Erster Auftritt


[13] Jungfer Luischen, Cathrine.


JUNGFER LUISCHEN. Cathrine!

CATHRINE. Jungfer Luischen!

JUNGFER LUISCHEN. Was ist das wieder vor ein Pack Bücher, was du da versteckst?

CATHRINE. Ach! frage sie nur nicht; sie wirds schon zeitig genug erfahren.

JUNGFER LUISCHEN. Wie? ists schon wieder eine solche verzweifelte Scarteque, die die Mama mir immer zu lesen giebt?

CATHRINE. Ja, ja! das wäre mir eine rechte Scarteque! Nein, meine liebe Jungfer Luischen! es ist ein schönes grosses Werck in Octav,[13] wenn sie es wissen will: Und dancke sie noch dem Autor, daß er, wie es scheint, des Lügens müde geworden ist; sonst wäre wahrhaftig ein guter Foliante daraus geworden. Lese sie nur den Titul: Fußstapfen der Wunder GOttes im Hällischen Wäysen-Hause. Ist das nicht lustig?

JUNGFER LUISCHEN. Ach Cathrine! ich ärgere mich fast zu Tode.

CATHRINE. Ja, ja! ich glaube es wohl, daß sie lieber einen Roman oder eine Comedie läse; aber ihre Mama versteht das Ding besser: Hübsche Hertzens-Catechismi; ein Heiliger oder ein Vieh; Hoburgs unbekannter Christus; Freylingshausens Grundlegung; das, das gehört zur Erziehung eines Mädgens, welches in der Welt sein Glücke machen soll!

JUNGFER LUISCHEN. Schweige doch nur!

CATHRINE. Ich weiß wohl, daß sie schon seit zwey Jahren an den Herrn Liebmann versprochen ist; und daß die Vollziehung der Heyrath nur auf die Mama ankömmt: Allein, meynt sie, daß die Frau Glaubeleichten sie einem Manne geben werde,[14] ehe sie recht Doctormäßig, und in der Lehre vom wahren innern Christenthume des Hertzens recht befestigt ist? Nicht so, nicht so! Ich wette, daß sie noch nicht einmahl weiß, was Christus in uns, und die Salbung sammt dem Durchbruche sey?

JUNGFER LUISCHEN. Zum Hencker! Wozu soll ichs denn wissen?

CATHRINE. Wie? und sie will heyrathen? Pfuy Jungfer Luischen!

JUNGFER LUISCHEN. Ach! ich bitte dich, stehe doch nur der Mama nicht bey. Ist wohl ein unglücklichers und närrischer erzogenes Mädgen in der Welt, als ich? Meine Mutter, welche selbst nicht mehr weiß, was sie in der Welt für eine Figur machen soll, hat sich die närrischen Grillen der Pietisterey in dem Kopf gesetzt. Was hat sie nicht für einen Character! wie hartnäckigt und eigensinnig ist sie nicht, bey aller ihrer scheinbaren Gelindigkeit!

CATHRINE. Gelindigkeit? Ja! man verlasse sich nur darauf!

JUNGFER LUISCHEN. Zwey Jahre bin ich schon dem Herrn Liebmann verlobt; gleichwohl habe ich kaum die Erlaubniß ihn zu sprechen. Ich sehe niemanden, als allerley Arten von Heuchlern, Canditaten, Magisters, und lächerliche Beth-Schwestern. Zu Hause schwatzt man von lauter Orthodoxen und Ketzermachern; gehe ich aus, so muß ich eben wieder solch Zeug anhören. Du weist, daß ich der Mama zu gefallen Speners[15] Predigten von der Wiedergeburt, und so viel anderes Zeug, gantz auswendig gelernet habe. Ich habe mich bisher gestellt, als wenn ich mit ihr einer Meinung wäre; damit ich sie nur gewinnen möchte: Aber nun bin ichs auch überdrüßig. Ich kanns nicht länger aushalten! Und wo mein Vater nach seiner langen Abwesenheit nicht bald wieder kömmt, und allen diesen Verwirrungen ein Ende macht; so – – –

CATHRINE. O ja doch! Sie ist gewiß von den Leuten, die was rechts unternehmen. Sie hat ja nicht das Hertze der Mama ein Wort zu sagen.

JUNGFER LUISCHEN. Es ist wahr! Aber nun habe ich mir es vorgesetzt: Ich will nicht länger heucheln! Ich will ihr meine Meinung sagen, und wanns noch heute wäre.

