Des II Theiles II. Abschnitt.
Von Gedichten, die in neuern Zeiten erfunden worden.
Das I. Hauptstück.
Von allerley kleinen Liedern, als Madrigalen, Sonnetten und Rondeaux, oder Kling- und Ringelgedichten

[525] 1. §.


Wenn ich hier von den neuerfundenen Liedern und Gesängen der europäischen Völker handeln will: so ist es meine Meynung nicht, von allen Arten derselben zu reden, die entweder von den Provenzaldichtern, oder wälschen Poeten, in unsäglicher Menge ausgehecket worden, und die man im Crescimbeni und dem Muratori DELLA PERFETTA POESIA, imgleichen in des Anton Minturni ARTE POETICA, die 1725. zu Neapel in 4. herausgekommen ist, beschrieben lesen kann. Meine Absicht ist nur von denen wenigen Arten zu handeln, die auch bis nach Deutschland gekommen sind, und einigen Beyfall gefunden haben. Auch ist es meine Meynung nicht, alle Erfindungen unserer Meistersänger in ihren verschiedenen ja unzähligen Weisen, oder Tonen zu erzählen; wovon Wagenseil einen ziemlichen Theil, in seinem Buche von ihrer Kunst, namhaft gemachet und beschrieben[526] hat. Ich könnte diese seine Nachrichten freylich um ein großes vermehren, wenn ich aus den 25. bis 30. Bänden alter geschriebener Meistersänger Lieder, die ich aus des sel. Gottfried Thomasius zu Nürnberg, Verlassenschaft, käuflich an mich gebracht, Auszüge machen wollte. Allein da diese Arbeit für Anfänger keinen Nutzen haben würde: so verspare ich sie in mein größeres Werk von der Geschichte der deutschen Sprache und Poesie; dahin solche historische Nachrichten mit besserm Rechte gehören.

2. §. Das kürzeste und kleinste Stück, der neuern lyrischen Poesie ist sonder Zweifel das Madrigal; dessen Namen und Art wir Deutschen von den Wälschen, diese aber, ihrem eigenen Geständnisse nach, von den Provenzalpoeten bekommen haben. Die erste Frage ist, was das Wort Madrigal eigentlich bedeute? Und davon sind verschiedene Meynungen. Bembus (PROS. L. 2.) führet zwo an, deren er keine der andern vorzieht. Die erste ist, Madrigal hieße gleichsam Material; weil nämlich die ersten Lieder dieser Art, von groben, schlechten, niedrigen und verächtlichen Sachen verfertiget worden: und die ser Meynung giebt Joh. Bapt. Doni, (COMP. DEL TRATT. DE MODI DELLA MUS. p. 113.) Beyfall. Die zweyte ist, daß Madrigal von Mandre, d.i. einen Schäfer in der Provenzalsprache herkomme: weil es anfänglich lauter Schäfer- oder Hirtenlieder, von Wäldern und Heerden, und andern verliebten Schäferbegebenheiten gewesen. Und da bemerket Joh. Bapt. Strozzi, in seinen Lectionen über das Madrigal, p. 195. daß Petrarcha, Boccaccio, u.a.m. in ihren Madrigalen, von nichts, als Flüssen, Thälern, Pflanzen, und andern bäurischen Sachen geredet haben: ja selbst Trissino, Dolce, Minturno und Menage, sind dieser Meynung. Crescimbeni pflichtet ihr gleichfalls bey: aber alle diese Herren sagen uns nicht, wo sie die Sylbe gal herbekommen? Sie können es auch, ohne die Kenntniß des Deutschen, nicht thun. Ich habe oben schon erinnert, daß der erste Provenzaldichter, Gottfried Rudel, ein Deutscher[527] gewesen seyn muß, von dem die übrigen die Kunst zu reimen gelernet. Dieser Deutsche hat nun sonderzweifel auch das Wort Gall, oder Hall, Schall aus seiner Muttersprache gewußt, welches wir noch in Nachtigall, in gällen u.d.gl. haben. Dieses hat er nun mit dem Worte Mandre, ein Schäfer, welches wohl gar aus dem Deutschen, Mann, seinen Ursprung haben mag, zusammengesetzet, so daß es ein Männergall, oder Schäferlied hat heißen sollen. Denn daß andre es von MADRE DELLA GALA, MADRE GALANTE, oder DELLA GAYA, oder, wie Ferrarius (in ORIG. LINGU. ITAL.) von dem Spanischen MADRUGAR, früh aufstehen, herleiten wollen; das sind bloße Anspielungen, die keine Aufmerksamkeit verdienen.

