.

EXCLUSI ANTE OCULOS, LACRYMANTUMQUE ORA parentum.


Endlich auch L. 12. v. 679 & 680.


MORTE PATI: NEC ME INDECOREM GERMANA VIDEBIS,

AMPLIUS; HUNC, ORO, SINE ME FURERE ANTE FUROREM.

DIXIT, & E CURRU SALTUM DEDIT OCIUS AURIS,

PERQUE HOSTES, PER TELA RUIT; MŒSTAMQUE SOROREM ETC.


Allein, da dieses die Reime aus dem ganzen Virgil alle miteinander sind, wie mich ein werther Freund versichert, der sie daraus aufgesuchet hat: so überlasse ich einem jeden das Urtheil, ob so wenige Schwalben einen Sommer machen; d.i. ob Virgil die selben anders, als von ungefähr gemachet haben könne?


13 Vor einiger Zeit haben sich nicht nur die Zürcher-Maler, sondern auch noch kürzlich in Halle einige Gelehrte wider die Reime empöret, und theils in Regeln und Abhandlungen vom Werthe der Reime, sie verächtlich zu machen gesuchet; theils uns mit ihren Exempeln reimloser Gedichte zur Nachfolge reizen wollen. Mich dünket aber, daß weder ihre Gründe so überzeugend, noch ihre Beyspiele so bezaubernd gerathen sind, daß ihre Reime viel zu besorgen hätten. In meiner krit. Dichtkunst habe ich längst gewiesen, daß man ihrer in Übersetzungen der alten Dichter, und in Schauspielen noch am ersten entrathen könnte. Allein, da Pope den Homer, und bey uns ein Paar glückliche Dichter, auch theils die Ilias, theils die Äneis in gereimte Verse bringen können: so wird es auch damit noch keine Noth haben: zumal da der ungereimte Horaz unerträglich ausgefallen; der gereimte aber, den wir itzo von einer vornehmen Feder bekommen, ihm den Preis weit abgewinnen wird. Herr Hofr. Madai ist der geschickte Herausgeber davon.


14 Indessen ist es sehr schwer, einem, der niemals aus seinem Vaterlande gekommen ist, den guten Ton der Aussprache beyzubringen. Eine jede Provinz wird also gewisse einheimische Reime behalten, weil ihre Dichter glauben werden, durch ihre Aussprache, zu ihrem Gebrauche berechtiget zu seyn. Man kann es ihnen auch so wenig verdenken, als einem Landesherrn, daß er sich eine schlechtere Landmünze schlägt. Doch wie dieser darum kein Recht hat, sie Auswärtigen aufzudringen: so muß auch kein Dichter, der sich solcher Land, Stadt und Hausreime bedienet, begehren, daß man sie allenthalben soll gelten lassen.


15 Einen einzigen Rath kann ich denen noch geben, die so reimen wollen, daß ganz Deutschland damit zufrieden sey. Man bediene sich solcher Reimwörter, die überall gleich klingen, deren es gleichwohl unzählige giebt. Diese aber zu wissen, muß man doch auf die gleiche Schrift sehen; und gleichwohl triegt auch diese zuweilen. Z.E. Wer sollte nicht denken, daß Schneider und Kleider sich gut reimeten? Und gleichwohl spricht man hier das letzte wie Kleeder; aber unrecht. Fassen und lassen scheinen auch gut zu klappen: doch höret man einen Thüringer, so spricht er das letzte wie laaßen, d.i. mit einem gezogenen Tone, wie maßen, saßen.


16 Ich will doch eine Probe davon geben. Es hebt so an:


DIVINO APOLLO, E VOI CELESTI MUSE,

CH'AVETE IN GUARDIA I GLORIOSI FATTI,

E I BEI PENSIER DE LE TERRENE MENTI,

PIACCIAVI DI CANTAR PER LA MIA LINGUA ETC.


Und eine solche Art von Versen beobachten die Wälschen auch in ihren Trauerspielen und Lustspielen. S. des MURATORI TEATRO ITALIANO, in drey 8 Bänden von 1728, ja selbst die Recitative ihrer Opern sind fast ohne alle Reime.


