Fünfter Auftritt


[54] Herr Scheinfromm, Jungfer Luischen.


HERR SCHEINFROMM. Ist mirs erlaubt, Mademoiselle, ihnen meinen aufrichtigen und treuen Glückwunsch abzustatten?

JUNGFER LUISCHEN. Es steht freylich bey ihnen.

HERR SCHEINFROMM. Mich dünckt, daß die Gnade in ihrem Hertzen täglich zunimmt.

JUNGFER LUISCHEN. Wie können sie das mercken?

HERR SCHEINFROMM. Weil ihr gantzes Wesen so sittsam und liebreich ist. O! wie Schade wär es, wenn der Geist der Welt solche glückliche Vorbereitungen vernichten sollte!

JUNGFER LUISCHEN. Mein Herr Magister! dafür werde ich zu sorgen haben, und nicht sie.

HERR SCHEINFROMM. GOtt gebe, daß sie allezeit dem Beyspiele und dem Rathe der Mama folgen mögen!

JUNGFER LUISCHEN. Ich weiß schon, wie weit sich hierinnen meine Schuldigkeit erstrecket.[54]

HERR SCHEINFROMM beyseits. Sie ist ziemlich widerspenstig. Laut. Alles, was ich fürchte, ist, daß sie sich gewissen irrdischen Neigungen nur gar zu sehr überlassen.

JUNGFER LUISCHEN. Ich verstehe sie nicht, Herr Magister. Was wollen sie damit sagen?

HERR SCHEINFROMM. Die Mama ist eine gantz geistliche und mit lauter hohen Geheimnissen erfüllte Person; allein eben diese wünschte sehr, daß sie der fleischlichen Neigung gegen einen gewissen jungen Menschen nicht so viel Gehör geben möchten – – –

JUNGFER LUISCHEN. Ey! warum denn? Sollte diese so genannte fleischliche Neigung sträflich seyn? Ihr Ursprung und Fortgang ist allezeit sehr unschuldig gewesen; und mein Vater hat sie genehm gehalten.

HERR SCHEINFROMM. Ja! aber ists nicht wahr, daß sie den Liebmann gantz natürlich lieben?

JUNGFER LUISCHEN. Alles, was ich weiß, ist, daß mir mein Vater befohlen hat, den Liebmann als meinen künftigen Gatten anzusehn. Ich finde ihn liebenswerth; ich liebe ihn: Was ist denn nun strafbares daran?

HERR SCHEINFROMM. Ach Mademoiselle! seit dem Falle unserer ersten Eltern (mercken sie sich das!) ist unsere Natur so verderbt, daß alles, was sie liebt und thut, Sünde ist.

JUNGFER LUISCHEN. Was muß man denn thun?[55]

HERR SCHEINFROMM. Die Gnade muß durch ihre überwindende Krafft sich zur unumschränckten Beherrscherin unsers Willens machen, und denselben unvermerckt zum Guten lencken. Alsdenn (geben sie wohl acht!) werden wir durch ein himmlisches Band geleitet, daß wir nicht widerstehen können. An statt, daß in Ermangelung dieser Gnade uns die sinnliche Lust nothwendig zum Bösen treibet.

JUNGFER LUISCHEN. Gantz gut! Haben wir diese Gnade aber allezeit?

HERR SCHEINFROMM. Ach! was wollten wir doch? Die liebsten Kinder GOttes besitzen sie nicht immer.

JUNGFER LUISCHEN. So sind sie alsdenn gezwungen, irrdisch gesinnt zu seyn?

HERR SCHEINFROMM. Freylich wohl!

JUNGFER LUISCHEN. Nun, Herr Magister! das ist eben der Zustand, darinnen ich mich befinde.

HERR SCHEINFROMM. Wie so?

JUNGFER LUISCHEN. Ich habe die Gnade noch nicht, meine Neigung zu überwinden: Ich werde noch durch die irrdische Lust fortgerissen.

HERR SCHEINFROMM. Wie wissen sie, daß sie die Gnade nicht haben?

JUNGFER LUISCHEN. Weil sie mich nicht zwingt, darum habe ich sie nicht. Ich erwarte sie.[56]

HERR SCHEINFROMM. Ja! man muß sich aber bestreben – – –

JUNGFER LUISCHEN. Wie kan ich mich bestreben ohne Beystand der Gnade? Ich erwarte sie.

HERR SCHEINFROMM. Wie? so wollen sie so geruhig seyn? und immerfort in einer Sache beharren, die der Mama zuwider ist?

JUNGFER LUISCHEN. Ich erwarte die Gnade.

HERR SCHEINFROMM. Sie müssen den lieben GOtt drum bitten.

JUNGFER LUISCHEN. Wie kann ich das thun, wenn mich die Gnade nicht zum Gebeht zwinget?

HERR SCHEINFROMM. Wahrhafftig! sie sündigen sehr, daß sie in einer Leidenschafft beharren, welche nicht ein Werck der Göttlichen Barmhertzigkeit ist.

JUNGFER LUISCHEN. Sagen sie vielmehr, daß ich unglücklich bin. Denn wie kann ich mich versündigen, wenn ich keine Schuld habe? Ich erwarte die Gnade.

HERR SCHEINFROMM. Sie sind ihrer Mama ungehorsam.[57]

JUNGFER LUISCHEN. Was kann ich davor? So bald ich die Genade haben werde, will ich ihr gehorsam seyn: Doch, weil das ihre Lehre ist, Herr Magister, so bringen sie ihr wohl bey, damit sie mit meinem Ungehorsame ein Mitleiden habe.

HERR SCHEINFROMM. Wie? wollen sie denn etwa, daß die Mama sie mit Gewalt zum Gehorsam bringen soll?

JUNGFER LUISCHEN. Ach! sie kann mich freylich wohl zwingen; Aber die Gnade allein ändert unser Hertz. Ich erwarte sie.

HERR SCHEINFROMM. Es ist mir sehr leid! daß sie meinen Rath nicht besser annehmen wollen.

JUNGFER LUISCHEN. Ach! Herr Magister! weil ich die Gnade nicht darzu habe; So helffen sie mir wenigstens meine Mama bewegen, daß sie mich an Liebmannen verspricht.

HERR SCHEINFROMM. Ach! was sagen sie mir da?

JUNGFER LUISCHEN. Ich werde ihnen ewig dafür verbunden seyn.

HERR SCHEINFROMM. Der Himmel bewahre mich, daß ich solchen irrdischen und fleischlichen Absichten Vorschub thun sollte! Meine Gedancken sind schon seit langer Zeit nur auf die Ewigkeit, und auf die Nichtigkeit der gegenwärtigen Dinge gerichtet.[58]


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 54-59.
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