Siebender Auftritt


[77] Jungfer Dorchen, Jungfer Luischen.


JUNGFER DORCHEN. Nun meine liebe Schwester! endlich hast du, was du gewünschet hast. Nunmehro wirst du Hochzeit machen. Ich wünsche dir Glück darzu!

JUNGFER LUISCHEN. Das ist ein Zeichen deiner Redlichkeit.

JUNGFER DORCHEN. Es ist wahr, dein Bräutigam gefällt dir nicht; aber du hast auch das Vergnügen dabey, daß du der Mama gehorsam bist.[77]

JUNGFER LUISCHEN. Ach! wenn dir das so ein grosses Vergnügen zu seyn bedünckt; so will ich dirs sehr gerne überlassen.

JUNGFER DORCHEN. Ich? meine Schwester! Behüte mich GOtt, daß ich dir deinen Bräutigam wegnehmen solte! du hast es mir selbst verbothen.

JUNGFER LUISCHEN. Du bist sehr gewissenhafft.

JUNGFER DORCHEN. Du siehst nun aber doch, daß deine Hoffnung auf den Liebmann nicht so gantz untrüglich gewesen ist: Und wenn er mir anjetzo sein Hertz schencken wollte, so sehe ich nicht, daß es dir zuwider seyn könnte.

JUNGFER LUISCHEN. Wie? schicken sich denn solche Gedancken zu der Gottseligkeit, und zu dem heiligen Leben, das du führen willst?

JUNGFER DORCHEN. Schickt es sich denn vor dich, daß du mir Lectiones giebst, da du doch keinen Unterricht von hohen Dingen bekommen hast? Sey doch nur stille! Ich weiß es besser, als du, was sich vor mich schickt oder nicht.

JUNGFER LUISCHEN. Ich glaube es; aber sey vielmehr selbst stille, in Absicht auf den Liebmann. Doch! da ist er. Er wird mich ohnfehlbar sprechen wollen; aber ich will dir Gelegenheit geben, zuerst mit ihm zu sprechen. Und wenn er dein Liebhaber werden will, so überlasse ich ihn dir.

JUNGFER DORCHEN. Du überlässt ihn mir?

JUNGFER LUISCHEN. Ja! ich überlasse ihn dir.[78]


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 77-79.
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