Das VIII. Capitel.
Von dogmatischen, heroischen und andern größern Poesien.

1. §.


Wir finden, daß Empedokles, ein sicilianischer Philosoph, eine Naturlehre, und Aratus, ein Sternkündiger, eine Astronomie in Versen geschrieben. Lucretius hat unter den Römern die ganze epikurische Physik in seinen Büchern von der Natur aller Dinge, und Virgil den ganzen Feldbau in vier Büchern beschrieben. Ovidius hat sowohl die Kunst zu lieben, als die Mittel wider die Liebe auf eben diese Art in Versen abgehandelt. Horaz und Boileau haben uns von der Poesie selbst in Versen einen Unterricht gegeben: und der Abt Genest hat die ganze neuere Weltweisheit in einem eigenen poetischen Werke abhandeln wollen. Der Engeländer Philipps hat gleichfalls von der Kunst, Obstbäume zu pflanzen, oder von dem Gartenbau ein ausführliches Gedicht, und Pope von der Critik eine Abhandlung in Versen geschrieben. Opitz hat uns den Berg Vesuv und das schlesische Vielgut, imgleichen von der Ruhe des Gemüths, und endlich vier Bücher Trostgedichte in Widerwärtigkeit des Krieges in poetischer Schreibart abgefasset. Auch in der deutschen Gesellschaft eigenen Schriften ist eine solche Abhandlung von der Dichtkunst von dem Herrn von Brück befindlich. Alle diese und andere dergleichen Gedichte begreife ich unter dem Namen dogmatischer Poesien, oder Lehrschriften.

2. § Daß es angehe, dergleichen philosophische, theils natürliche, theils sittliche Materien in Versen abzuhandeln, lehrt der Augenschein selbst: und daß es nicht uneben sey, zeigen die[241] Exempel der größesten Männer. Das fragt sich nur, ob man diese und dergleichen Schriften Gedichte nennen könne? Nach der oben fest gestellten Beschreibung der Poesie überhaupt, kann man ihnen diesen Namen nicht einräumen. Alle diese großen und weitläuftigen Werke sind zwar in Versen geschrieben; in der That aber keine Gedichte: weil sie nichts gedichtetes, das ist, keine Fabeln sind. Aristoteles hat daher in dem ersten Capitel seiner Poetik, dem Empedokles, den Titel eines Poeten abgesprochen, und ihm nur den Namen eines Naturkündigers zugestanden: ob er wohl wußte, daß die Unverständigen ihn, seiner alexandrinischen Verse halber, mit dem Homer in eine Classe zu setzen pflegten. Was er von dem Empedokles geurtheilet hat, das müssen wir von allen übrigen oberwähnten Büchern und Schriften sagen. Es sind philosophische Abhandlungen gewisser Materien, Vernunftschlüsse, Untersuchungen, Muthmaßungen der Weltweisen, Ermahnungen zur Tugend, Trostreden im Unglücke; aber keine Gedichte, keine Nachahmungen der Natur. Also würden denn wohl alle diese Stücke gar nicht in die Poesie laufen, wenn sie in ungebundner Schreibart abgefasset wären: da hingegen die Heldengedichte, Romane, Trauerspiele, Comödien, Schäferspiele, und überhaupt alle Fabeln, dennoch Gedichte bleiben und in die Poesie gehören, wenn sie gleich nur in ungebundener Rede abgefaßt werden. Indessen, da wir gleichwohl Oden, Elegien und Briefe, bloß wegen der poetischen Schreibart, darinn sie abgefaßt werden, zur Poeterey rechnen; obgleich selten eine Fabel darinn vorkömmt: so können wir auch diesen größern Arten poetisch abgefaßter Schriften hier die Stelle nicht versagen. Der Ausputz, die Zierrathe, der geistreiche und angenehme Vortrag der allerernsthaftesten Lehren, macht, daß sie Poesien werden: da sie sonst in ihrem gehörigen philosophischen Habite ein sehr mageres und oft verdrüßliches Ansehen haben würden.

3. § Es fragt sich hier, ob es rathsam sey, dergleichen dogmatische Sachen, insonderheit aber Künste und Wissenschaften,[242] poetisch abzuhandeln. Vor einigen Jahren kamen in Holland die LETTRES ANTIPOETIQUES von der Jungfer Hooghard heraus, darinn des Boileau ART POETIQUE mit großer Heftigkeit, und nicht geringer Gründlichkeit angegriffen wurde. Dieses gelehrte Frauenzimmer, welches noch wirklich in Amsterdam leben soll, will es durchaus nicht zugeben, daß man vollständige Künste, dergleichen die Dichtkunst ist, in einer poetischen Schreibart vortragen solle: weil sie der Meynung ist, die Regeln des Sylbenmaaßes und der Reime, insonderheit aber das Feuer der Poeten, wäre einer systematischen Ordnung und rechten Verbindung der Lehren schnurstraks zuwider. Sie untersucht auch in der That den guten Boileau nach den Regeln ihrer lieben Logik, wie sie selbst schreibt, mit so vieler Einsicht und Scharfsinnigkeit; daß man ihr größtentheils Recht geben muß. Und endlich vergleicht sie den ersten Gesang seiner Dichtkunst mit einem zerdrümmerten Tempel Apollons, wo hier ein schöner Pfeiler, da ein prächtiger Altar, dort ein treffliches Gemälde, hier wieder ein köstliches Marmorbild u.s.f. ohne Ordnung und Verbindung, über und durch einander geworfen, läge. Ja, sie macht selbst eine ganz neue Einrichtung dieses zerschlagenen Gebäudes. Sie ordnet seine Materien ganz anders; und zeigt, daß hier und da manche Lücke auszufüllen, anderwärts aber viel Ueberflüßiges wegzuwerfen wäre. Und was dieselbe, von diesem Meisterstücke des berühmten Despreaux mit so gutem Grunde behauptet, das ließe sich freylich von allen übrigen dogmatischen Poesien ebenfalls darthun, wenn man sie so genau auf die Probe stellen wollte.

4. §. Ich gebe es also zu, daß man eine Wissenschaft mit völliger Gründlichkeit, weder synthetisch, noch analytisch in Poesien abhandeln könne. Wer ein Freund einer so strengen Lehrart ist, wo man nichts unerklärt und unerwiesen annimmt; der muß solche poetische Abhandlungen nicht lesen. Die Poeten bescheiden sichs auch gar leicht, daß sie keine geometrische Methode in Ausführung ihrer Materien beobachten.[243] Das würde sehr trockne Verse und einen schläfrigen Vortrag geben. Die tiefsinnigsten philosophischen Geister mögen sich also nur an ihre ordentliche prosaische Schreibart halten. Wenn sich die Poeten in ihre Wissenschaften mengen, so thun sie es bloß, den mittelmäßigen Köpfen zu gefallen, die nur einigermaßen etwas davon wissen wollen; und sich um den höchsten Grad der Gründlichkeit nicht bekümmern. Diese machen allezeit den größten Theil des menschlichen Geschlechts aus: und da ist es genug, wenn man ihnen nur nichts Falsches sagt; die Wahrheit in solcher Ordnung vorträgt, daß man sie ziemlich verstehen und ihren Zusammenhang wenigstens klar einsehen könne; dabey aber alles mit Zierrathen einer poetischen Schreibart so lebhaft und sinnreich ausbildet, daß man es mit Lust und Vergnügen lesen könne. Da nun auch die bittersten Wahrheiten, sonderlich in moralischen Sachen, auf solche Art gleichsam verzuckert und übergüldet werden: so sieht man wohl, daß es nicht undienlich sey, dergleichen Schriften zu verfertigen; und also Erkenntniß und Tugend der Welt gleichsam spielend beyzubringen.

5. §. Es versteht sich aber von sich selbst, daß ein solch dogmatisches Gedichte entweder den ganzen Inbegriff einer Kunst oder Wissenschaft, oder nur einzelne dahin gehörige Materien abhandeln könne. Jenes haben die meisten obberührten Alten; dieses aber hat unser Opitz gethan. In beyden Fällen setzet man zum Grunde, daß der Poet die Sache wohl verstehe, und sich nicht unterfange, etwas auszuführen, dem er nicht gewachsen ist. Denn hier gilt auch insonderheit, was Horaz von allen Poeten fordert.


SUMITE MATERIAM, VESTRIS QUI SCRIBITIS AEQUAM

VIRIBUS, ET VERSATE DIU, QUID FERRE RECUSENT,

QUID VALEANT HUMERI.


Denn sich in Dingen, die man nicht versteht, zum Lehrer aufzuwerfen, das würde in der Poesie eben so schädlich seyn,[244] als anderwärts. Die Wahrheit und Tugend muß, wie allezeit, also auch hier, der einzige Augenmerk eines Poeten seyn: und es wäre zu wünschen, daß Ovidius philosophisch genug gesinnet gewesen wäre, so würde er seine Kunst zu lieben nicht geschrieben haben. Diese seine Schrift gehört sonst auch hieher, und er hat sich darinn bemüht, eine ohnedem gar zu liebliche Sache durch seine angenehme Schreibart noch beliebter zu machen; das ist, ein schädliches Gift zu überzuckern. Er scheint, solches nach der Zeit selbst bereuet zu haben, da er auf eben die Art REMEDIA AMORIS geschrieben, die gewiß mit so vielem Nutzen, als Vergnügen gelesen werden können.

6. §. Viel vernünftiger hat unser Opitz in seinen dogmatischen Poesien gehandelt. Er zeiget überall eine philosophische Stärke der Vernunft, einen großen Eifer für alles Gute, ein gesetztes männliches Herz, das die Eitelkeit der menschlichen Dinge verachtet, und den hohen Adel der Weisheit und Tugend allein hochschätzet. Sonderlich wären sein Vielgut, Zlatna und die vier Bücher der Trostgedichte werth, daß sie der Jugend beyzeiten in die Hände gegeben, erkläret, und von derselben von Wort zu Wort auswendig gelernet würden. Dieses würde derselben mehr edle Grundsätze der Tugend und Sittenlehre geben, als die lateinischen Sprüchelchen, die sie mehrentheils ohne Verstand herbethen lernt,


Und länger nicht bewahrt,

Als bis der kluge Sohn nach Papageyen Art,

Sie, zu der Eltern Trost, dem Lehrer nachgesprochen.


