VI. Kapitel
I. Satire.
Die Reimsucht.

[744] PERSIUS.

CORUOS QUIS OLIM CAESAREM SALUTARE,

PICASQUE DOCUIT NOSTRA VERBA CONARI?

MAGISTER ARTIS, INGENIQUE LARGITOR

VENTER; NEGATAS ARTIFEX SEQUI VOCES.

QUODSI DOLOSI SPES REFULSERIT NUMI,

CORUOS POETAS ET POETRIAS PICAS

CANTARE CREDAS PEGASEIUM MELOS.


Verstimmte Seyten auf! verstummte Töne klingt!

Da ein verwegnes Volk auf allen Strassen singt,

Da so viel Stümper itzt auf lahmen Fiedeln geigen,

Darf meine Leyer wohl durchaus nicht langer schweigen.


Jedoch, besinne dich, mein übereilter Geist,

Ersticke Trieb und Lust, die dich zum Dichten reißt.

Ist dir der Musen Kunst noch nicht versalzen worden,

Nachdem des wilden Pans verhaßter Sängerorden,

Itzund so manches Nest voll Jungen ausgeheckt,

Und durch die rohe Brut halb Deutschland angesteckt?

Man hört ja mit Verdruß die Hungerlieder schallen,

Die das geborgte Rohr, dem Magen zu gefallen,

Dem Drucker zum Gewinn, aus Noth erzwingen muß.

Man sieht ja dieses Volk, durch übereilten Schluß,

Ein welkes Pappelreis an statt der Lorbern wählen,[745]

Und nachmals sich ganz frech zu Phöbus Söhnen zählen.

Ganz Sachsen ist erstarrt, und wundert sich dabey,

Die deutsche Welt erschrickt, und weis nicht, was es sey.

Wie kömmt es, fragt man oft, daß sich, auf allen Gassen,

Das Dichtervolk bisher so häufig hören lassen?

Man hat ja jederzeit vom Musengott gehört,

Daß er nicht alle Welt mit seiner Gunst beehrt.

Das alte Griechenland hat in viel hundert Jahren

Kaum sechs bis siebenmal ein solches Glück erfahren.

Ein Orpheus, ein Homer, und ein Hesiodus,

Ein großer Sophokles, Menander, Pindarus,

Sind fast allein berühmt. Und Rom, das Haupt der Erden,

Schien auch vorzeiten zwar an Dichtern reich zu werden;

Doch sungen Varius und Maro fast allein.

Ja nahm man irgend wen in diesen Orden ein,

So mußte doch sein Ton gleich Flaccus Oden klingen,

Und wie Ovidius mit reiner Stimme singen.

Doch itzo, wie man sieht, verkehret sich die Welt.

Die deutsche Dichterzunft ist trefflich wohlbestellt!

Die Mücken wären fast in warmen Sommertagen,

Viel leichter, als der Schwarm der Sänger zu verjagen,

Der um die Pleiße, Saal, und Elb und Oder summt.

Man gebe doch nur acht, wie alles heult und brummt;

Wie manche Leyer kreischt, wie mancher Dichter schreibet,

Daß fast kein Blatt Papier zu andern Sachen bleibet.


So klagt Germanien sich selber seine Noth.

Und freylich hat es Recht. Denn Opitz ist ja todt.

Ein Flemming und ein Dach und Tscherning ist verschwunden;

Auch Canitz liegt vorlängst, wie Amthors Geist gebunden;

Auch Günther ist dahin. Kein edler Besser lebt,

Und Neukirch selber stirbt, den Phöbus noch begräbt.

Die alle dorften sich um keine Kränze reissen,

Die Musen liessen gern sich ihre Schwestern heissen.

Drum sieht sie Deutschland auch als große Dichter an,[746]

Man kennet ihren Geist, man weis, was sie gethan.

Die späte Nachwelt wird die edlen Lieder preisen.

Doch seht, da wir die Welt auf diese Meister weisen,

Erhebet sich ein Schwarm, der um ein Frühstück reimt,

Der lauter Rastrum säuft und von den Hefen schäumt:

Und will sich mit Gewalt, durch sein erbärmlich Singen,

Auf den geweihten Sitz des Musenfürsten dringen.


Der ehrliche Hans Sachs lacht selbst in seiner Gruft,

Wenn solch ein rauher Schall bis in die dunkle Kluft

Der Unterwelt ertönt. Er rufft: Ihr ekeln Zeiten,

Was hat doch das Geschrey der Stümper zu bedeuten,

Davon der beste kaum mein Schüler heissen mag?

Ich denke tausendmal an den vergnügten Tag,

Da meine Leyer mich zum Haupte der Poeten

Am Pegnitzstrom gemacht. Da wurden keine Flöten

Geduldig angehört, wo nicht der reine Klang,

Fein zärtlich in das Ohr und in die Herzen drang.

Wie kann denn itzt die Welt das tolle Volk ertragen?

Itzt, da man lieblicher die Seyten weis zu schlagen;

Da meine Dichtkunst selbst in blöder Röthe steht,

Und für gerechter Scham allmählich untergeht.

Ich selber würde ja, die Sudler auszulachen,

Ein spöttisch Strafgedicht in Knittelversen machen.


Doch hört der Pöbel noch das kahle Lobesan,

Des ungehirnten Chors mit großem Eifer an;

Bewundert, was er hört, und läßt wohl täglich fragen:

Ob Bav und Mäv kein Lied dem Drucker hingetragen?

Das macht die Sängerzunft mit ihren Reimen stolz.

Ihr kühner Arm will sich, aus grobem Erlenholz,

Ein festes Stuffenwerk auf Pindus Spitzen bauen,

Das blöde Musenvolk empfindet Furcht und Grauen,

Und gläubet, daß Silen den Berg zu stürmen dräut;

Weil alles, was man hört, gleich seinem Thiere schreyt.[747]

Apollo kann indeß das Lachen kaum verhalten,

Und wird sein hohes Amt zur Lust also verwalten,

Daß, wenn dieß kühne Heer für großer Thorheit schwärmt,

Und trunknen Bauren gleich vor seinem Tempel lermt,

Merkur, für einen Kranz von frischen Lorberzweigen,

Nur Hasenpappeln soll um ihre Scheiteln beugen.


Und solches nach Verdienst. Denn wer nimmt nicht in acht,

Was für Verwirrungen ihr Wahnwitz ausgedacht?

Man will dem Scheine nach gebundne Reden schreiben,

Und läßt die Zeilen doch so durch einander treiben,

Daß nirgends Reim und Reim an seinem Ort erscheint.

Ein Leser irret sehr, der da zu finden meynt,

Was ihm die lange Zeit vermögend ist zu kürzen:

Ein solches Blatt wird ihn in Scheu und Ekel stürzen.

Geht auf den Trödelmarkt, da hat man Briefe feil;

Selbst Name, Jahr und Tag hat an den Versen Theil.

O unerhörte Kunst! wo hast du deines gleichen?

Es muß Athen und Rom vor deinem Meister weichen;

Die auch nach ihrer Art so manchen Brief gemacht,

Doch solche Künste nicht ins Sylbenmaaß gebracht.

Wie mancher läßt uns noch ein abgeschmackter Wesen,

In neuen Zeitungen vom Venussterne lesen?

Was heckt Frau Fama nicht für saubre Jungen aus?

Kurz, dieser Helikon ist wie ein Narrenhaus,

Wo Aberwitzige mit offnen Augen träumen,

Und wie Beseßne thun, in ihrem Anfall schäumen.


Ich sage nicht zu viel. Der halbverrückte Sinn

Kleckt alles, was ihm träumt, auf seine Blätter hin.

Da sieht man Geilheit, Spott, Verläumden, Lästern, Schmähen,

Und tausend Possen mehr in allen Zeilen stehen.

Ja, wie wohl sonst ein Thor den andern ausgelacht,

Der sich aus Aberwitz zum Großvezier gemacht,

Sich selbst indessen doch den Tartarcham geheissen:[748]

So pflegt sich auch bey uns dieß Dichterchor zu beissen.

Der eine sticht auf den, und der auf diesen los,

Wer andre nackend schilt, der geht doch selber bloß,

Man tadelt, was man thut, und lobt wohl gar zuweilen

Auch Stümper, wenn sie nur ein schmeichlend Lob ertheilen.


O du belobtes Volk! du Zierde dieser Zeit,

Du, du verdienst mit Recht die Unvergeßlichkeit;

Du wirst der Deutschen Schimpf an welschen Zungen rächen,

Und den geschwollnen Muth der stolzen Franzen brechen:

Die voller Sprödigkeit auf unsre Sprache sehn,

Und deutscher Lieder Ton als rauh und grob verschmähn.

Du weist den Vorwurf wohl am besten abzuwälzen,

Wenn Reim und Einfall hinkt, so hebst du sie auf Stelzen.

Das Deutsche ganz allein beleidigt dein Gehör,

Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth sehr.

Die Muttersprache scheint zu knarren und zu zischen,

Drum denkst du mit Bedacht was Sanftes einzumischen.

Berühmte Heldenthat, die unsern Ruhm erhöht!

Ein Deutscher ist gelehrt, der euer Deutsch versteht,

Wie Canitz allbereits vor langer Zeit geschrieben:

Denn wer euch lesen will, muß neue Regeln üben,

Und grüblen, was der Sinn des hohen Dichters sey.

Ein Kluger lacht euch aus, und sagt wohl gar dabey,

Daß Lieder solcher Art der blöden Welt zum Schrecken,

Wie Misgeburten sonst, des Himmels Zorn entdecken.

Wie glücklich sind wir doch, daß Frankreich es nicht hört!

Sonst dächt es in der That, durch stolzen Witz bethört,

Ein Deutscher könne nichts, als sudeln, raspeln flicken,

Und müsse Mund und Reim in fremde Falten rücken.


Der bunten Sprache kömmt ihr bunter Einfall gleich.

Ihr fruchtbares Gehirn ist an Erfindung reich.

Claus Narr hat klüger Zeug zu seiner Zeit geträumet,

Als dieß verwirrte Volk bey allen Sinnen reimet.[749]

Man quälet sich fast todt, um aufgeweckt zu seyn,

Wem fiele von sich selbst ein lustig Scherzwort ein?

Umsonst sieht man sie oft den wüsten Kopf zerkratzen,

Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen

Zum Dichterlohn erwirbt. O theure Poesie,

Wie groß ist dein Gewinn für die gehabte Müh!

Wer wollte nicht dafür in späte Nächte sitzen,

Und wie ein Kranker pflegt, am kalten Ofen schwitzen?

Kein Wunder, wenn hernach der bettelarme Geist

Das erste, was er trifft, in lahme Reime schleußt.

Kein Schusterjunge darf auf ihrer Straße laufen,

Kein Wächter einen Krug voll Merseburger saufen,

Kein Licht wird fast geputzt, kein Floh wird umgebracht,

So hat es ein Poet zum Wunderwerk gemacht:

Ja kein geheimer Wind darf im Verborgnen streichen,

Der Dichter setzt ihm stracks ein schriftlich Ehrenzeichen.


So schmutzig führen sich die neuen Musen auf,

Sie sammlen Koth und Schlamm, und bauen Schlösser drauf.

Drum kann kein edler Geist dieß stankerfüllte Wesen,

Das nach dem Schreiber riecht, unmöglich überlesen.

Die Zoten fliessen ihm mit ganzen Strömen zu,

Wer kann, o großer Geist, die Kunst so gut, als du?

Man hört dich allezeit von lauter Ehebrechen,

Und der verletzten Zucht geschwächter Nymphen sprechen.

Was ist dir Leipzig sonst, als ein verdächtig Haus?

Du theilst den Federbusch an alle Männer aus,

Als hättest du allein den Freyheitsbrief erhalten,

Das Kuppleramt allhier Zeit Lebens zu verwalten:

Damit Priapus ja im Reich der Hurerey

Nicht länger ganz allein Patron und Schutzherr sey.

Ja, sey es künftig nur: Wer wird es dir doch wehren?

Doch darf kein kluger sich an solche Narrheit kehren.

Wie Gallensüchtigen auch Wermuth bitter schmeckt,

Und der, so grünes Glas auf seine Nase steckt,[750]

Nur lauter grünes Zeug vor beyden Augen spüret,

Obwohl der falsche Schein nur von der Brille rühret.

So muß es auch allhier den geilen Dichtern gehn:

Weil ihre Lüste stets in reger Wallung stehn,

Muß selbst Lucretia, die Zierde dieser Erden,

Durch ihre Phantasey zur frechen Thais werden.


Mein Leser, zürne nicht, daß mich der Zorn bewegt,

Wer hemmt der Triebe Macht, womit uns Phöbus regt,

Wenn Gänseschnäbel sich aus Unverstand nicht scheuen,

Den Reim, das Heiligthum der Musen, zu entweihen.

Ihr Schnattern reizte mich zu diesem Eifer an,

Und machte, daß mein Kiel, der solches nie gethan,

Dieß scharfe Strafgedicht auf diese Blätter spritzet.

Ach daß doch Flaccus schon im Todtenreiche sitzet!

Ach daß doch Juvenal nicht mehr die Welt bewohnt!

Der manches Stümpers Trotz zu seiner Zeit belohnt;

Wenn sein geschärfter Kiel, durch ein satirisch Lachen,

Das albre Zeug gewußt zu Schimpf und Spott zu machen.

Ach! daß mir nicht Despreaux den kühnen Griffel schickt,

Der manchen Chapelain in seinen Vers gerückt,

Vor welchem Saint Amant, Quinaut, Cotin erbebte,

Da Perrault selbst zuletzt nur seiner Gnade lebte.

Doch meine Muse brennt, und eifert allzusehr,

Wenn ich sie dämpfen will, so flammt sie desto mehr.

Ich bin dem Heucheln feind, ich muß es nur bekennen,

Ich muß ein jedes Kind bey seinem Namen nennen:

Was nicht bey Kräften ist, das nenn ich niemals stark,

Ein Stein heißt mir ein Stein, den Steifmatz nenn ich Quark.

Ein Narr heißt mir nicht klug, die Zwerge sind nicht Riesen.

Und wer es nicht verdient, wird nie von mir gepriesen.

Ja sollt es einst geschehn, daß unsre Dichterschaar

So lang an Ohren wär, als vormals Midas war:

So würde man, wie dort aus den beschilften Röhren,

Den Ruff: Dieß tolle Volk hat Eselsohren! hören.


II. Satire. Der Mensch.

[751] JUUENALIS.

HUMANI GENERIS MORES TIBI NOSSE VOLENTI,

SUFFICIT VNA DOMUS.


Verdammter Gulliver! was brütet dein Verstand,

Dein fabelhafter Witz für manch verkehrtes Land?

Und was hat immermehr dein roher Kopf gewonnen,

Indem er uns zum Schimpf die Houynhnyms ausgesonnen;

Ein seltsam Pferdevolk dem Menschen vorgesetzt,

Die man Jahoos nennt, und kaum wie Esel schätzt.

Verhaßter Misantrop! Du Bastard dieser Erden,

Verdienst ein Pferd zu seyn, und oft gepeitscht zu werden.


So schalt, so eiferte die aufgebrachte Welt,

Als Swift sein Reisebuch ans Tagelicht gestellt.

Wo sein verschmitzter Geist die Thorheit aufgedecket,

Darein das klügste Thier, der Mensch, sich selbst verstecket.

Kein Wunder, daß man zürnt. Geht in ein Narrenhaus,

Und rufft den tollen Schwarm von Mann zu Mann heraus,

Und wagt euch, jeglichem: Du bist nicht klug! zu sagen:

Wie wird der ärgste Narr den klügsten Doctor jagen?

So geht es dir, mein Swift! Du hast das gröste Recht,

Und klagest mit Vernunft das menschliche Geschlecht

Des Unverstandes an; du spottest unsrer Werke,

Gelehrsamkeit, Gewalt, Kunst, Tugend, Pracht und Stärke;

Du lachst die Thorheit aus, die man für Klugheit hält,

Und tadelst dergestalt den ganzen Lauf der Welt.

Das, das ist dein Versehn, dein schreckliches Verbrechen!

Das heißt man, der Vernunft ins Antlitz wiedersprechen!

Du hast zu viel gewagt, und etwa nicht bedacht,

Daß Schmeicheley beliebt, und Wahrheit Feinde macht.

Verwirf dein schlaues Buch; kauf jedes Stück zusammen,

Reiß Blatt vor Blatt entzwey, und wirf es in die Flammen.[752]

Zerstampf es gar zu Koth; und geht dir keins recht an:

So wiederleg es nur, wie Augustin gethan,

Und laß dereinst die Welt zu deinem Lobe lesen,

Daß alles, was du schriebst, nicht gleich dein Ernst gewesen.


Ich seh, du lachst mich aus, und sprichst: Ich sey nicht klug;

Der Zorn bestärke ja des Buches Werth genug:

Die Hunde bellten nur, die sich getroffen finden;

Dein Gulliver sey werth in Saffian zu binden.

Genug, mein Freund, genug! Ich bin ihm selber hold.

Man geb ihm einen Rock von lauter Samt und Gold,

Er mag den schönsten Platz im Bücherschrank erfüllen,

Denn er verdient ihn mehr als zwanzig Schock Postillen.

Die Wahrheit herrscht darinn; und wenn es Fabeln sind,

Was man von Liliput und Brobdingnackern findt,

So dienen sie der Welt, die Lehren zu vergülden:

Was pflegt ein kluger Arzt nicht Kranken einzubilden?

Ich unterschreibe mich, und hab es längst gespürt,

Daß unsre Welt den Witz je mehr und mehr verliert,

Und von der güldnen Zeit, die man so schön beschrieben,

Uns kaum ein Loth Vernunft in allem übrig blieben.

Denn heißt der tolle Mensch noch ein vernünftig Thier,

So rückt der Titel ihm nur seine Thorheit für;

Und zeigt ihm, was er seyn, und nicht nur heissen sollte,

Wenn er des Schöpfers Bild auf Erden tragen wollte.


Man sage mir einmal, wo liegt das Wunderland,

Das jenes Sonnenkind durch lange Schiffahrt fand;

Das Sevaramber-Volk, in dessen edlen Grenzen,

Witz, Klugheit und Verstand in vollem Lichte glänzen?

Wer Menschen suchen will, der suche sie allda,

In jener Mittagswelt, und in Utopia;

Nur in Europa nicht, wo Diogen vorzeiten,

Im witzigen Athen, bey so viel tausend Leuten,

Sie schon umsonst gesucht, sein Licht umsonst verbrannt.[753]

O! käme Diogen in unser Vaterland,

Es würd ihm alsofort so Muth als Lust verschwinden,

Ein halbes Pfennigslicht zum Suchen anzuzünden.

Ihr zweifelt? wagt es selbst! Steckt hundert Fackeln an,

Sucht Menschen in der Welt, die niemand schelten kann;

Durchziehet Stadt und Land und forscht an allen Enden,

In Nord, Ost, Süd und West, in groß und kleinen Ständen;

Durchsuchet jedes Reich und prüfet jeden Staat,

Nehmt Bürger, Adel, Hof, ja Bauer und Soldat,

Die Hochbetitelten, Gelehrten und Pedanten,

Vom allerweisesten bis auf den Ignoranten,

Den reichen Handelsmann, und armer Künstler Zunft,

Und saget mir hernach, was spürt ihr für Vernunft?

Mich dünkt, ihr werdet mir am Ende selbst gestehen,

Die Fackeln fiengen an zu zeitig auszugehen.


Was? wirft hie mancher ein, den dieser Satz erschreckt:

Hast du noch keine Spur der Menschlichkeit entdeckt?

So bist du selbst ein Narr, der uns nur Thoren nennet,

Und doch aus blindem Stolz den eignen Wurm nicht kennet.

Freund, übereilt euch nicht. Ich weis, ich bin ein Thor.

Die Weisheit hielte mir vorlängst den Spiegel vor,

Und lehrte mich zuerst in meinen eignen Werken,

Auf allen Uebelstand auf alle Mängel merken.

Je mehr ich mich nun selbst in schnöder Thorheit fand,

Je mehr ward mir dadurch der andern Pest bekannt:

Und desto billiger darf ich den Griffel schärfen,

Was mir und euch gebricht, mit Eifer zu entwerfen.


Als mich die Kindheit noch in Wieg und Windeln schloß,

Und mein noch zarter Mund nur Muttermilch genoß,

War alles, was ich that, ein Lächeln oder Weinen:

Was konnte nun bey mir wohl für Vernunft erscheinen?

Vielleicht hat sich bereits die Ungeduld geregt,

Wenn mich die Amme nicht nach meinem Sinn gepflegt.[754]

Vielleicht ist mir bereits die Rachgier angekommen;

Wenn man mir allzufrüh die süße Brust genommen.

Weit stärker zeigte sich des schwachen Geistes Art,

Als Fuß und Schritt gewiß, die Zunge schwatzhaft ward.

Ich äffte thöricht nach, was Thoren mir gewiesen,

Und lobt und that mit Lust was mir ein Narr gepriesen.

Ich haßte Zucht und Fleiß, und liebte Müßiggang,

Bey Büchern wurden mir die Stunden Tage lang,

Und für ein eitles Spiel hätt ich mein halbes Leben,

Ja Vater, Mutter, Haus und Haabe hingegeben.

Und hätte man mir nicht durch Härtigkeit und Glimpf,

Durch Strafe, Lohn, Verweis, Ernst, Güte, Lob und Schimpf,

Das Gute beygebracht, der Lüste Schwarm gestöret;

Mein Gott, wie hätten sie sich nach der Zeit empöret!

Wie mächtig würde nicht die Thorheit worden seyn,

Als Muth und Alter wuchs, und selbst der Freyheit Schein,

Auf hohen Schulen mir der Aeltern Aufsicht raubte,

Und alles zugestund, was mir mein Herz erlaubte.


Dem Himmel sey gedankt, der selber mich bewahrt,

Daß meine Jugend nicht, nach eingerißner Art,

Den Lasterweg erwählt; dem selten wer entgehet,

Weil man darauf geräth, bevor man es verstehet.

Ich hab ihn oft gesehn, ich hab ihn auch begehrt.

Doch hat die Vorsicht stets den ersten Schritt gewehrt;

Des Fußes Trieb gehemmt, der sich, wiewohl mit Beben,

Zuweilen schon entschloß, sich auf die Bahn zu heben,

Die zum Verderben trägt. Daß er es nicht gethan,

That meine Tugend nicht. Ich dachte kaum daran!

Allein die Schickung war mir allezeit zuwieder,

Und schlug mir unverhofft den bösen Vorsatz nieder.

Bald hinderte mich dieß, bald fehlte wieder das:

Bald störte mich die Scham, bald war es sonsten was.

Ich wollt, und konnte doch die Lüste nicht erfüllen:

Und war, und blieb ich fromm; so that ichs wieder Willen.[755]

Dafern das frommseyn heißt, wenn man nicht schlimm seyn kann,

Weil uns die Bosheit flieht, darauf das Herze sann.

