Das VII. Capitel.
Von Sinn- und Scherzgedichten.

[206] 1. §.


Sehr viel Verwandschaft mit den Satiren, haben ohne Zweifel die Sinn und Scherzgedichte; daher können dieselben füglich in diesem Capitel ihren Platz finden. Einige Arten derselben sind alt, die meisten aber von neuer Erfindung. Die Gelehrten haben uns ganze Sammlungen griechischer Sinngedichte herausgegeben, die aber nicht alle von gleicher Güte sind: Ja vielmal herrscht eine gewisse Einfalt darinnen, die in einem heutigen Gedichte für matt und kalt gehalten werden würden. Catull und Martial haben sich in Rom vor andern hervorgethan, und unter den Neuern ist ihnen Owenus gefolget. Unter uns Deutschen haben uns Opitz und Flemming viele Proben davon gewiesen. In den hofmannswaldauischen Gedichten steht eine große Menge, darunter einige, sonderlich die neukirchischen, recht hübsch sind. Logau hat eine kleine Sammlung sinnreicher Ueberschriften und Grabschriften unter dem Titel: Von Golaus auferweckter Gedichte, herausgegeben; darinn auch sehr viel artige vorkommen. Unzähliger altfränkischer kleiner Sammlungen zu geschweigen, die wir von dieser Art haben, die aber größtenteils ins Vergessen gerathen sind.

2. §. Kurz zu sagen, eine Ueberschrift, ist der poetische kurzgefaßte Ausdruck eines guten scharfsinnigen Einfalles, der entweder jemanden zum Lobe, oder zum Tadel gereichet. So beschreibt sie Boileau im II. Gesange seiner Art. Poet.


L'EPIGRAMME PLUS LIBRE, EN SON TOUR PLUS BORNÉ,

N'EST SOUVENT QU'UN BON MOT DE DEUX RIMES ORNÉ.[207]


Ich nehme das Wort scharfsinnig im ordentlichen Verstande, für die Wahrnehmung eines Umstandes an einer Sache, den nicht ein jeder würde gesehen haben. Zu dieser Scharfsinnigkeit kömmt vielmals auch der Witz, der zwischen einem solchen Umstande und etwas anderm, eine Aehnlichkeit findet, selbiges entweder zu erheben oder zu verkleinern. Dieser Gedanke aber muß kurz gefasset werden, damit er in dem Verstande des Lesers eine plötzliche und unvermuthete Wirkung thue. Die Weitläuftigkeit des Ausdruckes würde nur machen, daß man durch die Umschweife schon von weitem zu rathen anfinge, was nachkommen würde: wodurch aber das Vergnügen über den selben um ein vieles gemindert werden, ja gar verschwinden würde.

3. §. Die besten Exempel scharfsinniger Sinngedichte, werden bestätigen, was ich davon gesagt habe. Virgil hat an den Pallast des Kaisers Augusts, folgende Zeilen angeschrieben; wodurch er zuerst bekannt worden:


NOCTE PLUIT TOTA, REDEUNT SPECTACULA MANE;

DIUISUM IMPERIUM CUM IOUE CAESAR HABET.


Es stürmt die ganze Nacht, der Morgen bringt uns Lust,

So herrscht zwar Jupiter, doch neben ihm August.


Woher entsteht hier das Sinnreiche? Erstlich daher, daß Virgil an einem Tage etwas wahrgenommen, darauf andere nicht Acht gegeben: daß nämlich auf eine regnichte Nacht mancherley Lustbarkeiten in Rom angestellet worden. Zweytens darinn, daß er den August mit dem Jupiter vergleichet, und das Regiment der Welt unter sie eintheilet. Die berühmte Grabschrift Martials auf die Dido wird eben das zeigen:


INFELIX DIDO NULLI BENE NUPTA MARITO:

HOC PEREUNTE FUGIT, HOC FUGIENTE PERIT.[208]


Die Männer wirken dir, o Dido, lauter Noth;

Des einen Tod die Flucht; des andern Flucht den Tod.


Hier bemerkt der Poet abermal, daß Dido ohne ihre Ehemänner würde glücklich gewesen seyn, woran nicht gleich ein jeder denket. Hernach vergleicht er die beyden Trübsalen mit einander, und findet selbst in dem Gegensatze der Flucht und des Todes, eine gewisse Aehnlichkeit, die noch keinem eingekommen war.

4. §. Außer diesen wahren Scharfsinnigkeiten, da der Witz mit den Sachen beschäfftiget ist, giebt es noch viel andre, die in bloßen Wortspielen bestehen. Z.E. Ein Schüler der Jesuiten in Frankreich, hat seinen Lehrern zu Ehren, folgendes gemacht. Man muß aber wissen, daß ihre beyde berühmteste Schulen zu Dole und la Fleche sind, davon jene einen Bogen, und diese einen Pfeil im Wapen führt.


ARCUM DOLA DEDIT PATRIBUS: DEDIT ALMA SAGITTAM

FLEXIA. QUIS FUNEM, QUEM MERUERE, DABIT?


Hier will man dem Scheine nach sagen: Bogen und Pfeile hätten die Jesuiten schon an ihren zwo berühmten Schulen; nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das ist die dritte Schule. Weil aber das Wort Funis zweydeutig ist: so kann es auch heißen, wer wird ihnen zu dem längstverdienten Stricke, das ist, an den Galgen verhelfen? Hier ist die Absicht boshaft genug, aber der ganze Witz kömmt nur auf die Worte, und nicht auf die Sache an. Dergleichen Wortspiele nun, wird man im Martial und Owenus unzähliche antreffen, ja auch die Welschen und Franzosen haben sich mehr darauf zu gute gethan, als die Vernunft, und ein feiner Geschmack von rechtswegen erlauben sollten.

5. §. Ob nun wohl der gute Geschmack den Spitzfindigkeiten überhaupt zuwider ist: so hat mans doch in solchen Sinngedichten nicht eben so genau nehmen wollen. So gar Boileau hat dieses verstattet, wenn er schreibt:[209]


LA RAISON OUTRAGÉE ENFIN OUVRIT LES YEUX,

LA (POINTE) CHASSA POUR JAMAIS DES DISCOURS SERIEUX,

ET DANS TOUS LES ECRITS LA DECLARANT INFAME,

PAR GRACE LUI LAISSA L'ENTRÉE EN L'EPIGRAMME:

POURVÛ QUE SA FINESSE ECLATANT À PROPOS,

ROULA SUR LA PENSÉE ET NON PAS SUR LES MOTS.


Man sieht aber wohl, daß er auch die Spitzfindigkeiten in den Gedanken, nicht aber in den Worten allein gesucht haben will: denn gleich darauf schimpft er auf die Pritschmeister, die noch bey Hofe geblieben, und nennt sie abgeschmackte Lustigmacher, unglückliche Stocknarren, verjährte Verfechter grober Wortspiele,


INSIPIDES PLAISANS, BOUFFONS INFORTUNEZ,

D'UN JEU DE MOT GROSSIER PARTISANS SURANNEZ.


Will man Exempel von solchem elenden Zeuge haben, so lese man das XL. Stück im II. Theile der vern. Tadlerinnen, wo etliche von der Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht kindisch und lächerlich sind. Von solchen aber, die erträglich sind, fallen mir ein Paar ein, davon eins auf den NOSTRADAMUS, das andere auf den Erasmus gemacht war. Jenes hub an: NOSTRA DAMUS, DUM FALSA DAMUS ETC. Das andre sagte, den Erasmus hätte der Tod uns zwar rauben können, und schloß: SED DESIDERIUM TOLLERE NON POTUIT. Doch wenn die ganze Welt nach meinem Sinne urtheilete, so würde man auch diese Art für thöricht erklären.

6. §. Man braucht diese Sinngedichte zu Unter- oder Ueberschriften bey Gemälden, zu Grabschriften, zu Erleuchtungen, Ehrenpforten, oder wo man sonst will. Gemeiniglich loben oder tadeln sie etwas; zuweilen aber ist der Gedanke auch nur wegen seines Nachdruckes, oder der Neuigkeit halber angenehm. Ein lobendes, war jenes auf des Königs in Frankreich Residenzschloß:[210]


PAR VRBI DOMUS EST, VRBS ORBI, NEUTRA TRIUMPHIS,

ET BELLI ET PACIS PAR, LUDOUICE, TUIS.


Dein Haus kann man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen,

Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen.


Ein tadelndes mag folgendes abgeben:


IN MARE CORNUTOS IACIENDOS, PONTIUS INQUIT.

PONTIA RESPONDET: DISCE NATARE PRIUS.


Ersäuft, was Hörner trägt! schreyt Mops mit lauter Stimmen:

Ach Schatz! versetzt sein Weib; so lernt bey zeiten schwimmen.


Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catons moralischen Lehrversen suchen; davon Opitz viele sehr rein und glücklich ins Deutsche übersetzt hat. Ueberhaupt kann man auch Tschernings Frühling, Flemmings Gedichte, und insonderheit des von Golau gesammlete Sinngedichte nachsehen; wo viel artiges, theils neues, theils übersetztes vorkömmt. Deutsche Exempel sollen am Ende des Capitels folgen.

7. §. Aus diesen wenigen angeführten Exempeln, da ich von lateinischen Sinngedichten lauter zweyzeilige Uebersetzungen gegeben habe, wird man leicht sehen, daß unsre Sprache nicht eben so ungeschickt zu einem kurzgefaßten und scharfsinnigen Ausdrucke sey, als wohl einige denken. Ja man könnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede ursprünglich deutsch abgefaßte Ueberschrift, in eben so vielen und gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieser Art hauptsächlich auf die Kürze zu sehen, in soweit dieselbe mit der Verständlichkeit und Richtigkeit des[211] Ausdruckes bestehen kann. Denn die Weitläuftigkeit verderbet alles: es wäre denn, daß die letzte Zeile einen ganz unvermutheten Gedanken in sich hielte, den man gar nicht vorher sehen, oder nur errathen können. Ich schließe indessen diese Abhandlung der Sinngedichte durch ein Exempel, welches die Natur derselben kurz in sich schließt; wie ich dieselbe schon von andern, wiewohl nur prosaisch beschrieben gefunden:


Machst du ein Sinngedicht: so laß es neu und klein,

Fein stachlicht, honigsüß; kurz, eine Biene seyn.


8. §. Bey Gelegenheit der Sinngedichte muß ich auch ein Wort von den sogenannten Sinnbildern gedenken, die ohne Zweifel auch in die Poesie gehören. Was zwar die Bilder anlanget, darinn man auf eine räthselhafte Art etwas zu verstehen geben wollen: so sind dieselben schon sehr alt. Es ist bekannt, daß die Aegyptier viel auf ihre hieroglyphische Figuren gehalten. Auch die Jüden hatten in ihrem Gottesdienste viel solche symbolische Vorstellungen, die viel bedeuteten. Selbst die Griechen haben in den ältesten Zeiten solche redende Gemälde gehabt. Joseph, der jüdische Geschichtschreiber erzählt, daß Arrius, König in Sparta, ein Petschaft gehabt, darinn ein Adler, der eine Schlange hielte, gestanden. Und Plutarchus meldet, daß in Athen Alcibiades einen Cupido, der Donnerkeile in der Hand trug, in seinem Schilde geführet; wodurch er seine eigene Gemüthsart abzuschildern gesucht. Endlich haben unter den Römern, Pompejus einen Löwen, der ein bloßes Schwerdt in der Tatze hatte, Augustus aber einen Sphinx, in ihren Siegeln geführet.

9. §. Allein von solchen Bildern ohne Ueberschrift reden wir nicht. Diese sind nur für todte Körper, ohne Seelen anzusehen: dahingegen ein bloßes Sinngedichte, davon wir bisher gehandelt haben, oder ein Wahlspruch, gleichsam ein Geist ohne Leib zunennen ist. Ein Sinnbild aber muß nicht[212] nur eins, sondern beydes haben. Wir verstehen nämlich dadurch ein ansehnliches Gemälde, dessen Bedeutung mit einer sehr kurzgefaßten Ueberschrift zu verstehen gegeben wird. Es sind aber dieselben zweyerley, theils sogenannte Devisen, theils die bekannten Emblemata. Wenn die Kunst erfunden worden, solche Devisen und Emblemata zu machen, das ist eben so ungewiß, als wer ihr erster Urheber gewesen. Die Italiäner streiten mit den Franzosen um die Ehre der Erfindung: ja einige wollen gar die Ritter von der runden Tafel in England für die Erfinder ausgeben. Doch so viel ist gewiß, daß die barbarischen Zeiten der Unwissenheit zu dieser an sich schönen Sache Gelegenheit gegeben haben. Die Turniere sind ohne Zweifel damals in Deutschland und Frankreich aufgekommen, und die Ritter, so darinnen ihre Tapferkeit zeigen wollten, suchten ihre Unternehmungen und edle Gemüthsneigungen, auf ihren Schildern, durch solche Bilder mit Ueberschriften, an den Tag zu legen. Dieses zeiget der italienische Name der Devisen, IMPRESE, der aus dem alten französischen EMPRISE oder ENTREPRISE seinen Ursprung genommen hat; wie der berühmte Pater LE MOINE in seinem ausführlichen Werke, von der Kunst, Devisen zu machen, darthut. Folglich wird man wohl Frankreich für das Vaterland der Sinnbilder halten müssen, und aus dieser ersten Erfindung wird man leicht die wahre Natur derselben abnehmen können.

10. §. Es ist also ein Sinnbild eine metaphorische Vorstellung dessen, was jemand für eine Neigung, Absicht, oder Meynung bey seinem Vornehmen hat, die theils durch ein Bild, theils durch eine kurze Ueberschrift geschieht. Daß dieses so sey, lehrt uns die alte Redensart, da man spricht, etwas im Schilde führen: denn das heißt so viel, als eine gewisse Absicht, ein Vorhaben oder eine Neigung haben. Man hat nämlich so wohl in Deutschland als auch in Frankreich die Sinnbilder in die Schilde der Helden oder Ritter gemalt. Daraus fließen nun folgende Regeln der Sinnbilder:[213] 1) Muß das Bild eine Sache vorstellen, die sich leicht malen, und auch von weitem gut erkennen läßt. 2) Muß ein solches Bild mit derjenigen Absicht, die es vorstellen soll, eine gewisse Aehnlichkeit haben; so, daß man sagen kann: Gleichwie dieses sich so und so verhält, also ist es auch mit der Absicht, Neigung oder Unternehmung dessen, der das Sinnbild hat, beschaffen. Z.E. Ein Liebhaber erwählt sich den Vogel Phönix, der sich verbrennet, mit der Ueberschrift: SINE PARI. Da heißt die Erklärung: Gleichwie der Phönix seines gleichen nicht hat: so hat auch die Person, die ich liebe, ihres gleichen nicht. 3) Muß die Ueberschrift das so genannte TERTIUM COMPARATIONIS in sich halten, oder die Aehnlichkeit des Bildes mit der Absicht dessen, der es führet, anzeigen. Und daher kömmt es, daß ein und dasselbe Bild zu verschiedenen Absichten gebraucht werden kann: wie dieses unter vielen andern der gelehrte Herr Wachter in seinen Sinnbildern über die berlinische Aloe erwiesen hat.