Die alten Griechen hieltens mit ihrem Homer so; und ich weis nicht, warum wir gegen den Vater unsrer Poeten noch so undankbar sind: da doch seine oberwähnten Gedichte mehr güldene Lehren in sich fassen, als die ganze Ilias und Odyssee.

7. §. Ob man in dieser Gattung von Gedichten die Musen, oder sonst eine Gottheit, um ihren Beystand anrufen könne,[245] das ist im V. Capitel des I. Theils bereits gewiesen worden. Vom Lucretius ist bekannt, daß er die Venus angerufen, weil sie der Erzeugung der Dinge vorsteht. Virgil, in seinen Büchern vom Feldbaue, ruft ein ganzes Dutzend Götter an, die beym Feldbaue was zu thun haben. Opitz ruft in seinem Vesuvius die Natur an, weil er von natürlichen Wundern schreiben will:


Natur, von deren Kraft Luft, Welt und Himmel sind,

Des höchsten Meisterrecht, und erstgebohrnes Kind,

Du Schwester aller Zeit, du Mutter aller Dinge,

O Göttinn, gönne mir, daß mein Gemüthe dringe

In deiner Werke Reich, und etwas sagen mag,

Davon kein deutscher Mund noch bis auf diesen Tag

Poetisch hat geredt.


Hätte er es nun dabey bewenden lassen, so wäre es gut gewesen: aber er fährt fort, und ruft auch den Apollo nebst allen Musen herbey, die doch bey dieser Materie vom Vesuvius nichts zu sagen haben:


Ich will mit Wahrheit schreiben,

Warum Vesuvius kann Steine von sich treiben,

Woher sein Brennen rührt, und was es etwa sey,

Davon die Glut sich nährt. Apollo, komm herbey

Mit deiner Musenschaar; laß ihre Hand mich leiten

Auf dieser neuen Bahn, so will ich sicher schreiten,

Wohin mein Geist mich trägt


Indessen wenn man ihn entschuldigen will, so darf man nur sagen, daß gleichwohl die Form des ganzen Werkes poetisch sey, und also des Beystandes der Musen nicht entbehren könne. In seinem Vielgut macht er seine Anrufung gerade zu Gott selbst:


So komm, o höchstes Gut, du Ursprung guter Sachen,

Des Bösen ärgster Feind, erwecke mir Verstand;[246]

Verleihe kecken Muth, und schärfe meine Hand,

Zu dringen durch den Neid des Volkes auf der Erden,

Das sonst mit seiner Schaar mein Meister möchte werden,

Und Wahrheit kaum verträgt.


Eben das hat er in den Büchern der Trostgedichte gethan, wo er sich den heiligen Geist, als den höchsten Trost der Welt zum Helfer und Beystande erbittet. Wie nun hieran nichts auszusetzen ist; also ist es auch nicht allzeit nöthig, dergleichen Anrufung zu machen. Horaz und Boileau haben in ihrer Dichtkunst keine gemacht. Opitz in seinem Buche von der Ruhe des Gemüths, thut es auch nicht; ob es gleich eben so groß ist, als eins von den vorhergehenden.

8. §. Was für Verse man zu solchen dogmatischen Gedichten brauchen solle, das können die Exempel der Alten und Neuern lehren. Jene haben die alexandrinischen für geschickt dazu gehalten, und Opitz hat die langen jambischen dazu bequem gefunden. Und in der That schicken sich zu einem langen Lehrbuche keine kurze Verse. Corneille hat dieses wohl gewußt, daher hat er den Thomas von Kempis durchgehends in einerley zwölf- und dreyzehnsylbigte Verse, nicht aber in andre Arten derselben gebracht. Auch Philander von der Linde hat das lange geistliche Gedichte Sam. Slaters, welches ein Gespräche der Seele mit dem Glauben vorstellt, in keine andere Art von Versen übersetzt. Und es wäre zu wünschen, daß man solches in der deutschen Uebersetzung des Thomas von Kempis auch gethan hätte: da hingegen die eine, die wir davon haben, bald aus Elegien, bald aus heroischen, bald aus trochäischen Versen besteht; die andre aber, die nicht längst heraus gekommen, gar wie ein Gesangbuch aussieht. Wenn jemand Zeit und Lust hätte, ein solches dogmatisches Werk in unsre Sprache zu übersetzen, der dürfte nur den Palingenius dazu wählen, welcher in dieser Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten Büchern ist, die ich je gelesen habe.[247]

9. §. Nichts ist übrig, als daß ich noch ein Wort von großen Lobschriften beyfüge. Von diesen gilt fast alles, was von den obigen gesagt worden. Opitz hat auf den König in Polen und Schweden, imgleichen auf den Herzog zu Hollstein dergleichen gemacht, die uns zu Mustern dienen können. Seine Lobgesänge auf den Mars und Bachus, imgleichen auf die Geburt Christi u.d.gl. sind auch bekannt, wiewohl sie zum theil Uebersetzungen sind. Was sind nicht unter seinen und seiner Nachfolger, Flemmings, Dachs, Tschernings, Frankens, Bessers, Neukirchs, Amthors, Günthers und Pietschens Schriften, für eine Menge solcher Poesien, darinn sie ausführliche Lobredner ihrer Helden abgeben. Alle diese poetische Stücke sind nicht dem Inhalte, sondern nur der äußerlichen Form nach poetisch: es wäre denn, daß sie auch in eine Fabel eingekleidet wären, oder hie und da durch poetische Zierrathe sehr ausstaffiret würden. Was dabey überhaupt zu beobachten ist, das kann man mit wenig Worten sagen.

10. §. Zuförderst muß der, so jemanden loben will, wissen, was für Eigenschaften eigentlich ein wahres Lob verdienen: denn sonst läuft er Gefahr, auch scheinbare Laster als große Tugenden heraus zu streichen, und dadurch bey den Verständigen zum Gelächter zu werden; bey Unverständigen aber viel Schaden zu stiften. Zweytens muß man den Character derjenigen Person wohl kennen, die man loben will; damit man ihr nicht unrechte Eigenschaften beylege. Denn aus den allgemeinen Quellen der Lobsprüche solche Schmeicheleyen zu schöpfen, die sich auf hundert andere eben so wohl schicken, als auf den, welchen man nennet; das heißt kein rechtes Lob, sondern eine niederträchtige Lobesucht,


Da keiner Weisheit Spur,

Kein Salz noch Eßig ist, als bloß der Fuchsschwanz nur.


wie Rachel sie beschreibt. Eine rechte Lobschrift muß sich ganz sonderbar auf denjenigen Helden schicken, den man lobt,[248] und auf keinen andern gebraucht werden können. Es ist gratulantenmäßig, wenn man auf alle seine Gönner gleichsam einerley Verse macht, und ihre Gottesfurcht, Wohlthätigkeit etc. mit großem Geschreye erhebt. Eben so verächtlich ist der Kunstgriff, in dem Lobe eines neuern allemal einen alten Helden herunter zu machen. Venus muß nicht mehr schön, Alexander kein Held, Plato kein Philosoph und Cicero kein Redner mehr seyn, wenn der Poet es so haben will. Oder man schmelzt alle große Leute des Alterthums zusammen, um einen einzigen Neuern daraus zu gießen: der doch gemeiniglich kaum werth ist, dem geringsten von jenen die Schuhe aufzulösen. Ein rechtschaffener Poet schämet sich also dieser verächtlichen Schmeicheleyen, und lobet keinen, als von dem man was besonders zu sagen und zu rühmen weis.

11. §. Doch da die Gewohnheit es eingeführet hat, auf viele Leute Verse zu machen, wenn uns gleich keine solche ruhmwürdige Eigenschaften von ihnen bekannt sind: so bediene man sich des Kunstgriffes, den Pindar ersonnen hat, wenn er auf die Ueberwinder in den olympischen Spielen nicht viel zu sagen wußte. Er lobte etwa einen andern griechischen Held oder Gott, oder handelte eine ganz andere Materie ab, die nützlich und angenehm war: zuletzt aber dachte er nur mit wenigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget wurde. Diese Erfindung hilft uns zuweilen ganze Bogen füllen, ehe mans gewahr wird. Die Gedichte werden auch eben dadurch für andere Leser erbaulicher, und kommen also eher bis auf die Nachwelt, als wenn sie lauter kalte Lobsprüche in sich halten. Zum wenigsten muß man hier und dar lehrreiche Ausschweifungen zu machen bedacht seyn; um dem Ekel der Leser zuvor zu kommen. Man sehe nur zu, daß man nicht gar zu weit gesuchte Materien ausführe; die sich auf keine andere Weise auf unsern Helden deuten lassen, als wenn man sagt: Doch wo gerath ich hin?

12. §. Die Schreibart aller dieser Gedichte muß nach Beschaffenheit der Sachen und Personen, davon sie handeln, bald[249] prächtig und erhaben, bald sinnreich und nachdenklich; bald pathetisch, bald auch natürlich werden. Hofrath Pietsch hat in seinen meisten Gedichten eine so edle Art des Ausdruckes, und so erhabene Gedanken gebrauchet, daß er zu solchen Lobgedichten fast allein gebohren zu seyn geschienen: wie man unter andern aus seinem langen Gesange auf den Prinzen Eugen sehen kann, der sich anhebt: O feuriger Eugen! Die langen jambischen Verse mit ungetrennten Reimen, schicken sich am besten dazu: man mag sie nun entweder in einem hinter einander fortlaufen lassen, und nur zuweilen an bequemen Orten einen Absatz machen; oder auch acht bis zehnzeiligte Strophen machen, wie Neukirch in vielen Gedichten gethan hat. Diese muß man sich aber dem Inhalte und der Schreibart nach nicht zum Muster nehmen; weil es Werke seiner hitzigen Jugend sind, da er noch dem lohensteinischen Geschmacke gefolget ist. Und so viel auch von dieser Gattung. Folgende Exempel sollen zur Probe dienen.