3. §. Die ersten Madrigale sind nicht unter sechs, und niemals über eilf Verse lang gemachet worden; und also die kleinste Art von Liedern gewesen. Doch hat man sie damals aus lauter gleich langen eilfsylbigten Versen gemacht: wie Crescimbeni bezeuget. Allmählich aber ist man so wohl von der Zahl der Zeilen, als von ihrer gleichen Länge abgewichen, und diesen Exempeln der Neuern sind auch unsere Deutschen gefolget. Nur diese Unbequemlichkeit entstund daraus, daß bey der unendlichen Abwechselung, die sich nunmehr in den Madrigalen fand, die alten Melodien sich nicht mehr darauf schicketen: daher denn so zu reden jedes neue Madrigal, eine eigene Singweise foderte. Weil nun nicht alle Dichter Tonkünstler waren, sich selbst neue Melodien zu machen: so wurden eine Menge ihrer Madrigale gar nicht in Noten gesetzet, und folglich auch nichts gesungen. Und so ist es sonderlich in Deutschland gegangen. Italienische Madrigale in Noten gesetzt, habe ich selber im Drucke.1 Allein in einer großen Menge deutscher in Noten gesetzter und gedruckter[528] Lieder, die ich besitze, finde ich kein einziges Madrigal. Ja in allen unsern Anweisungen zur Dichtkunst, habe ich es noch nirgends erwähnet gefunden, daß Madrigale eigentlich zum Singen erfunden worden. Indessen ist es nicht anders: und ich glaube gar, daß die kleinen Chansons der Franzosen, die nur Lieder von einer Strophe sind, und aus ungleich langen Zeilen bestehen, nichts anders als Madrigale sind, und billig so heißen sollten. Caspar Ziegler hat bey uns ein ganzes Büchlein von Madrigalen 1653 herausgegeben, welches auch 1685 wieder gedrucket worden. Martin Kempe und Ernst Stockmann haben auch gute Madrigale geschrieben: und auch bey andern unserer Dichter kommen derer eine Menge vor.

4. §. Will man die Natur und Regeln der Madrigale wissen: so merke man kürzlich folgendes. 1) Soll ein Madrigal, nach der ersten Erfindung, mehrentheils von schäfermäßigem, oder doch verliebtem Inhalte seyn. Käme es hoch, so könnte sonst ein galanter, oder doch lustiger und scharfsinniger Einfall darinn ausgedrücket werden. Denn mir kömmt es vor, ein Madrigal sey bey den Neuern das, was die anakreontischen Oden bey den Alten gewesen. 2) Mache man das Madrigal mehrentheils in jambischen Versen; wie alle unsere deutsche Vorgänger gethan haben. 3) Lasse man es nicht unter sechs, und nicht leicht, auch nicht viel über eilf Zeilen lang seyn; höchstens zu 13 bis 15 Zeilen hinauf steigen. Denn da es nur eine Singstrophe vorstellen soll: so möchte sonst die Weise zu lang und beschwerlich fürs Gedächtniß werden. 4) Mache man die Zeilen in der Länge nicht gar zu ungleich; das ist, keine unter sechs, und keine über eilf Sylben. Einige unserer Poeten haben dawider verstoßen, und bald viersylbige, bald wieder zwölf und dreyzehnsylbige Verse unter einander laufen lassen. Allein welch ein Uebelstand ist das nicht? 5) Lasse man die Reime zwar mit einander wechseln, aber auch nicht zu weit von einander ausschweifen: denn wenn drey, vier, oder mehr andere Zeilen darzwischen kommen,[529] so hat man sie vergessen; und merket es nicht mehr, ob sie sich reimen, oder nicht. 6) Ist es erlaubt, zuweilen, eine, oder zwo Zeilen ungereimt mit unterlaufen zu lassen; als ob es aus Versehen geschehen wäre. Und 7) muß man den zehn und eilfsylbigten Versen nach der vierten Sylbe einen Abschnitt machen. Ein Exempel aus Zieglern mag die Sache klar machen:


Ich frage nichts, nach allen Lästerkatzen,

Sie speyen auf mich los,

Und dichten was sie wollen:

Ich werde dennoch groß.