11. §. Aus diesen Hauptregeln kann man nun leicht schließen, daß es noch besondere Nebenregeln giebt, die zur Schönheit eines guten Sinnbildes etwas beytragen. Erstlich muß das Bild so einfach seyn, als es möglich ist: denn sehr vielfache Figuren sind nicht wohl zu unterscheiden. So war das Sinnbild, welches bey der Krönung des hochseeligen Königs in Preußen erfunden worden, beschaffen, da man einen Granatapfel malete, und die Ueberschrift dazu setzte: EX ME MEA NATA CORONA. So hat sich auch der vorige König in Preußen Friedrich Wilhelm schon als Kronprinz den Adler, der nach der Sonne fliegt, mit der Ueberschrift: NEC SOLI CEDIT, zum Sinnbilde gewählt; anzudeuten, daß der preußische Adler, auch der französischen Sonne, nicht weichen dörfe. Hernach muß ein Sinnbild weder in der Figur, noch in den Worten etwas überflüßiges haben. Als wenn ich oben bey dem Phönix noch die Sonne malen wollte, die das Nest desselben anzündete, so wäre es ganz überflüßig. Oder wenn ich bey diesen beyden scharf gehen wollte: so würde das[214] SOLI und CORONA überflüßig seyn; indem man schon aus dem Bilde sieht, daß eine Sonne und eine Krone, da ist. Die Ueberschriften könnten also kürzer geworden seyn, wenn sie geheißen hätten: EX ME IPSO NATA, und CEDERE NESCIT. Ferner ist es hübsch, wenn die Ueberschrift bey ihrer Kürze auch wohl klingt: welches im Lateinischen geschieht, wenn man ein Stück vom Verse dazu nimmt; oder doch sonst einen Wohllaut beobachtet. So hätte z. Exempel die Ueberschrift einer Gluckhenne die auf ihren Eyern sitzet, die ich irgendwo gesehen habe: QUIES MEA NON EST OTIOSA, besser also heißen können: NON OTIOSA QUIES. Und der Bär, der sich die Pfoten sauget, den der Herr Verleger dieses Buches zum Sinnbilde hat; hat eine gute Beyschrift: IPSE ALIMENTA MIHI. Im Deutschen pflegt man auch wohl Verse dazu zu machen: Allein man muß die Erklärung des Sinnbildes von der Ueberschrift desselben unterscheiden; wie dieses die Mitglieder der fruchtbringenden Gesellschaft, u.a.m. wohl beobachtet: ob sie gleich sonst viel Lächerliches dabey begangen haben, das den obigen Regeln zuwider läuft.

12. §. Noch eine Hauptregel haben die Kunstverständigen von guten Devisen gefodert. Sie wollen nämlich, daß keine menschliche Figur jemals zum Körper der Sinnbilder gemacht werden solle. Denn sagen sie, der Mensch ist viel zu edel dazu, daß er durch sich selbst erst die Absichten, die er hat, entdecken und vorstellen sollte. Sonst steht ihm aber die ganze Natur zu Diensten. Er kann vom Himmel die Sonne, den Mond und die Sterne, ja die Cometen dazu brauchen. Er kann aus der Luft die Wolken, den Regenbogen, den Hof um die himmlischen Lichter, die Blitze, und die Vögel von allerley Art dazu nehmen, wenn man sie nur an ihren Bildern erkennen kann. Er kann sich von der Erde die Thiere, Bäume, Pflanzen und Blumen erwählen. Er kann auch aus der See sich alles dessen bedienen, was sich deutlich und kenntlich malen läßt. Er kann ferner von menschlichen Kunstwerken, als Thürmen, Schlössern, Pyramiden, Schiffen, Pfeilen, Ringen, und tausend[215] solchen Dingen mehr, seine Sinnbilder hernehmen: so, daß man ein recht großes Feld vor sich hat, solche Erfindungen zu machen. Es kömmt nur auf einen witzigen Kopf an, der die Aehnlichkeit, die in solchen Dingen stecket, herauszusuchen, und in kurzen Worten auszudrücken weis.

13. §. Wer nun nach solchen Regeln die gemeinen Sinnbilder, die so häufig, zumal bey Erleuchtungen großer Städte, auch wohl in eigenen Büchern, die den Malern zu gut, oder sonst zur Belustigung der Liebhaber erfunden worden, beurtheilen will: der wird leicht sehen, daß die wenigsten was taugen. Zwar ein einziges kann noch dienen, viele unrichtige Sinnbilder zu entschuldigen, wenn mann nämlich sagt, es wären nicht eben Devisen, die gleichsam die Stellen der Wahlsprüche vertreten sollten; sondern nur Emblemata, die nützliche Wahrheiten vorstellen, und auf eine sinnreiche Art abbilden sollten. Denn das Emblema ist freylich so kützlich nicht. Es kann sich aller Arten der Bilder bedienen, und so wohl die Gestalt eingebildeter, als natürlicher Dinge, so wohl die ungereimten, als die ordentlichen leiden. Es kann auch viele auf einmal, oder gar nur halbe und verstümmelte brauchen, ja selbige gar auf unerhörte Art zusammen setzen. Es darf auch nicht eben gewissen Personen eigen seyn, sondern stellt allgemeine Lehrsätze vor: nur soll es allezeit eine gute Lebensregel in sich halten; die, wenn sie in einem Bilde vorgestellet wird, eine bessere Wirkung thut, als wenn man sie mit Beweisen und Vernunftschlüssen begleitet hätte. Hiermit hat nun die Devise nichts zu thun: als welche nur Ausdrückungen der Tapferkeit, der Hochachtung und Liebe, kurze Lobsprüche und kurze Klagen in sich fasset. Hernach braucht auch ein Emblema eben kein Gleichniß in sich zu halten, und wenn es geschieht: so ist es Ueberfluß.

14. §. Doch wird auch ein jeder sehen, daß selbst unter diesem Titel die wenigsten Bilder mit Ueberschriften stehen können: zumal diejenigen nicht, wo man allemal ganze weitläuftige Erklärungen hinzusetzen muß, ehe man sichs getraut,[216] daß der Leser das Bild und die Ueberschrift recht verstehen werde. Wenn ein solch Bild nicht selbst redet, und wenigstens von einem etwas witzigen Kopfe, der es betrachtet, verstanden werden kann: so taugt es nicht. Denn für die Einfältigen muß es ein Räthsel seyn und bleiben, bis es ihnen von einem Klügern erkläret wird. So ein Gemälde ist die Tafel des Cebes bey den Alten gewesen: solche Bilder sind auch bey des berühmten Grafen Schaftsbury gesammleten Werken in Menge zu finden. Ja überhaupt sollen alle Titelkupfer bey unsern Büchern, die keine Bilder ihrer Urheber sind, solche emblematische Gemälde vorstellen. Dergleichen ist das Kupfer vor dieser Dichtkunst und das vor meiner deutschen Schaubühne, welche sich ohne eine weitläuftige Erklärung verstehen lassen. Doch will ich damit nicht behaupten, als ob man nicht auch Devisen vor Bücher setzen könnte. Nein, viele haben dieses mit gutem Bedachte gethan, unter andern Herr Wolf, vor seinen philosophischen Schriften, die auch mehrentheils sehr wohl gerathen sind. Wer ausführlichere Nachricht von allem haben will, der muß das vollständige Werk des Pater LE MOINE DE L'ART DES DEVISES davon nachlesen, der alles, was Paul Jovius, L'AREZZI, CORTILE und LE FERRO, imgleichen Hercules Tasso davon geschrieben, in einen Zusammenhang und ins reine gebracht hat.