17 Er schreibt in seiner Vorrede so davon: »Ich enthalte mich allerdings des gemeinen Endreimens in meinen Versen – – maßen solch Reimen, weder zur Noth, noch Zierde guter Gedichte dienlich, bevorab in weitläufigen Werken. Das Reimen ist erst auf die Bahn gebracht worden, in den barbarischen Zeiten, da man liederlicher Dinge Fürbringen (ist aber Ottfrieds Evangelium ein liederlich Ding?) nicht besser hat gewußt ein Ansehen zu erwecken, als mit dergleichen Klingel oder Schellenwerk. Nicht ohn zwar ist, daß seithero durch vielfältig, und je länger je geschickteres Versuchen und Ausüben, solche Reimerey in meist europäischen gemeinen Landsprachen, in eine sonderliche und sothane Artigkeit verhöht, und dermaßen gemein worden, als ob es ein ganz eigentlich und nothwendig Zubehör des Dichters im Versmachen wäre; da doch fast nichts dem rechtschaffenen Erfinden, Sinnen, Dichten und Fürstellen verdrießlicher und nachtheiliger kann erdacht werden; alldieweil dieses Reimreißen den Poeten so mannichmal gleich als bey den Haaren zauset, zeucht und zwingt, seine Sachen viel anders zu entwerfen, und fürzubilden, als er sonst, (Wort und reimfrey gelassen) so viel eigentlicher, reicher und anmuthiger würde haben thun können etc.« Wenn das wahr wäre, so müßte sein deutschet, und der englische Milton selbst, viel anders klingen. Allein, wer siehts nicht, daß ihn auch die bloße Zahl der Syllben, denn das Scandiren beobachtet er fast gar nicht, schon so sehr gezauset, gezogen und gezerret, daß et recht eisenharte Verse, wo man sie noch so nennen kann, hervorgebracht. Guten Köpfen hilft der Reim eher, als er ihnen hinderlich fällt, gute Gedanken anzubringen; giebt aber dem Verse noch desto mehr Anmuth, und Wohlklang.


18 Die vornehmste Ursache, warum diese Verse nicht klingen, ist diese, daß fast niemals eine Zeile einen Sinn für sich hat, sondern in die folgende greift. Würde es z.E. nicht besser klingen, wenn Seckendorfs letzte Zeilen so stünden:


Da springen hinten ab der Boots- und Rudermann,

Von dem verlaßnen Schiff gleich in die Wellen hin;

Und jeder machet sich schon einen Schiffbruch selbst,

Wenn gleich der Kiel noch hält, und nicht zerscheitert ist.


Von Bergen aber hat sich aus sclavischer Nachahmung Miltons gar eingebildet, dieses beständige Eingreifen in die folgenden Verse wäre eine besondere Schönheit der miltonischen Poesie: da sie doch im Englischen eben so wohl unangenehm ist; und von neuern Dichtern daselbst nicht nachgeahmet wird. Unsere deutschen Hexametristen aber sind hier getreue Miltonianer, und machen uns fast lauter zerfetzte Zeilen, wie ein poetisches Fricassee. S. seine Vorrede.


19 Da sind nun andere gekommen, die sich eingebildet, die ganze Schönheit dieser Verse bestünde im Mangel der Reime; und haben ihre Originaloden in diesem Stücke so anakreontisch gemacht, als wenig sie es in andern Absichten waren. Wie leicht wäre es aber nicht gewesen, ursprünglich deutsche Lieder, durch den Reim noch angenehmer zu machen? Von andern Gelehrten versteht sich eben das: da wir ja sehen, daß der Reim noch keinen unserer guten Dichter gehindert hat, feurig, lehrreich und edel zu denken.


20 Die ganze Schwierigkeit ist nur, die Komödianten zu bereden, daß sie reimlose Stücke aufführen. Da sie aber auch prosaische Lustspiele auswendig lernen können; so würde sichs auch mit reimlosen Versen wohl thun lassen. Neulich hat jemand den Agamemnon so verdeutschet. Nur schade, daß er nicht bey Jamben geblieben, und daß das Stück selbst nicht besser ist! Aber was versuchen unsere neuen Witzlinge nicht alles?


NIL INTENTATUM NOSTRI RELIQUERE POETÆ,


möchte man mit dem Horaz, in anderer Absicht sagen. Das schlimmste ist nur, daß sie unüberlegte Proben machen, die keine andere Absicht haben, als etwas Neues zu wagen. Sie denken, wie Lucrez,


AVIA PIERIDUM PERAGRO LOCA, NULLIUS ANTE

TRITA SOLO


Lucr.


aber in einer ganz andern Gesinnung.


21 Alle diese Regeln sind bey den bisherigen ungereimten Versuchen, zumal epischer Gedichte, schlecht beobachtet worden; sogar, daß sie nicht einmal einer harmonischen Prose an Lieblichkeit gleich kommen. Sie beobachten keine Cäsuren, schließen den Sinn niemals mit ganzen Zeilen; zerren und zerbröckeln den Verstand eines Satzes immer mit Fleiß in andere Zeilen; und zerfetzen die Gedanken recht mit Fleiß in lauter Heckerling. Man kann also, nach diesen Aspekten den reimlosen Versen noch wenig Glück versprechen; zumal wenn die Dichter in ihren Vorreden gar ausdrücklich gestehen: daß sie mit Fleiß undeutsch schreiben wollen, um den alten Dichtern desto ähnlicher zu werden: wie neulich vor den reimlosen und ungereimten horazischen Oden geschehen ist, die man nun zum zweytenmale verhunzet hat.[715]


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 8, Berlin und New York 1968–1987, S. 687-716.
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