13. §. Doch ehe ich dieses Capitel schließe, muß ich noch etwas erinnern, was zu diesem und allen vorhergehenden Capiteln dieses andern Theils gehöret. Es betrifft die Titel, die man zu seinen Gedichten machen soll. Hier fragt sichs nun, wie man dieselben einzurichten habe? Viele Leute lieben die gekünstelten oder hochtrabenden, das ist, die metaphorischen oder allegorischen Titel: und diese pflegen ihre vornehmste Erfindungskraft schon auf der Ueberschrift zu verschwenden. Neidhard hat eine Cantata gemacht, deren Titel dieser war: die mit blauen Adlersflügeln gen Himmel geflogenen güldnen Sonnen. Die Erfindung war aus dem Wappen desjenigen Grafen genommen, bey dessen Leiche dieses Stücke zur Trauermusik dienete. Wer sieht aber nicht, wie ungereimt die Phantasie des Poeten gewesen, der die blauen Flügel an die Sonnen zu setzen das Herz gehabt, um sie damit gen Himmel fliegen zu lassen? In andern Gedichten findet man eben solche Ausschweifungen: ja in ganzen Büchern der Poeten ist es nichts seltsames, daß man poetische Trichter,[250] Helikons, Parnasse, Tempel, Altäre, Rosenblätter, Rosengepüsche, Cedern- Lorbern- Myrten- und Cypressen-Häyne, Posaunen, Harfen, Glocken, Cymbeln, und warum nicht auch Schellen? von ihnen zu sehen bekömmt.

14. §. Allein wenn ich die Wahrheit davon gestehen soll; so machen alle diese metaphorische Titel einem Buche kein sonderliches Ansehen. Die Alten haben ihren größten und besten Gedichten sehr einfache und schlechte Namen gegeben: Die Ilias und Aeneis, nebst allen Trauerspielen der Griechen können genugsam davon zeugen. Andere kleine Werke, hießen auch schlechtweg, Ode, Ekloge, Satire, Elegie, Schreiben, Sinngedichte u.s.w. ohne ein großes Geprale von dem wunderwürdigen Inhalte solcher Stücke zu machen. Und in den neuern Zeiten haben auch die besten Dichter sich solcher hochtrabenden Titel enthalten. Man sieht wohl, daß Opitz, Flemming, Canitz, Besser, Philander und Günther sich aller dieser weitgesuchten Ueberschriften sowohl in einzelnen Stücken, als in ganzen Sammlungen enthalten haben. Bey denen aber, die sich auf eine pralerische Art mit seltsamen Ueberschriften breit gemacht haben, hat es mehrentheils geheißen:


QUID TANTO DIGNUM FERET HIC PROMISSOR HIATU?

PARTURIUNT MONTES, NASCETUR RIDICULUS MUS.


Man bleibe also bey einer ungezwungenen natürlichen Kürze in den Titeln seiner Gedichte; und halte fest dafür, daß es weit besser sey: wenn hernach im Gedichte oder im Buche mehr enthalten ist, als man aus dem Titel vermuthet hätte; als wenn auf dem Titel mehr wäre versprochen worden, als der Poete im Werke selbst haben gewollt oder gekonnt.


Opitzens Lobgedichte, an seine Königliche Majestät in Pohlen und Schweden.

[251] Der Höchste lebet ja, es wallet sein Gemüthe,

Noch vor Barmherzigkeit und väterlicher Güte;

Er lenket deinen Sinn, dem seiner günstig ist,

Daß er, o Vladislav, für Krieg die Ruh erkiest,

Und Langmuth für Geduld. Die falschen Herzen klagen,

Die guten freuen sich, daß du nicht ausgeschlagen,

Der Waffen Stillestand, und daß dein Sinn, o Held!

Den Frieden höher schätzt, als etwas in der Welt,

Das mit der Welt vergeht. Die so vorhin durch Kriegen

Nach Ewigkeit gestrebt, und längst begraben liegen,

Sind selbst vermuthlich froh, daß itzund durch Verstand

Und Glimpf erworben wird, was ihre strenge Hand

Zu schaffen, nie vermocht. Herr! dieses thun die Gaben,

Damit dich die Natur und Gott bereichert haben.

O du, des Himmels Wunsch, der Völker Trost und Zier!

Du scheuest keinen Streit, doch nimmst du itzt dafür,

Was auf den Streit erfolgt. Sonst bist du zwar gebohren

Zu aller Tapferkeit, zum Strengeseyn erkohren,

Zu kämpfen angewöhnt. Du kömmst von Leuten her,

Die häufig vor der Zeit durch ihr so kaltes Meer

Mit heißer Brunst gesetzt, und Rom, den Zaum der Erden,

Der Völker Königinn, gezwungen, zahm zu werden,

Zu tragen fremdes Joch; von Leuten, derer Macht

Noch bis auf diese Zeit in ihren Gliedern wacht.

Die nach der Ehre mehr, als nach dem Leben fragen,

Und trotzen, wer sie scherzt; von welchen dann zu sagen,

Hier weder Fug noch Recht. Du würdest König seyn,

Und wäre nichts um dich, als dein Verdienst allein.

Du bist von Jugend auf dem Lobe nachgegangen;

Es hört so keiner auf, als du hast angefangen:

Was sonst in langer Zeit kein Herr verrichten kann,

Das hast du oftermals auf einen Tag gethan.[252]

Das Glücke dienet dir. Dein Vater hat nicht wollen

Ohn dich zu Felde seyn, ohn dich nicht siegen sollen;

Der große Siegismund, der nicht so zeitlich sich

Von dieser Welt gemacht, woferne er durch dich

Nicht seine Statt ersetzt. Nachdem die Moscowiten

Ihn also angereizt, daß er sie hat bestritten,

Ihr großes Heer verfolgt, das weite Land besiegt,

Bis zur Hirkaner See, die Hauptstadt eingekriegt;

Den Fürsten in Triumph nach Warschau hingeführet:

Da hat dir schon dieß Theil von Asien gebühret

Durch ihre freye Wahl; wenn nicht ihr Unverstand,

Was? wenn ihr Meyneid nicht sich von dir abgewandt.

Hast du den Schimpf verschmerzt? nein! deine werthe Sinnen,

Die außer Löblichkeit nichts denken noch beginnen,

Wann sich Aurora zeigt, und wann der Tag gebricht,

Die fragten ferner nun nach deiner Jugend nicht,

Und rissen dich nur fort. Wer hat nicht angesehen,

Verwundert und bestürzt, wie da das scharfe Wehen

Der unbewohnten Luft, des rauhen Himmels Art,

Die ungebähnte Bahn, der wilden Thiere Fahrt,

Und was das grimme Land für Uebel mehr noch heget,

Dir deinen großen Muth im mindsten nicht geleget?

Dieß thut ein edler Geist, der nicht zu zagen weis;

Er wählt für Ruh Gefahr, für Kälte Thau und Eis,

Und Eisen noch darzu. Die Sonne muß stets gehen,

Der Himmel wälzet sich, die See kann nimmer stehen;

So, König, bist du auch. Dein Sinn ist himmelweit,

Ist als die Somme klar, ist als die Meere breit,

Und denkt nicht einmal nach, in was Gefahr er rennet.

Als wie ein kühner Löw, indem sein Herze brennet

Für Gunst, zu seiner Zucht, der sorget stets und wacht,

Schleicht über allen Frost und Schnee bey stiller Nacht;

Sein Haar ist ihm bereift, es hangen an den Ohren

Die Zapfen von Crystall, die Klauen sind befrohren,

Noch schaut er keine Müh und Last des Wetters an,[253]

Damit er nur vergnügt nach Hause kommen kann.

Du hast auch damals schon Bescheid zu geben wissen,

Wo recht zu lagern sey, wo Städte zu umschließen,

Was eine Schlacht erheischt, wo Sturm und Anlauf gut,

Wo Hinterhalt muß stehn, wo Wacht von nöthen thut,

Und was der Sachen mehr. Du selbst bist angegangen,

Beherzt und ungebückt, hast nie entfärbt die Wangen,

Die Augen nie verkehrt; zwar durch Verstand und Rath

Ein Feldherr, aber auch durch Fechten ein Soldat.

So hat dein reifer Witz des Feindes List bezwungen,

Dein Degen seine Kraft. Du hast ihm abgedrungen,

Was der Tyrann vielleicht im Traume nie gedacht,

Hast ihn dir Severin, ein Land von solcher Macht,

Ingleichen Czernichow, sammt zweymal dreyßig Städten,

Und zehen fast darzu, genöthigt abzutreten.

Und also, da man dich für Jüngling noch geschätzt,

Den grünen Lorberkranz auf deinen Kopf gesetzt,

Der itzund Kronen trägt. Hier möchte man gedenken,

Das Glücke hätte dir Ergetzung sollen schenken,

Und Rast nach solcher Müh. Es saget aber, nein!

Der Kaiser von Byzanz muß auch geschlagen seyn.

Wie? wann ein kalter Sturm den Schloß, den er gebieret,

Hoch aus den Wolken her durch Thal und Wälder führet,

Und auf die Saaten wirft, daß sich der Ackersmann

Zur Erndte keinen Trost noch Hoffnung machen kann:

So kam der Heyden Volk weit von dem Nilusstrande,

Von Taurus Klippen her, dem heißen Mederstande,

Dem wilden Thracien, dem schweifenden Euphrat,

Und was der Bluthund mehr für große Länder hat,

Die kaum zu zählen sind: zu denen sich noch schlugen

Die Tartarn, welche Lust zu einem Feuer trugen,

Das ihnen selbst gehört, Pokuz war leer gemacht,

Podolien verheert, Wolhyna durchgebracht,

Promislau ausgebrannt: viel Menschen wurden Beute,

Und kläglich weggeführt. Viel gute Rittersleute,[254]

Die hatten bey Czeczor ihr Leben aufgesetzt,

Und in der Wallachey das arme Feld genetzt.

Das Land stund Schreckens voll, man sahe furchtsam ziehen

Die Dörfer in die Stadt, die Stadt mit ihnen fliehen,

Und alles war verzagt. Du warest der allein,

Der die Gemüther nicht ließ sonder Hoffnung seyn,

Das Land nicht sonder Schutz. Mit kläglich thun, mit Zähren,

Mit Zittern, fiengst du an, ist dem nicht abzuwehren,

Der mit dem Säbel kömmt. Wenn Wind und Wellen gehn,

Kan niemand mit Geschrey dem Wetter widerstehn.

Das Wasser hat kein Ohr, man muß das Ruder fassen,

Muß schöpfen, wache seyn, die Segel fallen lassen;

Den Mastbaum in das Schiff, des Ankers Last darvon,

Und in den Grundsand thun, und eilends den Patron

Vernehmen, wenn er rufft. Kommt, laßt dem Feinde zeigen,

Er soll uns nimmer sehn vor seinen Monden neigen;

Er habe darum sich an Leuten stark gemacht,

Daß ihrer mehr durch uns auch würden umgebracht.

Soll er der Meister seyn, du edeles Geblüte!

Er, der beschnitten ist an Leib und an Gemüthe,

An Art und Sinnen weich? Das wolle der ja nicht,

Den dieser Hund verhöhnt. Der, welchem Muth gebricht,

Dem Hand und Herze sinkt, mag nur von dannen reisen!

Ihr, die ihr Ehre liebt, kommt, lasset uns erweisen,

Was Gott und Recht erheischt, und rettet durch den Streit

Zwar, Pohlen, doch zugleich die ganze Christenheit.

So hast du fortgesetzt, und alle Welt gelehret,

Daß ein beherzter Sinn, der seinen Höchsten ehret,

Und liebt sein Vaterland, und auf kein andres Ziel,

Als Schutz und Rettung geht, zu thun hat, was er will,

Und selbst die Hölle trotzt. Es konnten so viel Schaaren

Nur nicht dein Antlitz sehn. Die frechen Janitzaren,

Der Türken rechte Gard, erwürgten ihren Gott,

Das wilde Thier, Osmann, und trugen vieler Tod[255]

Hierdurch an seinem aus vor Ungeduld und Schmerzen.

Nun lauf du tolles Heer, und lerne ferner scherzen

Den Sinn, der Ehre sucht, den Lob und Ruhm ergetzt,

Und der sein Leben nicht für Ruh der Völker, setzt.

Der Tag, als Crakau dir, Triumph! o Licht der Erden,

Triumph! gerufen hat, soll stets erhoben werden,

Soll hoch und heilig seyn: dein schöner Preis, o Heid!

Soll allzeit währen mit, dein Lohn auch nach der Welt.

Man wird nicht minder auch mit vollem Munde sagen:

Wie Moscau neulich noch des Bundes Pflicht verschlagen,

Und dich gereizet hat, gewaffnet hinzuziehn,

Bis zum Borysthenes. Was war doch ihr Gewinn

Der stolzen Nation, des Volkes ohn Gewissen?

Man sah sie freylich wohl Smolensko hart umschließen:

Doch du umschleußest sie und bringst den Feind so weit,

Daß er, wie schwer es fällt, für Sieg Genade! schreyt.

Er kreucht zum Kreuze hin, giebt auch was sein ist, wieder;

Legt seine Hoffarth dir mit Wehr und Waffen nieder,

Und lernt gehorsam seyn. Er hat daselbst bekannt:

Du hättest seinen Hals und Ehr in deiner Hand.

Doch du, o König, hast im Herzen noch mehr Güte.

Erst zwingest du den Feind, und itzund dein Gemüthe,

Führst selbst dich im Triumph: ihr Leben steht bey dir,

Das giebst du ihnen hin, und nimmst allein dafür

Das Lob der Gütigkeit. O eine werthe Tugend!

Doch derer nur ein Zweig, die dich von erster Jugend,

Von Wiegen an geziert. Zwar Gott, das Reich, dein Stand

Und Würde haben dir das Zepter zugewandt,

Dein edles Haupt gekrönt, dich hochgesetzt auf Erden:

Du willst durch Niedrigkeit doch gleichwohl höher werden.

Wer dich im Kriege sieht, der legt die Waffen bey:

Wer dich im Frieden schaut, ist aller Furchten frey,

Behält die Lieb allein; läßt Scheu und Schrecken schwinden,

Spricht einen König an, und pfleget mehr zu finden,

Als einen Vater selbst. Hierdurch hast du gemacht,[256]

Daß nichts so sehr für dich, als Treu der Leute wacht,

Die deine Demuth sehn. Das Stehen der Trabanten,

Die Warnung vor Gefahr, die Aufsicht der Bekannten,

Gewehr und Waffen, Herr, die sind für ein Gemach,

Da ein Tyranne sitzt, nur oftermals zu schwach.

Der kann nicht sicher seyn, vor dem nichts sicher bleibet,

Der Blut zur Losung hat, Blut redet, und Blut schreibet,

Und säuft es in den Hals. Er fürchtet, die er kränkt,

Traut auch dem Degen nicht, der ihm zur Seiten henkt,

Und haßt, und wird gehaßt. Gunst will nicht seyn getrieben:

Ein Herr, der Liebe sucht, der muß zum ersten lieben;

Ohn dieß ist jenes nie. Der gründet nur auf Sand,

Der nicht auf Liebe baut, die als ein festes Band,

Auch die Natur verknüpft, was hält den Weltkreis wieder?

Warum geht das Gestirn in Ordnung auf und nieder?

Wie weis der Wind sein Ziel, der Monde seine Zeit,

Das Wasser seinen Strand? dieß thut die Einigkeit,

Die Liebe, die wir auch in deinen Augen sehen,

Den Zeugen deiner Treu. Wer darf wohl vor dir flehen?

Wer sagt, du habest ihm einmal zu kurz gethan?

Du sprichst schon oftmals ja, eh als man bitten kann:

So freundlich ist dein Sinn! Wie auch die klaren Stralen

Der Sonnen nicht nur bloß Gefild und Berge malen,

Nicht nur an einen Ort erstrecken ihren Schein;

So bist du gleichfalls auch. Dich dünkt zu wenig seyn,

Für deine Gütigkeit; das Volk, das du regierest,

Das dich mit Treuen meynt, und du mit Wohlfahrt zierest:

Du bist ein großer Trost, ein Schirm und Zuversicht,

Für einen jeglichen der dich um Schutz anspricht,

Und sonst bedränget ist. Die fremde zu dir kommen,

Gehn fremde nicht hinweg: sie werden aufgenommen,

Gesetzt in Sicherheit, in Ruh und solchen Stand,

Daß sie bedünkt, dein Reich das wär ihr Vaterland.

Hier mag auch jedermann im Gottesdienste leben.

Wie sein Gewissen weis; mag seine Hände heben[257]

Zu dem, der euch nicht mehr vertrauet, als die Welt,

Und seiner Ehre Recht für sich allein behält;

Zu dem, der lieber uns will sonder Glauben wissen,

Als daß man seine Furcht aus Furchten ein soll schließen,

Und nach dem Winde gehn; zu dem, der Heucheley

So sehr bestrafen wird, als Mord, als Tyranney,

Als Blutschuld, Sodomie, als alle solche Sünden,

Dadurch man ihn vermag in Eifer zu entzünden;

Zu dem, der ewiglich mit dem nicht stimmen kann,

Der mit dem Himmel scherzt, und sieht die Menschen an.

Du hegest solchen Sinn, wenn dich dein Volk so ehret,

Dir treu ist, wie es soll, und thut, was sich gehöret,

So sey es recht und gut: und dieses kömmt bey dir

Von der Gerechtigkeit, die deine beste Zier

Von allen Gaben ist; die dich dabin erhebet,

Bey deinem Leben schon, wornach ein König strebet,

Der dort auch herrschen will. Wo bleibt Bescheidenheit?

Dein Ansehn? dein Verstand? ja wo die Mäßigkeit,

Die ganz dein eigen ist? dein weiser Sinn im Rathen,

Der Rede Witz und Zier, die Wachsamkeit in Thaten,

Die Langmuth? Der Bezwang des Zornes, der allein

Genug sonst Lasters ist, kömmt dir vom Nüchternseyn.

Was kann ein solcher Herr für kluge Sinnen haben,

Dem allzeit die Vernunft im Becher liegt begraben,

Und auf dem Glase schwimmt? Wer nichts für Leut und Land

Als Wein vergossen hat, der macht sich zwar bekannt,

Doch nicht durch Tapferkeit; muß bösen Menschen trauen,

Die ihn, und sich, und mich oft zu verkaufen schauen;

Ist seiner Diener Knecht, und trinket durch den Wein,

(Wie theuer Wasser doch!) viel tausend Thränen ein.

Wer sieht an Rache dich, o Held! die Augen weiden?

Wie bald vergiebest du, wer weis sich zu bescheiden

Nur einer grimmen That? dein Herze heischt kein Blut

Von dem, der Gnade sucht, der Reu und Buße thut;

Viel minder, welcher nichts. Soll ich denn auch beschreiben,[258]

Wie du den Rest der Zeit zuweilen wilst vertreiben,

Und dich dir selber giebst? Du bist zwar bey der Ruh

Auch König: dennoch ist nichts freundlichers, als du,

Nichts milders auf der Welt. Daheim ist dein Ergetzen,

Ein Buch, das lesens werth; im Felde nimmt das Hetzen

Dir deine Sorgen hin. Es hatten den Gebrauch

Ulysses, Telamon, und der Achilles auch,

Der Thetis großer Sohn. Alcides hat im Jagen

Den Ernst, mit welchem er die Riesen todt geschlagen,

Nicht minder angelegt. Doch kennst du Maaße hier:

Denn wer nichts anders weis, wird endlich selbst ein Thier,

Und lernet grausam seyn. Du führest so dein Leben,

Daß du der Welt und Gott kannst gute Rechnung geben,

Gott, auf den du; der Welt, die auf dich Achtung giebt.

Ihr, die ihr itzund nicht, als was vor euch ist, liebt,

Ihr möcht versichert seyn: es sind viel kluge Seelen,

Viel Geister von Vernunft, die aus der tiefen Hölen

Der Wahrheit dieß hervor zu graben sind bedacht,

Wodurch der grauen Zeit soll werden vorgebracht,

Was jener, der und die, und allesammt beginnen;

Den Wankelmuth, den Neid, den Haß, die Weibersinnen,

Dieß alles, was man scheut zu sagen, und doch thut.

Du darfst, o freyer Held, den Königlichen Hut

Nicht in die Augen ziehn: wohin man itzund siehet,

Da schaut man auch dein Lob. Daß Ruh und Friede blühet,

Daß Recht und Billigkeit in vollem Schwange geht,

Daß alles um und um in Lust und Freuden steht,

Ist nebst des Himmels Gunst dir einig zuzumessen.

Man wird des Leides nun durch alles Land vergessen.

Es darf Borysthenes nicht mehr die Wehre seyn,

Vor Moskau; das Geschrey von dir thut dieß allein.

Man darf der Tartarey hier keine Mauren setzen,

Wie Sina sich verwahrt; dein Ruhm ist mehr zu schätzen:

Der Pruth, der Tyras hält den Türken nicht so an,

Als deines Namens Macht den Räuber stillen kann.[259]

Ach! könnte doch ein Mensch auf einer Warte stehen,

Und über dieses Reich die Augen lassen gehen:

Was Schein, was Aenderung doch würde diese Zeit

Ihm zeigen gegen der, die erst war weit und breit;

Da Krieg zu fürchten stund, und theils auch schon gewesen.

Die Städte freuen sich, die Felder sind genesen.

Es lebet jedermann, (o Deutschland! möchtest du

Doch auch so selig seyn!) für sich, in stiller Ruh.

Die reiche Weichsel kann zur See ohn Aufhalt fließen,

Die See sich allerseits frey an ihr Ufer gießen,

Das Ufer Waaren sehn, und alles lustig seyn.

Sollst du, o Lust der Zeit, o König, dann allein

Von diesen Freuden nicht auch dein Theil reichlich haben?

Des Himmels treue Gunst wird dich mit dem begaben,

Bey frischer Lebenszeit, was dein Gemüthe liebt,

Und Gott nur nehmen kann, der dir es selber giebt.


Opitz, Lob des Feldlebens.

O wohl! und mehr als wohl! dem, welcher weit vom Kriegen,

Von Sorgen, Müh und Angst, sein Vatergut kann pflügen;

Lebt sicher und in Ruh noch wie die alte Welt

Zu Zeiten des Saturns, und pflügt sein kleines Feld;

Spannt Roß und Ochsen vor, darf seinen Sinn nicht kränken,

Um armer Leute Schweiß, weis nichts von Wechselbänken,

Von Wucher und Finanz; ist alles Kummers frey,

Daß nicht sein Haab und Gut im Meer ertrunken sey;

Darf auf der wüsten See nicht immer furchtsam schweben,

Von Winden umgeführt, da zwischen Tod und Leben

Ein daumendickes Bret; giebt nicht aufs Bergwerk acht,

Da Stoll und Schacht sich oft verlieren über Nacht;

Erwacht nicht durch den Schall der starken Heerposaunen,

Erschrickt nicht vor dem Blitz und Donner der Karthaunen;

Wie zwar der Landsknecht lebt, der Tag und Nacht das Land,[260]

Das doch dem Mäyer bleibt, schützt mit bewehrter Hand.

Er denkt nicht, wie er komm hoch an das Bret vor allen,

Und könne Königen und Herren wohlgefallen:

Tritt nie auf schlüpfrig Eis; giebt seine Freyheit nicht,

Um eine Hand voll Gunst, die eh als Glas zerbricht.

Er läßt sich auch nicht ein in fremder Leute Sachen,

Verurtheilt niemals falsch, hilft krumm nicht grade machen,

Steht nicht in Furcht und Angst, hält vor der reichen Thür,

Sein Hütlein in der Hand, und kömmt doch selten für.

Das alles darf er nicht: er hat, was er begehret,

Sein Gut wird ihm von Gott, auch wenn er schläft, bescheret;

Hat mehr, als der sein Herz auf bloßen Reichthum stellt,

Besitzt nicht, was er hat, ist arm und hat viel Geld.

Er gehet fröhlich hin, führt itzt die süssen Reben

An Ulmenbäumen auf, daß sie beysammen kleben,

Als ehelich vermählt. Itzt weil die Schösse klein,

Bricht er, was wild ist, ab, impft gute Sprößlein ein.

Nimmt bald die Schaufel her, macht Furchen, frey zu fließen

Dem Wasser über Feld, die Wiesen zu begießen,

Die dürr und dürstig stehn; spaziert bald in das Gras,

Das durch den Silberthau des Morgens noch ist naß.

Bald stützt er einen Baum, der von der Frucht gebeuget,

Vor Last zerbrechen will, und sich zur Erden neiget:

Und etwan sieht er gehn dort um das grüne Thal

Die Schafe, Kälber, Küh, und Ochsen überall.

Schaut er denn über sich, so sieht er seine Geißen,

Das Laub von dem Gestäud an einer Klippen reißen;

Dabey ihr Mann, der Bock, für Lust und Freuden springt:

Hört, wie der Hirte wohl von seiner Phyllis singt,

Die hinter einen Baum sich hatte nächst verkrochen,

Als er ihr schönes Obst und Blumen abgebrochen.

Hört, wie die braune Kuh im nächsten Thale brüllt,

Daß ihre rauhe Stimm hoch über Feld erschüllt.

Bisweilen leert er aus den Honigmacherinnen

Ihr wächsern Königreich, das sie mit klugen Sinnen[261]

Sehr artig aufgebaut, nimmt auch zu rechter Zeit

Den feisten Schafen ab ihr dickes Wollenkleid.

Kömmt denn, nachdem er hat den Sommernutz empfangen,

Der Obst und Traubenmann, der reiche Herbst gegangen:

Wie freut er sich so sehr, wenn er die Birnen ropft,

Vom Baume, den er selbst vor dieser Zeit gepfropft;

Und lieset Aepfel auf, die selber abgefallen;

Nimmt ihm hernachmals vor die schönsten unter allen,

Beißt ungescheelet an; geht dann, besieht den Wein,

Bricht reife Trauben ab, die Purpur ähnlich seyn.

Ist er vom Gehen laß, so kann er sich fein strecken

Bald in den Schatten hin, wo ihn die Bäume decken,

Bald in das grüne Gras, an dem vorüber fleußt,

Das Wasser und durchhin mit stillem Rauschen scheußt:

Bey dessen Rande denn die Feldheuschrecken springen,

Und mit dem langen Lied ihr Winterleid versingen.

Der Vögel leichtes Volk macht seinen Lobgesang,

Schreyt überlaut, und wünscht den Sommer noch so lang.

Die schöne Nachtigal läßt sonderlich sich hören,

Schwingt ihre Stimme hoch dem Meyer wie zu ehren:

Die Frösche machen auch sich lustig an der Bach,

Und ihr Coax, Coax, giebt keinem Vogel nach.

Nicht weit von dannen kömmt aus einem kühlen Brunnen

Ein Bächlein durch das Gras gleich wie Crystall gerunnen,

Draus schöpft er mit der Hand, eh er sich schlafen legt,

Wozu des Bachs Geräusch und Murmeln ihn bewegt.

Wenn aber mit dem Eis und rauhen scharfen Winden

Der graue Winter kömmt, so kann er doch was finden,

Auch mitten in dem Schnee, das nützet und ergetzt;

Indem er itzt ein Schwein mit seinen Hunden hetzt,

Und itzt ein schnelles Reh in dem Gehege fället,

Bald mit dem Garne dann den leichten Hasen stellet:

Kömmt auch, nachdem er hat vom Jagen umgekehrt,

Lockt das Geflügel an auf seinen Vogelheerd,

Fängt etwan einen Kranch, der in den Lüften irret,[262]

Durch altes Zauberspiel in seiner Flucht verwirret:

Das theure Haselhuhn geht ihm nicht selten ein,

Rebhüner auch, die sonst die Zier der Tische seyn.

Verfüget er sich heim, da hat er viel zu bauen,

Macht Planken in den Zaun, schnitzt Flegel, stielt die Hauen,

Ergänzt den Pferdezeug, verwahrt das Taubenhaus,

Strickt Netz und Jägergarn, putzt alles sauber aus.

Schaut dann den Pfauen zu, sieht, wie die stolzen Hahnen

Die Hüner übergehn, lockt zu sich die Fasanen.

Die Tauben haben sich gelagert um das Dach.

Die Ranze läuft der Magd mit ihren Ferkeln nach.

Wie wollt er dann nun wohl dieß freye Leben hassen,

Und nicht der Städte Lust für seine Wälder lassen?

Vornehmlich auch wenn ihm sein Weib entgegen kömmt,

Und ihren lieben Mann frisch in die Arme nimmt,

Hat keine Larven vor, ist schwarzbraun von der Sonnen,

Ihr Antlitz ist geschminkt mit Wasser aus den Brunnen,

Ihr Hut ist Haberstroh, ihr Kittel ist parat

Von Seiden, die sie selbst zuvor gesponnen hat.

Sie macht ein Feuer auf, ist mühsam und geschwinde,

Läuft hin und melkt die Küh, so bald, als das Gesinde;

Ergreift den weiten Krug, bringt einen blanken Wein,

Der nicht muß allererst mit Zucker süsse seyn.

Denn decket sie den Tisch, und setzet auf die Speisen,

Darnach man nicht erst darf sehr viel Meilweges reisen,

Und die das wilde Meer hier an das Land gebracht;

Kauft keinen Stör, den nur die Würze theuer macht.

Kennt nicht, was Austern seyn, weis gar nicht von Lampreten,

Die erst der weise Koch in Malvasier muß tödten.

Artschocken findet man in seinem Garten nicht,

Melonen sind ihm auch nie kommen zu Gesicht.

