Sechster Auftritt


[33] Frau Glaubeleichtin, Herr Wackermann, Cathrine.


HERR WACKERMANN. Sie sehen also wohl, daß ich recht habe.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ja, ich sehe, daß sie sich um meine Sachen ein wenig zu sehr bekümmern: Sie könnten mich mit meinen Kindern nur zu frieden lassen, wenns ihnen beliebt.

HERR WACKERMANN. Wie? soll denn der arme Liebmann gar nichts zu hoffen haben?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Gantz und gar nichts! Cathrine, vergiß nicht den Herrn Scheinfromm zu mir zu bitten.

HERR WACKERMANN. Ist ers vielleicht, der ihnen den jungen Menschen zum Schwieger-Sohne vorgeschlagen hat?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Was geht es ihnen an? Ja, er ists, wenn sie es wissen wollen; geben sie sich nur zu frieden. Ich weiß schon, was ich zu thun habe. Und damit ich sie nur mit einem mahle stumm mache: So kan die Hochzeit vielleicht noch heute vor sich gehen.

HERR WACKERMANN. Ich seh es freylich wohl, daß sie lieber dem Rathe ihrer frommen Brüder folgen wollen, als dem meinigen. Denn deren Eingebungen sind von GOtt; alles, was sie sagen, sind lauter Orakel; die Wahrheit redet nur durch ihren Mund; Wir andere sind alle dumm und närrisch.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Gut, gut! da sind wir auf einer andern Materie. Fahren sie fort, wenn sie belieben; nun will ich ihnen gerne zuhören.[33]

HERR WACKERMANN. In Wahrheit, Frau Schwester! sie haben von ihrer Aufführung schlechte Ehre in der Welt. Sie thäten viel besser, wenn sies wie andere Frauens machten, die sie kennen; welche, ohngeacht sie sehr klug sind, sich dennoch eine Ehre daraus machen, von den Religions-Streitigkeiten nichts zu wissen. Wozu Hencker stecken sie denn immer mit allerley Weibern und Pietisten zusammen, mit welchen sie die Theologischen Facultäten, die Schrifften der Wittenberger und Rostocker, und sonst hundert andere Dinge, davon sie nichts verstehen, verachten oder loben? Was würde doch die Welt sagen, wenn sie sich eben so in die Juristerey mischen wollten, als in die Theologie? Würde man sie nicht auslachen?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Sie müssen uns für sehr dumm halten.

HERR WACKERMANN. Für dumm? Nein! Sie wissen alles, was sie wissen sollen: Nehen, stricken, sticken, und viele andere Sachen, die ihrem Geschlechte zukommen. Sie haben auch Verstand; und ich glaube, daß sie mehr haben, als viele andere Frauen, ja, als viele Männer: Aber von der Theologie wissen sie nichts.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Und warum nicht? Vielleicht weil ich nicht in Rostock studiret habe? Giebt denn der schwartze Priester-Rock und Mantel diese Gelehrsamkeit? Muß man denn so gar gelehrt seyn, um die Geheimnisse und Grund-Sätze der Religion zu wissen? und die Sätze von dem innern Funcken, von der Versenckung der Seelen in GOtt, von der Unmöglichkeit, daß ein Wiedergebohrner sündigen könne, einzusehen? Ach, Herr Bruder! wer die Bücher von unsern Herren gelesen[34] hat, der versteht von der Theologie viel mehr, als sie dencken. Fragen sie nur Cathrinen.

CATHRINE. Ja, gewiß! Ich habe zwar nicht so viel Verstand, als Frau Glaubeleichtin, daß ich die Theologie so gut fassen könnte; aber so viel getraue ich mir doch zu, daß ich ein Advocat beym Hof-Gerichte seyn könnte.

HERR WACKERMANN. Ha! ich sehe, daß sie alle beyde sehr viel verstehen. Aber woher wissen sie, daß das, was sie behaupten, wahr oder falsch sey? Denn darauf kömmts an.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Woher ichs weiß? das ist eine artige Frage! Weiß ichs nicht aus Spenern, Taulern, Francken, und Jacob Böhmen, deren Schrifften mir unsere Herren gegeben haben? Cathrine! antworte ihm doch.

CATHRINE. Ey! schämen sie sich doch, Herr Obrister! Sie dencken gewiß, wir sind wie das Orthodoxe Frauenzimmer, welches nichts anders weiß, als den Catechismum und die Gebethe. Uber diese Kleinigkeiten sind wir längstens weg. Hätte ich nur eines von der Frau Glaubeleichtin ihren Büchern hier, so wollte ich ihnen Stellen aufschlagen, daran sie bis Morgen Abend genug zu lesen hätten.

HERR WACKERMANN. Gut! wenn aber eure Herren die Stellen übel auslegen?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Das werden sie mir wohl nimmermehr beweisen.[35]

HERR WACKERMANN. Sie haben Recht. Denn da ich kein so grosser GOttes-Gelehrter bin, als sie; so kan ich sie freylich nicht überzeugen. Aber ich weiß doch, daß eine grosse Menge anderer GOttes- Gelehrten, welche wenigstens eben so geschickt sind, als die ihrigen, dafür halten, daß diese Stellen übel verstanden werden; und mich dünckt, dieß wäre allein genung zu ihrer Überzeugung.

FRAU GLAUBELEICHTIN spöttisch lächelnd. Das werden mir schöne GOttes-Gelehrten seyn! Ha! ha! ha! ha! Die schwülstigen rasenden Calovianer etwan?

HERR WACKERMANN. Wie Frau Schwester? Alle unsere GOttes-Gelehrten, alle Theologische Facultäten, unsere Lehrer, unsere Prediger sollten, ausser einer geringen Anzahl Heuchler, schwülstige und rasende Calovianer seyn?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ey! ey! das waren wieder schöne Leutchen.

CATHRINE. Warum nehmen sie nicht auch den Doctor Luther noch darzu, mit seinem gantzen Anhange? Ho! ho! ho! ho!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Cathrine! was sagst du darzu?

CATHRINE. Gewiß, Madame, ich glaube, daß sie alleine zwantzig Orthodoxen GOttes-Gelehrten die Wage halten, und ihre übrigen Freundinnen nach Proportion. Was mich betrifft; so müste es gewiß sehr schlecht seyn, wenn ich nicht wenigstens so gut wäre, als ein halb Dutzend solcher Herren. Wenn wir nun so rechnen wollen; so haben wir die meisten GOttes-Gelehrten auf unserer Seite.[36]

HERR WACKERMANN. Wahrhafftig! ihr seyd alle beyde närrisch! Ich bedaure euch!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! wir sind närrisch. Ha! ha! ha! Cathrine, wir sind närrisch! was sagst du doch darzu? Er bedauret uns. Ach Herr Bruder! was wir sagen, das übersteiget ein wenig die Fähigkeit eines Soldaten: Wenigstens müssen sie mit uns keinen Streit anfangen. Wie würden sie nicht erschrecken, wenn sie in unsern Versammlungen manche Frau hören sollten, wenn sie ihre Gedancken von der Reinigkeit der allerersten Kirchen Lehrer, und von der Christlichen Sitten-Lehre ihre Gedancken auslässt. Kommen sie doch nur einmahl herein: Und denn sagen sie, ob wir die Theologie verstehen, oder nicht?

HERR WACKERMANN. Potz tausend! das will ich thun. Die Sache ist sehenswerth, denn sie kömmt nicht ofte vor. Ich will gewiß hinein kommen. Ich wollte zwar in die Comödie gehen; allein ich werde nichts dabey verliehren. Die wackern Orthodoxen werden gewiß von euch nicht verschonet werden; und GOtt weiß, wie es dem armen Fechten und Wernsdorffen gehen wird.

FRAU GLAUBELEICHTIN fällt in Ohnmacht. Ach Cathrine! halt mich! Ach! – – – Ach! – – – ich sterbe! – – –

CATHRINE. Zum Hencker! wen haben sie da genennt! Sie hätten lieber[37] den Beelzebub und seine Engel ruffen mögen. Da bleibt mir die arme Frau unter den Händen todt.

HERR WACKERMANN. Wie denn? bey Fechtens und Wernsdorffs Nahmen fällt sie in Ohnmacht?

CATHRINE. Allerdings! Sie thut es allezeit. Diß ist schon das drittemahl.

HERR WACKERMANN. Ja! das weiß ich nicht. Bestreichet sie geschwinde mit Ungarischem Wasser: Da habt ihr welches.

CATHRINE. O! das hilfft gar nichts. Dieß ist ihre Artzeney! Schreyen sie brav mit mir: Sie schreyt. Arnold! Petersen! Lange! Gichtel! Francke! Tauler! Gnade! Wiedergebuhrt! Der innere Funcke! Die geistliche Salbung! Zum Hencker! so schreyen sie doch mit.

HERR WACKERMANN. Ich glaube, ihr seyd rasend.

CATHRINE. Nein, nein, mein Herr Obrister; sie werdens sehen, daß sie wieder zu sich kommt. Sie schreyt. Die Gnade! der innere Mensch! der heilige Jacob Böhme! Sehn sie! sehn sie! sie erholt sich.[38]

FRAU GLAUBELEICHTIN richtet sich auf. Ach, Herr Bruder! ich entschuldige ihre Unwissenheit! Aber hüten sie sich ins künfftige.

HERR WACKERMANN. Ich bitte sie um Verzeihung, Frau Schwester. Ich wuste nicht, daß Werns – – – Potz tausend! bald hätte ich mich wieder verredet.

CATHRINE. Nun! Madame, wie ists?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Es wird wohl vergehn. Nun, Herr Bruder! ich erwarte sie in einer halben Stunde in unserer Versammlung. Und du Cathrine schicke zum Herrn Magister Scheinfromm und lasse ihn herbitten. Ich hoffe, er wird mir die Luise zu rechte bringen helffen. Geht ab.

HERR WACKERMANN. Ich gehe auf die Post! Man hat mir gesagt, daß von meinem Bruder Briefe an mich wären. Wollte GOtt, daß er mir seine Zurückkunfft berichtete! Denn dieß ist ein verlohrnes Hauß, wo er nicht bald wiederkömmt. Geht ab.[39]

Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 33-40.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon