III. Kapitel
I. Ekloge
Auf die Homann- und Menkische Hochzeit

[667] in Leipzig. 1725.


DAMON und SILVANDER.

Da, wo die Elster ihre Fluthen,

Mit Rauschen in die Pleiße lenkt,

Und durch den sanften Strom, die krummgewachsnen Ruthen,

Um Philurenens Garten, tränkt:

Da ist, an den beliebten Linden,

Zwar mancher schöne Platz zu finden;

Doch fand sich jüngst ein sehr vertrautes Paar

Von Schäfern, derer Herz ganz gleich gesinnet war,

Bey einer starken Buchen ein.

Sie liessen ihre Heerden weiden,

Umarmten sich mit Freuden,

Und weil der warme Sonnenschein

Durch die halb kahl, halb gelben Zweige blickte,

Und sie bey kühler Luft durch ihren Stral erquickte,

So setzten beyde sich ins welke Gras darnieder.

Sie schwatzten anfangs dieß und das,

Und wusten öfters selbst nicht was.

Darauf geriethen sie auf ihre Hirtenlieder.

Silvander bließ und Damon sang,

Von seinem ungemeinen Leiden,[668]

Als er gezwungen ward von Dorilis zu scheiden,

Dabey die Zärtlichkeit ihn oft zum Seufzen zwang.

Bald wechselten sie wieder,

Silvander sang und Damon bließ,

Von einer Schäferinn, die Dorimene hieß,

Die ihm die schönsten Blicke giebet;

Wiewohl er sie nicht wieder liebet.


Zuletzt vergieng die Lust zum Spielen und zum Singen;

Denn als es Abend ward, und sie nach Hause giengen,

Hub Damon unterwegens an,

Die Schäferinnen herzuzählen,

Die sich zu ihrer Lust noch keine Schäfer wählen.

Er zählte fast ein Schock auf seinen Fingern her,

Die er zwar nicht ganz völlig kannte,

Doch jeder ihren Buhler nannte.

Drum war die Rechnung gar nicht schwer;

Denn so viel, als ich wissen kann,

So sprach er zu Silvandern,

Hat keine Schäferinn ein unempfindlich Herz,

Als bloß die Tochter von Philandern?

Philander, der in unsern Hütten,

Der ganzen großen Schäferzunft,

Den Preis im Singen abgestritten,

Und dessen Lieder alle lieben,

Die sich, als Freunde der Vernunft,

Im Singen und im Dichten üben.


Denn sieh nur unsre Schäferinnen,

Und nimm dabey in acht,

Wie leicht sie einen lieb gewinnen,

Der sich, wie Jupiter, zum goldnen Regen macht.

Silvander ja, ich wollte wetten,

Wenn wir ein Angesicht, wie Mops, mein Schaafhund, hätten,[669]

Wenn wir im Kopfe dumm,

Im Rücken und an Füssen krumm,

In Worten grob, in Sitten häßlich wären,

Und wollten uns dabey nur für verliebt erklären;

So würden wir doch mit Geschenken,

Die Herzen aller Schönen lenken.


Allein, Philanders muntres Kind,

Ist in der That ganz sonderbar gesinnt.

Ihr Alter ist in schönster Blüte,

Sie hat ein aufgeweckt und zärtliches Gemüthe;

Sie weis mit allen Leuten

Recht artig umzugehn;

Sie tanzt und schlägt die Seyten

So unvergleichlich schön,

Daß es nicht anders klingt, als ob sie zaubern wollte.

Da nun ein jeder denken sollte,

Daß dieser Schönen nichts gebricht,

So fehlt ihr dennoch eins; denn lieben kann sie nicht.

Kein Schäfer kann durch zärtliche Geberden,

Durch Schmeicheln, durch Gefälligkeit,

Von ihrer Neigung Meister werden.


Wie ist ihr nicht vor kurzer Zeit

Der junge Thyrsis nachgegangen?

Er drang sich fast in allen Tänzen,

Ganz merklich nach Philindens Hand.

Er ehrte sie sehr oft mit schönen Blumenkränzen,

In Hoffnung, ihren Wiederstand

Durch die Beständigkeit zu schwächen,

Und endlich ganz und gar zu brechen.

Allein, es war umsonst.

Noch neulich hoffte Polidor,

Durch den beliebten Ton der Seyten,

Philinden zu bestreiten;[670]

Allein, es war umsonst.

Menalkas wollte sie durch sein geübtes Rohr,

Und angenehme Lieder zwingen:

Er sang ihr ihren Ruhm, und seine Schmerzen vor,

Und dachte ganz gewiß, es würd' ihm noch gelingen;

Allein, auch dieses war umsonst.

Ihr Herz blieb frey von allen Trieben.

Philinde kann, Philinde mag nicht lieben.


Silvander hörte dieß mit stillem Lächeln an,

Gleich einem, der was weis, und gleichwohl schweigen kann.

So meynst du, Damon, denn, so brach er endlich los,

Philindens Kälte sey so groß?

Nein, lieber Damon, nein.

Das Wesen der Natur muß dir verborgen seyn,

Sonst würdest du auch in Philinden,

Die Wirkung ihrer Kräfte finden.

Was dünkt dich von der Post?

Menalkas hat mir zugeschworen,

Philanders Tochter hat die Härtigkeit verlohren.

Sie liebt bereits, sie brennt für lauter Liebe.

Durch des Amintas heiße Triebe,

Ist ihre kalte Brust entbrannt.

Ich selber sah sie jüngst zusammen ausspazieren,

Er führte sie, ganz zitternd, an der Hand,

Sie ließ sich frey und willig führen.

Sie schienen auch zu scherzen:

Philinde ließ sich gar ganz ungezwungen herzen.

Nun, Damon, kannst du leichtlich spüren,

Daß auch der allerhärtste Sinn,

Der unbesiegten Schäferinn,

Durch des Amintas Kunst verschwunden.

Mich dünkt, die Wahl ist recht beglückt,

Weil sich dieß Paar sehr wohl zusammen schickt.[671]

Philander kann an unsrer Pleißen,

Mit Recht der Glücklichste von allen Schäfern heissen.

Und wer kennt nicht die schönen Triften,

Die dem Amintas Ruhm und vieles Ansehn stiften?

Sprich, wessen Hütten sind bey euch

Den Hütten seines Vaters gleich?


Allhier erholte Damon sich

Aus der Verwunderung, die seinen Geist entzückte,

Und aus den zweifelnden verwirrten Minen blickte,

Weil ihm sonst nichts so sonderlich,

Als diese Nachricht schien.

Drum rief er endlich aus; Vergebliches Bemühn!

Du sprichst, Amintas hat Philindens Herz bewogen,

Silvander, nein! du bist betrogen.

Was zweifelst du doch viel? war hier das Gegenwort,

Die ganze Zahl der Schäfer stimmet bey,

Daß diese Zeitung richtig sey.

Die Hochzeit selber geht in wenig Wochen fort.

Die größten Schäfer unsrer Linden,

Sind schon bereit, sich häufig einzufinden.


DAMON.

Silvander, wie es scheint, so bist du selbst erfreut?


SILVANDER.

Ja freylich, weil ich dieß schon längstens prophezeiht.

Es ist noch nicht ein volles Jahr,

Als ich so glücklich war,

Philindens Jahrstag zu beehren.

Ich sang ein Lied nach meiner schlechten Art,

Das gütig aufgenommen ward,

Da ließ ich mich zuletzt mit dieser Ahndung hören:


* * *[672]


Ihr Nymphen! eilt herzu, den neuen Kranz zu winden,

Wozu die Blumen schon in vollen Knospen stehn;

Denn eh dieß nächste Jahr noch völlig wird verschwinden,

Wird dieser Schönen Haupt in solchem Putze gehn.


* * *


Was meynst du nun? Gehören die Poeten

Nicht wirklich unter die Propheten?


DAMON.

Ja freylich, kann es doch dein eigen Beyspiel zeigen;

Allein, wenn alles richtig ist,

So können wir gewiß bey dieser Lust nicht schweigen.

Und wo du mit mir einig bist,

So ist es warlich unsre Pflicht,

Philandern und sein Kind,

Durch einen Glückwunsch, zu verehren.


SILVANDER.

Mein Damon, zweifle nicht,

Ich bin wie du gesinnt.

Philander, den ich längst an Vaters statt geliebt,

Der mir von seiner Huld fast täglich Proben giebt,

Soll unsre treue Lieder hören.

Wir wollen hier, so, wie zu andern Zeiten,

Im Spielen und im Singen streiten.


Allhier ward dieß vergnügte Paar,

Bey kühler Demmerung und trüber Luft, gewahr,

Daß ihre Hütten schon ganz nah vor Augen stunden.

Die Lämmer fiengen an zu laufen und zu springen,

Und zwiefach durch die Thür des Stalles einzudringen,

Worauf die Schäfer sich vergnügt zusammen funden.[673]

Ein jeder schenkte sich ein Maaß von neuem Wein,

In den zwar hölzernen doch reinen Becher ein.

Ein jeder trank ihn zweymal aus,

Zuerst Philanders werthes Haus,

So dann das neue Paar zu ehren.

Der Rebensaft erhitzte Haupt und Brust,

Drum liessen sie, mit ungemeiner Lust,

Der frohen Lieder Streit, nebst ihren Flöten hören.


DAMON.

Schäfer unsrer Philurenen,

Kommt, und singt von dieser Schönen,

Die die Tugend selbst muß krönen.


SILVANDER.

Sagt, ist unter unsern Linden,

Wohl ein besser Paar zu finden,

Als Amintas mit Philinden?


DAMON.

Ach Philinde liebt vergnügt!

Weil ein Schäfer sie besiegt,

Dem sie willig weichen mußte.


SILVANDER.

Nein, Amintas ist beglückt,

Weil ihn eine Braut erquickt,

Die noch nichts vom Lieben wußte.


DAMON.

So viel Knospen aus den Zweigen

Unsrer kahlen Linden steigen,

Die der Frühling grün wird zeigen;

So viel Wohlfahrt, Glück und Heil

Werde diesem Paar zu Theil,[674]

Daß sich über ihr Gedeihen

Alle Pleißenschäfer freuen!


SILVANDER.

So viel Flocken auf die Erden,

Und auf unsre Wollenheerden

Diesen Winter schneyen werden;

So viel müssen mit der Zeit,

Aus Philindens Fruchtbarkeit,

Aus Amintas Liebesflammen,

Wohlgerathner Erben stammen!


II. Ekloge.
Auf eine Priesterhochzeit in der Laußitz.
1728.

CORYLAS und AMARYLLIS.

Bey Zittau, wo die Hand der gütigen Natur,

Aus reicher Müdigkeit, die Auen, Wald und Flur

Mit tausend Gaben schmückt, wo sich in vollen Ställen,

Kein räuberischer Wolf zu Schafen darf gesellen;

Wo manch vergnügter Hirt, wenn ihn die Liebe zwingt,

Auf seinem Haberrohr von seiner Phillis singt;

Wo jeder Jüngling wünscht, die blöden Schäferinnen,

Durch Höflichkeit und Witz und Künste zu gewinnen;

Da liegt bey Läutersdorf ein angenehmer Wald,

Der Faunen liebster Platz, der Nymphen Aufenthalt,

Und hier ergetzte sich nur neulich noch, im Stillen,

Der Schäfer Corylas mit seiner Amaryllen.


Der Tag war angenehm, die Luft ganz hell und warm,

Als dieß verliebte Paar, befreyt von Leid und Harm,[675]

Des Jahres letzte Lust vergnügt geniessen wollte,

Eh sich der kühle Herbst dem Winter nähern sollte.

Er satzte sich so gleich ins halb verwelkte Gras,

Und sprach zur Schäferinn, die eben bey ihm saß!

Sieh doch, wie eifrig dort die wilde Wachtel eilet,

Wenn sie das Weiblein lockt, so daß sie nichts verweilet.

Bist du mir wohl so hold? Als ich dich gestern rief,

Und dir zu Liebe fast das halbe Dorf durchlief,

Da warest du nicht da, da warst du nicht zu sehen,

Und ich, ich wußte kaum, wie mir dabey geschehen.

Doch sie schwieg still und zog die halb erzürnte Hand

Von seinem Schooße weg, und sah ihn halb verwandt

Von einer Seiten an, in Hoffnung, durch ihr Schweigen,

Dem guten Corylas noch mehr zu sich zu neigen.

Ihr Wunsch verfehlte nicht; denn als er Raum gewann,

Hub sein getreuer Mund die Schmeichelreden an,

Und wußte sie gar leicht durch sanftes Händedrücken,

Durch Lächeln, durch den Stral von angenehmen Blicken,

Durch manchen klugen Schluß, der Herz und Geist besiegt,

Zur Lindigkeit zu ziehn. Und kurz, sie schien vergnügt,

Und ließ den Corylas, um ihre Schuld zu büssen,

Den hingereckten Mund, doch halbgezwungen, küssen.


So schienen sie versöhnt; allein der Schäferinn

Lag Eifersucht und Furcht und Argwohn in dem Sinn.

Der Oberhirt allda, ein Mann von vielen Gaben,

Desgleichen wenige von sich zu rühmen haben,

Begab sich dazumal mit seiner Galathee,

In den erwünschten Stand der angenehmsten Eh.

Die Braut war angenehm, ja jung und schön zu heissen:

Ihr fernes Vaterland war das beglückte Meissen.

Kaum sah der Bräutigam dieß Bild der Artigkeit,

So hat er es geliebt und gar darnach gefreiht.

Sie stammte zwar gleich ihm aus frommem Schäferstande,

Doch war ihr Aufenthalt fast gar nicht auf dem Lande.[676]

Sie lebte mehrentheils in jener Lindenstadt,

Wo Geist und Artigkeit den rechten Wohnplatz hat:

Doch hatte noch die Pest der höchstverderbten Sitten,

So sonst in Städten herrscht, ihr Wesen nicht bestritten.

Denn Eitelkeit und Stolz, die Spiel- und Modesucht,

Die schnöde Klätscherey, des Müßigganges Frucht,

Und das gemeine Gift, die Frechheit in dem Lieben,

Galanterie genannt, war ihr verhaßt geblieben.

Drum fiel es ihr nicht schwer, den wackern Galatin,

Und seinen Schäferstand den Städten vorzuziehn,

Und ihrem Bräutigam, den sie schon kennen lernen,

Zu Liebe, sich vergnügt aus Leipzig zu entfernen.

Die Hochzeit selber war denselben Tag geschehn,

Und weil hier Corylas die Galathee gesehn,

War seine Schäferinn in Eifersucht entglommen,

Aus Furcht, daß ihm die Braut vielleicht das Herz genommen.


Ja, sprach sie; freylich wohl, bin ich so artig nicht,

Als man von Galathee, der Meißnernymphe spricht.

Sie geht weit zierlicher, als unsers Schulzen Käthe,

Und lebt und spricht galant, nach Art der großen Städte.

Was meynst du wohl damit? versetzte Corylas,

Das klingt mir räzelhaft? Sprich, wie verstehst du das?

Ach du verstehst mich wohl, gab mit gebrochnem Blicke,

Die Schäferinn darauf, doch halb beschämt zurücke.

Wer solche Schönen sieht, die durch ein seidnes Kleid,

Durch einen Puderputz und manche Kostbarkeit,

Die nicht auf Dörfern wächst, den zarten Körper schmücken,

Den muß ja solch ein Bild weit heftiger entzücken,

Als was ein schlechtes Dorf erzeuget und erzieht;

Daran man keinen Schmuck, als Flachs und Wolle sieht:

Dafern die Blumen nicht mit ihrer Farben Schimmer,

Ein glattes Haar – – doch kurz, ich bin kein Frauenzimmer![677]

Du weist schon, was ich will. Ach liebste Schäferinn,

Versetzte Corylas, was hast du doch im Sinn?

Dich quält die Eifersucht. Ich weis schon, was geschehen,

Du zürnst, weil ich vorhin die Galathee gesehen.

Allein du zürnst umsonst. Zwar ich gesteh es gern,

Ich sah sie, doch ich stund ein wenig allzufern.

Man hat bald hie, bald da, in letztverwichnen Wochen,

Von ihrer Trefflichkeit so viel zu mir gesprochen,

Daß ich begierig war, die Wahrheit selbst zu sehn;

Allein, was ist nun mehr? Dadurch ist nichts geschehn,

Das dir zuwieder ist. Du kannst es leicht erachten,

Ich konnte sie so sehr von weitem nicht betrachten,

Als du vielleicht geglaubt. Die Leute drängten sich,

Ich drängte mich zwar auch, doch dacht ich gleich an dich,

An dich, mein andres Herz, und sprach mit Wiederwillen:

Viel lieber geh ich ja zu meiner Amarillen.

Drauf kam ich auch zu dir. Indessen bleibts dabey,

Daß unser Galatin im Freyen glücklich sey.

Und er verdient es auch. Du kennst sein kluges Wesen,

Und hier hat er gewiß was Schönes auserlesen.

Ich finde nichts an ihr, das tadelswürdig ist:

Und wenn du nur nicht noch so voller Argwohn bist;

So will ich dirs gewiß ganz offenbar bekennen,

Sie sey in Wahrheit schön und liebenswerth zu nennen.


So redte Corylas für Eifer halb empört.

Als Amaryllis dieß geduldig ausgehört,

Vernahm sie freylich wohl des lieben Schäfers Treue,

Und gab ihm zu verstehn, daß sie die Furcht bereue,

Dadurch sie ihn weit mehr, als er wohl sie verletzt.

Darauf ward aller Streit erwünscht bey seit gesetzt.

Ihr Auge sah nunmehr mit aufgeklärten Blicken,

Demselben ins Gesicht: Sie klopft ihm auf den Rücken

Und sprach: Ey seht doch nur, wie zornig er sich stellt!

Ich liebe dich weit mehr als alles in der Welt,[678]

Sprach er; allein du stellst mich stets auf neue Proben,

Doch sollst du mit der Zeit noch meine Treue loben.

Itzt zeige mir einmal dein aufgeräumter Geist,

Daß du nicht Argwohn hegst, nicht eifersüchtig seyst,

Und wünsche, daß das Paar, so sich itzund verbunden,

So glücklich leben mag, als klug es sich gefunden.

Daß unser Galatin mit seiner Galathee,

In kurzer Monden Frist, sein Haus in süßer Eh

Gesegnet spüren mag; und daß so viel Vergnügen

Als dürre Blätter schon in unserm Walde liegen,

Als Tropfen unser Teich in seinen Ufern hegt,

Als Härchen unser Vieh in seiner Wolle trägt,

Hinfort betreffen soll. Das that sie nun mit Willen,

Darauf schied Corylas von seiner Amaryllen.


III. Ekloge
Auf eine adeliche Hochzeit in Schlesien.

1727.


THYRSIS und PALÄMON.

An unsrer Saal begrüntem Strande,

Saß Thyrsis neulich ganz vergnügt,

Und dachte ruhig nach, wie sich im Schäferstande

Das Schicksal oft nach Wunsche fügt.

Hier seh ich, sprach sein Herz, den Musenhügel liegen,

Den Preußens Friedrich eingeweiht:

Dort konnte neulich mich das Pleißathen vergnügen,

In welchem Deutschlands Witz und alle Lieblichkeit

Sich ganz verschwistert und verbunden.

Ach! ich gedenke noch der angenehmen Stunden,

Die ich daselbst in mancher schönen Flur,[679]

Darinnen sich die Kunst und die Natur

Mit lauter Meisterstücken zeigt, empfunden.


So schwärmten diesesmal dem Thyrsis die Gedanken,

Sein Geist entriß sich fast aus seines Körpers Schranken,

Der starr und sprachlos saß, und fast zu träumen schien.

Palämon, den er liebt, ein Freund von ächter Treue,

Traf ohngefähr hier ein. Wiewohl, dieweil er ihn

Mit keinem schreckenden Geschreye,

In seiner, wie es schien, recht angenehmen Ruh

Gesonnen war zu stören;

So kam er nur von hinten auf ihn zu,

Und ließ den zärtsten Ton von seinem Rohre hören.

Wie sonst ein Schlummernder erwacht,

Wenn ihn ein Ruf früh morgens munter macht:

So fuhr auch Thyrsis auf, so bald er ihn vernommen.

Palämon, war sein Wort, bist du zu mir gekommen?

Freund, sage mir, wie fandst du mich?

Mein Thyrsis, sagte der, wie sollt ich dich nicht finden?

Weis ich denn nicht, daß du in diesen Gründen

Dich gern ergetzen magst? Drum sucht ich eben dich

Am allerersten hier.

Ich wünschte dich zu sprechen:

Und siehe, so gelingt es mir.

Wie schliefst du aber so? Schlief ich? hub Thyrsis an,

Du irrst, ich war nur in Gedanken.

Und wie man sich dabey gar leicht vertiefen kann,

So wollt ich sie dießmal mit Fleiß nicht unterbrechen.


Was meynst du, war Palämons Wort,

Dein Pylades zog jüngst aus Sachsen fort,

Um in Elysien, bey seinen eignen Heerden,

Der Oberhirt zu werden.

Ich weis, er war dein unverstellter Freund,

Ich weis, wie herzlich du es auch mit ihm gemeynt:

Nun rathe, wie es ihm gegangen?[680]


THYRSIS.

Ich warte noch bisher mit sehnlichem Verlangen

Auf einen Brief von seiner werthen Hand:

Drum ist mir nichts von seinem Thun bekannt.

Und weist du mehr als ich, so sag es nur heraus.


PALÄMON.

Dein Pylades sucht sich was Liebes aus,

Und hat es allbereit gefunden.


THYRSIS.

Hat Pylades sich schon verbunden?

Was sagst du mir? Palämon, scherze nicht.


PALÄMON.

Ich sage, was ein jeder spricht.


THYRSIS.

Ey, wäre was daran, er hätte dran gedacht,

Und seine Liebe mir vor andern kund gemacht.

Freund, laß dich nicht durch falsche Nachricht blenden.


PALÄMON.

Die Zeitung kömmt aus guten Händen.


THYRSIS.

Ich glaub es kaum; denn denke selber nach,

Wie heilig er es mir, und wie ichs ihm versprach,

Wenn wir einmal was schönes lieben sollten,

Daß wirs einander schreiben wollten.

Doch endlich; es kann seyn. Nur, ist sein Schatz auch schön?[681]


PALÄMON.

Ich sage dir kein Wort, du wirst es selbst gestehn.

Cythere nennt sie sich, du kennst auch ihr Gemüthe!


THYRSIS.

O wie erreget sich für Freuden mein Geblüte!

Ich kenne diese Schäferinn,

Ich weis, daß ich ihr selbst geneigt gewesen bin.

Sie hat an Artigkeit und Zucht kaum ihres gleichen,

Es muß ihr Galathee und Chloris selber weichen.

Die schöne Galathee, die an der Pleiße lebt,

Die alles, was sie kennt, ja einmal sieht, erhebt.

Und Chloris, die allhier die Schäfer an der Saal,

Gleich auf das allererstemal

Durch ihre Reizungen vermögend ist zu zwingen.

O möcht es mir einmal im Freyen so gelingen!


PALÄMON.

Du wünschest ganz umsonst. Dergleichen seltnes Glück,

Erlangt nur der, den keiner Schönen Blick,

Ins Buhlernetz gezogen.


THYRSIS.

So meynst du denn, ich wäre schon betrogen?

Palämon, nein! mich fängt so leicht kein Weib,

Mein Lieben ist ein Scherz und bloßer Zeitvertreib,

Man muß ja oft der lieben Mädgen lachen,

Wenn manche, der man wo ein Blumensträußchen schenkt,

So gleich vergnügt in ihrem Herzen denkt,

Man wolle sie gewiß zu seiner Frauen machen.

Das Ding ist gar zu wunderlich!

Denn wer ein Mägdchen liebt, der will sie nicht gleich nehmen.[682]

Die guten Kinder trügen sich,

Und sollten sich der groben Einfalt schämen.

Gesetzt, man hätte gleich einmal, in hundert Jahren,

Dergleichen Ding erfahren,

So ist es doch nicht gar zu oft geschehn.


PALÄMON.

So haben denn die schönsten Schäferinnen,

Die dich allhier so reizend angesehn,

Noch nie vermocht, dein Herze zu gewinnen?


THYRSIS.

Bisher, Palämon, warlich nicht!

Doch höre, was itzt Thyrsis spricht:

Weil Pylades, mein Freund, in seinem Vaterlande,

Cytherens Herz und Mund gewonnen hat:

So soll mich weder Feld noch Stadt,

An diesem Saal- und jenem Pleißenstrande,

Durch seiner Nymphen Reiz und Lieblichkeit berücken,

So wird es mir dereinst, wie meinem Freunde glücken.


PALÄMON.

Du sagest recht, geliebter Freund.

Indessen müssen wir unfehlbar, wie es scheint,

Dem Pylades der alten Freundschaft Pflichten,

Durch einen treuen Wunsch, nach Schäferart entrichten.

Sey nur bereit, sein Hochzeitfest,

Sobald er uns davon die Nachricht geben läßt,

Durch deine Lieder zu beehren.


THYRSIS.

Ich folge dir, du mußt der erste seyn,

Ich falle, wenn du singst, mit meiner Flöten ein.[683]


PALÄMON.

Werther Pylades, dein Freyen

Müsse dir nach Wunsch gedeihen,

Müsse dir ersprießlich seyn.

Deiner Schönen Lieblichkeiten,

Nehmen dich zu allen Zeiten

Mit erneuter Reizung ein.


THYRSIS.

So viel Fische jener See,

Und das Ufer Gras und Klee,

Dir, mein Pylades, wird zollen:

So viel Segen, Heil und Glück,

Gönne dir des Himmels Blick;

Bis wir gleichfalls folgen sollen.


PALÄMON.

Eh der schwangre Schooß der Erden

Wird von Blumen trächtig werden,

Die der Frühling nährt und säugt;

Werden wir schon von Cytheren

Die erwünschte Zeitung hören.

Daß sie uns was kleines zeigt.


THYRSIS.

So vielmal des Monden Licht

Jährlich neuen Glanz verspricht;

So vielmal soll es geschehen,

Daß dieß neuverliebte Paar,

Künftighin von Jahr zu Jahr,

Sein Geschlecht vermehrt wird sehen.[684]


IV. Ekloge.
Auf den sechzigsten Geburtstag
Meines lieben seligen Vaters.

1728.


DAMON und PRUTENIO.

Wo Sachsens Paradies, das fette Meißnerland,

Den Kummer aus der Brust beglückter Hirten bannt;

Wo Erd und Himmel lacht, und sich in flachen Auen

Noch mancher Ueberrest der güldnen Zeit läßt schauen;

Wo Schäfer alter Art, wie dazumal geschehn,

Die Ställe voller Vieh, die Fluren fruchtbar sehn;

Wo manch vergnügter Greis vergnügt am Stabe gehet,

Und mitten in der Schaar umkränzter Enkel stehet;

Kurz, wo die Unschuld herrscht, wo alles lacht und liebt,

Weil kein tyrannisch Joch das freye Volk betrübt;

da saß Prutenio, ein fremder Hirt, im Schatten,

Als seine Herden sich ins Gras gelagert hatten.


Hier sann er ganz vertieft dem seltnen Schicksal nach,

Das ihn dahin gebracht. Er seufzte laut, und sprach:

O Himmel! der du mir viel Gutes zugemessen,

Soll ich mein Vaterland denn ganz und gar vergessen?

Den mütterlichen Schooß, die Brust, so mich gesäugt?

Den Vater, der mir selbst der Weisheit Bahn gezeigt?

Ich ehre deinen Schluß, du Schöpfer meiner Tage!

Du weist, ich murre nicht, indem ich solches sage:

Du fügest alles wohl, und hast, mit Vorbedacht,

Auch mich aus ferner Luft an diesen Ort gebracht.

Dein Rath, den niemand noch recht würdiglich gepriesen,

Hat sich fürwahr an mir recht sonnenklar gewiesen.

Ich suchte Sicherheit, des Friedens edle Frucht,

Ich wünschte Ruh und Glück, und fand, was ich gesucht.

Allein, ich dachte nicht, daß mir die Meißnerhürden,[685]

So lang ein Aufenthalt und Wohnplatz bleiben würden,

Als sie es itzt schon sind. Mich dünkte, daß ein Jahr

Schon ein geraumes Ziel zum Aussenbleiben war,

Und daß des Mondes Glanz kaum zwölfmal wechseln sollte,

Bis ich mich wiederum zurück begeben wollte.

Itzt ist das fünfte Jahr schon größtentheils vorbey,

Und man vermißt mich noch bey jener Schäferey,

Die dort am Pregelstrom auf bunten Hügeln weidet,

Die Flora wohl so schön mit Gras und Blumen kleidet,

Als dieses Meißnerland. Was hab ich nun gethan,

Daß ich mein Vaterland nicht wieder sehen kann?

Soll ich mir Haab und Gut in fremder Luft erwerben,

Ein Fremdling lebend seyn, und als ein Fremdling sterben?

O Himmel, das ist hart! Ach möcht es doch geschehn,

Daß ich die Schäferzunft noch einmal könnte sehn,

Die mich von Jugend auf so treu und redlich liebte,

Und sich, indem ich schied, mit reger Brust betrübte;

Die ich sehr hoch geschätzt, weil ihre Gütigkeit

Mir oft behülflich war, mich oftmals sehr erfreut.

Hier leb ich ohne Dank, und muß in ferner Erden,

Mir selber innerlich ein rechter Abscheu werden.

O daß mich doch kein Wind nur einen halben Tag,

Zu dieser Hirten Zahl in Preußen führen mag!

Wie munter würde da mein treues Herze springen!

Wie würde mir die Lust durch Mark und Adern dringen!

Wie eifrig wollt ich da durch alle Hütten gehn,

Und mündlich überall die Gunst und Huld erhöhn,

Die mir, vor hunderten, die meines gleichen waren,

In Proben mancher Art, zehn Jahre wiederfahren.


So trug Prutenio die strengen Seufzer vor,

Und warf für Kümmerniß sein sanftes Haberrohr,

An einen Haselstrauch, daran die Lämmer stunden,

Als welche sich bey ihm im Klagen eingefunden.

Geht, weidet nur vergnügt! so hub er traurig an;[686]

Ihr übertrefft mich weit, und seyd viel besser dran.

Euch trennt kein harter Riß von eurer Mütter Ställen,

Ihr wisset nichts von Gram und trüben Unglücksfällen,

Wie der geplagte Mensch; seit dem die güldne Zeit

Die Welt verlassen hat, und lauter Dienstbarkeit

Den frohen Seelen droht. Hier sank er kraftloß nieder,

Die Lämmer legten sich, und käuten traurig wieder,

Und sahen, wie es schien, mit wehmuthvollem Blick

Den matten Schäfer an. Doch seht! zu allem Glück

War Damon, den er sich vor andern auserlesen,

Indem er so geklagt, nicht weit davon gewesen.

Er hatte zugehört, wie sein betrübter Freund

Die Fügung des Geschicks beseufzet und beweint,

Und nahte sich nunmehr mit übereilten Schritten.

Der Boden rauschete bey seinen schnellen Tritten,

Weil das verwelkte Laub, der Bäume Schmuck und Haar,

Die Herbstluft schon gefühlt und abgefallen war;

So, daß Prutenio ihn freudig wahrgenommen,

Noch eh derselbe ganz zu seinem Sitz gekommen.


Du thust nicht wohl, o Freund, war Damons erstes Wort,

Daß du so traurig bist. Verbanne nur sofort

Den ungerechten Gram aus dem beklemmten Herzen,

Verbanne, was dich kränkt, und dämpfe Leid und Schmerzen.

Mir geht es fast wie dir; allein ich bin vergnügt,

Und nehm es frölich an, was mein Verhängniß fügt.

Und du, der du dich längst der Weisheit ganz ergeben,

Willst doch bekümmert seyn? Willst voller Unruh leben?

Ist nicht die ganze Welt des Weisen Vaterland?

Und ist dirs nicht bewußt, daß unser Hirtenstand

Hier weit beglückter ist, als in dem armen Preußen?

Zudem Prutenio, was fehlt dir hier in Meißen?

Du lebt ja ganz vergnügt, kein Mangel, keine Noth,

Bestürmet deine Ruh. Du hast dein täglich Brodt,[687]

Du hast noch mehr als das, und darfst bey fremden Hütten,

Aus Niederträchtigkeit um keine Gabe bitten.

Du nährst dich deiner Kunst und guten Wissenschaft,

Man lobet dein Bemühn und deines Fleißes Kraft,

Und viele sind dir hold, die Witz und Tugend lieben.

Was soll dein Kummer denn? Was willst du dich betrüben?

Sieh dieses Blatt nur an, das ich nur gestern früh

Mit vieler Lust gemacht. Du liebst die Poesie,

Und solltest so, wie ich, des Vaters Fest besingen,

Und ihm, wie ich gethan, ein Lied zum Opfer bringen.

Du hast mirs sonst gesagt, drum fällt mirs itzo bey,

Daß heute, wo mir recht, sein Fest erschienen sey.

Auf! wünsch ihm Glück dazu, und zeig in treuen Zeilen,

Die Zärtlichkeit, so du nicht mündlich kannst ertheilen.


Dieß Wort war voller Kraft; der Hirt Prutenio

Umarmte seinen Freund, und ward von Herzen froh.

Mein Werther, hieß es bald, dein Zuspruch giebt mir Stärke,

Indem ich Trost und Muth in meiner Seelen merke.

Du hast sehr recht gesagt, und meynst es gut mit mir,

Gib deinen Glückwunsch her; fürwahr ich folge dir

In Leistung meiner Pflicht. Ich will mit meinen Reimen

Des Vaters Jahrstag auch nicht undankbar versäumen.

Dein Beyspiel reizt mich an; mein Wunsch soll kindlich seyn,

Komm, sprich nur selbst bey mir in meiner Hütten ein,

Ein guter Freudentrunk soll unser Herz erfreuen,

Vergiß dein Rohr nur nicht, nebst deiner Feldschalmeyen.

Itzt neiget sich der Tag. Kommt Schäfchen, kommt zurück,

Hinfort beneid ich nicht der jungen Lämmer Glück.

Freund Damon, hilf mir nur die Wollenheerden treiben,

Den Abend wollen wir vergnügt beysammen bleiben.


Urania
ein Schäfergedichte. 1734.

[688] Silvander, Damons Freund, ein wohlbekannter Hirt,

Der itzo ganz vertieft durch Tahl und Auen irrt,

Der Heerden oft vergißt, und in entlegnen Gründen,

Bey stiller Einsamkeit, sein Labsal hofft zu finden;

Verlohr sich neulich auch auf einer bunten Flur:

Gleichwohl genoß er nicht die Schönheit der Natur,

Die sich an Feld und Wald in voller Blüte zeigte;

Weil ein geheimer Gram sein Herz zum Trauren neigte.

Er kam aus Lindenfeld, dem schönen Aufenthalt,

Wo lauter Freude wohnt, und lauter Lust erschallt;

Wo Schäfer ohne Zahl von zarten Trieben brennen,

Und ihre Glut erwünscht, sich selber glücklich nennen.

Er hatte zugesehn, wie herzlich Dämon liebt,

Dem eine Schäferinn geneigte Blicke giebt,

Die alles ehren muß, was sie nur sieht und kennet,

Die man vor tausenden mit Recht vollkommen nennet:

Indem ein edler Geist, des hohen Körpers Pracht,

Und heller Augen Blitz sie fast zum Wunder macht.

Drum hatte Damon sich dem frohen Paar entrissen,

Und hier ins tiefe Gras an einen Baum geschmissen:

Da lag er ganz entstellt. Es floh ihn alle Ruh;

Selbst Zephir blies umsonst ihm kühle Lüfte zu.

Das schattenreiche Laub entzog ihn zwar der Hitze;

Doch ihn vergnügte nichts. Oft sprang er von dem Sitze

Bey tiefen Seufzern auf, und hub zu gehen an:

Doch wußt er nicht wohin. Kaum hatt' er dieß gethan,

So sank er kraftlos hin mit ganz bethränten Wangen.


Indessen war sein Freund ihm heimlich nachgegangen,

Er hatte wohl gemerkt, daß in Silvanders Brust

Sich Gram und Quaal erregt. Drum gieng er von der Lust,

Verließ so gar die Hand der schönen Cölestinen,[689]

So herzlich er sie liebt, um ihm vielleicht zu dienen.

Er fand ihn endlich hier, nachdem er lang gesucht:

Silvander, war sein Wort, warum nimmst du die Flucht?

Ist unsre Schäferzunft, sind alle Schäferinnen,

Nicht fähig, deine Brust allmählich zu gewinnen?

Warum entzeuchst du dich? Was soll der Eigensinn?

Was willst du hier allein? Komm wieder mit dahin.

Man hat dich gleich vermißt, so bald du nur verschwunden,

Und fragt mich, ob du dich vielleicht nicht wohl befunden?


Hier wachte nach und nach der matte Schäfer auf:

O, sprach er, laß doch nur den Sorgen ihren Lauf,

Die mich bisher gequält. Hier häng ich meinem Schmerzen,

Mit reger Seele nach. Hier geb ich meinem Herzen,

Und den Gedanken Raum. Hier werd ich nicht gestört,

Weil niemand meinen Gram und meine Seufzer hört.

Ach! Damon, liebster Freund, du kennst die zarten Triebe;

Du selbsten fühlst die Glut der allerstärksten Liebe;

Ich fühle sie wie du, in soweit sind wir gleich:

Doch du bist höchst beglückt, und ich bin jammerreich.

Des Himmels Meisterstück, der Tugend Ehrenbühne,

Dein schöner Gegenstand, die holde Cölestine,

Die Geist und Tugenden und Artigkeit verbindt,

Bey der auch Munterkeit und Klugheit Schwestern sind,

Die lacht dich gütig an; es ist dir nichts entgegen:

Denn lebst du bloß für sie; so lebt sie deinetwegen.

Du liebest sonder Furcht, kein Unfall fällt dir hart;

Und, was dein Glück erhebt, dich labt die Gegenwart!

Allein wie geht es mir? Mein Lieben ist ein Leiden;

Von Kummer weis ich bloß, jedoch von keinen Freuden.

Urania, mein Licht, mein Liebstes auf der Welt,

Ist mir zwar auch geneigt, und das ganz unverstellt.

Sie zieht mich allen vor, so wenig ichs verdiene,

Und gleicht fast ganz und gar der edlen Cölestine.

Der schlanken Glieder Bau und ein erhabner Sinn[690]

Schmückt warlich, sie sowohl, als deine Schäferinn.

Sie spricht, sowohl als die, mit fremder Völker Zungen,

Und dichtet so geschickt, als keine je gesungen.

Die Seyten rühret sie mit großer Wissenschaft:

Ihr Wesen ist beliebt, ihr Wandel tugendhaft;

Und kurz, an Witz und Geist, an Schönheit und Verstande,

Ist sie ein wahrer Schmuck von ihrem Vaterlande.

Jedoch, o hartes Wort! Ich bin entfernt von ihr;

Ich bin zu weit entfernt! Nun sprich, was hilft es mir,

Daß unsre Herzen zart und voller Sehnsucht lieben,

Wenn unsre Wünsche stets ohn aEe Frucht geblieben?


Genug, fiel Damon ein. Mich rührt dein hartes Leid,

Ich fühle schon den Schmerz, der dein Gemüth zerstreut,

So lebhaft als du selbst. So hast du dein Betrüben

Mir zwar noch nicht durchaus, doch nicht umsonst beschrieben.

Doch fasse dich, o Freund. Dein Herz erhole sich,

Wenn dich der Kummer plagt, so denke nur an mich:

An mich, den ebenfalls dergleichen Noth bestritten;

An mich, der ebenfalls so viel als du erlitten.

War ich nicht auch entfernt von meiner Schäferinn?

Der Himmel weis, wie schwer ich abgeschieden bin;

Wie sehr ich mich gesehnt, sie wiederum zu sehen;

Wie sehr ich mich gegrämt, bis solches itzt geschehen!

Jedoch auf Leid und Gram erfolgt zuletzt die Lust:

Darum sey gutes Muths und geh mit starker Brust,

Der hoffnungsvollen Zeit getrost und frisch entgegen,

Die dich vergnügen wird; so wird dein Gram sich legen.

Mich dünkt, du pflegest sonst so kleinlaut nicht zu seyn:

Du weist, auf Ungestüm erfolgt der Sonnenschein;

Kann dein gesetzter Geist denn hier so zaghaft werden?


Gut, war Silvanders Wort, in allerley Beschwerden

Hab ich bereits gesucht dem Gram zu wiederstehn;[691]

Beherzt und unverzagt ins Unglück selbst zu gehn;

Oft hab ich auch gesiegt! So gar in meiner Liebe,

So tadelfrey sie war, bezwang ich oft die Triebe

Der starken Leidenschaft. Auch der Entfernung Last

Ertrug ich mit Geduld. Noch mehr, ich war gefaßt,

Sie ferner wie bisher geduldig zu ertragen:

Doch du erneuerst mir die fast vergeßnen Plagen.

Ich seh, wie lieblich dir das Glück im Lieben lacht;

Ich seh, wie froh und frisch dich Cölestine macht,

Da wird bey deiner Lust mein stiller Kummer rege.

Nicht, weil ich irgendwo den Neid im Herzen hege;

Du kennst mich, werther Freund. Dein Glück erfreut mich sehr;

Es giebt dir nicht zu viel; denn du verdienst noch mehr.

Drum seh ichs voller Lust mit herzlichem Vergnügen,

Wie deine Sehnsucht sich nach Herzenswunsche fügen,

Dich glücklich machen wird. Doch jeder matte Blick,

Den ich nach dir gethan, vermehrt mein Ungelück.

Verwundre dich nur nicht. Dem Leben, Cölestine,

Erquicket deine Brust mit jeder holden Mine:

Doch mich betrübet das. Der muntern Augen Stral,

Der dir so reizend ist, erweckt mir lauter Qual.

Ihr witzerfüllter Mund, ihr Scherzen und ihr Lachen,

Ihr ganzer Umgang dient mich wehmuthsvoll zu machen.

Warum? Ich denke stets, an Schönheit, Art, und Geist,

Der Schönen, die das Glück so grausam mir entreißt.

Ich weis, du warst entfernt: Doch sage selbst, wie lange?

Es war ja noch kein Jahr; doch that es dir so bange,

Daß du sie nicht gesehn. Betracht hingegen mich.

Fünf Jahre sind vorbey, das sechste fänget sich

Mit diesem Monden an, seit ich von ihr geschieden.

Und gleichwohl wär ich noch mit allem wohl zufrieden;

Wenn nur ein Ungemach, ein härter Schicksal nicht

Mein Herz noch mehr bestürmt. Allhier schwamm sein Gesicht[692]

In einer heissen Fluth ganz ungehemmter Zähren.

Denn länger konnt er sich derselben nicht erwehren.

Darum fiel Damon ein: Was ist es, das dich quält?

Hat deine Schäferinn sich anderwärts vermählt?

Hat sie der Tod vielleicht schon auf dem Sterbebette?

Zerreißt der Eltern Wort die sanfte Liebeskette,

Die eure Seelen bindt? Entdecke mirs, o Freund!

Weil eins von diesen doch dein Leid zu wirken scheint.


Nein! war Silvanders Wort, bey halbgestillten Thränen:

Kein einziges davon erweckt mir Gram und Sehnen.

Ich fürchte nicht bey ihr der Neigung Unbestand;

Von schwerer Krankheit ist mir gleichfalls nichts bekannt;


Die Eltern stören nicht der Tochter reine Triebe.

Zwar ist der Vater todt, doch wußt er meine Liebe,

Und hieß sie selber gut. Die Mutter stimmet ein,

Ich soll ihr Tochtermann, ihr Sohn und Alles seyn.

Ach Damon! könnt ich dir dieß edle Paar beschreiben,

Du würdest ganz entzückt für Lust und Ehrfurcht bleiben.

Hier herrschet Redlichkeit, Verstand und Lebensart:

Gelehrsamkeit und Witz und Tugend sind gepaart.

Palämon war geübt in aller Kräuter Kräften,

Und wußte durch die Kunst aus Wurzeln, Blüt und Säften,

Für Krankheit, Schmerz und Tod ein Gegengift zu ziehn:

Drum war der Schäfer Heil sein einziges Bemühn.

Wie manchen hat er nicht der dunkeln Gruft entrissen!

Doch endlich hat er selbst die Grube füllen müssen.

Er liebte Kunst und Fleiß, Verstand und Wissenschaft,

Und war in allem Thun fromm und gewissenhaft.

Ohn allen Eigennutz hat er mir Huld erwiesen:

Und wer ihn nur gekannt, der hat ihn auch gepriesen.

Die kluge Doris ist der Frauen Musterbild,

Ihr sanftes Wesen ist mit Witz und Geist erfüllt.

Belesenheit, Verstand und Einsicht vieler Dinge[693]

Sind andern viel zu schwer, iedoch für sie geringe.

Sie kennt die Welt und sich. Der Sitten Artigkeit

Verbindet sie mit Huld und mit Bescheidenheit.

Im Unglück weis sie sich, mehr als ein Mann, zu fassen,

Und wird kein murrend Wort aufs Schicksal hören lassen.

Zwo Töchter hat sie selbst zur Weisheit angeführt,

Dadurch ihr edles Haus sich auf das schönste ziert.

Jedoch, wo komm ich hin? Ich sollte dir nur sagen,

Die Quelle meines Grams, den Ursprung meiner Plagen;

Vernimm es denn: Der Krieg, der schwere Krieg allein

Erweckt mir alle Qval, erweckt mir alle Pein!

Der Feind bestürmt den Ort, wo meine Freundinn wohnet.

Da wird nun keine Wuth, Gewalt und List geschonet.

Man mordet, brennt und tobt, mit wilder Grausamkeit;

Und niemand ist dabey in voller Sicherheit.

Drey Monden sind es schon, daß sie der Stücke Knallen

Ohn Unterlaß gehört um ihre Wälle schallen,

Daß mancher Feuerball bald hier, bald dar ein Haus

Zerschmettert und zerstört. Doch kann kein Mensch heraus!

Die Thore sind gesperrt, die Posten aufgehoben:

Was dünkt dich nun, o Freund, von diesen Unglücksproben?

Ein banger Zweifel stürzt mein Herz in Angst und Noth:

Ich weis nicht, lebt sie noch? Ich weis nicht, ist sie todt?

Vielleicht hat sie bereits ein sinkend Dach erdrücket!

Vielleicht hat sie ein Schlag der Bomben schon zerstücket!

Vielleicht hat Glut und Dampf sie jämmerlich verzehrt,

Und alle meine Lust in ewig Leid verkehrt!

Erbarme dich, o Freund! bey so gerechten Schmerzen!


Dieß rührte Damons Brust, es gieng ihm sehr zu Herzen;

Drum sprach er ihm zwar Trost, mit vielen Gründen, ein;

Doch sah er, alle Müh würd hier vergeblich seyn;

Bis ihm ein sichrer Brief die Nachricht würde geben:

Die Stadt sey wieder frey, die Freundinn noch am Leben.[694]

Darum ergriff er ihn, ganz freundlich bey der Hand,

Und sprach: Komm lindre dir den harten Jammerstand

Durch deiner Freunde Lust. Komm, laß dir Cölestinen

Zur Lindrung deiner Pein durch ihren Umgang dienen.

Ich weis, sie selber nimmt an deinem Kummer Theil;

Ihr Herz ist großmuthsvoll, und aller Menschen Heil

Ergetzt sie allezeit. Komm! denn in ihren Blicken

Wird selbst Urania dein mattes Herz erquicken.

Silvander folgte zwar, doch mit gezwungnem Schritt;

Denn Gram und Kummer gieng an seiner Seite mit:

Doch sein gekränkter Geist ist bey dem holden Wesen

Der edlen Schäferinn gleichwohl noch nicht genesen.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 667-695.
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