Er hält bey sich vielmehr auf einen guten Schinken,

Und eingesalztes Fleisch, das macht ihm Lust zu trinken.

Sein bestes Essen ist Milch, Eyer, Honig, Schmalz,

Für Spargel ißt er Kraut; anstatt der Würze, Salz.[263]

Er lobt ein Lamm, das er dem Wolf erst abgejaget,

Ein frischer Kalbskopf ihm für Straußenhirn behaget,

Sticht selbst ein Ferklein ab, würgt einen feisten Hahn,

Der unwerth ist gemacht, und nicht mehr buhlen kann.

Die Aepfel schmecken ihm viel besser, als Zitronen,

Rapunze, Kresse, Lauch, Kohl, Rüben, Erbsen, Bohnen,

Saurampfer, Peterlin, Salat im frischen Oel,

Ist ihm mehr angenehm, als Safran und Kanel.

Bey dieser seiner Kost er viel gesunder bleibet,

Als der zu essen pflegt, eh ihn der Hunger treibet.

Was mancher theuer kauft, wird ihm umsonst gewährt:

Sein Vorrath ist das Feld, sein Holz kömmt auf den Heerd.

Indem er also ißt, hört er der Schafe Schellen,

Die von der Weide nun sich wieder heim gesellen.

Schaut, wie die stolze Geiß will vor dem Widder gehn,

Wie seine feiste Küh in vollen Eytern stehn.

Bald siehet er darauf die starken Rosse bringen,

Den umgestürzten Pflug, und noch für Geilheit springen;

Mit denen und zuvor sein mühsames Gesind,

Eins nach dem andern sich gemach nach Hause findt.

Auf dieß sie an den Tisch heißhungrig niedersitzen,

Und essen, daß sie mehr, als vor zu Felde, schwitzen.

Wenn nachmals jedermann gesättigt ist vollauf,

Schmeckt aus der großen Kann ein guter Trunk darauf.

Legt sich hernach zur Ruh, schläft frey von Angst und Sorgen,

Bis ihn und sein ganz Haus der Hahn weckt, wann am Morgen

Aurora sehen läßt ihr rosenrothes Haar,

Und mit dem klaren Schein umhüllt der Sternen Schaar.

Es stehe wer da will hoch an des Glückes Spitzen,

Ich schätze den für hoch, der hier kann unten sitzen,

Da keine Hoffarth ist, kein äußerlicher Schein,

Die nur die Augen füllt, und kann sein selber seyn;

Bleibt von des Neides Gift' und Eifer ganz verschonet,

Weis von der Sünde nicht die in den Städten wohnet,

Und in den Winkeln steckt; stellt da sein Leben an[264]

Da seiner Unschuld selbst der Himmel zeugen kann,

Vertrauet Gott allein sein Wesen und Vermögen,

Sieht alles unter sich, lauft seinem Tod' entgegen,

Und scheut sein Stündlein nicht. Der ist gar sehr verblendt,

Der sonst zwar alles weis, doch sich nicht selber kennt.


Bessers Lobgedicht, Auf Friedrich Wilhelms des Großen

erfochtene Warschausche Schlacht, im Jahre 1656.


Der flüchtge Casimir, der ersten Furcht entstrickt,

War wieder in sein Reich aus Schlesien gerückt:

Indeß daß groß und klein, bis auf die Tartarhorden,

Für ihn und seinen Thron, war aufgebothen worden.

Mit diesen lag er erst bey Warschau an der Stadt;

Doch weil zu große Macht auch große Kühnheit hat:

War er den Weichselstrom diesseits herüber gangen,

Uns desto schleuniger im Anmarsch zu empfangen.

Fast hundert tausend Mann bedecketen das Feld:

Sie hielten gegen uns als eine halbe Welt.

Wie man die Kranche hört bey ihren Zügen girren,

Und in der Sommerszeit die reifen Saaten schwirren:

So rasselte der Klang von Pferden, Schild und Spieß,

Den diese große Schaar von weiten hören ließ.

Wie alles stäubt und bebt bey Ankunft einer Heerde:

So schwärzte sich die Luft und zitterte die Erde;

Als dieser Völker Trifft, und deren Hinterhalt,

Auf unsre Läger drang mit stürmischer Gewalt.

Sechs gegen einen Arm, so sollten unsre kämpfen;

Ja was man hört und sah, schien uns den Muth zu dämpfen.

Des Feindes Grausamkeit; die ungeheure Tracht,[265]

Von Häuten und von Filz in eine Form gebracht;

Die theils mit Gold und Stahl gepanzerten Husaren:

Das große Feldgeschrey und Lermen der Barbaren,

So sie aus aller Macht aus Erz und Horn erweckt,

Hätt' auch die Tapfersten bey andern abgeschreckt.

Allein dieß Heldenpaar von göttlichem Geblüte,

Bethörte kein Tumult, kein rauh und wilder Scythe.

Je mehr der Feinde sind, je schwerer ist der Krieg;

Und so viel größer war denn auch hernach der Sieg.

Sie giengen erst zu Gott und ihrer Hütten Tempel,

Und munterten sich auf mit eigenem Exempel:

Allhier soll, sprachen sie, noch heut vor Abendsschein,

Des Feindes, oder auch selbst unsre Grabstatt seyn!

Nachdem sie sich gemach durch einen Wald gezogen,

Und das getheilte Heer in halben Mond gebogen;

Behielt zur Rechten Carl der Weichsel lang den Stand,

Und unsrer stellte sich am Bruch zur linken Hand.

Drauf nahten sie heran mit dem geringen Volke;

Und wurden überdeckt gleich als von einer Wolke.

Viel tausend fuhren dort von fornen auf uns her,

Viel tausend kreuzten hier, und fielen in die quer,

Viel schlugen sich um uns, und dachten im Vermengen,

Uns wenigstens getrennt, in eine Flucht zu drängen.

Wie aber, wenn im Herbst ein Sturm das Meer erregt,

Es seine Tiefen dann auf Berge wälzt und trägt,

Braust, schäumet, wallt und tobt mit aufgetürmten Wellen,

Die aus dem innern Grund hin in die Lüfte schwellen;

Und dennoch, wie es rast, mit aller seiner Wuth,

Die Klippen nicht verzehrt auch mitten in der Fluth;

Sie stehn, obgleich auf sie, wie andre Klippen fallen,

Die nur in ihren Schlund geschwächt zurücke prallen:

So hielt der kleine Trup auch den ergrimmten Lauf,

Das wellengleiche Heer ganz unbeweglich auf;

Und schleuderte den Feind zurück in seine Schanzen,

Mit allem dem Gerüst der Schilde, Pfeil und Lanzen.[266]

Die Nacht entschied den Streit. So bald der Tag begann,

Fing sich zu linken Hand ein Hauptscharmützel an.

Der Churfürst, um das Feld der Feinde zu bestreichen,

Fand rathsam, an die Höh des Waldes anzuschleichen;

Er zog in stiller Eil sich über den Morast,

Und schlug die Pohlen ab, die Stand darauf gefaßt.

Der Tartern ganzer Schwarm von so viel tausend Köpfen,

Warf sich auf ihn allein, in Meynung Luft zu schöpfen;

Und lerneten zu früh aus dem erfolgten Weh:

Daß in der linken Brust des Menschen Herze steh.

Er rannt die Stirn entzwey an unserm linken Flügel.

Als die Husaren auch von einem kleinen Hügel,

Fünftausend Mann verstärkt, zur Rechten angesetzt,

Und viel der Schwedischen getrennet und verletzt;

Ja zwey Geschwader durch in sie hereingebrochen:

Hat unser linkes Horn es ebenfalls gerochen.

Es brach, zur Seiten ab, den Treibern wieder ein,

Und stieß sie dergestalt, daß fast auch kein Gebein,

Zum mindsten wenig nur, aus dem Gefecht entronnen;

Bis man den Tag darauf die ganze Schlacht gewonnen.

Daß doch, was diesen Tag dieß Heldenpaar vollbracht,

Und zwar wie unser Fürst zum Siege Raum gemacht,

Den Feind zuerst gejagt und ihn gewußt zu treiben,

Wir mit der Sieger Stahl vermöchten zu beschreiben!

Bishero hatte man einander nur gestreift;

Weil der unstete Feind stets hin und her geschweift.

Heut aber, da er sich in einen Wald geschwungen:

Ward er, im Vortheil selbst, zu einer Schlacht gedrungen.

Man gieng, so fest ihn auch noch eine Höh verschloß,

Auf seine Wagenburg in voller Ordnung los.

Der brandenburgsche Mars, weil es an seiner Seiten,

Begann zuerst den Wald und Hügel zu bestreiten;

Sein Sparr, der eine Zeit auf beyde schon gefeurt,

Und allem Ueberfall von hinten zu gesteurt,

Trieb, wie gescheuchtes Wild, das Fußvolk aus dem Strauche;[267]

Als eben unser Held recht mitten in dem Schmauche

Die Weichenden empfieng, und ihren Weg verkürzt,

Sie, sammt der Reuterey, den Berg herabgestürzt,

Und hinter drein gesetzt in die betäubten Haufen,

Noch schneller als sie uns gedachten zu entlaufen.

So wie der Adler thut mit einer Geyerzucht,

Daß er sie plötzlich stößt, und in der größten Flucht

Zu zwey und dreyen würgt, mit einem Griff und Bisse:

So sah man daß der Held auch in die Reihen rissse.

Er nahm das Lager weg, und alles Feldgeschütz,

Nicht scheuend dessen Gluth, nicht den gestählten Blitz.

Die Schlacht verkehrte sich drauf in ein rechtes Schlachten;

Weil wir nun ingesammt uns an die Horden machten.

Man traf uns Kanneberg, viel schoß man uns auch todt,

Wir schebten oftermals schon in der letzten Noth.

Unfehlbar wären wir wie Halmen umgemähet;

Wenn nicht der Wind den Staub den Feinden zugewehet.

Da drungen wir im Qualm dem Wirbel freudig nach;

In welchem jeder Held durch seinen Flügel brach:

Nicht anders als ein Strom, wenn er sich los gedämmet,

Alsdann zwey Arme macht und alles niederschwemmet,

Was jedens Weg ergreift, vom Strudel übermannt.

