Des II. Abschnitts II. Hauptstück.
Von allerley neuen Arten größerer Lieder, als Ringeloden, Sechstinnen und Gesängen.

[540] 1. §.


Nach dieser letzten Art hat man auch andere Ringeloden im Deutschen zu machen versuchet, und verschiedene Arten derselben auf die Bahn gebracht. Denn theils hat man am Ende jeder Strophe die erste Zeile derselben wiederholet. Ein Exempel mag mir Philander von der Linde geben. Es steht in seiner Unterredung von der Poesie a.d. 227. S.


1.

Lieben hab ich zwar verredt,

Aber nicht verschworen.

Weil die Liebe Schmerzen bringet

Und nach Wunsche nicht gelinget,

Mag ich nicht: jedoch ich muß

Wenn zuletzt des Himmels Schluß

Mir was auserkohren.

Lieben hab ich zwar verredt,

Aber nicht verschworen.


2.

Meine Freyheit steht mir an,

Doch nur eine Weile:

Denn es kommen doch die Stunden,

Da die Seele wird gebunden.

Und voll süßer Fessel ist.[541]

Daß mit diesem was mich küßt,

Ich mein Herze theile.

Meine Freyheit steht mir an,

Doch nur eine Weile.


3.

Lieben hab ich zwar verredt,

Aber nicht verschworen.

Soll mich endlich was vergnügen,

Mags der Himmel glücklich fügen.

Spielt die Hoffnung wunderlich

Ey! so ist sie doch für mich

Auch nicht ganz verlohren.

Lieben hab ich zwar verredt,

Aber nicht verschworen.


Die andere Art, wiederholt im Anfange jeder Strophe den Schluß der vorhergehenden; und dergestalt hängen die Strophen gleichsam wie die Glieder einer Kette an einander; der Schluß der letzten Strophe aber schließt auf den Anfangsworten des ganzen Liedes. Ein Exempel giebt Menantes in seiner gal. Poesie a.d. 119. S.


Erbarme dich, du Schönheit dieser Welt,

Und nimm von mir die Fessel meiner Seelen!

Wenn Stahl und Eis dein Herz umschlossen hält,

Durch Sclaverey mich auf den Tod zu quälen,

So denke nur, die Größe meiner Noth

Ist schon der Tod!

Ist schon der Tod ein Opfer deiner Lust, etc.


Und die letzte Strophe schließt so:


Mein Herz giebt nur den Seufzer noch von sich,

Erbarme dich![542]


Eben dergleichen kömmt auch auf der 175. u.f.S. vor, und hebt an:


Ergötze dich, befriedigtes Gemüthe,

An allem was der Himmel fügt. etc.


2. §. Fast zu eben dieser musikalischen Art gehören die Wiederhallslieder. Man versteht durch dieselben solche Lieder, die an Oertern gesungen werden können, wo das Echo die letzten Sylben jeder Strophe wiederholet; dieses aber dem Dichter Gelegenheit zu einem neuen Gedanken giebt, dem er in der folgenden Strophe weiter nachdenket. Denn ob wohl einige auch andere Arten von wiederhallenden Versen zu machen gelehret, die nicht gesungen werden können, und wo das Echo an keinen gewissen Stellen etwas wiederholet: so kommen mir doch dieselben viel unnatürlicher und abgeschmackter vor. Denn wer wird in einen Wald hintreten, um einen fertigen Vers so laut abzulesen, daß ihm das Echo antworten könne. Hergegen ein Lied, kann man schon so laut singen, daß der Wiederhall ertönen kann: und da Verliebte die Einsamkeit in Wäldern suchen; so ist es so ungereimt nicht, daß man ihnen auch solche Lieder mache, die zu guten Gedanken Anlaß geben. Das Muster will ich wieder aus dem Menantes, oder vielmehr Hrn. Neumeister nehmen. Es steht a.d. 253. S.


Wozu entschließt sich mein Gemüthe?

Wo findt mein Herz die beste Ruh?

Welch Glücke zeigt mir seine Güte?

Und welch Vergnügen deckt mich zu?

Doch was mir längst ist vorgeschrieben,

Das ist der freye Weg im Lieben.

Echo. Im Lieben!

Wie? artge Nymphe, willst du scherzen?

Und stimmest dem Entschlusse bey:[543]

Daß Lieben für galante Herzen

Das allerbeste Labsal sey?

So laß sich alles glücklich fügen,

Mich durch die Liebe zu vergnügen.

Echo. Vergnügen.

Vergnügen! doch nicht bloß durch Worte,

Die That muß selber Zeuge seyn etc.


Obwohl ich nun diese Erfindung an sich nicht verwerfe: so kömmt mir doch dieses etwas zu gezwungen vor, wenn der Verfasser, alle diese Schlußwörter seiner Strophen, zusammen genommen, einen besondern Sinn ausmachen läßt; als ob ihm nämlich die Waldnymphe die Sittenlehre, hätte zuruffen wollen: Im Lieben Vergnügen suchen, betrüget Thoren; ich (SCIL. hab es) erfahren: als nämlich Echo in den Wiederhall verwandlet worden. Denn dieses erhellet, aus der gewaltsamen und unerlaubten Auslassung, in dem letzten Nachklange: zugeschweigen, daß ein Echo, das zwo Sylben nachruffet, allemal dabey bleibet, und schwerlich drey, aber gewiß nicht vier nachruffen kann.

3. §. Noch eine weit gezwungenere Art von Liedern, haben die Provenzalpoeten, und Wälschen an ihren Sechstinnen eingeführet: wobey es aber auf nichts anders, als aufs Reimen, und die Wiederholung und Verwechselung der Reime ankömmt. Das Muster, das uns Crescimbeni davon giebt (L.I.p. 25.) ist vom 1560sten Jahre, von dem friaulischen Dichter Amalteo, und die erste Strophe lautet so:


L'AURA, CHE GIA DI QUESTO FRAGIL LEGNO,

HEBBE 'L GOVERNO, ET LA GUARDA DA SCOGLI,

OR ME CONTESA DA RABBIOSI VENTI,

E VER ME SENTO CONGIURATE L'ONDE

NE FRA TANTE PROCELLE SCORGO IL PORTO,

AND'IO PAVENTO A COSI LUNGO CORSO.[544]


Hier sieht man nun eine sechszeiligte Strophe, deren Verse sich gar nicht reimen: deren Schlußwörter aber in den folgenden fünf Strophen, denn soviele müssen noch dazu gemacht werden, wieder vorkommen; so daß das letzte davon, CORSO, gleich in die erste Zeile der folgenden Strophe kömmt; die andern aber wechselsweise, von oben und von unten folgen. In diesem Falle nämlich kommen die Reime der folgenden Strophen so.


CORSOVENTIPORTOONDESCOGLI

1.)LEGNO2).CORSO3).VENTIPORTOONDE

PORTOL'ONDESCOGLI4).LEGNO5).CORSO

SCOGLILEGNOCORSOVENTIPORTO

L'ONDESCOGLILEGNOCORSOVENTI

VENTI.PORTO.L'ONDE.SCOGLI.LEGNO.


Hier sieht man wohl, was einem Dichter von dieser tyrannischen Art der Ordnung der Reime, für ein hartes Joch auferleget wird: indem es nicht anders ist, als ob er lauter BOUTS-RIMEZ, zu machen hätte, wie er denn wirklich nicht Reime zu den Versen und Gedanken; sondern Gedanken und Verse zu den Reimen zu suchen hat. Ob sich nun dabey die Mühe verlohne, die man bey Anstrengung seines Witzes und der Erfindungskraft anwenden muß, das ist eine andere Frage. Der Wohlklang der Reime verliert sich ja durch ihre Entfernung und Vermischung ganz und gar: und in der That sind es nicht einmal Reime zu nennen, da nur jedes Wort in sechs Strophen sechsmal wiederholet wird, ohne daß sich ein anderes darauf reimet.

4. §. Vielleicht ist das die Ursache gewesen, warum andere, noch einen größern Zwang gesuchet, und in öfterer Wiederholung derselben Schlußwörter ihre Kunst bewiesen haben. Einige machten zwölfzeilige Sechstinnen, worinn ein Schlußwort z.E. DONNA, sechsmal mit andern Wörtern, als TEMPO, LUCE, FREDDO, PIETRA, vermischet ward, welche[545] bey den letztern auch zweymal wiederholet wurden. Andere blieben zwar bey sechszeiligten Strophen, brauchten aber jedes Schlußwort, z.E. DONNA und PIETRA, wechselsweise dreymal: so daß in der ganzen Sechstinne jedes Schlußwort achtzehnmal am Ende zu stehen kam. Ja weil sie noch die Zahl der Strophen zu verdoppeln für gut befanden: so kam sowohl DONNA als PIETRA jedes sechs und dreyßigmal darinnen vor. Was für ein Geklingel derselben Wörter, und was für ein Ekel der Ohren daraus entstanden, das kann sich ein jeder aus dieser Strophe vorstellen:


CHI NON SA BEN, COM'UNA FIERA DONNA,

L'ALTRUI MISERE MEMBRA VOLGA IN PIETRA:

MIRI IL GUARDO CRUDEL DE LA MIA DONNA,

CH'A FORZA DI CANGIAR CIASCUNO IN PIETRA.

ALMA NON È SI DI STESSA DONNA

CH'ELLA CON GLI OCCHI SUOI NON FACCIA PIETRA.


Eben so sehen alle eilf folgenden aus: und es scheint sowohl aus diesem, als aus vielen andern wälschen Erfindungen, die bloß aufs Reimen, und auf vieles und schweres, ja recht wunderliches und ekelhaftes Reimen hinauslaufen; daß die Köpfe der wälschen Dichter sich etliche Jahrhunderte hindurch, in lauter Reimregister verwandelt gehabt: ja daß keine Verse in der Welt, den Namen RIME, mit besserm Rechte verdienet haben, als die italiänischen; weil der bloße elende Reim eine geraume Zeit das Hauptwerk derselben geworden war.

5. §. Doch was soll ich von unsern deutschen Sechstinnen sagen? Diese sind gewiß noch künstlicher geworden, als die bisherigen wälschen: wie mich die Beyspiele in unsern Dichtern davon belehren. Im Christian Gryphius, der sonst noch einen ziemlich gesunden Geschmack hatte, finde ich auf der 900sten u.f.S. eins, darinn er das Haar, die Augen, die Wangen, die Lippen, den Hals und die Brust[546] des Frauenzimmers, um die Ehre des Vorzuges streiten läßt. Jedes von diesen Mitwerbern redet in sechs Zeilen, die sich alle reimen: und das folgende behält eben dieselben Reimwörter, so daß es von dem letzten der vorigen Strophe den Anfang machet; die übrigen aber in derselben Ordnung von oben herunter wiederholet. Ein paar Strophen machen die Sache klar: denn ganz mag ich das Papier damit nicht verderben:


Das Haar.

Wir fangen Geist und Seel und Leben, doch verschränket

Zu steter Dienstbarkeit; der Schmuck, so an uns henket,

Ist vieler Buhler Netz, wenn itzt die Locke tränket

Ein süßer Himmelsthau, und uns die Freyheit schenket,

Daß man sich Kerkerlos um beyde Brüste schwenket,

Und das erstarrend' Aug als wie ins Grab versenket.


Die Augen.

Hat jemals unsre Glut ein schwarzes Haar versenket,

Hat unsre Sonnen je der Locken Nacht verschränket,

Nein, wo der helle Stral von Diamanten henket,

Da quillt der Liebe Brunn, der tausend Herzen tränket,

Wir haben Sterbenden das Leben oft geschenket,

Wenn unser reizend Blitz die Siegesfahn geschwenket.


Die Wangen.

Hier ist der Rosen Feld, wo sich Cupido schwenket, etc.


Doch ein jeder kann sichs nun schon selbst vorstellen, was das für eine ekelhafte Monotonie, und für ein kindisches Geklapper, einerley, zumal lauter weiblicher Reime giebt; die der majestätischen Art unsrer Sprache nicht im geringsten gemäß sind. Gleichwohl sind alle die Exempel und Regeln, in unsern vollständigsten Anweisungen der Dichtkunst, auf eben den Schlag eingerichtet. Man sehe des Menantes gal. Poes. a.d. 262. u.f.S.[547]

6. §. Anstatt der großen Lobgesänge auf die Götter und Helden bey den Alten, die in heroischen Versen gemachet waren, und in einem fortgiengen; haben die neuern die langen Gesänge in eilfsylbigten, oder alexandrinischen Versen, von acht bis zehnzeiligten Strophen eingeführet. Die eilfsylbigten und achtzeiligten, mit wechselnden Reimen sind wohl zuerst von den Wälschen eingeführet, und werden OTTAVA RIMA genennet. Sowohl Ariost hat seinen rasenden Roland, als Tasso seinen Gottfried, in solchen Strophen besungen; und beyde nannten daher, eine größere Abtheilung des ganzen Gedichtes, die bey den Alten ein Buch geheißen haben würde, nur einen Gesang: weil in der That, ein Gedicht von lauter gleichen Strophen, nach einer und derselben Melodie gesungen werden könnte. Aus dem Tasso habe ich schon im ersten Theile einige Strophen angeführet: itzo will ich aus dem Ariost eine Probe geben. In der venetianischen Ausgabe von 1577. in 4. der ich mich bediene, lautet die erste Strophe so:


LE DONNE, I CAVALIER, L'ARME GLI AMORI,

LE CORTESIE, L'AUDACI IMPRESE IO CANTO;

CHE FURO AL TEMPO, CHE PASSARO I MORI

D'AFRICA IL MARE E IN FRANCIA NOCQUER TANTO,

SEQUENDO L'IRE, E I GIOVENIL SURORI

D'AGRAMANTO LOR RE; CHE SI DIE VANTE,

DI VENDICAR LA MORTE DI TROJANO,

SOPRA RE CARLO IMPERATOR ROMANO.


Hier sieht man nun, daß diese OTTAVA RIMA, im Anfange der Strophe jeden Reim dreymal wiederholet, und also mit zween abwechselnden Tönen sechs Zeilen schließt; hernach aber mit einem Dritten, die beyden letzten paaret. Und eben so ist auch der ganze Tasso, nicht nur in gewöhnlichen Ausgaben, sondern auch in der neapolitanischen Mundart, in welche man ihn 1689. übersetzet, nebst dem Grundtexte[548] in fol. zu Napoli herausgegeben. Weil dieß Stück seltsam ist, will ich auch die erste Strophe mittheilen:


CANTO LA SANTA MPRESA E LA PIATATE

CHAPPE CHILLO GRAN HOMMO DE VALORE

CHE TANTO FECE NE LA LIBBERTATE

DE LO SEBBURCO DE NOSTRO SEGNORE.

NÒ NCE POTTE LO NFIERNO, E TANT ARMATE

CANAGLIE NÒ LE DETTERO TERRORE

CA L'AJOTAIE LO CIELO, E DE CARRERA

L'AMMICE (E) SPIERTE ACCOUZE A LA BANNERA.


7. §. Wie nun unsere Deutschen zur Nachahmung gemacht und gebohren sind: also haben auch die Uebersetzer dieser zwey Heldengedichte es für ihre Pflicht gehalten, dieselbe Versart der Wälschen von achtzeiligten Strophen, beyzubehalten: nur so, daß sie die eilfsylbigten Verse der Wälschen in sechsfüßige Jamben verwandelten. Von diesem letzten will ich hier aus der 1651. herausgekommenen verbesserten Auflage Diederichs von dem Werder, die Uebersetzung beyfügen; da ich aus der ersten Ausgabe schon bey anderer Gelegenheit ein Muster gegeben.


Von Waffen sing ich hier, ich singe von dem Held,

Dem Held, der Christi Grab das werthe Grab erstritten,

Der mit Verstand und Hand, viel Sachen fortgestellt,

Der in dem großen Sieg auch trefflich viel erlitten;

Dem sich die Höll umsonst zuwider aufgeschwellt,

Auf den viel Heiden auch umsonst zusammen ritten;

Als er die Fürsten hat, aus GOttes Huld und Macht,

Bey ihr groß Kreuzpanier vereinigt erst gebracht.


Da nun dieser Zwang durch das ganze Gedicht hinaus, ohne Zweifel dem Uebersetzer viel Mühe gemacht; so ließ sich durch sein Exempel, das 1626. zuerst im Druck erschien,[549] der Dollmetscher des rasenden Rolandes nicht verführen. Er behielt zwar die achtzeiligten Strophen bey, wie er sie im Ariost fand; allein die dreyfachen Reime und die Abwechselung derselben stund ihm nicht an: vielmehr wählte er die heroischen mit abgewechselten männlichen und weiblichen, aber ungetrennten Reimen. Eine Strophe wird zeigen wie sie geklungen, als sie 1632. allhier in Leipzig zuerst ans Licht traten:


Von Frauen, Rittern, Lieb und Waffen will ich singen,

Wie auch von Höflichkeit und vielen tapfern Dingen,

Geschehen zu der Zeit, als mit gar großem Heer,

Die Moren schifften ran, durchs Africaner Meer;

Und thaten überall in Frankreich solchen Schaden.

Sie folgten Agramant dem König, der beladen

Von Zorn, noch rächen wollt, aus jungem stolzen Muth.

An Kaiser Karlen jetzt Trojani Tod und Blut.


8. §. Doch so geschickt und bequem diese Art von heroischen Gesängen war, so finde ich doch nicht, daß ihm ein einziger von unsern Dichtern des vorigen Jahrhunderts darinn gefolget wäre. Zwar Gesänge von sechszeiligten Strophen findet man hin und wieder: sonderlich in Bessern. Sein brandenburgischer Glückslöwe, den er 1684. auf Friedrich Wilhelms des Großen Geburtsfest gemachet, war von der Art: ich will aber lieber aus dem Gedichte auf die Krönung Friedrichs des Weisen, und ersten Königes, die Probe nehmen, wiewohl ihre Reime nicht in eben der Ordnung, als in der itztgedachten, folgen:


Nun, großes Königberg! nun wird an dir erfüllt,

Was du vor langer Zeit im Namen hast geführet,

Nun, Preußen! wird dir kund; was diese Krone gilt,

Mit welcher um den Hals dein Adler ist gezieret,

Da Friederich, dein Fürst, den Königsthron besteiget,

Und sein gesalbtes Haupt sich in der Krone zeiget.[550]


Ein jeder sieht wohl, daß man auf eben den Schlag auch mit weiblichem Reime hätte anfangen, und mit männlichen schließen können, wie selbst Besser bey andern Gelegenheiten gethan. Allein dieser hatte es auch vorher schon mit achtzeiligten Strophen versuchet; als er am Tage der brandenburgischen Erbhuldigung dieses III. Friedrichs 1688. seinen Gesang so anstimmete:


Will denn nun Brandenburg sich gar zu tode grämen?

Ist mit dem großen Pan, denn alle Hoffnung todt?

Nein! selbst der Himmel zeigt den Hafen unsrer Noth:

Der uns die Zuflucht heißt in Friedrichs Arme nehmen.

Ist Friedrich Wilhelm todt; lebt Friederich sein Sohn!

Das Bild von seinem Geist und seinem großen Herzen:

Und da er heut besteigt den väterlichen Thron;

Wie trösten wir uns nicht bey unsern langen Schmerzen!


Siehe auch das auf den Tod von Friedrichs erster Gemahlinn aus dem Hause Cassel: welches auch eine kleine Aenderung in den Reimen versuchet hat.

9. §. Nun folgte der Freyherr von Kanitz, der zwar in seinem Kampfe wider die Sünde hierinn Bessern folgete, aber auch selbst einen Gesang von zehnzeiligten Strophen, auf den Tod des Grafen von Dohna 1686. versuchete. Der Anfang lautet so:


Laß, mein beklemmtes Herz der Regung nur den Zügel,

Begeuß mit einer Fluth von Thränen diesen Hügel,

Weil ihn mein treuster Freund mit seinem Blut benetzt.

Auf dieser Stelle sank mein tapfrer Dohna nieder,

Hier war sein Kampf und Fall, hier starrten seine Glieder,

Als ein verfluchtes Bley die theure Stirn verletzt:

Das, eh der Sonnen Rad den andern Morgen brachte,

Ihn leider! gar zu bald zu einer Leiche machte.[551]


Dieses vortreffliche und bewegliche Stück nun, hat sonder Zweifel Neukirchen, der bald darauf nach Berlin gekommen, und einigen andern Dichtern zum Muster gedienet, daß sie verschiedene Gesänge von der Art verfertiget, die man in den Hofmannswaldauischen Gedichten antrifft. Weil aber Neukirch damals noch den Lohensteinischen Geschmack liebte, als er sie verfertigte: so habe ich sie in die Sammlung seiner Gedichte nicht mit gesetzet. Sie heben an: Der Geist der Poesie etc. Wir armen Sterblichen etc. Geiz, und Verschwendung hat etc. Der Affe der Natur etc. Der Zunder der Natur etc. Daß Himmel und Gestirn etc. und stehen alle im I. Theile der Hofmannsw. Ged. Auch vor dem II. Theile des Arminius wird man noch ein Beyspiel dieser Art finden. Doch hat er auch achtzeiligte Strophen versuchet, z.E. auf den Geheimen Rath von Fuchs, u.a.m. die aber auch noch von dem wilden Witze strotzen. Andere sind noch weiter gegangen, und haben auch zwölfzeiligte Strophen in solchen Gesängen versuchet, wie man im III. Th. der Hof. W. Ged. sehen wird; aber wenig Beyfall und keine Nachfolger gefunden. Pietsch aber hat die achtzeiligten Strophen mit ungetrennten Reimen in seinen schönsten Gesängen mit dem besten Erfolge von der Welt gebrauchet; worinn ihm denn viele neuere nachgefolget sind. Z.E. sein heroischer Gesang an den Prinzen Eugen von 1716. hebt so an:


O feuriger Eugen! wirkt dein entbrannter Muth,

Auch in dieß kalte Land? Ja, ja, die hohe Glut

Die deinen Geist bewegt, hat mich auch überwunden.

Mein Geist wird bandenlos, da du den Feind gebunden;

Der mich, wie schwach er sonst die matten Flügel regt,

Doch itzt vom Helikon auf Wall und Schanzen trägt,

Durch Dampf und Leichen führt, und mich dahin gerissen,

Wo unter Türkenblut mir meine Reime fließen.


10. §. In eben dieser Versart, hat Hr. Secr. Kopp, die neue Uebersetzung des Tasso, mit sehr gutem Erfolge[552] verfasset. Es wäre zu wünschen, daß auch Brockes seinen marinischen Kindermord auf eben diese ordentliche Art übersetzet hätte. Allein er hat sichs für erlaubt gehalten, die richtigen Strophen des Wälschen in unrichtige deutsche zu bringen, die bald sechs, bald acht, bald zehn Zeilen haben, und ihre Reime bald so, bald anders abwechseln: bloß, damit er in seiner Dollmetschung keine Zeile mehr, oder weniger bekommen möchte, als das Original hat. Hat aber Hr. Kopp dieses gleichwohl beobachtet; so müßte es auch im Marino angegangen seyn; wenn ja ein so schwülstiger Dichter übersetzet werden müssen. Allein Brockes war zu allen Licenzen sehr geneigt, und man könnte ihn den dithyrambischen Dichter unter uns nennen; weil wirklich solche ungebundene Versarten, bald von langen, bald von kurzen Strophen, und allerley Versen, ohne Regel und Ordnung diesen Namen verdienen. Ich sage dieses nicht, als ob er keine Exempel bey den Ausländischen, auch wohl gar bey den Griechen, vor sich gehabt hätte. Nein, diese haben auch Dithyramben, das ist, wilde Verse gemacht; ja Wälsche, Franzosen und Engländer haben STANCES IRREGULIERES, u.d.gl. gemachet. Allein, wir finden auch Bilderreime bey den Alten; und was für schlechtes Zeug ist nicht bey den Wälschen zu finden, wie man selbst im Muratori und Crescimbeni finden kann. Wer also Gesänge machen will, der muß die Strophen so gleich machen, daß sie nach einer Singweise gesungen werden können. Nicht aber wie das Stück auf der 284sten S. des III. Th. der Hof. W. Ged. Und gesetzt, daß manche gar nicht gesungen werden sollen: so ist doch ein harmonisches Lesen eines guten Gedichtes auch schon eine Art von Musik, und Gesange: und auch da ergetzet es das Ohr eines Zuhörers, wenn allemal dieselbe Zahl, und einerley Abwechselung der Reime, in allen Strophen beobachtet wird. Von jenen wunderlichen Misgeburten aber heißt es, aus dem Horaz:[553]


UT GRATAS INTER MENSAS SYMPHONIA DISCORS,

ET CRASSUM UNGUENTUM, ET SARDO CUM MELLE PAPAVER

OFFENDUNT; POTERAT DUCI QUIA CŒNA SINE ISTIS:

SIC ANIMIS NATUM INVENTUMQUE POEMA JUVANDIS

SI PAULLUM A SUMMO DISCESSIT, VERGIT AD IMUM.


11. §. Wenn ich hier von allen denen Gesängen hätte handeln wollen, welche die Italiener CANZONI nennen, deren Strophen bald aus langen, bald aus kurzen Zeilen bestehen: so hätte ich auch von den mannigfaltigen Liedern unserer alten Meistersänger handeln müssen, die sie Bar nennen, und deren jede Art der Strophe ihren besondern Ton hat. Allein diese beyden Arten gehören nicht in diese Classe: und theils hat Wagenseil schon von ihnen gehandelt, theils werde ich selbst an seinem Orte noch weit ausführlichere Nachricht davon geben. Von der obigen Art wird man ganze Abtheilungen solcher Gesänge in meinen Gedichten antreffen.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 540-554.
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