Ihr Geifer kann nicht haften,

Die Unschuld bleibt in ihren Eigenschaften,

Sie sollen mich in solcher Blüthe sehn,

Daß ihnen noch die Augen wässern sollen:

Und das soll bald geschehn!

Denn wenn mich erst die Lästerzungen stechen,

Fang ich erst an, mich recht hervorzubrechen.


5. §. Man wird wohl ohne mein Erinnern wahrnehmen, daß dergestalt in dieser Art von Liedern eine große Freyheit herrschet: und eben diese Freyheit ist einigen Dichtern so reizend vorgekommen, daß sie sich der madrigalischen Verse auch in viel längern Gedichten, und die gar nicht zum Singen bestimmet waren, bedienet haben. So hat im Französischen Herr von Fontenelle seine Schäfergedichte, und der Abt Genest seine Philosophie in dieser ungebundenen Art geschrieben. Die Engländer haben sich darein gleichfalls verliebet, und theils große Oden oder Singgedichte in ungleichen madrigalischen Strophen, theils andere kleinere Stücke, in dieser wilden Versart abgefasset. Bey uns hat sich schon im vorigen Jahrhunderte Wagner die Freyheit genommen, sein TER TRIA, aus dem Englischen des Teate so regellos zu verdeutschen; und endlich hat sich auch der sel. Brockes in dieselbe so sehr verliebet, daß er ganze Bände[530] voll solcher Gedichte drucken lassen; ja wohl gar Werke der Ausländer, die in richtigen gleichlangen Versen waren, als Thomsons vier Jahreszeiten, und Popens Versuch vom Menschen, in diese Poesie der Faulen, die lang und kurz durch einander laufen läßt, übersetzet hat. Wie indessen nicht leicht eine Neuerung ohne Nachfolger bleibt, sie sey so schlecht, als sie wolle: so hat es auch Brocksen nicht daran gefehlet. Ich kann es aber nicht leugnen, daß mir eine so libertinische Dichtungsart im geringsten nicht gefällt; weil sie weder dem Ohre noch dem Gemüthe dasjenige Vergnügen bringt, das ein wohlabgemessener ordentlicher Vers ihm bringt. Und was ist es wohl für eine Kunst, dergleichen Gemenge ungleicher Zeilen durch einander laufen zu lassen, wie ein Hirt großes und kleines Vieh zum Thore hinaus treibt?

6. §. Ich schreite zu den Sonnetten. Auch diese sind eine Erfindung der Provinzialdichter, und von diesen nach Wälschland, von da aber zu uns, und nach Frankreich gekommen. Auch dieses zähle ich zu den Singgedichten, wozu es eigentlich erfunden worden, ungeachtet unsere poetischen Anweisungen bisher kein Wort davon gewußt. Ich habe aber die Italiener auf meiner Seite; die es einhällig gestehen: und selbst der deutsche Namen eines Klinggedichtes, wie es die Unsrigen zu geben pflegen, hätte sie darauf bringen können; daß es zum Klingen und Singen gemachet worden. Aus diesem Begriffe folgen nun auch die Regeln, des Sonnets, welche sonst so willkührlich aussehen, und so schwer zu beobachten sind, daß Boileau, nicht ohne Wahrscheinlichkeit dichtet: Apollo habe dasselbe bloß den Poeten zur Plage ausgedacht:


ON DIT À CE PROPOS, QU'UN JOUR CE DIEU BIZARRE,

VOULANT POUSSER À BOUT TOUS LES RIMEURS FRANÇOIS,

INVENTA DU SONNET LES RIGOUREUSES LOIX:

VOULUT, QU'EN DEUX QUATRAINS, DE MESURE PAREILLE,[531]

LA RIME AVEC DEUX SONS FRAPPAT HUITFOIS L'OREILLE;

ET QU'ENSUITE SIX VERS ARTISTEMENT RANGEZ,

FUSSENT EN DEUX TERCETS PAR LE SENS PARTAGEZ.

SUR TOUT DE CE POEME IL BANNIT LA LICENCE,

LUI MÊME EN MESURA LE NOMBRE & LA CADENCE;

DEFENDIT, QU'UN VERS FOIBLE Y PUT JAMAIS ENTRER,

NI QU'UN MOT DEJA MIS, OSOIT S'Y REMONTRER.