Dieß ist mein Lebenslauf, ein jeder mag ihn lesen,

Und forschen ob er selbst viel klüger sey gewesen?


Wo war nun dazumal, als ich noch so gelebt,

Die herrschende Vernunft, die man so sehr erhebt?

Was war ich für ein Mensch, als sich in meinen Brüsten

Nichts anders spüren ließ, als eine Brut von Lüsten?

Von Lüsten, die ein Vieh, ein unvernünftig Thier,

Nicht ärger bey sich fühlt, nicht halb so arg, als wir.

Soll uns nicht die Vernunft die Lebensregeln lehren?

Soll ihre Herrschaft nicht die bösen Triebe stören?

Soll sie den Sinnen nicht mit Nachdruck wiederstehn,

Und zeigen, wie man muß zum höchsten Gute gehn,

Wo wir von keinem Gram und Misvergnügen wissen,

Und in Zufriedenheit das ganze Leben schliessen?

Wie that sie das bey mir? Hätt ich nicht manche Nacht,

Und manchen sauren Tag in Büchern zugebracht,

Der Sittenlehrer Kunst mit Eifer nachgespüret,

Und durch ein fremdes Licht den eignen Geist regieret;

Hätt ich der Weisheit nicht geduldig nachgestrebt,

Die tausend Regeln giebt, wie man gebührend lebt;

Und hätte sie mir nicht die Tugend jener Alten,

Die man als Helden rühmt, zu Mustern vorgehalten:

Ich wüßt die Stunde noch, bey männlich reifer Zeit,

Sehr wenig von Vernunft, gar nichts von Menschlichkeit;

Und müßte mich fürwahr nach Billigkeit bequemen,

Bey wilden Bestien in Wäldern Platz zu nehmen.


Du sprichst: Wer kann dafür, daß du nicht klüger bist?

Gut! zeige mir den Mann, der hierinn besser ist;

Der die Begierden zähmt, der stets nach Regeln wandelt,

In allem, was er thut, nach strenger Tugend handelt,[756]

Nichts wünschet, nichts verlangt, als was ihm wiederfährt,

In keinem Unfall murrt, sich nicht für Gram verzehrt,

Die arme Tugend ehrt, das reiche Laster hasset,

Sich selbst und andern nützt, nicht geizet, auch nicht prasset,

Dem Feinde Gutes thut, sein Wort gleich Eiden schätzt,

Verleumder niemals hört, die Unschuld nie verletzt,

Nicht schmeichelt, niemals lügt, die Großen nie beneidet,

Sich weder gar zu schlecht, noch gar zu prächtig kleidet,

Nicht stolz in Kutschen fährt und allen schuldig bleibt,

Die Stadt regieren soll und Kinderpossen treibt;

Nicht seines Nachbars Weib, die sich wie Phryne schmücket,

Von geiler Lust empört, an Mund und Brust gedrücket:

Und hundert andres mehr. Ja, zeige mir den Mann,

An dem ich überall ein Beyspiel nehmen kann:

So will ich meinen Satz sogleich zurücke ziehen,

Und nur mein eigen Herz als Gift und Seuchen fliehen.


Wiewohl, mich dünkt du siehst, du siehst und merkst vielleicht,

Was Welt und Menschen sind. Drum sage, was dich deucht:

Ich ließe herzlich gern die Welt vernünftig bleiben,

Könnt ich nur die Vernunft nach ihrer Art beschreiben.

Heißt das vernünftig seyn? wenn wir zuweilen blind

Der Tugend zugethan, des Lasters Feinde sind;

Das schelten, was wir thun, das loben, was wir hassen,

An Regeln fruchtbar sind, die Thaten unterlassen.

Heißt das vernünftig seyn? wenn uns der Zwang nur hält,

Daß man nicht offenbar in Lasterpfützen fällt;

Aus Scham den Tag verschont, mit Frevel zu beflecken,

Und sich das Dunkle wählt, die Schande zu verstecken.

Heißt das vernünftig seyn? wenn man nach Gütern strebt,

So reich als Crösus ist, so arm als Irus lebt,

Das Armuth erst betrügt, um Bettlern auszuspenden,

Bey Groschen sparsam ist, um Thaler zu verschwenden.

Heißt das vernünftig seyn? wenn wir nach Titeln sehn,[757]

Und den, der sie verdient, nur nicht erlangt, verschmähn.

Wenn man die Jugend schon in aller Thorheit übet,

Und seinem Hause selbst der Bosheit Muster giebet.

Heißt das vernünftig seyn? wenn ein verkehrt Gebeth

Um das, was Schaden bringt, zum höchsten Wesen fleht;

Und seine Weisheit lehrt, nach unserm tollen Dichten,

Die Fügung seines Raths und Willens einzurichten.

Heißt das vernünftig seyn? wenn man Papier bekleckt,

Und die gelehrte Welt mit großen Tröstern schreckt,

Die doch nur dienlich sind, bey Lesern, die schon irren,

Das schwärmende Gehirn noch ärger zu verwirren.

Heißt das vernünftig seyn? wenn man die Wahrheit flieht,

Weil sie nicht Vortheil bringt, Verfolgung nach sich zieht,

Zur eingeführten Schnur der Lehrart sich nicht reimet,

Und Hirngespinste stört, die man bisher geträumet.

Heißt das vernünftig seyn? wenn unser Geist nur sinnt,

Wie der Begierden Durst ein neues Labsal findt.

Heißt das vernünftig seyn? wenn wir geschickt verhüten,

Daß unsre Laster nur nicht gar zu merklich brüten.

Heißt das vernünftig seyn? wenn die Vernunft nur dient,

Daß man sich glücklicher, verkehrt zu seyn erkühnt.

Heißt das vernünftig seyn? wenn man sich nur so nennet,

Doch weder die Vernunft, noch ihre Wirkung kennet.

Heißt das vernünftig seyn? – – Doch, wo gerath ich hin?

Ich weis ja, daß ich selbst nicht frey von Fehlern bin.