15. §. Den Franzosen zu Ehren muß ich noch eine seltsame Art von redenden Bildern erwähnen, die sie erfunden haben, und darinn sie keine geringe Art der Scharfsinnigkeit zu zeigen meynen. Sie malen Bilder, die theils ohne alle Wörter, theils mit einer Sylbe, oder einem Worte zusammen genommen, etwas bedeuten. Z. E. Ein altes Weib hat ein Buch auf dem Schooße liegen, als ob sie darinn läse; darauf steht aber TUL, TUL, TUL. Was heißt nun das? Es heißt TERTULLIANUS. Denn TER heißt (dreymal) TUL, (welches auf dem Buche steht.) LIT (liest) ANUS, (das alte Weib). Diese vortreffliche Erfindung nun heißt ein REBUS. Noch ein schöneres Beyspiel giebt mir der in solchen Einfällen berühmte DES ACCORDS, dessen auch Bayle in[217] seinem Wörterbuche gedenkt. Er malt einen todten Abt auf einer Wiese liegend, und stecket ihm, auf eine, der französischen Höflichkeit der Sitten gemäße Art, eine Lilge in den entblößten Hintern. Was soll nun dieses sinnreiche Gemälde sagen? Es bedeutet die vortreffliche Sittenlehre! Habe den Tod allezeit vor Augen. Will man begreifen, wie es heraus kömmt: so muß man fürs erste die Regel lateinisch machen: HABE MORTEM PRAE OCULIS; und hernach dieses Latein auf gut Französisch aussprechen, so wird heraus kommen: ABBÉ MORT EN PRÉ, AU CUL LIS! Ist das nicht ein vortrefflicher, wunderwürdiger Witz, womit sich der französische ESPRIT CREATEUR allen heutigen und vormaligen Völkern so überlegen erweist. RISUM TENEATIS AMICI! Solche ungereimte Dinge hat doch noch kein deutscher Kopf ausgehecket!

16. §. Da die Sinngedichte der alten Lateiner nicht allezeit so kurz gerathen waren; sondern zuweilen aus vier, sechs, acht, ja wohl in 15 bis 20 Zeilen bestunden: so haben die neuen Italiener, als die ihre Poesie zuerst ins Geschicke gebracht, verschiedene Arten vielzeiligter Sinngedichte auf die Bahn gebracht. Dahin gehört denn gleich anfangs das Madrigal. Boileau zwar giebt davon die Regel:


LE MADRIGAL PLUS SIMPLE & PLUS NOBLE DANS SON TOUR,

RESPIRE LA DOUCEUR, LA TENDRESSE & L'AMOUR.


Allein man pflegt sonst insgemein allerley scharfsinnige Einfälle darinnen vorzutragen, die mehr satirisch, als zärtlich oder verliebt sind. Ziegler hat bey uns ein eigen Tractätchen davon geschrieben, und gar feine Exempel von eigener Erfindung dazu gegeben. Man giebt die Vorschrift, ein Madrigal solle aus ungleichlangen, aber mehr kurzen, als langen Versen von ungerader Zahl, bestehen, und im Schlusse allezeit einen scharfsinnigen Einfall, oder unvermutheten Gedanken haben. Man sieht wohl, daß die Freyheit in dieser Art sehr groß ist, zumal, da man die Reime nach Belieben durch einander mischen, und[218] bald 5, bald 7, bald 9, bald 11, bald 13 Zeilen dazu brauchen darf. Ich will ein Exempel aus Zieglern geben:


Ich frage nichts nach allen Lästerkatzen.

Sie speyen auf mich los

Und dichten, was sie wollen:

Ich werde dennoch groß.

Ihr Geifer kann nicht haften,

Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften,

Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn,

Daß ihnen noch die Augen wässern sollen:

Und das soll bald geschehn!

Denn wenn mich erst die Lästerzungen stechen,

So fang ich erstlich an, mich recht hervorzubrechen.


17. §. Hier sehen wir, daß gar eine Zeile ungereimt geblieben: und das steht überall frey, muß auch bey den ungeraden Zeilen nothwendig geschehen; wo man nicht drey auf einander reimen will, welches aber auch unverbothen ist. So leicht aber ein solch Madrigal zu seyn scheint: so sehr muß man sich sonst bemühen, den Inhalt desto nachdrücklicher und artiger zu machen. Bey der Gelegenheit kann ich nicht umhin, ein lustiges Exempel einzurücken, so der selige M. Rabener, der ältere, nach Art des in Leipzig und Sachsen sehr bekannten Reimschmiedes Ranisii, dessen in Philanders Unterredung von der Poesie gedacht wird, verfertiget und mir dieser Tage in die Hände gefallen. Es heißt:


Schlußreimconfect.


AFFAIRES A VOUS SAGESSE,

APOLLO ist nicht bös,

ARS liegt nicht an der Größ,

Schweig Lud'r, erwirbest Stöß.[219]

DON AMI deine Würd wohlgelingen,

Kirch-Saul Schul SON BON davon bringen,

Prob-Silber, Kopf-Riß, Hauf-Getümmel?

Tobies Trost, SANS FAÇON, behüt euch Himmel!


Leipzig alldar den vierten Februar.

Hornungs-Monat.

Mithin gewünscht zu haben

A.B.C.X.Y.Z.

P.L.


18. §. Ich komme auf das Sonnet, welches unter den Sinngedichten keinen geringen Platz verdienet, weil es so schwer zu machen ist. Es ist in der That gerade das Widerspiel des Madrigals. Alles, was dort frey war, ist hier gebunden; die Zahl und Länge der Zeilen, die Anzahl und Verwechselung der Reime, die Stellen, wo sich der Verstand allezeit schließen muß, u.s.w. Es muß gerade aus vierzehn Zeilen bestehen, die alle von einer Länge sind, und nach dem Verstande in vier Abschnitte abgetheilet seyn. Zuerst müssen vier und vier, hernach aber drey und drey Zeilen zusammen einen Sinn haben. In den beyden ersten Stücken müssen vier männliche und vier weibliche Reime von einerley Art so vermischt werden, daß die erste, die vierte, die fünfte und achte Zeile, und hergegen die andre und dritte und sechste und siebente Zeile sich wiederum untereinander reimen. Der Schluß davon muß auch etwas sonderbares in sich fassen. Unsere alten Poeten, als Opitz, Flemming, Schoch u.a.m. haben sehr viel auf diese Art der Gedichte gehalten, und deren eine große Menge gemacht. Ich will ein paar Exempel aus unserm Flemming hersetzen, von dem wir ganzer vier Bücher Sonnette aufzuweisen haben. Das erste fängt männlich an, und steht auf der 651. Seite seiner Gedichte; es ist an ein Frauenzimmer, die er Svavia nennt, gerichtet:


Sonnet.

[220] Ich that es, Svavia, ich wartete nach dir,

Die ganze halbe Nacht, so wie du mir versprochen.

Wie kams denn, daß du mir die Treue so gebrochen?

Immittelst starb ich fast für schmerzlicher Begier.


Zuletzte ließ ich dir noch einen Kuß allhier,

Vor dem hast du dich auch aus Uebermuth verkrochen,

Wie sehr er dich gesucht bey einer halben Wochen.

Itzt kommt er wieder matt und ohne Trost zu mir.


Die Ursach, hör ich itzt; dir sey zu Ohren kommen,

Als hätt ich Amnien in meine Gunst genommen.

Mein Licht! nein, glaub es nicht. Es leugt sich itzo viel.


Wie oft wird mir gesagt, du meynest mehr als einen?

Ich höre, was ich muß, und glaube, was ich will,

Du wirst es nimmermehr, ja nicht so böse meynen.


Das andere hebt mit einem weiblichen Reime an, und steht auf der 576sten Seite.


An sich selbst.

Sey dennoch unverzagt; gieb dennoch unverlohren;

Weich keinem Glücke nicht; steh höher, als der Neid;

Vergnüge dich an dir und acht es für kein Leid,

Hat sich gleich wider dich Glück, Zeit und Ort verschworen.


Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren.

Nimm dein Verhängniß an, laß alles unbereut:

Thu, was gethan muß seyn, und eh man dirs gebeut,

Was du noch bessern kannst, das wird noch stets gebohren.[221]


Was klagt, was lobt man dich? Sein Unglück und sein Glücke

Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:

Dieß alles ist in dir, laß deinen eiteln Wahn,

Und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,

Dem ist die weite Welt und alles unterthan.


10. §. So wie diese Muster aussehen, so müssen sie alle aussehen; außer daß die Zeilen auch aus fünf- ja vierfüßigen Versen bestehen können. Allein zehn oder eilfzeilichte Gedichte von beliebiger Abwechselung der Zeilen, Sonnette zu heißen, das ist ungereimt, und wenn es der größte Poet thäte. Boileau dichtet dieser vielen Schwierigkeiten halber, Apollo habe diese Regeln des Sonnets den Dichtern zur Strafe ausgesonnen.


ON DIT À CE PROPOS QU'UN JOUR CE DIEU BIZARRE

VOULANT POUSSER À BOUT TOUS LES RIMEURS FRANÇOIS,

INVENTA DU SONNET LES RIGOUREUSES LOIX;

VOULÛT QU'EN DEUX QUATRAINS, DE MESURE PAREILLE,

LA RIME AVEC DEUX SONS FRAPPÂT HUITFOITS L'OREILLE,

ET QU'ENSUITE SIX VERS ARTISTEMENT RANGEZ,

FUSSENT EN DEUX TERCETS PAR LE SENS PARTAGEZ.

SUR TOUT DE CE POEME IL BANNIT LA LICENCE,

LUI MÊME EN MESURA LE NOMBRE & LA CADENCE,

DEFENDIT QU'UN VERS FOIBLE Y PÛT JAMAIS ENTRER,

NI QU'UN MOT DEJA MIS OSOIT S'Y REMONTRER.

DU RESTE IL L'ENRICHIT D'UNE BEAUTÉ SUPREME.


Meinestheils glaube ich, daß eher ein eigensinniger Reimschmidt, als Apollo, die Regeln des Sonnets ausgedacht: weil diesem gewiß an solchem gezwungenen Schellenklange nichts gelegen ist. Am wenigsten glaube ichs, was Boileau hinzugesetzt.


UN SONNET SANS DEFAUT VAUT SEUL UN LONG POEME.[222]


Es ist bald so, als wenn ich sagte, ein künstlich gebautes Kartenhaus wäre eben so viel werth, als ein großer Pallast. Doch man kann hier jedem Liebhaber seinen Geschmack lassen. Wenn Horaz einen Poeten mit einem Seiltänzer vergleicht, so kann man die Meister der Sonnette mit einem solchen vergleichen, der mit geschlossenen Beinen tanzet. Es ist wahr, daß dieses künstlicher ist; wenn er gleichwohl Sprünge genug machet, und keine Fehltritte thut. Aber verlohnt sichs wohl der Mühe, der gesunden Vernunft solche Fessel anzulegen, und um eines einzigen guten Sonnets halber, welches von ungefähr einem Dichter geräth, viel hundert schlechte geduldig durchzulesen?

20. §. Hieraus ist leicht zu sehen, was meine Gedanken von den Ringelgedichten, Sechstinnen, Endreimen, oder BOUTSRIMEZ, Buchstabenwechseln, Irr-, Ketten- und Bilderreimen, Jahrzahlen und Namenversen, und wie sie ferner heißen mögen, seyn werden. Dieses ist poetischer Unrath, damit sich die Musen nichts zu schaffen machen, und welchen sie den kleinen Geistern, die auch gern auf den Parnaß wollten, entgegen schütten; damit sie sich nur unten am Berge verweilen, und niemals hinauf kommen mögen. Wer die Regeln davon wissen will, der darf nur des Menantes galante Poesie nachschlagen. Nach vernünftiger Ueberlegung aber wird man finden, daß die ganze Kunst aufs Reimen ankömmt, und daß alles nach willkührlichen Gesetzen eines schwärmenden Grillenfängers ersonnen worden. Wer ein Belieben findet, sehr gezwungen zu seyn, der kann sich täglich neue Zwangsregeln ersinnen; ja endlich, der gesunden Vernunft zu Trotz, den ganzen Hübner zusammen reimen. Günther hat sich über dergleichen Künste sehr fein ausgelassen, wenn er in dem Gedichte an den König August schreibt:


Der stopft sein Madrigal mit Spruch und Ziffern voll,

Und prophezeiht, wie lang dein Leben dauren soll;

Als legte, blinder Wahn! die Vorsicht der Gestirne,[223]

Den Schlüssel ihres Raths den Narren ins Gehirne.

Dort kreißt ein schwangrer Berg, was bringt er? eine Maus.

Er beißt die Nägel wund, versetzt, flickt ein, stößt aus,

Und macht mit seiner Müh die Titel hoher Namen,

Als Anagrammatist zu Krüppeln und zu Lahmen.


21. §. Und dieses ist von Günthern destomehr zu loben, da er von sich selbst gesteht, daß er auch in seiner Jugend


So mancher Magdalis mit ausstudirten Griffen

Aus Amors Contrapunct ein Ständchen vorgepfiffen.

Da drechselt ich mit Fleiß auf einer hohen Spur,

Wort Sylben und Verstand auch wider die Natur etc.

Ich flocht, wie itzt noch viel, die Namen vor die Lieder,

Und gieng oft um ein A drey Stunden auf und nieder.

Auch schifft ich oftermals auf Dielen über Meer,

Und holt ein Gleichnißwort aus Missisippi her,

Bestahl den Lohenstein, wie andre Schulmonarchen,

Und fehlte mir ein Reim, so flickt ich ihn von Parchen etc. etc

Das that ich, als mein Witz noch gar zu unreif hieß,

Und als ein siedend Fett den Schaum voran verstieß.

Itzt lern ich allgemach mich und die Wahrheit kennen,

Und lache, wenn mich viel noch einen Dichter nennen.


Man schlage auch nach, was im englischen Spectator, den wir nunmehro auch Deutsch lesen können, hier und da für vernünftige Beurtheilungen von diesen poetischen Lapalien vorkommen; und bemerke nur, daß es hauptsächlich unsrer deutschen Nation als ein Schandfleck vorgerücket wird, daß sie solche kindische Spielwerke und Alfanzereyen liebet. Wem dieses noch nicht genug ist, dem soll ein martialischer Machtspruch den völligen Ausschlag geben, der allein zulänglich wäre, alle diese Lappereyen auf einmal vom Parnasse zu verbannen. Er steht LIB. II. EP. 86.[224]


NEC RETROLEGE, SOTADE, CINAEDUM,

NUSQUAM PRAECULA QUOD RECANTAT ECHO,

TURPE EST DIFFICILES HABERE NUGAS,

ET STULTUS LABOR EST INEPTIARUM.


22. §. Und hier erinnere ich mich, daß ich das Echo oben zu erzählen vergessen habe, welches ich aber hiemit eingerücket haben will. Ich weis wohl, daß auch Opitz zuweilen dieses Spielwerk versuchet, und daß viel andre große Poeten bisweilen dergleichen Kindereyen nachgemachet haben. Z.E. Neukirch hat in dem schönen Gedichte, auf die andere Vermählung des hochseligen Königes in Preußen, folgendes läppische Echo eingerückt.


Ich liebe mehr, als Witz, mehr, als Philosophie.

Sophie, rief Echo nach; schmerzhaftes Angedenken!

Versetzte Friedrich: kannst du sie wieder schenken?

Charlotte ist erblaßt, die schöne Königinn,

Mit ihr starb auch Sophie, Sophie ist, schwer ich, hin.

Schwerin, erklang der Wald. Soll sie Schwerin mir geben,

Wohlan, so laß uns denn hin nach Schwerin erheben.


Ich gestehe es, daß ich hier nichts schönes finden kann, und mich sehr wundre, wie sich der große Neukirch so gar habe vergessen können. Allein ich habe es entdecket, was ihn verführet hat. Es ist Besser, der so hochgerühmte Besser, gewesen, der ihm mit einem so abgeschmackten Exempel vorgegangen ist. So können sich auch die besten Köpfe durch böse Vorgänger verführen lassen, wenn sie nicht durch feste Regeln verwahret sind.

23. §. Nichts ist übrig, als von einigen Arten der Scherzgedichte zu handeln. Dahin rechne ich die Leberreime und Gesundheitsverse, die man in Gesellschaften zur Lust zu brauchen pflegt. Es ist nicht viel Wesens daraus zu machen: Indessen, wenn sie nur keine Zoten in sich halten, und oft wohl gar aus[225] dem Stegreife gemacht werden: so giebt es doch eine Lust, und man kann sie schon dulden. Hätte ich mein Tage solche Kleinigkeiten aufgeschrieben; so wollte ich ein paar Proben geben. Doch man weis schon, was sie bedeuten, und wie sie aussehen, Eben dahin rechne ich die Räthsel, die sich zuweilen bey Hochzeiten brauchen lassen. Sie entstehen aus vielerley an einander hangenden Metaphoren, wie Aristoteles im XXIII. Capitel seiner Poetik angemerket hat. Daraus entsteht nämlich eine Rede, die den Worten nach unmöglich, in der Sache selbst aber ganz möglich ist. Er giebt dieß Exempel: Ich sah einen Mann, der ein Stück Metall an einen lebendigen Menschen mit Feuer anklebete. Es ist leicht zu errathen, daß hier vom Schröpfen die Rede sey: man muß aber auch die Liebhaber der Räthsel vor Unfläthereyen warnen. Nichts ist gemeiner, als daß schmutzige Versmacher ihre Leser für ihres gleichen ansehen, und ihnen alle die Zoten zu lesen geben, die sie selbst gern haben. Allein, wenn sie nicht anders, als durch solche unanständige Zweydeutigkeiten zu scherzen wissen: so mögen sie sich mit ihren Scherzgedichten entweder in eine Dorfschenke machen; oder gar damit zu Hause bleiben.

24. §. Man pflegt zum Scherze auch Knittelverse zu machen, das ist, solche altfränkische, achtsylbige, gestümpelte Reime, als man vor Opitzens Zeiten gemacht hat. Die Schönheit dieser Verse besteht darinn, daß sie wohl nachgeahmet sind. Wer also dergleichen machen will, der muß den Theuerdank, Hanns Sachsen, Froschmäuseler und Reineke Fuchs fleißig lesen; und sich bemühen, die altfränkischen Wörter, Reime und Redensarten, imgleichen eine gewisse ungekünstelte natürliche Einfalt der Gedanken, nebst der vormaligen Rechtschreibung der Alten recht nachzuahmen. Ich habe es ein paarmal versucht, aber das erste ist mir ohne Zweifel so gut nicht gerathen, als das andre, weil es noch zu neumodisch ist. Canitzens Schreiben an einen guten Freund, Mein lieber Bruder, zürne nicht etc. ist auch meines Erachtens zu zierlich und gekünstelt; ob es gleich sehr viel schönes an sich hat.[226] 25. §. Endlich kömmt auch die Reihe ans Quodlibet. Dieses ist nichts anders, als ein Mischmasch von einer Menge kleiner Satiren, die ohne Ordnung und Zusammenhang auf einander folgen. Man nimmt dazu gemeiniglich eine ungleich lange Art von Versen, die man madrigalische, recitativische, oder die Poesie der Faulen nennen könnte. Diese ist der ungemessenen Freyheit der Gedanken, die in Quodlibeten herrschet, am bequemsten. Wollte man aber ein Quodlibet zum Singen machen: so müßte mans wohl in Strophen abtheilen, die einander gleich wären, und sich zu einer gewissen Melodie schickten. Viele meynen, ein Quodlibet müsse nur ein Haufen ungereimter Einfälle, ohne Sinn und Verstand; eine Vermischung der widrigsten Dinge, mit einem Worte, die Geburt eines rasenden Gehirnes seyn. Allein wenn das wäre, so müßte man die Meister der Quodlibete in den Tollhäusern suchen. Und was sollen auch Einfälle ohne Absicht und Verstand? Wenn eine Zeile nur deswegen da steht, daß sie abgeschmackt seyn soll, so kann sie ein jeder Vernünftiger leicht entbehren. Es muß kein Wort vergebens darinnen seyn, sondern eine kleine Satire in sich schließen: gesetzt, daß sie bisweilen nur von wenigen Personen, die um die Sache wissen, verstanden würde.


Opitz, auf den Wolfsbrunnen bey Heidelberg.

Sonnet.


Du edler Brunnen du! mit Ruh und Lust umgeben,

Mit Bergen hier und da als eine Burg umringt,

Prinz aller schönen Quell! aus welchem Wasser dringt,

Anmuthiger denn Milch und köstlicher denn Reben:

Da unsers Landes Kron und Haupt, mit seinem Leben,

Der werthen Nymph! oft selbst die lange Zeit verbringt;

Da das Geflügel, ihr zu Ehren, lieblich singt,

Da nur Ergetzlichkeit und keusche Wollust schweben.

Vergeblich bist du nicht in diesem grünen Thal[227]

Beschlossen vom Gebürg und Klippen überall:

Die künstliche Natur hat darum dich umfangen

Mit Felsen und Gebüsch, auf daß man wissen soll:

Daß alle Fröhlichkeit sey Müh und arbeitvoll,

Und daß auch nichts so schön; es sey schwer zu erlangen.


Opitz, an die Tyndaris.

Sonnet.


Du schöne Tyndaris! wer findet deines gleichen,

Und wollt er hin und her das ganze Land durchziehn?

Die Augen trotzen ja dem edelsten Rubin;

Und vor den Lippen muß ein Türkis fast verbleichen:


Die Zähne kann kein Gold an hoher Farb erreichen;

Der Mund ist himmelweit; der Hals sticht Agtstein hin.

Wo ich mein Urtheil nur zu fällen würdig bin,

So wird Alekto dir des Haares wegen weichen.


Der Venus Ehgemahl geht so gerade nicht,

Und auch der Venus Sohn hat kein so scharf Gesicht;

Nichts mag, in Summa, dir verglichen werden können.


Weil man um denen auch die uns gleich nicht sind wohl,

(Geht es schon sauer ein) doch Gutes gönnen soll:

So wünsch ich, daß mein Feind dich möge liebe gewinnen.


Opitz, auf sich selbst.

Ihr Götter? soll mich denn des schönen Glückes Neid

Nicht lassen? muß ich mich begeben in den Streit!

Doch nein; laßt mich nur hier! der Krieg wird nicht vonnöthen!

Laßt mich der Liebsten nur: die kann mich besser tödten.


Opitz, an Asterien.

[228] Ob du gleich, edles Kind! die Schönste bist auf Erden;

Obgleich dir alle Zier und Gaben unterthan;

Wünsch ich, Asterie, mir doch nicht, du zu werden:

Weil ich kein steinern Herz im Leibe tragen kann.


Opitz, auf einen falschen Kahlkopf.

Nichts gutes ist an dir. Doch daß du in der Jugend

Schon anfängst kahl zu seyn, ist deine beste Tugend.

Dein Herze rühm ich nicht; man weis schon daß es treugt;

Die Augen sehen falsch; das lose Maul das leugt;

Die Stirn ist unverschämt; die Henkerhände stehlen,

Und deine Laster sind unmöglich zu erzählen.

Du Erzdieb, der du bist! dein Haar beliebt doch mir;

Es fällt bald ab, wie du, und fliehet selbst vor dir.


Flemming, an den Herrn von dem Werder.

Sonnet.


Es sagts Jerusalem; es sagt es Krieg und Sieg,

Und hundert anders mehr, was, werther Held, dein Dichten

Und deine Thaten sind. Du giebst ja den Geschichten

Ihr Leben durch dein Thun; machst, daß dein Sieg und Krieg


Sich kriegt und übersiegt, den sonst die Zeit verschwieg

In einer langen Nacht. Du kannst dich dir verpflichten,

Daß dich, und deinen Ruhm kein Tod nicht mag vernichten;

Weil ritterliche Kunst ihn sieghaft überstieg.


Ich lobe diese Faust, die Leib und Namen schützt,

Selbst schreibt, was sie selbst thut, an Kraft und Kunst ihr eigen;

In beyderley gelehrt, was beyder Seiten nützt.[229]


Ihr Römer! tretet auf! ihr Griechen, seyd hier Zeugen!

Wird Agamemnon hier selbst sein Homerus nicht?

Aeneas sein Virgil? Wer ists, der widerspricht?


Flemming, auf seiner Geliebten Geburtstag.

Sonnet.


Du bist der siebzigste, nach fünfmal hundert Tagen,

Und sechsmal tausenden, da meines Lichtes Licht,

Das Licht der großen Welt nahm in ihr Angesicht

Und hört ihr frohes Haus von junger Freude sagen.


Sey mir doch itzt gegrüßt, du Ende meiner Klagen,

Du Anfang meiner Lust, von dem mein Herze spricht!

Ein angenehmer Tag ist mir erschienen nicht,

So lange Phöbus noch sein Rad herumgetragen.


Die Blume, welche mir, von süßer Liebe wegen,

Die Liebste selbst gesandt, die send ich dir entgegen,

Um daß du spüren magst, wie lieb du mir brichst an:


Was könnt ich schöners dir, als etwas solches, senden,

Das hergekommen war von der Geliebten Händen,

Ohn die mir nichts behagt was lieblich heißen kann?


Flemming, auf seiner Geliebten Bildniß.

Sonnet.


Und darf ein frecher Kiel sich dieses unterfangen?

Daß er die ganze Zier die an der Liebsten scheint,

In ein so enges Tuch zu zeichnen, keck vermeynt?

Wahr ist es, dieses Haar, die Stirne, diese Wangen


Sind denen gänzlich gleich, die an derselben prangen.

Die Augen seh ich da, um die ich oft geweint;[230]

Und dieß hier, ist der Mund der meinen nennet Freund.

Dieß alles ist ganz das, nach dem ich muß verlangen.


Die Zucht, dieß Freundlichsehn, die Sitten, diese Tracht,

Und alles steht vor mir, was sie so trefflich macht;

Nur daß er sich nicht regt, und nicht will Antwort geben:


Drum, sey doch nicht so stolz, du kühner Pinsel du!

Das Schönste, das man wünscht, gehöret noch hierzu:

Entwirfst du ihren Leib; so mahl ihr auch das Leben!


Neukirch, auf das Bildniß des Herrn von Dankelmann.

Schaut Bürger! dieses ist der treue Dankelmann.

Dieß Bild zeigt sein Gesicht und seine Minen an,

Das Wapen, seine Treu, sein unverdroßnes Wachen!

Wer aber malet uns den wundergroßen Geist?

Das kannst du Friederich: denn du alleine weist,

Wie man der Tugend soll ihr wahres Bildniß machen.


Neukirch, als der König in Frankreich Straßburg wegnahm.

Ihr Deutschen! sagt doch ja zu euern Nachbarn nicht,

Daß Frankreichs Ludewig mit euch den Frieden bricht,

Indem er Straßburg nimmt: er spricht: Es ist erlogen!

Ich hab euch nicht bekriegt; ich hab euch nur betrogen.


Neukirch, auf des Königs in Frankreich Bündniß mit den Türken.

Die Welt verwundert sich, warum der Saracen,

Der Franzen Bündniß sucht, und Frankreich es beliebet?

Noch mehr! daß Ludewig ihm selber Lehren giebet,[231]

Wie er den Christen recht soll in die Flanken gehn?

Verwundert euch doch nicht! und lebet ohne Sorgen:

Ihr wißt, daß Ludewig will eine Sonne seyn,

Die Türken sind der Mond; drum trifft es billig ein:

Der Mond muß ja sein Licht wohl von der Sonne borgen.


Neukirch, auf des Königs von Frankreich Bildniß, um welches Lampen brennten.

Es sah einst ein Soldat des Königs Bildniß an,

Auf dem die Schmeichler ihn so hoch hinausgestrichen.

Er merkts, und schalt zugleich den thorheitsvollen Wahn,

Daß Ludwig durch und durch der Sonne ward verglichen.

Und endlich sah er auch der Lampen hellen Schein,

Die um die Seule stehn. Ha! sprach er, voller Lachen,

Wenn unser König ja will eine Sonne seyn:

Was soll die Sonne denn bey den Laternen machen?


Neukirch, ob Ludewig größer sey, als Alexander?

Man spricht, daß du so groß als Alexander bist;

Und manche meynen gar, daß dieser kleiner ist.

Nun ist es zwar gewiß, ihr habet gleiche Gaben,

Die Ehrsucht trifft bey dir, wie bey dem Griechen, ein:

Doch Alexander muß nothwendig größer seyn;

Denn jener hatte schon, was du erst suchst zu haben.


Neukirch, auf die Krönung des röm. Königes Josephs.

Europa zankte sich, und wollte gerne wissen,

Wer in Germanien denn sollte König seyn?

Der stolze Ludewig war eifersvoll beflissen,

Wie er das deutsche Reich möcht auseinander streun?[232]

Drum spart er weder Geld, noch Müh, noch Schmeicheleyen,

Und both sein eignes Kind zu einem Kaiser an.

Wer, sprach er, wird euch mehr als dieser Prinz erfreuen?

Der so wie ich, die Kunst, sich zu vergrößern, kann.

Allein der Himmel rief: Behalte deine Gaben!

Ich will ein Josephsherz und keinen Nero haben.


Neukirch, auf die preußische Souverainität von Neufchatel.

Es ist des Adlers Art sein Recht und Nest zu schützen,

Er läßt den stolzen Hahn an seinem Orte sitzen,

Und acht nicht sein Geschrey. Pocht er mit Ludewig;

So zeigt das Adlers Brust, sein Schild sey Friederich.


Pietsch, als die Aerzte einem Kranken den Wein verbothen.

Soll mir ein alter Aberglauben

Die beste Kraft des Lebens rauben?

Wer untersagt mir Lust und Wein?

Umschränkt ein Arzt mich mit Gesetzen,

Die sie doch täglich selbst verletzen?

Nein! Nein!

Fort! ich verlasse sie; weil ihnen

Die Kräfte beßrer Medicinen

Verhaßt und unbegreiflich seyn.

Was sie gebiethen, schlägt mich nieder;

Was sie verbiethen, hilft mir wieder;

Weg Tropfen! weicht dem edlen Wein!

So weichen Unlust und Beschwerden.

Mein Antlitz wird bald röther werden,

Wer schenkt mir rothen Nectar ein?[233]


Menantes, Quodlibet.

Hört an, ein neues Quodlibet,

Doch wo die alte liebe Wahrheit steht.

Ein Quodlibet, ein Quidlibet,

Weil alles in der Welt bunt durch einander geht.

Der Ochse wird zur Nachtigal.

Der Fuchs darf in den Gänsestall.

Der Esel geht auf Rosen.

Der Stockfisch reist ins warme Bad,

Der Mann muß an das Spinnerad,

Die Frau trägt seine Hosen.

Die Tugend mußte betteln gehn,

Und kam zum Frauenzimmer.

Sie bath das um ein Nachtquartier.

Dieß aber sprach: Was willst du hier?

Fort! packe dich von meiner Thür!

Und komm mir nun und nimmermehr,

Du garstig Bild, vors Angesicht.

Pfuy! stinkts nicht, was du bey dir trägst!

Geh, daß du Hals und Beine brächst.

Drauf hat sie ihren Weg betrübt zurück genommen.

Kein Weib noch Jungfer weis nun nicht,

Wo sie ist hingekommen.

Hört an ein neues Wunderding,

Das sich begeben hat.

Als einst ein frommer Advocat

Zum Zeitvertreib spazieren gieng,

Fand er ein gut Gewissen,

Er sah es für ein Schnupftuch an,

Das man von hinten brauchen kann,

Drum hat ers stracks zerrissen.

Gleich und gleich gesellt sich gern;

Große Küchen, große Heerde.

Große Sättel, große Pferde.[234]

Große Schiffe, große Seegel,

Große Drescher, große Flegel.

Große Hüte, große Köpfe.

Große Stürzen, große Töpfe.

Große Wappen, große Helme.

Große Bauren, große Schelme.

Gleich und gleich gesellt sich gern.

Ey das kann wohl schwerlich seyn.

Auch so trifft es oftmal ein:

Schöne Kleider, garstge Leiber.

Fromme Jungfern, böse Weiber.

Wenig Bücher, viel Studenten.

Wenig Treu, viel Complimenten.

Faule Mägde, gute Knechte.

Fette Richter, magre Rechte.

Neue Fässer, alte Tonnen,

Junge Huren, alte Nonnen.

Ein Schneider dort zu Jüterbock

Wollt auf den Jahrmarkt laufen,

Und einen Spiegel kaufen.

Doch aber ohngefehr

Sprang seine Katze her,

Und satzte sich ins Fenster hin vor ihn.

Er sah sie an und sprach: Was soll ich mich bemühn,

Und erst nach einem Spiegel gehen?

Hier seh ich ihn schon vor mir stehen.

Und fang ich einen Raben;

So kann ich ihrer zwey zugleich im Hause haben.

Die Katze maust, der Rabe stiehlt,

Das ists, was auch ein Schneider spielt.

Es stund ein reicher Bauersmann

Bey zweenen Advocaten.

Doch sah ich ihn für einen fetten Hahn,

Sie aber für zwey Köche an.

Denn einer rupfet ihn, der andre will ihn braten.[235]

Ob gleich der Müller ehrlich mühlt,

Stielt er doch aus den Säcken.

Und wenn der Schäfer Wolle stiehlt,

So treibt er in die Hecken.

Ein Bürgermeister ist in Rath

Gar schlecht und arm gekommen:

Itzt führt er einen großen Staat,

Wo hat ers hergenommen?

Krieg, Pestilenz und theure Zeit.

Das sind drey Landesplagen.

Setzt noch die Advocaten dran,

So kann man ohne falschen Wahn

Von ihrer vieren sagen.

Das machen unsre Sünden!

Ein Mensch, der Weisheit sucht, wird sie gewißlich finden:

Doch bildet er sich ein darbey,

Daß sie von ihm gefunden sey,

So bald wird sie verschwinden;

Und er behält wohl lebenslang,

Wo Narren sind, den ersten Rang.

Doch, ässen die Narren kein Brod,

Was hätt es für Noth?

Das Getreyde würde heuer,

Und auch nimmermehr nicht theuer.

Bleibe klein,

Halte dich rein,

Mach dich nicht zu gemein.

Dieses soll dein Paßport seyn,

Und auch dein Reisegeld.

Damit lauf durch die Welt.

Wie die Dörfer, so die Bauren,

Wie die Städte, so die Mauren,

Wie die Zeiten, so die Jahre,

Wie die Krämer, so die Waare,[236]

Wie die Sahne, so die Butter:

So die Tochter, wie die Mutter.

Noch eins? Der Teufel hielt ein Gastgebot.

Doch fehlten ihm die Braten.

Er nahm geschwind in solcher Noth

Ein Paar gewisser Advocaten.

Mit lauter Sportuln spickt er sie,

Und von Expensen war die Brüh.

Sie schmeckten ihm vortrefflich gut,

Und allen seinen Gästen.

Sie bathen ihn, er sollte doch

Mehr Advocaten noch

Mit armer Leute Schweiß und Blut

Fein fett und dicke mästen.

Wer Vögel fängt, darf nicht mit Prügeln in sie schlagen.

Und wer die Wahrheit redt, der muß sie lachend sagen.


Canitz, Scherzschreiben an Herrn C.H. von Willnitz.

Mein lieber Bruder, zürne nicht,

Daß, wann mir Zeit und Lust gebricht,

Ich nicht ans Schreiben denke;

Du weist, daß ich dein Diener bin,

Und unterdessen meinen Sinn

Auf dich, nach Dessau lenke.


Seit dem du weggereiset bist,

Spricht man allhier, ohn arge List,

Von vielen neuen Dingen;

Davon ich, nach der Meisterart,

Und zwar in Knittelversen zart,

Dir etwas vor will singen.[237]


Merkt, Christen, was der Teufel thut!

Den Morian, das gute Blut,

Hat Bolßwing todt gestochen;

So gehts, wenn uns der Wein erhitzt,

Doch meynt man, der gefangen sitzt,

Kann werden loß gesprochen.


Der Prinz J*** Lobesan,

Kam hier vergangnen Sonntag an,

Da er die Post gefahren.

Von Danzig an, bis nach Bernau,

Und will sich, lieber Leser, schau!

Mit einer Wittwe paaren.


So oft er den Magnet ansieht,

Der ihn so kräftig an sich zieht,

Macht er verliebte Minen,

Und singt in dulci Jubilo;

Sonst hält er sich incognito,

Und läßt sich nicht bedienen.


Farjole, welcher manche Nacht

Mit dem Bassette zugebracht,

Hat Land und Bank verlassen,

Und ward von der Trabanten Schaar

Nach Sachsen, glaube mir fürwahr!

Begleitet auf der Strassen.


Des Rebenacs seinem Secret-

Ario es nicht besser geht

In Züchten und in Ehren,

So bald der Churfürst sprach ein Wort,

Zog er in wenig Stunden fort:

Warum? die Zeit wirds lehren.[238]


Der Churfürst und was Fürstlich heist,

Haben jüngst beym Raule gespeist,

Mittags zu Rosenfelde;

Allwo man hat, versteh mich recht.

Kostbar gegessen und gezecht,

Gespielet mit dem Gelde.


Die Churfürstinn trägt ihren Bauch

Gesund nach löblichem Gebrauch,

Und lernet sich drein schicken,

Daß sie, Gott geb es! ohne Scheu

Mit einem Prinzen oder zwey

Uns jährlich woll beglücken.


Ihr Kammerjunker Hahn zuletzt

Starb, und ward zierlich beygesetzt,

Dazu viel Volk gebethen.

Der Tod von diesem armen Hahn,

Hat mancher Henne Leid gethan,

Die er noch sollte treten.


Eins muß ich melden zum Beschluß,

Du findest einen schönen Gruß,

Allhier von meiner Frauen.

Das Fräulein Rackniz in Gebühr

Verlanget ebenfalls dich hier

Bald wieder anzuschauen.


Datum Berlin, den zwölften Tag

Des Monats, da man erndten mag,

Im Jahre, da man schreibet

Tausend sechshundert achtzig acht,

Leb wohl! der sey zum Schelm gemacht,

Der nicht getreu verbleibet.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 206-239.
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