DU RESTE IL L'ENRICHIT D'UNE BEAUTÉ SUPREME.


So wenig Licht nun diese Beschreibung einem, der es noch nicht kennet, vom Sonnette geben wird: so wenig ist es auch gegründet, wenn er hinzusetzet:


UN SONNET SANS DEFAUT, VAUT SEUL UN LONG POEME.


7. §. Crescimbeni hat in seiner ISTORIA, in ganzen sechs Capiteln bloß vom Sonnette gehandelt, und alle Kleinigkeiten und Veränderungen, die dasselbe betroffen haben, mit Sorgfalt angeführet. Es erhellet aber kürzlich so viel daraus, daß weder die Erfinder desselben in der Provence, noch die ältesten Italiener, als Dantes, anfänglich diese Art Lieder so gar genau in gewisse Regeln eingeschränket. Weder die Zahl noch Länge der Zeilen, noch die Abwechselung der Reime war dazumal recht bestimmet, bis Petrarch durch seine verliebten Lieder auf die Laura, die fast lauter Sonnette waren, dem Dinge seine rechte Ordnung gab. Vermuthlich hat er ein paar beliebte Melodien auf die ersten seiner Sonnette gehabt; denen zu Gefallen er hernach alle übrige gemachet. Ihm aber sind hernach alle übrige Dichter mehrentheils gefolget. Es ist also schon der Mühe werth, ein Muster von seiner Arbeit anzuführen; wozu ich gleich das erste nehmen will, das gleichsam eine Vorrede zu allen übrigen ist:


VOI, CH'ASCOLTATE IN RIME SPARSA IL SUONO,

DI QUEI SOSPIRI, ONDE IO NUDRIVA IL CUORE,

IN SUL MIO PRIMO GIOVENIL ERRORE,

QUANDRO ERA IN PARTE ALTRE'HUOM, DA QUAL CH'IO SONO.[532]

DEL VARIO STILE IN CH'IO PLANGO, & RAGIONO,

FRA LE VANE SPERANZE, E'L VAN DOLORE,

OVE SIA, CHI PER PROVA INTENDA AMORE,

SPERO TROVAR PIETÀ, NON CHE PERDONO.

MA BEN VEGGI'HOR, SI COME AL POPOL TUTTO,

FAVOLA FUI GRAN TEMPO; ONDE SOVENTE,

DI ME MEDESMO MECO MI VERGOGNO:

ET DEL MIO VANEGGIAR VERGOGNA E'L FRUTTO,

E'L PENTIRSI, E'L CONOSCER CHIARAMENTE,

CHE QUANTO PIACE AL MONDO È BREVE SOGNO.


8. §. Aus diesem Exempel nun können wir die Regeln eines rechten Sonnettes abnehmen. Es besteht 1) aus vierzehn Zeilen, und darf weder mehr, noch weniger haben. 2) Diese Zeilen müssen alle gleich lang seyn; zumal im Wälschen, wo man lauter weibliche Reime machet. Im Deutschen hergegen, kann es seyn, daß die, mit männlichen Reimen, eine Sylbe weniger bekommen. 3) Müssen sonderlich die langen Verse dazu genommen werden: welches bey den Wälschen die eilfsylbigten, bey uns und den Franzosen aber die alexandrinischen sind. 4) Müssen dieselben vierzehn Zeilen, richtig in vier Abschnitte eingetheilet werden; davon die ersten beyden, jeder vier, die beyden letzten aber, jeder drey Zeilen bekommen. 5) Müssen die zwo ersten Abschnitte einander in den Reimen vollkommen ähnlich seyn, ja in acht Zeilen nicht mehr als zwey Reime haben: so daß sich einmal der erste, vierte, fünfte und achte, sodann aber der zweyte, dritte, sechste und siebente mit einander reimen. Endlich 6) müssen die drey und drey im Schlusse sich wieder zusammen reimen; doch so, daß man einige mehrere Freyheit dabey hat. Indessen lehret mich auch hier das Beyspiel des Petrarcha, daß auch diese beyden Dreylinge auf einerley Art ausfallen müssen, damit man sie auf einerley Melodie singen könne. Denn kurz und gut: die zwei ersten Vierlinge müssen nach der ersten Hälfte der Singweise, die, wie gewöhnlich, wiederholet wird; die zwey[533] letzten Dreylinge aber nach der andern Hälfte der Melodie, die gleichfalls wiederholt wird, gesungen werden können. Dieß ist der Schlüssel, zu allen obigen Regeln.