Allein das hindert nichts: Weil auch die Kanzeln fehlen,

Und doch mit Geist und Kraft auf Schand und Laster schmählen.


Nun, Leser, komm und sprich, ob ich zuviel gesagt,

Wenn ich mit Gullivern die kühne That gewagt,

Das menschliche Geschlecht für thöricht auszuschreyen:

Ich werde keinen Spruch und keine Prüfung scheuen.

Ich habe dir zu gut mich selber nicht geschont.

Die Dichter sind es sonst im Strafen nicht gewohnt:[758]

Ich that es aber gern, dir klärlich anzudeuten,

Ich hätte mich bemüht, die Laster auszureuten;

Mich selber erst erforscht, mein eigen Herz studirt,

Eh ich ein fremdes Thun durch meinen Kiel berührt.

Doch wenn du reiner bist als ich bisher gewesen;

So straf auch heftiger: Ich will es zehnmal lesen.


III. Satire
An Thalia

HORAT. SAT. I.L. II.

QUANTO RECTIUS HOC, QUAM TRISTI LAEDERE VERSU

PANTOLABUM SCURRAM, NOMENTANUMQUE NEPOTEM,

QUUM SIBI QUISQUE TIMET, QUAMQUAM EST INTACTUS ET ODIT?


Ihr Musen, lebet wohl! Thalia, gute Nacht!

Dieß ist der Scheidebrief, den ich für euch gemacht.

Nun mögt ihr euer Glück bey andern Dichtern suchen,

Ich lasse mir nicht mehr um eurentwillen fluchen.


Thalia, lachst du noch? Ach scherze nicht mit mir!

Entferne dich vielmehr, mein Eifer räth es dir.

Verdammt sey jedes Blatt, das ich nach deinen Trieben

Satirisch ausgedacht, und scherzhaft aufgeschrieben.

Die Reue kömmt bereits mit späten Schritten nach;

Denn da ich mir von dir nur Lust und Ruhm versprach,

So oft mein scharfer Kiel ein Straflied ausgehecket,

So oft hast du mir nichts, als Zorn und Haß erwecket.

So ernsthaft? fragst du mich. Soll ich nicht zornig seyn?

Gib acht, wie dringt die Schaar gereizter Lästrer ein?

Sie hat es schon gemerkt, daß ich Satiren liebe,

Drum schreyt sie: Daß ich mich im Lästerhandwerk übe.

Wer hat nun Schuld, als du? So heilig du dich stellst,[759]

So heftig schilt man dich, wenn du die Thoren prellst,

Dich nicht enthalten kannst, die Laster aufzudecken,

Und öffentlich verlachst, was andre gern verstecken.

Kennst du Silvandern nicht? So rufft die Lindenstadt,

So bald mein freyer Kiel ein Blatt erfüllet hat:

Silvandern, der uns oft mit seinen Reimen qvälet,

Und alles, was er weis, der Welt im Druck erzählet.

Hier ist ein Blatt von ihm, ein Blatt voll Spott und Hohn;

Wenn gleich sein Name fehlt, die Verse zeigens schon.

Er mustert jedermann, und schreibet keine Zeile,

Darinnen nicht ein Wort nach Art geschärfter Pfeile,

Bald den, bald jenen trifft. Sieh da, hier meynt er mich,

Dieß Beywort zielt auf den, und da kriegst du den Stich.

Leandern nennt er Mops, dort schilt er die Poeten,

Und dieser Ausdruck geht auf Jungfer Margareten.

Was hat ihm immermehr das Frauenvolk gethan?

Bald schreyt er, daß es nicht die Bibel lesen kann,

Bald lacht er, daß sie nichts als Caffee trinken können,

Bald will er Floren nicht die reichen Buhler gönnen,

Von deren Mildigkeit das Mägdchen sich erhält,

Obgleich ihr die Person nicht sonderlich gefällt.

Nun will er, wie du siehst, den Weibern Regeln geben.

Als wüsten sie nicht schon galant und wohl zu leben!


Thalia, dieses ists, wozu du mich gelenkt,

Nachdem du mir den Trieb zur Besserung geschenkt,

Wodurch du den Horaz und Juvenal getrieben,

Durch den dein Persius und dein Despreaux geschrieben,

Den Rachels Kiel geregt, den Canitz auch gefühlt,

Bis Neukirch ihm gefolgt, dem Günther nachgespielt.

O hätt ich doch davon kein einzig Blatt gelesen!

O wüßt ich doch noch nichts von dem verhaßten Wesen!

Wodurch der Dichter Mund die Thörichten verlacht;

So wären auch in mir die Triebe nicht erwacht,

Die mich zum Schelten ziehn. Was klagst du? hör ich sprechen:[760]

Was suchest du so sehr die Neigungen zu schwächen,

Die ich in dir erweckt? Ein Stachelvers nützt sehr:

Ein Dichter, der da scherzt, erbauet zehnmal mehr,

Als wenn ein Stagirit die Lehre guter Sitten,

Voll Ernst und Gründlichkeit, der Kunst nach, zugeschnitten.

Mein Handwerk ist erlaubt, sein Werth steht ewig fest,

Seit dem so mancher Kiel die Schutzschrift lesen läßt,

Die er für mich gemacht. Ja, lobe nur die Helden,

Zermartre Geist und Kiel, der späten Welt zu melden,

Was Carl, August, Eugen und Peters Faust gethan.

Wer sieht ein Heldenlob mit halben Augen an?

Die Blätter schwitzen noch von ihren Druckerpressen,

So ist dein Vers bereits gelesen und vergessen.

Als neulich unser Chor einmal zusammen kam,

Und Phöbus, wie er pflegt, des Abends Abschied nahm,

Bemühte sich Merkur, und lief nach einem Lichte,

Das wickelte Marcolph in ein gedruckt Gedichte.

Erst ward ers nicht gewahr, hernach erschrack er sehr,

Wir Musen insgesammt erstaunten noch vielmehr:

Und weil der Idiot das halbe Blatt zerrissen,

So las man auch den Rest, den Innhalt recht zu wissen.

Calliope errieths, denn wie es klar erschien,

So wars ein Heldenlied vom Friedensschluß in Wien.

Was dünkt dich nun davon? O, schreibe doch Satiren!

Die läßt man nicht so leicht zum Krämerladen führen.

Denn zeigt ein Blatt den Trieb, den ich dem Dichter gab,

Das geht, wie ein Gespräch im Reich der Todten ab.

Man zahlet doppelt Geld, man stürmt des Druckers Thüren,

Und in der ganzen Stadt ist kaum ein Haus zu spüren,

Wo Jungfer, Mann und Frau nicht Speis und Trank vergißt,

Bis solche Stachelschrift erst durchgelesen ist.

Jemehr die Laster nun für Scham und Zorn erröthen:

Jemehr erhebt man dich im Chore der Poeten.


Genug, du Schwätzerinn, des Plauderns ist zu viel.[761]

Vergebens schmückest du dein scharfes Seytenspiel.

Gesetzt, man läse nicht die stolzen Heldenlieder,

So ist ihr Innhalt doch den Thoren nicht zuwieder.

Wo nicht ein Criticus ein scharfes Urtheil fällt,

Wenn bald ein leerer Schwulst das ganze Werk verstellt,

Wenn hier das Feuer fehlt, und dort ein Phöbus stehet,

Wenn da ein prächtig Nichts den Vers zum Schein erhöhet,

Und dann ein niedrig Zeug dein Lied nicht besser ziert,

Als wenn sich Günthers Hans die rauhe Kehle schmiert,

Und statt des Donaustroms den Strich von Biere machet,

Wobey ein grober Fluch aus seinem Munde krachet.

Dieß und dergleichen mehr verwirft ein Criticus,

Dieß ists, was ein Poet dabey erdulden muß,

Und dann ists auch gethan. Der Richter wird bald müde,

Er legt die Blätter weg, und läßt dem Dichter Friede.

Mops wickle Fett und Schmalz, Anis und Pfeffer drein!

Ich frage nichts darnach, und will zufrieden seyn,

Wenn sich der Pöbel nur nicht wieder mich empöret,

So, wie ein Wespenschwarm, dem man das Nest gestöret.

Was Tugend? schreyt Gargil: Was Keuschheit? rufft Sybill:

Was gehts den Dichter an, daß ich mich brüsten will?

Und wer hat ihn gesetzt, das Richteramt zu tragen?

Fürwahr, Sylvander wird sein Hecheln noch beklagen

Thalia, siehst du nicht, wie Bavius sich kränkt?

Der durch ein schläfrig Lied mich anzustechen denkt,

Indem ich neulich schrieb: Sophia sey wie Käthchen,

Ein eigennütziges und geldbegierig Mägdchen,

Die reichen Buhlern selbst erhitzt entgegen läuft,

Und mit geschwinder Hand nach harten Thalern greift.

Noch mehr, von Ratzeburg, dem Nas und Buckel jucken,

Läßt auch ein Lästerblatt auf meine Dichtkunst drucken.

Du siehst ja, wie ers selbst zum Bilderhändler trägt,

Und in den Trödelkram zum Eulenspiegel legt.

Da kützelt sich das Volk bey diesen schönen Sachen,

Da sieht man Herr und Frau, und Magd und Jungfer lachen.[762]

Silvander, kränkt dich das? versetzt Thalia hier,

Der Kummer ist umsonst, was schadt das alles dir?

Die Wahrheit ist verhaßt. Das ängstende Gewissen

Hat auch dem tummen Bav bey deinem Reim gebissen.

Warum verschonst du ihn? Beschäme sein Gesicht,

Und leide seinen Trotz und seine Schmähsucht nicht.

Der Hudler möchte gar bey seinem Vorwitz denken,

Du wolltest ihm aus Furcht die ganze Strafe schenken.

Schreib: Bavius ist selbst der Weisheit unbekannt,

Wer gut hebräisch liest, hat darum nicht Verstand:

Und könnte Bav nicht noch die alten Weiber trösten;

So wäre ja bey ihm der Unverstand am größten.

Was gilts, daß solch ein Reim dem Bav so lieblich klingt,

Als jenes Sterbelied, das Ratzeburg noch singt;

Darinn er selbst beklagt, daß seine Lästerungen,

Womit er dich verletzt, so jämmerlich gelungen.

So wirst du mit der Zeit von allen Lästrern frey:

So sieht ein jeder Thor, wie schwer dein Eifer sey.

Wo nicht! so laß das Volk sich ärgern, schmählen, lachen,

Und über jedes Blatt verkehrte Glossen machen,

Wie nur vor kurzer Zeit die Lindenstadt gethan.

Wer klug ist, der verlacht den ungereimten Wahn;

Denn wer dich besser kennt, wird sonder Zweifel sehen,

Daß Neid und Mißgunst auch der Unschuld Wort verdrehen.


Dein Lehren ist umsonst, Thalia, höre mich,

Ich weis es freylich wohl, ein jeder freuet sich,

Wenn ein satirisch Blatt ans Tagelicht gekommen.

Ein jeder wünscht das Bild der Bösen und der Frommen,

Natürlich vorgestellt und abgemalt zu sehn.

O möcht es doch einmal, o möcht es doch geschehn!

Daß sich Silvanders Kiel an Superklugen machte,

Ich glaube, daß ich mich für Lust, zu Tode lachte:

Sprach jüngst ein guter Freund. Allein ein Lobgedicht,

Das lieset, liebt und lobt der tumme Pöbel nicht,[763]

Es ist ihm viel zu hoch. Doch was ist dran gelegen?

Wie? schreibt Silvander denn des großen Haufens wegen?