CATHRINE. Ich muß gestehen, daß ihr Herr Vater sehr unbillig handelt, daß er uns so lange Zeit dem Eigensinne seiner närrischen Frauen überlässt. Er hat sie verlobet: Sie soll die Hochzeit vollziehen, indessen reiset er seiner Geschäffte wegen nach Engelland. Der liebe GOtt sey mit ihm! Mich dünckt aber er wird bey seiner Wiederkunft sehr erschrecken, wenn er sie noch ledig, und sein Haus in diesem schönen Zustande finden wird. Sein Keller ist zur Buchdruckerey; seine Böden sind zu pietistischen Buchläden; und seine Zimmer zu Winckel- Kirchen geworden. Wie wird er nicht erstaunen, wenn er einen Hauffen begeisterter Böhmisten und Quäcker[16] finden, und seine Frau als eine Päbstin unter ihnen sitzen sehen wird. Die Laquaien selbst zancken sich schon über die dunckeln Schrifft-Stellen; und ich hörte nur noch neulich, daß der Kutscher seine Pferde vor Orthodoxen schalte; weil er kein ärger Schimpf-Wort wuste.

JUNGFER LUISCHEN. Aber du selbst schmeichelst der Mama am allermeisten in dieser Thorheit.

CATHRINE. O! davon habe ich meinen guten Nutzen. Die Mama traut mir. Es wirfft allerley ab; und ich kriege selbst ein Ansehn im Spiele. Glaubt sie wohl, daß Herr Magister Hängekopf mit mir schöne thut? und daß die Schuld nicht an ihm liegt; wenn ich keine handgreiffliche Ketzerey begehe. Aber GOtt sey Danck! Ich bin sehr Orthodox auf meine Ehre!

JUNGFER LUISCHEN. Du bist nicht klug! was meinst du aber von meiner Schwester? mich dünckt sie sucht der Mama meine Heyrath aus dem Sinne zu reden.

CATHRINE. Sollte nicht etwas Neid mit unterlauffen? Vielleicht wohl gar einige Neigung gegen den Herrn Liebmann.

JUNGFER LUISCHEN. Was sagst du? Meine Schwester ist so tugendhafft! Sie ist mit lauter Religions-Zänckereyen beschäfftiget. Es scheint, daß sie die Welt recht ernstlich hasset. Sie kann sich ja kaum entschliessen einen Fischbein-Rock zu tragen.[17]

CATHRINE. Das ist wahr! Aber die strengste Tugend hat ihre schwache Seite.

JUNGFER LUISCHEN. Mich tröstet die Hoffnung, daß mein Vater bald wieder kommen wird.

CATHRINE. Er wird ja freylich bald kommen müssen: Und es heist auch in dem letzten Briefe: Er würde mit ehesten eintreffen.

JUNGFER LUISCHEN. Wenn er aber nicht käme? Könnte nicht auch mein Vetter die Mama bewegen, daß sie meine Heyrath vollzöge? Er hat mir versprochen, noch heute mit ihr davon zu sprechen. Was meinst du?

CATHRINE. Wer? der Herr Vetter Wackermann? Nein, Jungfer Luischen! Herr Wackermann ist ein Officier, ein redlicher, vernünfftiger, verständiger Mann, der mit ihrer Mama – – – nur klug und vernünfftig redet: Aber damit nimmt sie kein Mensch ein! Doch ich muß gehen.

JUNGFER LUISCHEN. Höre doch! Es fällt mir ein, ob wir nicht den Herrn Scheinfromm gewinnen könnten? Er gilt viel bey der Mama.

CATHRINE. Ja! das weiß ich! aber trau sie ihm nicht. Die Mama thut nichts, als was dieser heilige Mann ihr einbläset: Es ist also sehr wahrscheinlich, daß er wohl gar selbst die Ursache ihrer verzögerten Hochzeit ist. Wer weis, was er für einen Nutzen darunter sucht? Er hat einen Vetter.

JUNGFER LUISCHEN. Nun? Er hat einen Vetter?[18]

CATHRINE. Geb sie acht! Er hat sich wohl gar in den Kopf gesetzt, daß sein Vetter ihr Mann werden soll: Und wenn er es erst beschlossen hat; an der Mama wird es nicht fehlen. Denn es ist erschrecklich, der Mensch hat keine Verdienste, er hat keinen Verstand, es ist gar nichts an ihm: Und er hat mit seinen heuchlerischen Mienen und Reden die Frau so eingenommen. Dem sey wie ihm wolle; Ich mercke daß er seit einiger Zeit gegen mich sehr höfflich thut. Vielleicht hat er mir etwas zu entdecken. Ich wills abwarten. Aber stille! Da kömmt ihre Mama mit der Jungfer Schwester.


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 13-19.
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