9. §. Nach diesen Regeln nun haben sich unsere deutschen Dichter auch gerichtet; sonderlich die Alten, die eine große Menge von Sonnetten gemachet haben, ohne daß vieleicht ein einziges jemals gesungen worden. Opitz, Flemming, Mühlpfort, Sieber, Gryph, Kiene, u.a.m. haben ganze Bücher voll geschrieben; davon ich ein paar zu Mustern hersetzen muß. Denn da wir im Deutschen männliche und weibliche Reime zu vermischen pflegen; so entstehen auch zweyerley Arten bey uns, die sich bald mit einem weiblichen, bald mit einem männlichen Reime anfangen. Sie brauchen auch alle die sechsfüßigen Jamben, anstatt der eilfsylbigten der Italiener. Ich bleibe bey Flemmingen, und dieß erste ist dem petrarchischen vollkommen ähnlich:


Sonnet, an sich selbst:

Sey dennoch unverzagt! gib dennoch nicht verlohren!

Weich keinem Glücke nicht! steh höher als der Neid!

Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,

Hat sich gleich wider dich, Glück, Zeit und Ort verschworen.


Was dich betrübt und labt, halt alles für erkohren;

Nimm dein Verhängniß an, laß alles unbereut,

Thu, was gethan muß seyn, und eh mans dir gebeut,

Was du noch bessern kannst, das wird noch stets gebohren.


Was klagt, was lobt man dich? Sein Unglück und sein Glücke,

Ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an,

Dieß alles ist in dir: laß deinen eiteln Wahn,

Und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist, und sich beherrschen kann,

Dem ist die weite Welt, und alles unterthan.[534]


Dieses Sonnet hat nur einen Fehler: daß nämlich, bey der dritten Zeile der zweyten Hälfte, der völlige Sinn nicht aus ist, sondern sich erst mit der folgenden endet. Dieses würde im Singen einen großen Uebelstand machen; weil beym Schlusse der Melodie, der Verstand noch nicht befriediget wäre; welches doch von rechtswegen seyn soll, wie Petrarcha es auch sehr wohl beobachtet hat.

10. §. So gern ich noch eins, das ohne Fehler ist, finden will, so schwer ist mirs. Denn bald schließt der Verstand nicht mit der vierten, bald nicht mit der achten, bald nicht mit der eilften Zeile. Bald sind die letzten zwey Dreylinge, an Ordnung der Reime einander nicht gleich, u.s.w. Ich will also noch eins von eilfsylbigten Versen aus Flemmingen nehmen, ob es gleich auch von einer weiblichen Zeile anfängt. Es ist das XX. des andern Buches.


Auf eine Hochzeit.

Was thun wir denn, daß wir die süßen Jahre,

Der Jugend Lenz, so lassen Fuß für Fuß

Vorüber gehn? Soll uns denn der Verdruß

Der Einsamkeit noch bringen auf die Baare?


Sie kehrt nicht um, die Zeit, die theure Waare!

Bewegt uns nicht, das was man lieben muß,

Die Höflichkeit, der Muth, die Gunst, der Kuß?

Die Brust, der Hals, die goldgeschmiedten Haare?


Nein, wir sind Fels, und stählern noch als Stahl,

Bestürzt, verwirrt; wir lieben unsre Quaal,

Sind lebend todt, und wissen nicht was frommet.


Dieß einige steht uns noch gänzlich frey,

Daß wir verstehn, was für ein gut Ding sey,

Das uns stets fleucht, und das ihr stets bekommet.[535]


Dieses wäre nun wohl so ziemlich zur Musik bequem: außer, daß der Sinn aus der zweyten Zeile, bis in die dritte geschleppet wird: welches im Singen übel klappen würde. Ueberhaupt kömmt es bloß daher, daß unter vielen hundert Sonnetten, kaum ein vollkommenes anzutreffen ist, daß die Poeten es nicht gewußt, daß ein Sonnett zum Singen gemachet werden müsse. Da wir sie aber bey uns niemals singen: so sehe ich gar nicht ab, warum ein Poet sich quälen soll, einem solchen Zwange ein Gnügen zu thun, da man viel leichtere Versarten hat, die eben so angenehm sind.

11. §. Ehe ich aufs Rondeau, oder das Ringelgedicht komme, muß ich noch anmerken, daß Mühlpfort auch in vierfüßigen Versen ein Sonnet gemachet. Es ist gleich das zweyte unter seinen Sonnetten; und würde selbst durch die Beyspiele der Wälschen, zu rechtfertigen seyn: wenn es nur durchgehends sich ähnlich, und in den letzten sechs Zeilen nicht fehlerhaft wäre. Die ersten acht Zeilen sind nämlich allen Regeln gemäß und lauten also:


Abendgebeth.

Das Licht vergeht, die Nacht bricht an,

Verzeihe Gott! die schweren Sünden;

Die mich, als wie mit Stricken binden,

Daß ich nicht vor dich treten kann.


Ich habe leider deine Bahn

Der Heiligkeit nicht können finden:

Weil ich stets auf den Wollustsgründen,

Bin hangen blieben mit dem Kahn.


Allein nun kömmt das falsche:


Ein Irrlicht hat mich so verführt,

Das mir die Welt hat aufgestecket,[536]

Ich habe nie die Lust gespürt,

Bis daß ich mich mit Koth beflecket.

Gedenke nicht, o Herr! der Sünden meiner Jugend,

Ich wende mich hinfort zur Frömmigkeit und Tugend.


Hier sieht ein jeder, daß sich drey und drey Zeilen unmöglich nach derselben zweyten Hälfte einer Melodie würden singen lassen. Noch viel fehlerhafter sind die sogenannten Sonnette, die König bey seiner Ausgabe von Kanitzens Gedichten bin und wieder eingeflicket: denn er hat weder alle diese Regeln, noch die allergemeinste und leichteste, daß ein Sonnet 14 Zeilen haben muß, beobachtet. Andere wunderliche Veränderungen der Sonnette, entweder durchgehends mit einerley, oder ohne alle Reime, deren Omeis in seiner Dichtkunst gedenket, übergehe ich mit Fleiß; weil sie billig in keine Betrachtung kommen.


12. §. Das Rondeau selbst anlangend, so ist dasselbe nicht von wälscher oder alter provenzalischer, sondern von französischer neuerer Erfindung. Außer dem, daß Voitüre dergleichen eine gute Anzahl gemachet hat, wie man bey seinen Briefen angehenket finden wird: so hat man auch die Verwandlungen Ovids, in französischen und deutschen Rondeaux, oder Ringelgedichten erkläret, die zu Nürnberg 1698. in 8. mit Figuren herausgekommen sind. Auch diese sind eigentlich im Anfange zum Singen bestimmt gewesen. Wir wollen zum Muster eins aus der alten Welt vom Marot nehmen, und zwar dasjenige, so er an Kaiser Karl den V, auf seinen Abschied aus Paris gemachet, wo er König Franz den I, nach seiner Erledigung aus der Gefangenschaft besuchet.


L'Adieu de France à l'Empereur.

ADIEU CESAR! PRINCE BIEN FORTUNÉ,

DE VRAI HONNEUR PAR VERTU COURONNÉ.

ADIEU LE CHEF DE LA NOBLE TOISON,[537]

AU DEPARTIR DE LA PROPRE MAISON,

DONT LE BON DUC, TON GRAND AYEUL, FUT NÉ.

QUAND JE T'AURAI CENT FOIS À DIEU DONNÉ,

ET À GRAND DUEIL DES YEUX ABANDONNÈ,

LE COEUR FERA, POUR TOI SON ORAISON.

ADIEU CESAR!

LE SUPPLIANT, QU'UN JOUR JA ORDONNÈ,

TE VOYE ICI DES TIENS ENVIRONNÈ:

J'ENTEND DES TIENS, QUI SONT MIENS PAR RAISON,

OR J'ATTENDRAI CETTE HEUREUSE SAISON,

EN GRAND DESIR, QUE TU SOIS RETOURNÈ.

ADIEU CESAR!


13. §. Aus diesem Exempel wollen wir nun die Regel des rechten Ringelgedichtes herleiten. Man sieht zuförderst, daß selbiges nicht mehr, als dreyzehn einsylbigte Zeilen hat, deren fünf im Anfange, und fünf am Ende, einen besondern Verstand ausmachen; drey aber in der Mitte abgesetzet werden, und wieder ihren eigenen Sinn haben. 2) bemerket man, daß in dem ganzen Gedichte nicht mehr, als zweyerley Reime sind; die aber in dem ersten und letzten fünfzeiligten Stücke auf einerley Art abwechseln; so daß dieselben nach einer Melodie gesungen werden können: das Mittelstück aber für sich den ersten Reim zweymal, und den andern, einmal haben muß. 3) Endlich sieht man, daß der Anfang, von vier Sylben, oder zwey Jamben, nach deutscher Art zu reden; für sich einen Verstand haben, und so wohl nach dem dreyzeiligten Mittelstücke, als ganz am Ende wiederholet werden muß. Wer sieht nun nicht, daß auch dieses Gedicht der Musik zu gut erfunden worden? Die erste Hälfte der Melodie muß auf fünf Zeilen zulangen; und dabey muß sich der Verstand schließen. Die andere Hälfte langet auf drey Zeilen; und um anzuzeigen, daß man nun die erste Hälfte noch einmal wird singen müssen: so werden auch die Anfangsworte wiederholet. Sodann folget der[538] Beschluß nach der Melodie der ersten Hälfte; und sodann wiederholet man die Anfangsworte noch einmal, dadurch es denn zu einem völligen Ringelgedichte wird. Nichts ist nunmehr begreiflicher, als alle diese Regeln, die bisher noch von keinem unserer Dichter gehörig eingesehen worden; und also ganz willkührlich und abgeschmackt ausgesehen haben. Rotthe, Omeis, und Menan tes, wissen nichts davon zu sagen, als daß ein Rondeau aus dreyzehn Zeilen bestehen, und sowohl nach der achten, als letzten Zeile den Anfang wiederholen müsse: dadurch man auf den Wahn verfällt, daß es nur aus zwey Theilen, einem achtzeiligen Rumpfe und fünfzeiligen Schwanze bestehe; davon man aber wieder keinen Grund einsieht. Vielweniger kann man daraus die Ordnung der Reime begreifen, die sie einem vorschreiben, wenn es heißt, daß sich die 1. 2. 5. 6. 7. 9. 10 und 13 Zeile; und hernach wieder die 3. 4. 8. 11. und 12 Zeile reimen müsse.

14. §. Da ich nun den Grund der Erfindung, aus der Beobachtung der ältesten Muster, glücklich entdecket: so wird man daraus leicht sehen, daß viele Rondeaux, die man in unsern Dichtern antrifft, eben so fehlerhaft sind, als die Sonnette oben befunden wurden. Doch ist dasjenige, was Omeis anführet, wenn ich es nach der rechten Art schreibe, ganz richtig gerathen.


Es ist vollbracht! der Schatten ist vergangen,

Es liegt zerknirscht, das Haupt der alten Schlangen,

Der Höllen Thor hat Simson umgekehrt,

Und Michael das feste Schloß zerstört,

Darinn der Mensch lag auf den Tod gefangen.


Es schäumt der Drach in Ketten und in Zangen,

O Siegeswort! davon wir Trost erlangen,

Das man am Kreuz von Christo hat gehört:

Es ist vollbracht![539]

Herr! steh mir bey, wenn endlich meine Wangen,

Vom Todtenhauch erblasset sollen hangen:

Wann meine Seel nun aus dem Kerker fährt;

So laß auch mich, im Glauben unversehrt,

Und freudenvoll, mit deinem Letzwort prangen:

Es ist vollbracht!


Eins ist hier nur zu bemerken, darinn dieß Ringelgedicht von dem französischen abgeht: nämlich daß dieses lauter männliche Reime hatte, das deutsche aber dieselben mit weiblichen abwechselt. Allein daß jenes im Französischen keine Regel sey, zeigen viele andere in eben dem Marot, und in andern Dichtern, die gleichfalls gewechselt haben. Und eben daraus erhellet auch, daß man eben sowohl mit einem männlichen Reime anfangen könne, wann nur das übrige hernach in eben der Ordnung beybehalten wird.

1

Z.E. Eins führt den Titel: LIBRO I. DE MADRIGALI, A CINQUE VOCI, COL BASSO CONTINUO, & SUOI NUMERI, DEL SIGNOR GIO. GIROLAMO KAPSPERGER, NOBILE ALLEMANNO. RACCOLTI DAL SIGN. CAVALLIER MARCANTONIO STRADELLA. IN ROMA. 1608 in kl. fol.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 540.
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