Des Haufens, der nicht Witz, nicht Kunst, nicht Nachdruck kennt,

Der oft ein Phöbus schön, ein Bombast geistreich nennt,

Der auch Schmierandern lobt und sich nach Zoten sehnet?

Thalia, nimmermehr! So bin ich nicht verwöhnet,

Ich mag nicht, daß Hanns Dumm und Simplex und Nicoll

Mein Dichten, meine Kunst, erhöhn und rühmen soll.

Fürwahr, ein großes Lob! wenn Kaufmannsdiener sagen,

(Die Silber in der Hand und Bley im Kopfe tragen)

Der Vers ist wohl gemacht: Ihr Herren, klingts nicht schön?

Ja, denk ich, guter Freund, du wirst es wohl verstehn.

Nein! lobt mich Menkens Mund, rühmt Mascou meine Zeilen,

Wenn Costen was gefällt, wenn Rabner mich zuweilen,

Wie Kraus' und Jöcher lobt: Dann bin ich ein Poet,

Der, wenn er sterben muß, gleichwohl nicht untergeht,

Und noch in Schriften lebt; dann lach ich aller Thoren,

Die, wo sie Witz gehabt, ihn doch gewiß verlohren.


Gemach, erhitzter Sohn, rufft mir Thalia zu:

Was eiferst du so sehr, und warum zürnest du?

Das ist es, was ich will, daß Kenner guter Sachen,

Daß Leute von Geschmack dich zum Poeten machen.

Vergnüge dich damit; doch sey zugleich bemüht,

Da mancher so geneigt auf deine Schriften sieht,

Noch ferner ihre Gunst und Beyfall zu erwerben,

Wer Leib und Ruhm nicht nährt, der läßt sie endlich sterben.

Vergrabe nicht das Pfund, was ich dir anvertraut,

Geuß ferner deinen Zorn den Lastern auf die Haut,

Erhebe dich mit Ernst zum Richter böser Sitten,

Kein Schelten, keine Wuth, kein Flehen, auch kein Bitten,

Sey dir verhinderlich. Ja, sprech ich, ey mein Glück!

Was Glück? erwiederst du, vertraue dem Geschick!

Du kennst den Aretin, du weist von seinen Schriften,[764]

Die ihm in aller Welt ein Angedenken stiften.

Das war mein echter Sohn. Sprich selber, fällt dirs bey?

Wo war ein Fürstenstuhl von seiner Feder frey?

Nein, er war sonder Furcht und pflegte gar die Kronen,

So sehr ihr Gold sonst blendt, durchaus nicht zu verschonen.

Und dadurch wuchs sein Glück. Von Norden, Ost und West,

Und da, wo Phöbus sich des Mittags finden läßt,

Empfieng mein Aretin mehr Gaben für sein Schweigen,

Als Schmeichler, die der Welt in falschen Bildern zeigen,

Was mancher weder ist, noch selbst verlangt zu seyn:

So trug sein Tadeln mehr, als itzt das Loben ein.

Dieß Beyspiel dient für dich. Doch findst du was zu loben,

Wohlan! so werde dann die Tugend auch erhoben.

Dieß ist dir unverwehrt: Denn bleibst du nur gerecht,

Daß du die Thoren toll, die schlechten Verse schlecht,

Die Laster schändlich nennst, so wird dein Lob auf Erden

Der kräftigste Beweis der wahren Tugend werden.


Jedoch, ich sehe wohl, auch dieß gefällt dir nicht,

Wohl, ich erlasse dich, hinführo deiner Pflicht,

Ich will dich künftighin nicht mehr zum Tadel treiben,

Du sollst, weil du nicht willst, nicht mehr Satiren schreiben.

Verfasse keinen Vers, dadurch des Pöbels Wuth

Sich wie das Meer erregt. So bleibt die Welt dir gut.

Allein, geliebter Sohn, nur eins ist mein Verlangen,

Man liest die Dichter nicht, die diese Bahn gegangen,

Man weis nicht, was Horaz und Juvenal gespielt,

Wiewohl die Brut noch lebt, auf die ihr Scherz gezielt.

Komm, zeuch sie aus der Gruft, verdeutsche hin und wieder,

Nachdem es dir gefällt, die besten ihrer Lieder.

Die Arbeit kann der Welt nicht sehr zuwieder seyn,

Die Verse sind entlehnt, die Worte sind nur dein.

Doch wenn man sehen wird, wie thöricht Rom gewesen,

Wird man sein eignes Thun in fremden Namen lesen.

Hat Frankreich nicht bereits die Alten übersetzt?[765]

Hat Engelland sie nicht der Arbeit werthgeschätzt?

Liest Welschland sie nicht auch in seinen zarten Reimen?

Wie kömmts denn immermehr, daß sich die Deutschen säumen?


Thalia, sey vergnügt. Silvander weichet dir,

Dein Wille zwinget mich. Wohlan, Horaz ist hier,

Hier ist auch Juvenal. Auch Boileau konnte lachen.

Von diesem will ich dann zuerst den Anfang machen.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. 12 Bände, Band 6,2, Berlin und New York 1968–1987, S. 744-766.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Versuch einer critischen Dichtkunst
Gottsched, Johann Ch.; Birke, Joachim; Birke, Brigitte: Ausgewählte Werke. Versuch einer Critischen Dichtkunst / Erster allgemeiner Theil
Gottsched, Johann Ch.; Birke, Joachim; Birke, Brigitte: Ausgewählte Werke. Versuch einer Critischen Dichtkunst / Anderer besonderer Theil.
Gottsched, Johann Ch.; Birke, Joachim; Birke, Brigitte: Ausgewählte Werke. Versuch einer Critischen Dichtkunst / Variantenverzeichnis (Ausgaben Deutscher Literatur Des 15. Bis 18. Jahrhunderts)
Versuch Einer Critischen Dichtkunst: Durchgehends Mit Den Exempeln Unserer Besten Dichter Erläutert (German Edition)

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon