II. Kapitel
Cantata

[645] Auf Sr. Königl. Maj. in Polen und Churfürstlichen Durchl. zu Sachsen hohen Namenstag 1728.


vom Schottischen Collegio Musico aufgeführet.


Arie.

Landesvater! Held, August!

Sey uns tausendmal willkommen!

Dein Entfernen bringt dem Herzen

Treuer Unterthanen Schmerzen;

Deine Rückkunft labt die Brust.

Sey uns tausendmal willkommen,

Landesvater! Held, August!


So sang nur jüngst Saxonia,

Indem sie mit vergnügtem Blicke,

Den Quell von ihrem Glücke,

Nun wiederum in ihrer Hauptstadt sah.

Sie hatt' Ihm traurig nachgesehn,

Als jener Zug in fremde Grenzen,

Wo Brandenburgs geübte Waffen glänzen;

Ja nach Sarmatien geschehn.

Sie wußte sich nicht gleich darein zu finden,

Und trat bey Leipzig an die Linden;[646]

Und da der Gram ihr Herz und Lippen brach,

So rief sie Ihm die Wünsche nach.


Arie.

Zeuch beglückt zu Deinem Freunde,

Der Dir jüngst sein Herz geschenkt!

Das Verhängniß, so euch lenkt,

Schreckt durch euer Band die Feinde.

Aber wenn man in Berlin,

Sich, durch hundert Lustbarkeiten,

Dich zu fesseln wird bemühn:

So gedenke doch zu Zeiten,

Daß sich Sachsen um dich kränkt.

Zeuch beglückt etc.


Zwar damals rief sie so,

Und härmte sich bey trüben Stunden:

Nun aber war sie wieder froh,

Daß all' ihr Leid verschwunden;

Indem ihr Held, ihr weiser Salomo,

Sich wiederum in Dresden eingefunden.

Sie schmückte Haupt und Haare,

Nicht durch der Frühlingskinder Glanz:

Ein dichtgeflochtner Aehrenkranz,

Die neue Frucht von diesem fetten Jahre,

Womit sonst Ceres pflegt zu prangen,

Umschloß die Stirn und hieng ihr auf die Wangen.

Sie pries der Aecker Fruchtbarkeit,

Und wußte zwar der reichen Furchen Segen,

Mit dankbarer Zufriedenheit,

Als Gottes Wohlthat auszulegen:

Doch daß ich reich und sicher erndten kann,

Daß, sprach sie, meiner Felder Saaten,

In keines Feindes Hand gerathen:

Das hat nächst Gott, mein Held, August, gethan.[647]


Arie.

Unter den schützenden Schwerdtern der Sachsen,

Grünet und blühet das ruhige Land.

Wo man die friedliche Raute sieht wachsen,

Ist kein Verheeren, kein Morden bekannt.

Glücklicher Stand!

Unter den schützenden Schwerdtern der Sachsen,

Grünet und blühet das ruhige Land.


Indem sie dieses kaum gesungen,

Daß Wald und Feld davon erklungen;

So kam ein tanzend Chor,

Der lieblichscherzenden Najaden,

Die sonst am Pleißenufer baden,

Aus ihrem nassen Schilf hervor.

Man merkte bald, daß sie den Heldennamen,

Augustus, zu verehren kamen,

Der abermal erschienen war.

Sie bauten gleich von Rasen den Altar,

Und wußten Ihm darauf, aus angenehmen Rinden,

Ein süßes Räuchwerk anzuzünden.

Sie schmückten sich mit frischen Kalmuskränzen,

Und sungen dieses Lied, am Reihen, zu den Tänzen.


Arie.

Auf! auf! Saxonia!

Des Helden Fest ist da.

Komm, laß bey unsern Chören,

Komm, laß bey dieser Lust,

Auf unsern Held August,

Auch deine Lieder hören.

Auf! auf! Saxonia!

Des Helden Fest ist da.


Beglückt ist Land und Stadt,

So Ihn zum Fürsten hat.[648]

O möcht Er lange leben!

O würd er aller Welt,

Zum Haupte vorgestellt,

Zum Könige gegeben!

Beglückt ist Land und Stadt,

So Ihn zum Fürsten hat.


Gott stütze Deinen Thron,

Du andrer Salomon,

Gott segne Deinen Erben,

Der Tugend Eigenthum.

Und lasse Sachsens Ruhm,

In Ewigkeit nicht sterben.

Ja weiser Salomon,

Gott stütze Deinen Thron!


Auf den Geburtstag Sr. Hochehrwürden,

Herrn D. Schützens,


im Namen seiner Tischgesellschaft 1728.


Arioso.

Belobter Lehrer, deine Freude,

Dein Wohlseyn ists, was uns vergnügt.

Die Trauernächte sind besiegt,

Und nun folgt Lust nach deinem Leide.


In Wahrheit, wie es scheint,

Hast du zwey ganzer Jahre

Genug geklagt, genug geweint.

Es warf dir ja des Himmels Schluß

Dein Liebstes auf die Todtenbaare.

Aufs Trauren folgt die Freudensonne.

Vor kurzem glänzte dir der Hochzeitfackeln Schein,

Und heute fällt dein froher Jahrstag ein.[649]


Arie.

Heitres Licht! erwünschte Stunden!

Bannet alle Trübsal aus,

So dieß theure Haupt empfunden,

Wie sein hochbetrübtes Haus.

Nun ist aller Gram verschwunden,

Heitres Licht etc.


Ward nicht dein Heyrathsbund

Ganz Leipzig mit Vergnügen kund?

Die hochgeschätzten Anverwandten,

Und alle, die dich kannten,

Vergnügten Ohr und Herz an deinem Glück,

Und zeigten ihre Lust

Durch Wort und Werk, durch Mund und Blick.

Die wohlgezognen Kinder,

Des Hauses Schmuck, erfreuten sich nicht minder.

Und liessen wir gleich, dir zu Ehren,

Kein aufgewecktes Lustlied hören:

So war doch unser Geist erfreut.

Wir haben himmelwärts geblicket,

Und zu dem gütigen Geschick,

Für deines neuen Ehstands Glück,

Die Seufzer abgeschicket.


Arie.

Höchster! segne Schützens Ehe,

Mache sie an Wohlfahrt reich,

Schenke diesem theuren Paare,

Viel erwünschte Freudenjahre.

Lebet lang und sterbt zugleich!

Höchster, segne Schützens Ehe,

Mache sie etc.


Den Wunsch wird Gottes Huld erfüllen,

Denn aller Menschen Glück entsteht[650]

Von seinem Willen;

Bloß er kann unser Seufzen stillen.

Man sieht ja heute schon

Den frohen Anfang machen.

Indem er deinem Leben,

Gepriesner Mann, ein neues Jahr gegeben.

So sieht man dich und dein Geschlecht

Vergnügt und ruhig lachen.

Und wo es uns von statten geht;

So wollen wir mit Reim und Seyten,

Die Zeichen ihrer Lust begleiten.


Arie.

Rauscht ihr Töne, klopft ihr Herzen,

Dieser Festtag macht uns froh.

Weicht ihr Schmerzen,

Laßt uns scherzen,

Fügt es doch die Vorsicht so!

Rauscht ihr Töne, klopft ihr Herzen!

Dieser etc.


So rühret uns, vermählte Beyde,

Der Anblick eurer Freude.

So wünscht man dieser Stunde,

Mit höchstvergnügtem Munde,

Gott selber wolle seinen Segen

Zu ihrem Einbruch legen,

Der oft geschehen soll.

Laß, theures Haupt! dieß Opfer dir gefallen.

Zwar dein gelehrt und frommes Wesen,

Ist beßrer Lieder werth,

Als dessen, so du hier gelesen:

Doch thun wir, was die Pflicht begehrt,

Und lassen dir zuletzt noch diesen Glückwunsch schallen:[651]


Arie.

Lebt recht beglückt im neuen Bande!

Was Gott verknüpft, zerreißt nicht bald.

Drum werdet mit Vergnügen alt,

Und preiset ihn in eurem Stande.

Ein Glück, so niemand zählen mag,

Verkläre diesen Freudentag:

So preist ihr Gott in eurem Stande.

Lebt recht etc.


Auf Seiner Magnificenz Herrn Hofrath

Rechenbergs Geburtstag


im Namen eines seiner Söhne.


Arie.

Ihr Westenwinde, spielt und scherzt,

Als wolltet ihr jetzt Floren küssen:

Wenn gleich mit trüben Finsternissen

Ein später Herbst den Himmel schwärzt.

Der Themis unverfälschter Freund,

Ein Mann von ungemeinen Gaben,

Muß, da sein jährlich Fest erscheint,

Den Himmel selbst zum Herold haben.

Von forne.


Also half heute nur

Die höchst-erfreute Philurene,

Die Mutter so viel edler Söhne,

Asträens Kindern auf die Spur.

Selbst Themis sah mit munterm Blicke,

Auf ihren Schmuck, den theuren Rechenberg,

Erkannte dessen Glücke

Für seiner seltnen Klugheit Werk;[652]

Und sah wohl, daß von allen

In Philurenens Lindenschooß,

Kein Lehrer fast so groß,

So würdig sey, der Welt und Nachwelt zu gefallen.

Drum reizte sie die Musen an,

Den hochverdienten Mann

Durch neue Lieder zu erheben;

Und seinem Ruhm ein neues Lob zu geben.


Arie.

Rührt die wundervollen Seyten,

Jauchzet, singt und spielt zugleich,

Holde Musen, denn durch euch

Lebt man bis in graue Zeiten.

Rechenbergs Verstand und Tugend

Ist ein Vorbild meiner Jugend:

Rühmt ihn; Er verdients um euch.

Rührt die wundervollen Seyten,

Jauchzet, singt und spielt zugleich.


Kaum hörte dieß das Chor

Der unentschlafnen Pierinnen,

So ließ es sich bereits gewinnen,

Und trat vergnügt auf dem Parnaß hervor.

Der frohe Phöbus selbst

Ergriff bey dieses Festes Feyer,

Die allmachtreiche Leyer,

Und ließ bey seiner Schwestern Singen

Die göttlichschönen Töne klingen.


Arie.

Rechenberg ist unser Freund,

Rechenberg, Asträens Ehre,

Der er durch die weise Lehre,[653]

Tausend Seelen günstig macht.

Darum soll der Zeiten Nacht

Seinen Nachruhm nie bedecken,

Der sich weiter wird erstrecken,

Als Dianens Silber scheint.

Rechenberg ist unser Freund.


Kaum ward ich solcher Lust gewahr,

So stellte mir die Kindespflicht,

Der es an Regung nie gebricht,

Auch meine Schuld an diesem Tage dar.

Sogleich ward Ehrfurcht, Zärtlichkeit,

Und Treu in meiner Seelen rege.

Ich blickte mit Ergebenheit,

Auf meines klugen Vaters Pflege,

Auf seine Sorgfalt, Huld und Liebe;

Da brachen nun die eiferreichen Triebe

Für sein belobtes Haus,

Und dessen ungekränktes Glücke,

Zu Gottes ewigem Geschicke,

In diese Wünsch und treue Seufzer aus.


Arie.

Segne Verhängniß, mit daurenden Kräften,

Rechenbergs, meines Versorgers, Gedeihn!

Kröne die Scheitel mit silbernen Haaren,

Laß sein Gedächtniß der Ewigkeit weihn!

Laß ihn in funfzig vergnüglichen Jahren,

Leipzig und Sachsen beförderlich seyn.

Stärk ihn auch täglich in seinen Geschäfften!

Segne, Verhängniß, mit daurenden Kräften,

Rechenbergs, meines Versorgers, Gedeihn!


Serenata
Auf die Homann- und Menkische Hochzeit

[654] in Leipzig 1725.


Arie.

DIE NATUR.

Auf! süßentzückende Gewalt,

Die du aus Gottes Hand entspringest,

Und alles, was ich bin, durchdringest,

Komm, zeige dich, in lieblicher Gestalt.

Auf, süßentzückende Gewalt!


In allem, was der Bau der Welt,

In ungezählten Himmelskreisen,

Vor seines Schöpfers Augen stellt;

In allen Thieren, die das Feld,

Luft, Erde, Wald und Wasser in sich hält,

Ja selbst in Bäumen, Stein und Eisen,

Zeigt sich die ungeschwächte Kraft,

Der allerstärksten Leidenschaft.

Wer merkt nicht überall die Liebe?

Wer spürt nicht, daß durch ihre Triebe

Das ganze Weltgebäu besteht?

Denn daß es noch bisher nicht gar zu Grunde geht,

Das macht der Liebe festes Band.

Sie hemmet ganz allein der Sachen Unbestand.


Entfernet euch, ihr kalten Herzen!

Entfernet euch, ich bin euch feind.

Wer nicht der Liebe Platz will geben,

Der flieht sein Glück, der haßt das Leben,

Und ist der ärgsten Thorheit Freund:

Ihr wählt euch selber nichts als Schmerzen;[655]

Entfernet euch, ihr kalten Herzen!

Entfernet euch, ich bin euch feind.


DIE SCHAMHAFTIGKEIT.

Wie das? o gütige Natur!

Soll ich denn auch zur Liebesfahne schweren?

Soll ich denn auch die stille Lockung hören,

Die deine Kraft in mir erregt?

Ach nein, Natur, ach nein!

Die Liebe kann kein Kind der wahren Tugend seyn.

Ach nein, ich glaub es nicht!

Ich fühle, daß das Herz mir schlägt,

Das warme Blut färbt meine Wangen,

Wenn man zu mir vom Lieben spricht,

Ich fühle zwar ein heimliches Verlangen;

Doch deckt es sich mit steter Blödigkeit.

Ich fürchte stets der Frechheit Netze,

Und sorge, daß nicht mit der Zeit,

Die wachsende Verwegenheit

Die Regeln göttlicher Gesetze,

Durch diesen schlauen Trieb verletze.

Drum weg damit! ich höre nicht,

Was die Natur vom Lieben spricht.


Unschuld! Kleinod reiner Seelen,

Schmücke mich durch deine Pracht.

Keine Laster, keine Flecken,

Sollen mir das Liljenkleid

Unberührter Reinigkeit,

Durch der Liebe Schmutz bedecken,

Der auch Schnee zu Dinte macht.

Unschuld, Kleinod reiner Seelen,

Schmücke mich durch deine Pracht.[656]


DIE TUGEND.

Du irrest, liebes Kind,

Du irrest sehr in diesem Stücke;

Ich bin so grausam nicht gesinnt.

Ich hasse zwar der Geilheit Lasterstricke,

Durch welche dieß verdammte Weib

Der wilden Jugend Fuß umschlinget;

Bis daß sie endlich Seel und Leib

In tausendfaches Unglück bringet.

Allein die Liebe rechter Art

Hat dessen Arm, der alles lenket,

So wohl als mich, den Sterblichen geschenket.

Sie scheut nicht meine Gegenwart,

Und meine Glut schlägt oft mit ihren Flammen,

Ganz lieblich zusammen.


Folge nur den sanften Trieben,

Die dein zartes Herz gespürt.

Wenn dich ihre Flamme rührt.

O so laß nur deine Sinnen,

Eine Seele lieb gewinnen,

Die sich durch die Tugend ziert;

Und die mußt du ewig lieben.

Folge nur den sanften Trieben,

Die dein zartes Herz gespürt.


DIE NATUR.

Nun hörst du ja, die Tugend selbst stimmt ein.

Wirst du der Liebe denn ganz wiederspenstig seyn?


Arie.

Ersticke nicht länger das wallende Wesen,

Das meine Hand dir eingepflanzt.[657]


DIE SCHAMHAFTIGKEIT.

Der Tugend Wort ist zwar von großer Kraft,

Und sollte mich fast überwinden:

Allein, ich fürchte doch die starke Leidenschaft,

Und weis mich nicht darein zu finden.


DIE NATUR.

Ersticke nicht länger das wallende Wesen,

Das meine Hand dir eingepflanzt.


DIE SCHAMHAFTIGKEIT.

Die Liebe scheint sehr unruhvoll

Und ungestüm zu seyn.

Ich wollte wohl; – – doch nein!

Ich weis nicht, was ich machen soll?


DIE NATUR.

Verwirf die blöde Phantasey,

Und mache dein Gemüthe frey,

Das sich durch irrende Gedanken,

In den vermeynten Tugendschranken,

Mit steter Blödigkeit umschanzt.


Wie ist es? hörst du mich?

Mich dünkt, du änderst dich,

Ich kan es an deinem Gesichte schon lesen.

Ersticke nicht länger das wallende Wesen,

Das meine Hand dir eingepflanzt.


DIE SCHAMHAFTIGKEIT.

Gefährlicher Entschluß!

Den ich anitzo fassen muß.

Wohlan, Natur! ich folge deinen Trieben:

Doch sage mir, was soll ich lieben?[658]


DIE NATUR.

Ach sorge nicht, der Himmel sorget schon,

Der hat, eh du daran gedacht,

Den ewigfesten Schluß gemacht,

Durch wen er dich vergnügen wollen,

Und wen dein reines Herz am ersten lieben sollen.


Selbst der Höchste schliesset Ehen,

Die ihm wohlgefällig sind.

Wenn die Menschen nicht verstehen,

Welchen Pfad ihr Fuß soll gehen,

Da versorgt er und verbindt

Manches tugendhafte Kind.

Selbst der Himmel schliesset Ehen,

Die ihm wohlgefällig sind.


DIE SCHAMHAFTIGKEIT.

So wird es auch vielleicht geschehen,

Daß seine Vaterhuld bald auf mein Wohl wird sehen.


DAS VERHÄNGNISS.

Sieh da, du tugendhaftes Herz,

Nimm hin das Kleinod meiner Liebe.

Verwandle deine Furcht in Scherz,

Und laß hinfort die reinen Triebe

Nur ihm allein,

Wie seine Brust nur dir, gewidmet seyn.

Die Wohlfahrt soll auf allen Seiten,

Dich, neuverknüpftes Paar, begleiten!


CHOR DER NYMPHEN AN DER PLEISSE.

Lebe, neues Paar, vergnügt!

Selbst das Schicksal hats gefügt,

Daß der Zweck von deinem Hoffen,[659]

Nach Verlangen eingetroffen.

Lebe, neues Paar, vergnügt!

Glück und Wohlfahrt, Heil und Segen,

Müsse deiner Tugend wegen,

Sich um deine Wohnung legen,

Lebe, neues Paar, vergnügt!


Orpheus und Euridice


in einer Serenate entworfen.


Ihr empfindlichzarten Herzen,

Liebt wohl niemals recht beglückt.

Eure Glut, so rein sie brennet,

Wird durch manche Fluth erstickt:

Und wenn euch ein Band bestrickt,

Wird es unverhofft getrennet.

Ach was fühlt ihr dann für Schmerzen!

Ihr etc.


Euridice, das wunderschöne Weib,

Des großen Orpheus andre Seele,

Befand sich schon mit Geist und Leib

In Plutons tiefer Schattenhöle:

Als ihres Gatten zartes Herz,

Für Gram und Schmerz,

Sich nicht zu laßen wußte;

Und seine Zähren doch,

O hartes Kummerjoch!

Den wilden Thraciern verbergen mußte.

Doch selbst im Zwange merkte man,

Was heftige, was treue Liebe kann.[660]


Aermster Dichter!

Schleuß nur auch die trüben Lichter,

Schleuß die nassen Augen zu.

Stirb, und lege dich zur Ruh;

So wird dein getrennter Schatten

Sich mit seiner Freundinn gatten.

Stirb doch, warum säumest du?

Aermster Dichter etc.


Er gehet ganz verwirrt,

Und martert sich mit traurigen Gedanken.

Das Herz wird matt, die Knöchel wanken,

Das Auge thränt, die Zunge girrt.

Der Wälder Einsamkeit

Vertreibt ihm nun die lange Zeit,

So ihm vorhin, mit süßem Lieben,

Euridice, das holde Weib, vertrieben.

Der Wiederhall

Erinnert sich, bey seinen Klagen,

Der eignen Liebesplagen,

Und hilft, durch manchen Gegenschall,

Das Winseln und das Aechzen mehren,

Und läßt die Seufzer doppelt hören.

Bis endlich Orpheus, ganz ergrimmt,

Sein Seytenspiel, die Wunderlaute nimmt,

Der Oberwelt den Rücken zeiget,

Und in Avernus Klüfte steiget.

Da hofft er noch, daß seine Pein

Der Höllen selbst empfindlich werde seyn,

Und will durch sein bezaubernd Singen,

Euridicen zurück, ans Licht des Tages, bringen.


Schreckliche Gottheit, gewaltige Liebe!

Wie verwegen sind die Triebe,

Die dein Stral im Herzen wirkt?[661]


Fluthen und Flammen und Donner und Blitz,

Schrecken nicht, wen du erfüllet;

Ja wenn vor des Pluto Sitz

Jenes Ungeheuer brüllet;

Hat dein Schild die Brust umzirkt,

Hast du sie kühn gemacht, alles zu tragen,

Alles für etwas Geliebtes zu wagen.


Drum steigt er in die finstre Kluft,

Die dampf- und nebelvolle Luft,

Erheitert sich von seinem Lautenklange,

Und wunderthätigem Gesange;

Dadurch er sonst manch wildes Thier bewegt,

Davon wohl gar ein Wald zu tanzen pflegt.

Hier klagt er nun, daß er zu viel verlohren:

Und rufft bey Ach und Weh!

Ach warum hatt ich dich erkohren!

Euridice, mein Schatz Euridice!


Ach! soll ich dich so zeitig missen?

Geliebte Seele! scheidest du?

Ihr frommen Schatten, hört mir zu!

Mein halbes Herz ist mir entrissen,

Die allertreuste Zärtlichkeit

Gebiert mir itzt das herbste Leid.

Euridice! mein Licht! Euridice!


Erbarme dich, o Fürst der Höllen!

Erbarme dich! und laß mich ein.

Verschleuß doch nicht, zu meiner Pein,

Die Pforten an Avernus Schwellen,

Du selber hast ja sonst geliebt;

Drum weist du schon, was mich betrübt.

Euridice! mein Herz! Euridice.[662]


Gedenk einmal an Proserpinen,

Erinnre dich der süßen Lust,

Wenn dir an ihrer Götterbrust

Dein Reich ein Himmelreich geschienen.

Du raubtest sie der Oberwelt:

Warum ist mirs nicht frey gestellt?

Euridice! mein Schatz! Euridice.


Dieß Lied durchdrang der finstern Hölen Düfte.

Der grimme Wächter dunkler Klüfte

Vernahms von weitem kaum,

So gab er schon dem Wunderklange Raum,

Die Wuth der drey beschäumten Zungen,

War durch des Dichters Kunst bezwungen.

Der Tobende vergaß das Bellen,

Er streckte sich gemächlich an die Schwellen,

Er schlief allmählich ein,

Und Orpheus drang beherzt hinein.

Der Höllengott war selbst gerührt.

So bald sein Ohr des Dichters Lied gespürt,

Sein Flehen war erhöret:

Nimm hin, so ward der Schluß verfaßt,

Nimm hin das Liebste, so du hast.

Euridice soll noch auf Erden,

So wie vorhin, von dir umarmet werden;

Und das soll gleich geschehn.

Da ist sie! führe sie zurücke,

Doch hüte dich, und laß die Blicke,

Nicht eh nach ihrer Schönheit sehn:

Als bis die Oberwelt,

Euch wiederum in ihren Grenzen hält.


Orpheus! ach wie wunderschön,

Ach wie schön ist dirs gelungen!

Durch das Lied, so du gesungen,[663]

Durch dein kühnes Unterstehn,

Ist der Höllen Grimm bezwungen.

Pluto selber ist besiegt.

Wie vergnügt

Kannst du nun zurücke gehn!

Orpheus, ach wie wunderschön,

Ach wie schön ist dirs gelungen!


Er tritt den Rückweg freudig an;

Euridice, die auf sein Bitten,

Die Unterwelt verlassen kann,

Folgt willig seinen Schritten.

Allein wie quält ihn die Begier!

Sein Herze brennt nach ihr,

Er wünschet sie zu sehen:

Doch darf und soll er keinen Blick,

O marterndes Geschick!

Nach ihr zurücke drehen,

Aus Furcht, sein Liebstes von der Erden

Möcht abermal dadurch verscherzet werden.


O grimmiges Schicksal, wie quälst du die Herzen

Der Zärtlichverliebten mit folternder Pein!

Deine Begnadigung selber wirkt Schmerzen,

Wenn auch die Blicke

Lechzender Seelen so eingeschränkt seyn,

Wenn, o grimmiges Geschicke!

Auch das Auge mit Verdruß,

Was es liebt, nicht sehen muß!


Er zwingt, er martert sich,

Der Rückweg daurt ihm gar zu lange,

Der schnelle Schritt verdoppelt sich im Gange;

Sein Vosatz bleibt noch unveränderlich.

Er hemmet seiner Sehnsucht Zügel,[664]

Und wünscht den Schenkeln Flügel;

Um desto eh mit reger Brust,

Euridicen, der treuen Augen Lust,

Zu sehen und zu küssen.

Und seht, der finstre Gang scheint sich zu schliessen,

Ein schwaches Licht,

Das durch der Berge Spalten dringet,

Fällt dem Betrübten ins Gesicht;

Und macht, daß ihn die Ungeduld bezwinget.

Ein falscher Stral scheint seinem Schmerze

Ein Sonnenlicht zu seyn.

Hier ist, denkt sein betrognes Herze;

Hier ist das Ende meiner Pein.

Was hindert mich, mein Liebstes anzusehen?

Er thuts, er blickt sie an:

Doch als ers kaum gethan,

So ist es auch um seine Lust geschehen.

Sie sinkt zurück ins Schattenreich,

Und wird so wie zuvor geschiednen Seelen gleich.


Jammervoller Orpheus, weine!

Weine, statt der Thränen, Blut.

Seht, ihr unbelebten Steine,

Seht, was zarte Liebe thut:

Wenn die gar zu heissen Herzen,

Oft aus ihrer eignen Schuld,

Oft aus großer Ungeduld,

Ihr erwünschtes Glück verscherzen!

Jammervoller Orpheus, weine!

Weine, statt der Thränen, Blut.


Entsetzen, Reue, Zorn und Zagen,

Verzweiflung, Jammer, Angst und Qual,

Und was man größers weis zu sagen,

So man kaum einzeln kann ertragen,[665]

Bestürmet hier den Dichter auf einmal.

Die schönste Hoffnung geht zu nichte!

Er steht und sieht mit starrendem Gesichte,

Der fast erlösten Seele,

Bis in den Schlund der wüsten Höle,

Ja wie er glaubt, bis in den Abgrund nach.

Allein umsonst! Sie ist verschwunden.

Es bleibt dabey, was Pluto sprach,

Als er der Höllen Regeln brach,

Da ihn die Kunst des Dichters überwunden.

Forthin hat keine Bitte statt;

Weil er beym Styx geschworen hat.

Dieß, dieß macht ihm das Maaß des Unglücks voll,

Daß er hinfort auch nicht mehr hoffen soll.


Nein nein! hinfort ist nichts zu hoffen,

Betrübter Orpheus, fasse dich!

Der Höllenweg steht nicht mehr offen,

Was quält denn dein Gemüthe sich?

Dein großer Geist muß sich bezwingen.

Auf! laß dein schönes Seytenspiel,

Das auch den Schatten wohlgefiel,

Von starker Seelen Großmuth singen.

So lindert deine Marter sich.

Nein nein etc.


Nach langer Ohnmacht, die ihn schwächte,

Als ihn der Unfall niederschlug,

Kam er doch nach und nach zurechte,

So dass sein Schritt ihn aus den Klüften

Zum heiteren Tageslichte trug.

Die Töchter Thraciens vernahmen

Des Dichters doppelt schwere Pein:

Die Artigsten, die Allerschönsten kamen,

Und wollten ihm mit Trost behülflich seyn.[666]

Sie reizten ihn zum Lieben,

Allein umsonst; denn Amors strenge Macht,

Ward nach der Zeit von ihm verlacht,

Sein Herz ist ewig frey geblieben.

Doch sagt man, daß er stets, wenn ihn sein Harm bezwungen,

Euridicen, die er so zart geliebt,

Euridicen, die ihn so sehr betrübt,

Durch dieses Klagelied besungen.


Du hast mein ganzes Herz besessen,

Hinfort besitzt es keine mehr,

Ich habe mich zu hart vermessen,

Den Meyneid straft der Himmel sehr.

Du lebest noch in meiner Brust,

Du bist und bleibest meine Lust,

Ich will und kann dich nicht vergessen,

Du hast mein ganzes Herz besessen.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 645-667.
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