Es fielen Pferd und Mann, es ward ein Jammerstand,

Der Sterbenden Geheul, der Halberwürgten Schreyen,

Erhitzte Schwerdt und Muth. Hier konnte nichts befreyen.

Wir hatten für den Raub nicht Aerm' und Fäuste gnug.

Als aber nun der Streit auch den Czarnetzky schlug:

Sah man die ganze Schaar, mit hochverwirrtem Fliehen,

Vor unserm Metzeln her, als dicke Nebel ziehen.

Dort röchelt erst ersäuft ein Körper in dem Sumpf;

Hier überwarf sich noch ein warmer Tartarrumpf:

Dort sah man Seel und Blut aus Brust und Gurgel schießen;

Und hier verwickelten sich viel in eignen Spießen.

Der Casimir erstarrt, daß alles flog und bog,

Daß solcher Menge Volks die Tugend überwog,[268]

Lief sammt der Königinn, nach hin und wieder wenden,

Der Weichselbrücken zu, und aus der Sieger Händen;

Verließ die Königsburg, sowohl als sein Gezelt:

Und räumte noch den Tag, nebst Warschau, Sieg und Feld.


Bessers, Danksagung des befreyten Unterrheins, An Friedrichen den Dritten.

Nach der Uebergabe von Bonn, 1689.


So recht, du deutsches Volck, ihr tapfern Alemannen,

Es kostet euch nur Ernst die Franzen zu verbannen.

So oft ihr euch am Rhein gerüstet lassen sehn,

Kann schon, von Alters her, kein Gallier bestehn.

Wo sind die Räuber hin? ein Zug hat sie zerstreuet,

Und mein beschwerter Strom ist wiederum befreyet.

Euch hab ich schon gedankt, Beschirmer um den Mayn;

Nun komm ich auch zu dir, Held! an den Unterrhein.

Jung und sieghafter Held, Ruhm des berühmten Brennen,

Wie würdig wird man itzt dich seinen Folger nennen!

Fängt doch dein Regiment mit solchen Wundern an,

Die Friedrich Wilhelm selbst im Alter erst gethan.

Du treibst im ersten Jahr dein und der Welt Gewerbe,

Du bringest deinen Freund zu seinem Königserbe.

Der Vorschub deines Heers befördert diesen Schluß:

Daß er, so schwer es scheint, dennoch gelingen muß.

Du stärkst die Bataver, deckst dein und ihre Länder;

Du knüpfest in dem Reich die allerbesten Bänder.

Durch deinen klugen Rath hat Deutschland sich vereint,

Und schlägt nun insgesammt den allgemeinen Feind.

Ihr Helden, war dein Wort, die Fürsten zu erwecken:

Welch ungeheures Feur darf unsern Rhein erschrecken?

Ein Volk, dem vor der Zeit vor unserm Blick gegraut,[269]

Hat eines Ueberfalls sich abermal getraut.

Woher rührt dieser Muth? das sind nicht ihre Werke;

Sie brauchen unsern Zwist zu ihrer Trägheit Stärke.

Bey unsrer Einigkeit hat Cäsar auch gezagt;

Da itzt ein Königreich sich uns zu hönen wagt.

Seht doch den Frevel an! Uns Städt und Land verheeren:

Nennt Frankreich, zum Gespött, des Reiches Ruh begehren.

Uns, die selbst Könige, schreibt es Gesetz und Spruch;

Und, daß wir uns verwahrt, ist ihm ein Friedensbruch.

Wie nun? soll Gallien die deutschen Ufer drengen?

Genug Geduld gehabt, der Langmuth nachzuhängen!

Ihr Helden! wachet auf und sammlet eure Macht;

Hier steht ganz Brandenburg für euch zuhauf gebracht.

Wir sind, und heißen noch die streitbaren Germanen.

Der Bund war kaum beliebt; so zogen deine Fahnen.

Dein Heer, zu welchem sich mehr Völker zugesellt,

Schlug gleich bey Ordingen die Dränger aus dem Feld:

Nahm Rheinberg durch Vergleich, wie sie es eingenommen;

Und wovor ehmahls selbst ihr König müssen kommen.

Im Frühling, da man nun den größten Grimm befahrt,

Verstärktest du den Zug mit deiner Gegenwart:

Als Hauptmann sah man dich vor deinen Schaaren ziehen,

Und vor denselben her die wachen Feinde fliehen.

Du zwangst in einem Lauf das feste Kaiserswerth:

Du wandtest dich nach Cölln, das deinen Schutz begehrt:

Erstiegst die Bonnerschanz, und nach gelegten Brücken,

Befahlst du, über mich, die Läger fortzurücken.

Hier stundst du unbedeckt, beherzter Friederich.

Wo aber bleibest du, du großer Ludewig?

Auf zwanzig Meilen war kein Mann von dir zu spüren;

Ob gleich du im Triumph mich spöttlich dürfen führen.

Willst du ein Sieger seyn, hier hätt' es sich gehört;

Du aber siegest gern, wenn keiner dich verstört.

Die Deutschen hätten wohl zu ernstlich mögen rechten.

Wo man dir widersteht, verschmähest du zu fechten.[270]

Hingegen Zepterfürst, du stellest dich vor Bonn;

Das Feld, bis Mont-Royal, erschütterte davon.

Du liest auch dein Gemahl um deine Läger sitzen:

Durch dieser Pallas Blick die Kämpfer zu erhitzen.

Du hieltst, und wartest lang, ob ein Entsatz zu sehn:

Allein sie kommen nicht, wenn wir bewaffnet stehn.

Dem Frieden Einbruch thun, beschleichen und verrathen:

Sind ihrer Tapferkeit bequeme Wunderthaten.

Du grifst darauf den Platz mit Feuerwerken an;

Du machtest dir zugleich die Gegend unterthan,

Hiest aus dem Trierischen den regen Boufler jagen;

Da Bonn indeß zerfiel von deiner Mörsel Lagen.

Dein Weiler macht' auch hier die Feuersmacht bekannt;

Die ehmals schon Stettin und ganz Stralsund verbrannt.

Doch als auch dieß nicht half, so mußten deine Haufen

Mit einem vollen Sturm an diese Festung laufen.

Der Feind gestand es dir: daß er dergleichen Kampf

Noch nimmer nicht erlebt. Ihn würgte Streich und Dampf,

Ihm halfen weder Wehr, noch Burg, noch hohe Schanzen;

Du mußtest noch den Tag darauf die Piquen pflanzen,

So bald man zum Gefecht das frohe Zeichen gab;

Sprang dein erhitztes Volk von obenwärts hinab.

Du hattest nur bestimmt den Graben einzunehmen;

Umsonst, es mußt' auch sich das Ravelin bequemen.

Viel liefen ungezähmt gar auf den steilen Wall,

Da merkte Hazefeld den vorgesetzten Fall;

Er eilte den Vergleich, nach deinem Wunsch zu schließen,

Und dich, der ihn bezwang, als Siegesherrn zu grüßen.

Das heißt den Wetterstral glückselig ausgelegt,

Der deinen Namen strich, und nun die Franzen schlägt.

Der Himmel, der dein Haupt nach deinem Vater krönet,

Hat mit der Donnerkraft desselben dich belehnet.

Welch großes Meisterstück für einen jungen Held!

Du lagst, wie dein Soldat, im offenen Gezelt.

Dein erster Feind ist gleich der allerstolzste König;[271]

Ein ander Gegenpart ward zum Versuch zu wenig.

Du rittest vor den Wall, und auch auf Kundschaft aus.

Wer redet nicht bestürzt vom Poppelsdorfschen Strauß?

Die Kugeln schneyten recht, die vor dir niederfielen;

Du lachtest der Gefahr, die auf dich schien zu zielen.

Du sahst den Werken zu, und muntertest sie auf;

Du ordnetest den Sturm und seinen ganzen Lauf.

Und wie war überdieß dein Thun so unterschieden!

Du stürmetest vor Bonn, und schlost in Holstein Frieden.

O weiser Fürst und Held, du dritter Friederich!

Dein Vater lebt in dir; o wie verehr ich dich!

Welch unerschöpfter Rath muß deinen Staat beseelen.

Doch welch ein Löwenherz muß selbigen befehlen!

Kann mehr ein Feldzug thun? du schlägst der Franzen Kern;

Du bringst den Unterrhein an seinen rechten Herrn.

Erhältst das platte Land, und zwingst zur Uebergabe

Die stärksten Festungen, die ich am Ufer habe.

Hat sich Tiberius ein Denkmaal hergesetzt:

Hab ich viel billiger dich dessen werth geschätzt.

Die Nymphen singen schon in ihren Muschelgrotten

Von dir und deinem Stern, der freudigen Charlotten.

Weil mich dein Heldenarm dem Joche da entreißt,

Allwo mein Fluß, getheilt, sich in das Meer ergeust:

Will ich auch deinen Ruhm, durch alle beyde Thüren,

In den Welt-Ocean, nebst deinem Namen, führen.

Erst sag' ichs Engeland, wo man dich gerne sieht:

Wo dein Oranjenstamm im dritten Wilhelm blüht.

Euch tastet Ludwig an, er hat sich viel vermessen,

Er dürfte sich den Tod an den Orangen essen.

Hernachmals mach' ich es in Frankreich selbst bekannt;

Sein König weis es zwar, doch nicht sein armes Land.

Die Deutschen haben dort stets unterliegen müssen;

Nun soll man auch daselbst von ihren Siegen wissen.

Allein, noch nicht genug: beharret in dem Streit.

Ermahne. wie du thust, das Reich zur Einigkeit.[272]

Euch Fürsten ist der Rhein ein gar zu enger Schranken;

Ihr müsset nach Paris zu euren alten Franken.

Der Anfang scheinet schwer; doch nur im Anbeginn.

Fährst du so weiter fort, führst du sie selbst dahin.

Ihr Deutschen habt ja Rom und dessen Macht verschlungen,

Das vormals Gallien, euch aber nie bezwungen.

Zogt ihr die Meisterinn, das Kaiserthum zu euch;

Warum nicht die Provinz, der Franzen Königreich?

Dann wird, an meiner Statt, die stolze Seine beben,

Und lernen, daß annoch die Schreckgermanen leben.

Dann wird euch ingesammt, ihr Helden, euer Rhein,

Und dir der Niedertheil auf ewig dankbar seyn!


Neukirch, auf den Tod Sophien Charlotten, der Königinn in Preußen.

Ihr Musen! die ihr mich, der Preußen Held zu singen,

Oft glücklich angefeurt, helft meine Feder zwingen,

Und führt sie von der Höh' nach der ich lüstern bin,

Von Friedrichs Siegesbahn zu seinen Thränen hin!

Sein unerschöpfter Muth ist weit genug erklungen,

Seit dem ihm Noth und Recht die Waffen abgedrungen.

Dem Franzen schüttert noch die kaum erlaufne Haut,

Wenn er auf Schwabens Feld betrübt zurücke schaut,

Und an den Tag gedenkt, da Ludwigs große Thaten

Mit Schrecken in die Nacht der Finsterniß gerathen,

Und auf einmal verlöscht. Was Preußen da gethan,

Das zeigen, schweig ich gleich, viel andre besser an.

Dießmal betracht ich nicht, wie unser König blitzet,

Wann ihm der Feinde Trotz, der Freunde Schmach erhitzet;

Nein! sondern, wie er selbst halb todt darnieder liegt;

Und dennoch über Tod und auch sich selbsten siegt.

Charlott', ach! kann ich auch dieß große Wort noch sprechen?[273]

Charlotte liegt erblast: und unsre Augen brechen

Zugleich für kalter Angst. Wir sehen nichts, als Nacht:

Und gleichwohl sehen wir Europens Zierd' und Pracht,

Des größten Helden Lust, der Damen Preis und Krone,

Das mütterliche Haupt von einem Königssohne,

Minervens Ebenbild, der keuschen Liebe Sitz,

Und alles, was jemals, Natur, Verstand und Witz

Nur herrliches gezeugt, nur schönes kann erdenken,

Ins Haus, ins schwarze Haus der bleichen Schaar versenken.

Ach! leider! allzuviel! zuviel auf einen Schlag!

Wer ist, der unsern Schmerz nur halb ergründen mag?

Und wer, der recht beschreibt, was unser König fühlet?

Wie dort, Euridice! dein Orpheus gespielet,

Wenn er des Morgens schon mit seiner Zitter klang;

Wenn er des Abends noch von deiner Liebe sang;

So sieht man Friedrichen sich um Charlotten quälen:

So hört man seinen Mund ihr reiches Lob erzählen.

Ist, spricht er, in der Welt auch was Charlotten gleich?

An ihr allein hätt' ich ein ganzes Königreich.

Ihr Auge war geschickt, auch Feinden zu gefallen!

Ihr holder Mund ein Sitz von tausend Nachtigallen.

Und dennoch stirbet sie: und dennoch muß ich thun,

Was ich von ihr gehofft, wenn ich einst würde ruhn.

Ists möglich? Hier verschmacht das Wort ihm auf den Lippen:

Er ächzt, er stehnet nur. Wie, wenn an harten Klippen

Ein starkes Schiff anstößt, und zwar nicht ganz zerschellt;

Doch aber mit Gewalt ins Meer zurücke prellt:

Alsdann der Steuermann die müde Hand läßt sinken,

Das Ende seiner Pein, den bittern Tod zu trinken:

So scheinet es euch hier. Allein, ich sag: es scheint;

Denn da der große Fürst vor Angst zu sterben meynt,

So kommt die schnelle Post: Turin muß unterliegen,

Wo Friedrichs Truppen ihm nicht gleich zu Hülfe fliegen.

Alsbald ermuntert sich sein halb erloschner Geist:

Der Held wacht wieder auf. Er hört, er winkt, er weist,[274]

Und endlich bricht er los: Was? Will mein krankes Stehnen,

Da man um Ehre kämpft, mich an den Schlaf gewöhnen,

Und Frankreich Dienste thun? Nein! nein! des Reiches Flor

Geht Leichen, geht Verlust, geht meinen Schmerzen vor.

Eilt! Helden! die wir längst zu dieser That erwählet!

Theilt so viel Wunden aus, als man hier Seufzer zählet!

Ich lege meinen Schatz und viel mit ihr ins Grab,

Wischt durch der Feinde Schimpf mir meine Thränen ab!

Charlotte fordert es. Charlotte, die gelebet,

Itzt tod ist, aber doch in euren Herzen schwebet.

Gesagt, und auch geschehn. Die Truppen eilen fort,

Ich seh' von ferne schon den Ueberwindungsort.

Ihr Dichter! sinnet nur auf neue Jubellieder!

Savoyen ist erlöst, und Preußen jauchzet wieder.

Mein König! dieses ist, was ich schon oft gesagt,

Daß nur ein Titus war, der jedermann behagt,

Und nur ein Friedrich lebt, den alle Welt itzt liebet.

Man schau dich, wie man will, froh oder auch betrübet;

So bist du allzeit groß. Ein ander weint ja wohl;

Allein er weis alsdann nicht wie er herrschen soll.

Du weinst und herrschest auch: und beyderley geschiehet

Von dir mit solcher Art, als man von keinem siehet,

Der doch nur eines thut. Der König stralt und bricht

Aus jeder That hervor: und wer ist, der ihn nicht

Bey deiner Trauer findt? Charlotte hatte Gaben,

Die wenig einzeln kaum, die meisten gar nicht haben:

Allein du führst sie auch mit solcher Pracht dahin,

Herr! als begrübest du der Erden Königinn.

Sie war allein geschickt, dein Auge zu ergetzen:

Du bist allein geschickt, sie in die Gruft zu setzen.

Jedoch, was sag ich Gruft? Du bist allein geschickt

Zu überwinden, Held! was andre niederdrückt.

Viel würden, hätten sie nur halb so viel besessen,

Bey solcher Aenderung, Pflicht und sich selbst vergessen:

Du bleibst stets, der du bist; und da dein Herze sich[275]

Kaum für Betrübniß kennt, gehst du doch ordentlich

In allem deinen Thun, und läßt ein Grabmaal bauen,

Bey dessen Glanze man dich und zugleich kann schauen,

Wie viel du, Herr! begräbst. Eh' dieses kaum gethan,

So legt dein Eifer schon ein Haus der Tugend an;

Und zwar hier in Berlin, wo man nun alles lernet,

Was unsern Adel sonst reich nach Paris entfernet,

Und arm zurücke schickt: ja, wo an dir allein,

Held! mehr zu lernen ist, als alle Künste seyn.

Fürwahr das rechte Maaß in Lieb und Leid zu finden,

Im Felde schrecklich seyn, und hohe Schulen gründen,

Sind Dinge, die wohl nie auf einen Tag geschehn.

Und hier geschehn sie doch. Wir können nichts mehr sehn,

Was nicht auch seltsam ist, und andern, die es hören,

Als eine Fabel klingt. Stadt, Land und Reich vermehren,

Und Nachbarn Hülfe thun, ist viel; nicht aber hier:

Europa hoffet noch was größeres von dir.

Und ach! was sollte man von deiner Hand nicht hoffen,

Da, was kein Mensch gehofft, so herrlich eingetroffen?

Wie glücklich sind wir denn, da uns der Himmel schlägt,

Daß er die größte Last auf deine Schulter legt,

Die mehr vermag, als wir! Daß er den Theil genommen,

Der zu verlieren uns zwar schmerzlich angekommen;

Doch dir am schwersten fällt! Er straft uns ja wohl sehr;

Doch stund in seiner Hand noch mehr, und zehnmal mehr.

Denn hätt' er deinen Prinz, hätt' er ihm dich erkohren,

Hilf Gott! was hätten wir, was Kirch und Schul verlohren!

So leidest du mit uns, was wir allein verschuldt:

Du leidest mehr als wir; doch alles mit Geduld.

Ja, wenn ichs sagen soll, du thust es fast mit Freuden,

Damit dein Land nur nicht was mehrers dürfe leiden.

O ungemeiner Held! wer will sich unterstehn,

Mit dir das Sittenfeld des Trostes durchzugehn?

Quillt die Geduld aus Gott, wie sie wahrhaftig quillet;

So sieht man ja genug womit dein Herz erfüllet,[276]

Und überschüttet ist. Der Jammer, der dich beugt,

Ist nur ein Spiegel, Herr! der deine Größe zeigt.

Denn wer bewundert nicht das, was du jüngst gesprochen?

Mein Kronprinz, war dein Wort, entschloß vor wenig Wochen,

Nach Engelland zu gehn. Doch seht! er läßt es seyn:

Und seine Mutter zieht ins Land der Engel ein.

Genug zu deiner Ruh! gnug zu Charlottens Ehre!

Dein Herz hat obgesiegt durch diese Glaubenslehre.

Ich selber werd entrückt, und weis nicht wo ich bin,

Ich sehe noch einmal die große Königinn.

Ich seh die Majestät, die nie ein Kind betrübte;

Ich seh' den hohen Geist, der doch die Demuth liebte;

Die süße Freundlichkeit, die alle Welt durchdrang;

Mehr aber, Held! an dir, als aller Welt, bezwang:

Ich seh; allein weit mehr, als ich vor dem erblicket.

Ihr Kleid ist um und um mit Sternen ausgeschmücket:

Ihr Wohlseyn lauter Licht, und ein, ich weis nicht, was,

Das Paulus zwar gehört, bald aber auch vergaß.

Aus dieser Herrlichkeit, zu der man uns muß treiben,

Ruft sie mir gütig zu: Schreib, wenn du ja willst schreiben:

Hier liegt Charlottens Leib, an dem sie nichts ergetzt,

Als daß ihn Friederich der Liebe werth geschätzt.

Der Geist herrscht allbereit auf einem höhern Throne;

Doch, willst du ihn noch sehn, so such ihn in dem Sohne!


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 239-277.
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