Fünfter Auftritt


[96] Frau von Tiefenborn, die, da Amalie weg ist, nicht so gar kränklich mehr tut. Dr. Hippokras.


FRAU VON TIEFENBORN. Nun wollen wir meine Krankheit beiseitegestellet sein lassen. Die Wahrheit zu sagen, Karoline hat recht; ich habe ziemlich gut geschlafen und befinde mich heute außer den Kopfschmerzen und Herzensstichen noch so ziemlich.

DR. HIPPOKRAS. Das ist mir eine große Freude, das übrige wird sich noch wohl mit der Zeit geben. Große Krankheiten kommen freilich zu Pferde und ziehen zu Fuße ab. Eure Gnaden haben auch ein sehr schweres Lager überstanden!

FRAU VON TIEFENBORN. Ich werde den Fleiß und die Geschicklichkeit, die Sie an mir bewiesen haben, gehörig zu erkennen und zu belohnen suchen. Sagen Sie mir indessen nur, was Sie hier von meinen jungen Leuten gemerkt haben? Ich merke wohl, daß Amalie und ihr Bruder mich bewachen. Wenn sie mir nur nicht auch die Briefe von meinem Schwager auffangen: denn ich habe mir schon seit drei Tagen welche vermutet.

DR. HIPPOKRAS. Nein, das fürchte ich nicht. Der Kammerdiener des Herrn Landrats von Ziegendorf ist ein schlauer Gast und wird die Briefe nicht leicht jemanden anders geben als Euer Gnaden selbst. Vielleicht[96] aber steht ihm sonst etwas im Wege; oder er will etwa gar selbst kommen.

FRAU VON TIEFENBORN. Haben Sie denn meinen Neffen ein wenig ausgefragt?

DR. HIPPOKRAS lächelnd. Bei dem braucht man keine großen Künste, ihn auszufragen. Er sagt's geradeheraus, Euer Gnaden könnten ihm so viel nicht vermachen, daß er nicht schon die Hälfte davon vertan haben müßte.

FRAU VON TIEFENBORN. Der böse Mensch! Aber wo nimmt er immermehr das Geld her?

DR. HIPPOKRAS. Ach! gnädige Frau, es gibt leider solch verdammte Menschen im Lande, die den jungen Leuten, welche nur einige Hoffnung zu einem Vermögen haben, durch Vorschuß eine Gelegenheit zu allen Lastern geben.

FRAU VON TIEFENBORN heftig. Daß sie doch nur alle ihr Leben lang keinen Heller wieder bekommen möchten! Das wäre ihr rechter Lohn.

DR. HIPPOKRAS. Heute abend hat er einen großen Schmaus in N., Euer Gnaden Gute, angestellet.

FRAU VON TIEFENBORN. Der junge Kaltenbrunn?

DR. HIPPOKRAS. Er hat mir's selbst gesagt; weil seine Frau Muhme ihm unfehlbar etliche von ihren Rittergütern vermachen würde; so wolle er dies zuerst mit Trompeten und Pauken einweihen.

FRAU VON TIEFENBORN schüttelt den Kopf. Und was sagt Amalie?

DR. HIPPOKRAS. Oh! die hat mich himmelhoch gebeten, ich möchte Eure Gnaden recht sehr krank machen, damit ja das Testament nur zustande käme. Sie bildet sich gewiß ein, sie werde das allermeiste bekommen, weil sie sich Euer Gnaden am meisten bequemt.

FRAU VON TIEFENBORN schüttelt den Kopf. Ich traue ihrer Ehrlichkeit doch nicht viel.

DR. HIPPOKRAS. Ich mache nicht gern Feindschaft unter nahen Verwandten; allein, ich glaube gleichfalls, daß ihr Herz gegen Eure Gnaden nicht so beschaffen sei, als ihr Mund es saget.

FRAU VON TIEFENBORN. Darauf wollte ich fast wetten. Die Karoline hergegen ist ehrlich und uneigennützig; aber sie hat einen unüberwindlichen Starrkopf und gäbe mir nicht recht, wenn ich ihr auch mein ganzes Vermögen vermachte.[97]

DR. HIPPOKRAS. In Eurer Gnaden Abwesenheit ist sie aber die einzige, die dero Seite gegen die andern hält und nichts Böses von Ihnen sagt.

FRAU VON TIEFENBORN. Spielen Sie Ihre Rolle nur weiter, Herr Doktor. Sie bleiben doch heute zu Mittage bei mir zu Tische?

DR. HIPPOKRAS. Ich habe zwar ein paar Wöchnerinnen zu besuchen.

FRAU VON TIEFENBORN. Ei, ich bitte Sie, bleiben Sie. Sie müssen ohnedies Zeuge beim Testamente sein.

DR. HIPPOKRAS. Wenn Eure Gnaden es also befehlen?

FRAU VON TIEFENBORN. Machen Sie mich nur immer brav krank. Ich will auch recht sehr stöhnen. So locken wir den jungen Leuten ihre wahren Meinungen immer mehr heraus.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 96-98.
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