Des II. Abschnitts VI. Hauptstück.
Von Schäferspielen, Vorspielen und Nachspielen.

[572] 1. §.


Ich habe zwar oben im ersten Abschnitte von Idyllen, oder Schäfergedichten gehandelt; auch beyläufig erinnert, daß dieselben zum Theil auch dramatisch, das ist gesprächsweise, eingerichtet würden. Und so viel lehrten mich die Exempel und Meisterstücke der Alten. Allein von ganzen theatralischen Schäferstücken weis das ganze Alterthum nichts: ungeachtet nichts natürlicher gewesen wäre, als darauf zu gerathen. Denn ahmet das Trauerspiel die vornehmste Classe der Menschen, ich meyne das Leben der Könige und Fürsten nach; so schildert das Lustspiel den Mittelstand der Welt, an Adel und Bürgern ab. Nun ist noch die dritte Lebensart, nämlich der Landleute übrig: davon wir bey den alten dramatischen Dichtern keine Nachahmungen finden. Dieses ist nun destomehr zu bewundern, da die ganze theatralische Dichtkunst auf den Dörfern und Flecken zuerst entstanden. Soll ich meine Gedanken von der Ursache entdecken, so werden es diese seyn: Landleute, welche die Beschwerlichkeiten ihrer Lebensart zur Gnüge kannten, konnten unmöglich begierig seyn, den Abriß derselben auf der Bühne zu sehen. Hergegen konnten sie, nach der natürlichen Neubegierde der Einfältigen, gar wohl begierig seyn, das Leben der Könige und Fürsten, kennen zu lernen; oder auch das Stadtleben des Bürgerstandes vorgestellet zu sehen. Nach beydem konnte das unwissende Landvolk lüstern seyn: so wie wir im Gegentheile finden,[573] daß die Großen dieser Welt sich gern an den Thorheiten des Mittelstandes, und wohl gar an den Bauerpossen eines Hanswursts, oder andern groben Lümmels, er sey nun wälsch oder deutsch, belustigen; ernsthafte Trauerspiele aber, von Königen und Fürsten gar nicht sehen mögen; es wäre denn, daß sie nach Art der Opern ganz ins verliebte Fach gehöreten, und durch Musik und Tänze in Stücke aus Schlaraffenland verwandelt worden.

2. §. Ich weis wohl, was die Bewunderer des Alterthums hier sagen werden. Um zu behaupten, daß es ihm auch an Schäferstücken nicht gefehlet habe, werden sie sich auf die satirischen Schauspiele der Griechen berufen; davon Casaubonus ein ganzes Buch geschrieben. Ich kenne es, und habe es mit Bedacht gelesen, wie es 1605. unter dem Titel ISAACI CASAUBONI DE SATIRICA GRÆCORUM POESI, & ROMANORUM SATIRA, zu Paris in 8. herausgekommen. Hier darf zuförderst niemand den ken, daß die griechische Satire von eben der Art gewesen, wie die lateinische, eines Lucils, Horaz, oder Juvenals, nachmals gewesen. Nein, sie war kein Gedicht zum Lesen, wie etwa Homers Margites; sondern ein dramatisches Stück, welches man auf einer Bühne mit lebendigen Personen vorstellete. Sie hatte den Namen von des Bacchus Gefährten, den Silenen und Satiren; weil nämlich diese dem Bacchus zu Ehren, an seinen Festtagen, von dem betrunkenen Landvolke vorgestellet wurden. Horaz beschreibt uns diesen Zustand, in dem Schreiben an den Kaiser August:


AGRICOLÆ PRISCI, FORTES, PARVOQUE BEATI,

CONDITA POST FRUMENTA, LEVANTES TEMPORE FESTO

CORPUS, & IPSUM ANIMUM, SPE FINIS, DURA FERENTEM,

CUM SOCIIS OPERUM & PUERIS & CONJUGE FIDA,

TELLUREM PORCO, SILVANUM LACTE PIABANT;

FLORIBUS & VINO, GENIUM, MEMOREM BREVIS ÆVI.

FESCENNINA PER HUNC INVENTA LICENTIA MOREM,

VERSIBUS ALTERNIS OPPROBRIA RUSTICA FUDIT.[574]


Von diesem Ursprunge nun, will Casaubonus die satirische Poesie der Griechen herleiten: und ich bin ihm in soweit nicht zuwider, als die ganze theatralische Dichtkunst ihren Ursprung daher genommen. Diese theilte sich nun bald nach dem Thespis und Pratinas in tragische und komische Stücke ab: davon jene ernsthaft und traurig, diese aber beißend und lustig waren; weil sie dem Bacchus zu Ehren gespielet wurden. Allein dabey sehe ich nicht die geringste Spur unserer Schäferspiele.

3. §. Soviel gelehrte Sachen vom Ursprunge der Schauspiele Casaubonus auch anführet, und so richtig dieselben auch sind, so beweist er doch nichts mehr, als daß es alte Dorfstücke, die sehr beißend und spöttisch gewesen, gegeben; und darinn man Faunen und Satyren aufgeführet, ja sie von diesen mit leichtfertigem Hüpfen und Springen, und lüderlichen Worten, spielen lassen. Dieß ist also der Ursprung der Komödie, wie er selbst gesteht; daß σατυρικὰ δράματα oder schlechtweg Σάτυροι nur den Tragödien entgegengesetzet worden; weil ihre Chöre aus Silenen und Satyren bestanden. Eben das bezeigt Horaz, wenn er schreibt:


MOX ETIAM AGRESTES SATYROS NUDAVIT, & ASPER

INCOLUMI GRAVITATE (SCIL. TRAGŒDIARUM) JOCUM TENTAVIT.


Er nennt auch einen komischen Dichter SATYRORUM SCRIPTOREM; und die Natur dieser Spiele drückt er durch RISORES & DICACES SATYROS aus:


VERUM ITA RISORES, ITA COMMENDARE DICACES

CONVENIET SATYROS.


Was zeigt das anders, als daß eine griechische Satyre kein unschuldvolles, ruhiges und verliebtes Schäferspiel; sondern höchstens eine etwas gröbere und unflätigere Bauerkomödie[575] gewesen sey. Eben dieses beweiset das einzig übriggebliebene Stück von dieser Art, des Euripides Cyklops, auf den er sich beruft. Denn man lese denselben durch, so oft man will, so wird man nichts ähnliches mit einem neuern Schäfergedichte darinn finden. Der Riese Polyphem, Ulysses, seine Gefährten, und alle übrige Personen desselben, sind diejenigen Schäfer nicht, die wir auf unsere Pastoralbühne stellen könnten; um das unschuldige Weltalter unter Saturns Regierung, die tugendhaften Zeiten des Patriarchen, oder die Sitten des glückseligen alten Arkadiens vorzustellen: wie ich dieses im I. Abschnitte und V. Hauptstücke abgeschildert habe.

4. §. Bleibt also die Pastoralpoesie eine neuere Erfindung: so fragt sichs, wem wir dieselbe eigentlich zu danken haben? Schlage ich den Minturno, als einen Lehrer der wälschen Dichtkunst nach, der sein Buch, als Bischof zu Uguento 1563. geschrieben hat: so finde ich noch gar keine Spur von den Pastoralstücken darinnen; als die zu seiner Zeit noch nicht erfunden, oder doch nicht bekannt gewesen. Crescimbeni hergegen bemerket im IX. Cap. des IV. B. vom I. Bande seiner ISTORIA DELLA VOLG. POES. daß dieselbe in der Hälfte des XV. Jahrhunderts allererst ins Geschick gekommen. Denn nach einigen unförmlichen Versuchen älterer Dichter, die etwas schäfer- oder bauermäßiges in Verse gebracht, die sie bald FAVOLA, bald RAPRESENTATIONE DELLA FAVOLA, bald ECLOGA, bald COMEDIA RUSTICALE genannt, habe Angelus Politianus das Stück Orpheus gemacht; welches 1518. zu Venedig gedrucket worden. Nach diesem habe ein Ferrareser, Cinthio genannt, nach dem Muster der Alten 1545. eine sogenannte Satire, mit allerhand Faunen und Satiren vermischet, aufführen lassen, die den Namen Aegle geführet. Zehn Jahre hernach sey denn endlich das erste eigentliche Schäferstück, von einem andern Ferrareser, Beccari,unter dem Namen IL SAGRIFIZIO, FAVOLA PASTORALE, erschienen, und das Jahr vorher gespielet worden. Im 1561 Jahre hat Cieco[576] seine CALISTO, vorstellen lassen, ob sie wohl erst 1582. gedrucket worden. Darauf hat 1563. Albert Lollio, dem Herzoge Alfonsus von Ferrara zu Liebe, nach jenem Muster, die Aretusa gemacht, die er COMEDIA PASTORALE genannt. Bis endlich im 1573. Jahre der Amintas des Torquato Tasso, als eine FAVOLA BOSCARECCIA, zu Venedig ans Licht getreten; worauf denn endlich des Guarino sein PASTOR FIDO, und des Buonarelli FILLI DE SCIRO gefolget sind, die diese Art von dramatischen Vorstellungen völlig berühmt gemachet haben.

5. §. Es ist nicht zu leugnen, daß nicht der große Beyfall, den diese Stücke gefunden, und wodurch sie auch bis über die Alpen gedrungen, auch bey uns zuerst die Schäferstücke bekannt und beliebt gemacht. Zwar wenn wir bloße Bauerstükke machen wollten: so würden wir in Hans Sachsen und Ayrern eine gute Anzahl derselben antreffen. Z.E. Des erstern schwangerer Bauer, von 1544. und der Bauer mit dem Kuhdiebe, von 1550. der Baurenknecht will zwo Frauen haben, von 1551. u.s.w. Ja schon vor beyden würde Martin Rinckard uns in seinem münzerischen Baurenkriege 1520. eine Probe davon gegeben haben. Allein dieses ist unserer obigen Erklärung zuwider. Der erste aber, der, meines Wissens, des Guarini Pastor FIDO ins Deutsche gebracht, ist Eilger Manlich gewesen, der ihn in Reime gebracht, und 1619. in 12. zu Mühlhausen drucken lassen. Diese Verdeutschung führte den Titel: PASTOR FIDO, ein sehr schön, lustige und nützliche TRAGICO COMŒDIA etc. Das war nicht genug. Denn 1636. kam zu Schleusingen, unter eben dem Titel, einer TRAGICO COMŒDIA eine andere Dolmetschung zum Vorscheine. Indem aber diese Uebersetzungen im Schwange giengen, fand sich auch 1638. Herrn. Heinr. Scheren von Jewer, der uns eine neuerbaute Schäferey von der Liebe Daphnis und Chrysilla, nebst einem anmuthigen Aufzuge vom Schafdiebe, lieferte, und zu Hamb. in 8. drucken ließ: welches Stück ich auch besitze. Ja 1642. folgte auch des Torquati Tassi,[577] Amyntas, von M. Mich. Schneidern, Prof. zu Wittenberg verd. und zu Hamb. gedr. Und zwey Jahre darauf gab Augspurger zu Dresden 1644. einen ganzen Band Schäfereyen ans Licht, darinn vier Schäferspiele in ungebundener Rede, nach den vier Jahrszeiten eingerichtet sind.

6. §. Ich würde noch ein großes Verzeichniß hersetzen müssen, wenn ich nun alle Nachfolger dieser Versuche nennen wollte. Ich will nur melden, daß sowohl der Pastor Fido, als der Amyntas noch mehr als einmal übersetzet erschienen. Der erste nämlich kam 1663. zu Weimar oder Erfurth in ungebundener Rede heraus, wiewohl hin und wieder einige Verse mit unterlaufen. Er hat die Ueberschrift auch PASTOR FIDO, oder die allerschönste TRAGI-COMŒDIA, der getreue Hirte genannt, so jemals auf dem großen Theatro der Welt gesehen worden etc. Es scheint, daß der Uebersetzer Statius Ackermann geheißen; denn dieser eignet dieselbe einem sächsischen Herzoge, Joh. George, zu, und wünschet, daß sie auf einer rechten pastoralischen Scena agiret werden möchte. Hierauf folgten Hofmannswaldau, und Abschatz, die ihn in Versen, aber in ungleich langen madrigalischen Zeilen verdeutschten, und sehr viel Beyfall damit erhielten. Der zweyte aber ist, der ältern Uebersetzungen nicht zu gedenken, noch vor wenig Jahren, von neuem poetisch ins Deutsche gebracht worden. Andreas Gryphius aber, der uns des Corneille schwärmenden Schäfer, als ein satyrisches Lustspiel betitelt, 1663. verdeutschet, um die überhandnehmende Schäfersucht lächerlich zu machen; hat uns auch die verliebte Dornrose, als ein kleines Bauerspiel selbst verfertiget. Unter den Originalen des vorigen Jahrhunderts aber, ist Hallmanns Urania, ein Schäferspiel, zu merken; und noch vor derselben hat er die sinnreiche Liebe, oder den glückseligen Adonis, und die vergnügte Rosibella, als ein Pastorell, auf die Vermählung Kaiser Leopolds 1673. verfertiget. Vor etwa zwanzig Jahren habe ich meine Atalanta, als ein Schäferspiel, verfertiget; und nachdem sie[578] vielmal gespielet und in meiner Schaubühne bekannt worden, hat man sie an verschiedenen Orten nachgedrucket; ja es sind dadurch die Schäferspiele von neuem beliebt, und von vielen nachgeahmet worden. Ich könnte ein ganzes Verzeichniß neuerer Schäferstücke, die theils länger, theils kürzer ausgefallen, hersetzen, die seit zehn Jahren ans Licht getreten; wenn dieses die Absicht wäre. In der Historie der deutschen Schaubühne wird dieses ausführlicher geschehen.

7. §. Was nun die Einrichtung solcher Schäferstücke betrifft, so kann sie dem nicht schwer fallen, der die obigen Hauptstücke von Idyllen, von Trauer- und Lustspielen wohl verstanden hat. In dem ersten sieht er die ganze Art des Schäferlebens, welches in einer gewissen Einfalt und Unschuld vorgestellet werden muß, wie man sichs in dem güldenen Weltalter einbildet. Man muß nämlich dadurch den Zuschauern eine Abschilderung der alten Tugend geben; um ihnen dieselbe als liebenswürdig zu entwerfen. Die Liebe kann darinn zwar herrschen, aber ohne Laster, und Unart: und wenn gleich zuweilen auch Personen von höherm Stande, oder aus Städten mit unterlaufen; so müssen dieselben doch dieser herrschenden Tugend des Landlebens keinen Eintrag thun: wie man an der Elisie in meiner Schaubühne sehen kann. Eine solche Liebesfabel nun muß ebenfalls ihre Verwickelung, ihren Knoten, und ihre Auflösung haben, wie ein Lust- und Trauerspiel. Es können unerkannte Personen darinn vorkommen, die allmählich entdeckt werden, und dadurch eine Peripetie, oder einen Glückswechsel verursachen; der aber insgemein ein vergnügtes Ende nehmen muß. Denn weil im Stande einer solchen Unschuld, keine Laster herrschen, so muß auch Schmerz und Unglück weit davon verbannet seyn; außer was die kleinen Bekümmernisse unglücklicher Liebenden etwa nach sich ziehen. Ein vernünftiger Poet schildert auch die Liebe der Schäfer zwar zärtlich, aber allemal keusch, und ehrbar, treu und beständig: damit niemanden ein böses Exempel, zum Schaden der Tugend, gegeben werde.[579]

8. §. Ein Schäferspiel soll auch eigentlich fünf Aufzüge haben: doch haben einige auch wohl nur drey gemachet; wenn es ihnen an Materie gefehlet, fünfe damit anzufüllen. Diejenigen ganz kurzen Stücke, die gleichsam nur aus einem Aufzuge, von sechs, acht oder zehn Auftritten bestehen, werden als Nachspiele bey größern Trauer- und Lustspielen gebrauchet. In allen aber muß die Fabel ganz, in ihrem völligen Zusammenhange vorgestellet werden, so daß sie Anfang, Mittel und Ende habe, ohne die Dauer eines halben oder ganzen Tages zu überschreiten. Der Ort der Scene muß auch im ganzen Stücke derselbe, etwa ein Platz vor einer Schäferhütte, oder an einem Gehölze, oder in einer Wiese zwischen etlichen Gebüschen seyn, und durch das ganze Stück bleiben. Die Schreibart muß niedrig, aber nicht pöbelhaft, vielweniger schmutzig und unflätig seyn. Wenn gleich die Lustspiele die ungebundene Rede sehr wohl vertragen können: so sind doch in Schäferspielen die Verse sehr angenehm: wenn sie nur natürlich und leicht fließen. Denn gezwungene und hochtrabende Ausdrücke schicken sich für diesen Stand nicht. Spitzfindige Einfälle gehören hieher auch nicht: wie denn Schäfer von allen Erfindungen und Künsten der Städte nichts wissen sollen. Wenn man glaubet, daß solche Schreibart leicht ist, so betrügt man sich sehr: so spielend sie auch aussieht, wenn man sie gut beobachtet findet. Viele fallen ins pöbelhafte oder in die Zoten, ehe sie es meynen: wie Dünnehaupt in seinem gedrückten und erquickten Jacob, davon man den Auszug in den krit. Beyträgen sehen kann; oder ein neuerer Dichter, in seiner Liebe in Schäferhütten, welches mehr ein Bauerstück als Schäferspiel heißen kann. Andere neuere Dichter aber haben ihre Stücke bisweilen zu künstlich im Ausdrucke gemacht: und ihre Schäfer mit fontenellischer Spitzfindigkeit reden lassen. Die Mittelstraße ist nirgends nöthiger, als hier; von welcher aber auch Tasso und Guarini bisweilen abgewichen sind, wie oben im Haupst. von Idyllen bemercket worden.[580]

9. §. Es haben viele auch musikalische Schäferspiele, als Opern gemachet, und aufgeführet. Von diesen ist der innern Einrichtung nach, nichts anders zu sagen, als von den andern. Eins von dieser Art ist der fontenellische Endymion, den ich deutsch übersetzet habe, ohne ihm die Gestalt einer Oper zu geben. Doch habe ich den ersten Aufzug in den Schriften der deutschen Gesellschaft auch auf diese Art eingekleidet, als ich einmal für den Hochsel. Herzog von Weißenfels eine Oper machen sollte: die aber durch eine Landestrauer unterbrochen ward. Man hat zwar viel solche einzelne Stücke gedruckt; daran doch manches auszusetzen wäre, wenn man sie prüfen wollte. Die Kleidungen der Schäfer müssen sehr einfältig und nicht kostbar, aber doch reinlich seyn. Weißes Leinen, und grüne wöllene Kleider zieren sie am besten. Seide, Gold und Silber kennen sie nicht. Ihre Strohhüte und Stäbe zieren sie mit etlichen bunten Bändern. Nichts ist angenehmer, als wenn man Kinder in dergleichen kleinen Schäferspielen übet, und sie mit den gehörigen Kleidungen vor Gästen, die man vergnügen will, etwas vorstellen läßt. Denn da durch werden sie herzhaft, üben ihr Gedächtniß, lernen ihre Person wohl spielen, deutlich reden, auf alle ihre Gebärden und Stellungen wohl acht geben, u.s.w. Ich kenne hier eine Familie, da die Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren sehr geschickt in diesem Stücke sind. Und geschickte Schulmänner haben bisweilen mit größern Schulknaben auch meine Atalanta u.d.m. zu vielem Vergnügen ihrer Zuschauer, sehr wohl aufgeführet.

10. §. Nun muß ich noch etwas weniges von Vorspielen und Nachspielen gedenken. Diese beyden Arten theatralischer Vorstellungen sind auch einestheils ganz neu: theils haben wir doch aus dem Alterthume kein Muster übrig behalten, darnach sich unsere Dichter hätten richten können. Das erste gilt von den Vorspielen. Denn diese pflegt man bey gewissen feyerlichen Tagen, an großer Herren Geburtsund Namenstagen, bey Beylagern, oder bey der Geburt[581] hoher Prinzen, bey Jubelfesten von Akademien und Schulen, u.d.m. aufzuführen. Sie sollen also, dieser Absicht nach, die allgemeine Freude des Landes, der Städte, gewisser Gesellschaften und Stände, an den Tag legen, auch wohl gute Wünsche mit anbringen. Man muß also zu allegorischen oder mythologischen Personen seine Zuflucht nehmen, die sonst in andern Schauspielen billig keine statt finden. Man läßt das ganze Land z.E. Germania, Saxonia, Lusa tia u.d.gl. als ein Frauenzimmer mit einer Städtekrone; man läßt Städte, die Religion, die Wissenschaften, die freyen Künste, den Handel, u.d.m. auftreten. Zu diesen letzten brauchet man insgemein den Apollo, die Minerva, die Musen, den Merkur u.s.w. Bisweilen kann man auch wohl die Venus, den Cupido, die Gratien, die Diana, den Vertumnus, die Flora, die Pomona u.a.m. brauchen, um die Schönheit, Liebe, Anmuth, Jagd, den Frühling, Herbst, u.s.w. vorzustellen. Alle solche Personen müssen nach der Mythologie mit den gehörigen Kleidungen und Kennzeichen versehen und unterschieden werden: und man muß sich wohl vorsehen, daß unter solche allegorische oder mythologische Personen, keine wirkliche oder historische gemenget werden. In diesem Stücke ist Simon Dachs Schauspiel von der Sorbuise, auf das erste Jubelfest der Königsb. Universität, fehlerhaft: weil er beyderley untereinander menget. Auf das zweyte Jubelfest dieser hohen Schule steht ein Prologus oder Vorspiel in meiner Schaubühne VI. Bande.

11. §. Die Nachspiele betreffend, so sind dieselben freylich bey den Griechen unter dem Namen der Satiren, und bey den Lateinern unter dem Namen der atellanischen Fabeln gewöhnlich gewesen. Allein jene bestehen, wie ordentliche Stücke, aus fünf Aufzügen; da unsere Nachspiele viel kürzer sind, und nur aus einem Aufzuge bestehen: von diesen aber weis man nichts rechtes, als daß sie kleine bürgerliche Fabeln des Stadtvolkes in Rom, vorgestellet. Man hat auch FABULAS TABERNARIAS gehabt, die noch gemeinere Leute aufgeführet:[582] und allem Ansehen nach alle lustig und possenhaft gewesen. Vermuthlich haben auch die Schauspieler solche Stücke nach einem bloßen Entwurfe, und aus dem Kopfe vorgestellet: daher es denn kömmt, daß wir nichts davon übrig behalten haben. Unsere Komödianten haben es auch eine lange Zeit her so gemachet, und nach dem Exempel der wälschen Bühne aus dem Stegreife ihre Fratzen hergespielet. Allein da sich viel schlechtes Zeug darunter gemenget, welches artigen Stadt- und Hofleuten einen Abscheu gemachet: so hat man endlich, nach dem Exempel der Franzosen, kleine Stücke von der Art mit Fleiß ausgearbeitet, und sie wohl gar in Versen gemacht, damit die Komödianten sie auch auswendig lernen müßten. Doch hat man sie auch bisweilen in ungebundener Rede verfertiget; von welcher Art in meiner Schaubühne auch ein paar Stücke vorkommen. Der Inhalt solcher Stücke kann aus dem gemeinen bürgerlichen Leben hergenommen seyn; doch so, daß der kleine Adel auch nicht ganz ausgeschlossen wird. Man hat aber auch kleine Schäferspiele schon in guter Anzahl, und diese thun eine gute Wirkung, zumal in Versen. Endlich haben die Franzosen auch schon Hexenmährchen auf die Bühne gebracht: die als was neues, welches den Parisern immer gefällt, großen Beyfall gefunden haben. Auch bey uns ist das Orakel, und ein paar andere von der Art, schon im Deutschen aufgeführet worden.

12. §. Soll ich meine Gedancken davon sagen, so sind die beyden ersten Arten, als Nachahmungen der Natur, theils wie sie gut und unschuldig, theils verderbt und lasterhaft ist, sehr gut: wenn sie sonst den Regeln der Wahrscheinlichkeit folgen, und die Einigkeit der Zeit und des Ortes beobachten. Allein, was die letztern betrifft, so sind dieselben aus dem Lande der Hirngespinste, der arabischen Mährlein, oder aus dem Reiche der Hexen genommen: und haben folglich kein Vorbild in der Natur. Die Sittenlehren die darinn herrschen, sind auch gemeiniglich sehr unsichtbar, oder gehen bloß auf die schlüpfrige Liebe; ein glattes Eis, darauf, auch ohne solche[583] Anreizungen, schon Zuschauer genug zu straucheln pflegen. Ist dieser Zweck aber der Mühe werth, durch solche gezwungene Mittel befördert zu werden? Es haben sich ohne dieß schon komische Dichter genug gefunden, die auf den ordentlichen Wegen, dieser Leidenschaft mehr Vorschub gethan haben, als zu wünschen wäre. Und was werden wir für eine Nachkommenschaft bekommen, wenn wir so eifrig an Verderbung der Sitten der Jugend arbeiten wollen? In diesem einen Stücke scheint mir der Verfasser der Abhandlung recht zu haben, der im vorigen Jahre den Preis der Akad. zu Dijon erhalten hat. Nur die üppigen Poeten, und andere ihnen gleichgesinnte Schriftsteller, befördern die Verderbniß der Zeiten, und thun der Welt dadurch einen schlechten Dienst: da sie dieselben eben so leicht bessern könnten; wenn sie einhällig ihre Federn dem Dienste der Tugend widmen wollten. Man lese hierbey des Riccoboni Tractat von der Verbesserung der Schaubühne, DE LA REFORMATION DU THEATRE.

Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 572-584.
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