Siebender Auftritt


[130] Frau Glaubeleichtin, Jungfer Luischen, Herr Wackermann, Herr Scheinfromm, Herr von Muckersdorff, Cathrine und der Advocat.


FRAU GLAUBELEICHTIN. Du siehst ja recht munter aus, meine Tochter. Das ist mir von Hertzen lieb.

JUNGFER LUISCHEN. Die Freude, so meine liebe Mama mir ansiehet, ist gar zu billig, als daß ich sie verbergen könnte.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Du warst aber vorhin so betrübt?

JUNGFER LUISCHEN. Es ist wahr. Ich sahe mein künftiges Glück noch nicht so deutlich ein, als jetzo.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Glaube nur, meine Tochter, daß dich diese Heyrath glücklich machen wird.

HERR VON MUCKERSDORFF. Da Mademoiselle! sehen sie, das ist ein Gedichte, so ich auf unsere Hochzeit gemacht habe.

HERR WACKERMANN. Ah, ha! Ich wills lesen. Lassen sie doch sehen, Herr Bräutigam! Ich bin recht neugierig auf ihre Poesie. Er liest. An Jungfer Luise Glaubeleichtin. Acrostichon. Potz tausend! das ist schön! Ich dachte, dieß Geheimniß wäre gantz verlohren. Er sieht, daß die Jungfer und die Magd lachen. Ich glaube gar, ihr lacht! Ihr wisst viel, wie ihr den Wehrt solcher Verse schätzen sollt. Er liest die Verse.[130]


Liebste Seele, schönster EngeL,

Vn Vergleichlich holder MVnd.


Oh! Muhme! das verdient einen Reverentz; mache sie doch dem Auctor einen. Jungfer Luischen macht einen Reverentz.


Er liest.


Liebste Seele, schönster EngeL,

Vn Vergleichlich holder MVnd.


Nun ich wette, daß ihr die Schönheit dieses Gedichts nicht einseht. In zweyen Versen so viel zu sagen!

JUNGFER LUISCHEN. Ja! freylich! in zweyen Zeilen!

CATHRINE. O! Mademoiselle! Sie muß noch einen Reverentz machen. Jungfer Luischen macht einen Reverentz.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nur nicht gar zu lustig!

HERR SCHEINFROMM. Es ist die Jugend.

HERR VON MUCKERSDORFF. Lesen sie nur weiter, Herr Obrister. Das beste kömmt zuletzt.

HERR WACKERMANN. Wir wollen sehen:


Ist meIn Lieben Ietzt voll Mängel,

So ist dirS doch Sehr gesund.

Christlich und reCht schmackhafft küssen,

Hat im Himmel Hohe Ehr.

Ach! Mademoiselle! das ist zärtlich!


JUNGFER LUISCHEN. Das ist recht geistreich![131]

HERR WACKERMANN. Zum Hencker! dieß ist das schöne:


Ey siE mehrt mein Glücke sehr,

Nun sie mich ihr Ja lässt wisseN.


Er hat recht. Wahrhafftig! man kann nichts schöners machen.

CATHRINE. Ja! ja! Herr von Muckersdorff ist so ein Narr nicht, als man wohl denckt.

HERR WACKERMANN. Ja! Mühmchen sehen sies nur recht an; Die Augen haben auch etwas dabey zu thun. Lesen sies noch einmahl.


Liebste Seele, schönster EngeL,

Vn Vergleichlich holder MVnd,

Ist meIn Lieben Ietzt voll Mängel,

So ist dirS doch sehr geSund.

Christlich und reCht schmackhafft küssen

Hat im Himmel Hohe Ehr:

Ey siE mehrt mein GlückE sehr,

Nun sie mich ihr Ja lässt wisseN.


JUNGFER LUISCHEN. Ich bin ihnen sehr verbunden, mein Herr von Muckersdorff. Ich dachte nicht, daß sich mein Nahme so gut zum Radebrechen schickte.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun, nun! Es ist genung geschertzt! Wir wollen zur Unterzeichnung schreiten. Herr Advocat haben sie den Contract mitgebracht?

HERR SCHEINFROMM. Ja! Madame! Aber es ist nicht nöthig.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Warum nicht nöthig?[132]

HERR SCHEINFROMM. Ja! Madame! Der Herr Obrister will nicht in diese Heyrath willigen.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nicht willigen? das ist artig, brauchen wir denn seine Einwilligung?

HERR SCHEINFROMM. Ach! Madame! der Frieden und die Einigkeit ist mir viel zu lieb, als daß ich sie im geringsten stören solte.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! Was ist doch das, Herr Bruder? Sie sollten für den Hrn. Scheinfromm mehr Einsicht haben.

HERR WACKERMANN. Es wird sich schon finden.

HERR SCHEINFROMM. So bitten sie ihn doch wenigstens, Madame, daß er weggehe, damit er nicht dasjenige mit Augen sehen darff, was ihm so viel Kummer macht.

HERR WACKERMANN. Nein! nein! ich bin gesonnen, die Sache mit anzusehen.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! er kan gehen oder bleiben, es ist gleich viel. Geben sie mir nur die Schrifft. Sie haben sie unfehlbar so machen lassen, als ich gesagt habe.

HERR SCHEINFROMM. Ja! ich habe ihre Meynung hinein bringen lassen, und ihn auch noch zweymahl überlesen; aber wofern sie mir nicht trauen, Madame, so lesen sie ihn nur selbst durch.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ob ich ihnen nicht traue?[133]

HERR WACKERMANN. Es wäre so übel eben nicht.

HERR SCHEINFROMM. Freylich! Madame! ich könte wohl ein gottloser Mann seyn; ein böser Mensch, der sie zu betrügen denckt. Es ist gut, daß man mit allen Leuten behutsam umgeht.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Wie? mit Herr Scheinfromm vorsichtig umgehen? Geben sie geschwinde, ich wills unterschreiben.

HERR SCHEINFROMM. Weil sie es denn haben wollen; hier ist er.

HERR WACKERMANN reisst die Schrifft weg. O! zum Hencker! wenn ihr alle Narren seyn wollt, so will ichs nicht seyn! Ich muß wissen, was hier drinnen steht. Zum Teufel! man wird doch nicht einen Contract unterschreiben, den kein Mensch gelesen hat?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Sie können ihre Hitze auch gar nicht dämpfen!

HERR WACKERMANN. Sagen sie, was sie wollen. Weil Herr Scheinfromm aber sagt, daß er ihn zweymahl überlesen hat, so will ich ihn doch auch lesen.

HERR SCHEINFROMM. Sie sehen mich vor einen unrechten an.

HERR WACKERMANN. Nein! ich sehe sie vor das an, was sie sind; glauben sie es mir. Sie habens ja selbst gesagt, man müsste mit allen Menschen vorsichtig umgehen. Hören sie zu, Frau Schwester!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Wir halten uns nur auf: Ich höre nichts![134]

HERR WACKERMANN. Hören sie doch nur: Es wird bald geschehen seyn.

HERR SCHEINFROMM. Herr Obrister! ich habe hier mit ihnen nichts zu thun; sondern mit Madame.

HERR WACKERMANN. Es ist wahr; aber warum weigern sie sich so? Fürchten sie denn etwas?

HERR SCHEINFROMM. Nein! ich bin ein ehrlicher Mann!

HERR WACKERMANN. Ich glaubs; aber ich wills aus dieser Schrifft gerne sehen.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nein! Herr Bruder, ich werde es nicht leiden. Der arme Herr Scheinfromm betrübt sich nur.

HERR WACKERMANN. Und ich gebe den Contract nicht eher wieder, bis ich ihn gelesen habe.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun! Herr Scheinfromm! wir könnens ihm ja zu gefallen thun.

HERR SCHEINFROMM. Nein, Madame! lieber gehe ich davon.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ich bitte sie Herr Magister, auf die Art überführen wir ihn am besten.

HERR SCHEINFROMM. Nein, Madame! wir wollen die Sache lieber ein paar Tage aussetzen. Adieu!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Sehen sie, Herr Bruder![135]

HERR WACKERMANN hält Scheinfromm zurücke. Nicht so, Herr Magister! ehe sie weggehen, müssen wir zuvor wissen, wie unsere Sache steht. Frau Schwester! haben sie denn das Ding nicht schon vor einer viertel Stunde mercken können? Ein Wort wird ihnen Licht geben. Ist es ihre Meynung, daß sie sich, ihren Mann, und ihre ältere Tochter aller Güter berauben wollen? Und es alles ihrer jüngsten Tochter zum Brautschatze geben.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nein! doch, was wollen sie sagen?

HERR WACKERMANN. Da, lesen sies selbst! Wollen sie ihre Tochter so verheyrathen?

FRAU GLAUBELEICHTIN liest. O! Himmel!

HERR WACKERMANN. Was sagt er darzu, Herr Magister? Man muß gestehen, daß sie die Gnade bey diesem Contracte sehr verlassen hat.

CATHRINE. Mein GOtt! Was die irrdische Lust nicht thun kann; O! verderbte Natur!

HERR SCHEINFROMM. Ich sage – – – Ich sage, daß es nicht derselbe Contract seyn muß. Der Herr Advocat muß sich versehen haben.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun, sehen sie, Herr Bruder! das wirds seyn!

DER ADVOCAT. Was wollen sie, Herr Magister? Meynen sie, daß ich so dumm bin, daß ich nicht einmahl begreiffen kan, was die Leute haben wollen? Meynen sie, daß ich nichts rechts gelernet habe? O! wincken sie mir immer, wie sie wollen.[136]

HERR SCHEINFROMM. Aber bedencken sie doch – – –

DER ADVOCAT. Das brauche ich nicht. Ich weiß wohl, wie man einen Contract macht; ich weiß aber auch, daß ich ehrlich bin, und daß sie mir von Wort zu Wort die gantze Schrifft in die Feder dictiret haben. Sie haben ihn ja noch überdem zweymahl durchgelesen.

FRAU GLAUBELEICHTIN. O Himmel! soll ich das glauben! Hören sie, mir fällt was ein: Sie sollen alle von des Herren Scheinfromms Redlichkeit überführet werden. Weil er bey dieser Heyrath den Eigennutz nicht suchet; so wird er mir wohl beypflichten. Wir wollen die Schrifft so, wie sie ist, seyn lassen. Wir wollen nur die Nahmen ändern. An statt Luischens und Hn. von Muckersdorff Nahmen setzen wir Dorchen und Liebmann hinein; und an statt der enterbten Dorchen wollen wir Luischen setzen, und denn kan sie der Herr von Muckersdorff noch kriegen.

HERR SCHEINFROMM. Aber denn wird Luischen nichts haben, Madame?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Was thuts? Sie suchen ja keinen Nutzen bey der Heyrath.

HERR SCHEINFROMM. So soll mein Vetter eine enterbte Tochter nehmen?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Es wird ihr deswegen nicht fehlen. Ihre Schwester wirds ihr nicht fehlen lassen. Sie sagen ohnedem, die Güter dieser Erden verhinderten die himmlischen Dinge; folglich werden die beyden Leute recht selig seyn, wenn sie nicht einen Heller im Hause haben. Beliebt ihnen das nicht?

HERR SCHEINFROMM. Nein Madame! ich sehe wohl, sie haben keine Einsicht für mich, und ich begehre die Heyrath nicht mehr.[137]

FRAU GLAUBELEICHTIN. Einsicht vor sie? ach ich habe ihr nur gar zu viel gehabt! Ich machte diesen Vorschlag nur zum Scheine; damit ich ihre wahre Absicht entdecken möchte. Sie können nur gehen.

HERR SCHEINFROMM. Ja! ich gehe; ich werde mich über den Verlust ihrer Güte nicht zu Tode grämen.

CATHRINE. Adjeu! Herr von Muckersdorff! das ist eine schöne Materie zum Acrostichon: Pia, pia, pia! Glu, glu, glu, glu, glu!

HERR WACKERMANN. Stille Cathrine! der schuldige ist genung bestrafft; und der andere kan nichts dafür.

DER ADVOCAT. Ich kan ihnen wohl so viel melden, daß Herr Scheinfromm nicht lange lauffen wird. Denn ich habs aus sichern Händen, daß er Morgen in Arrest soll gebracht werden; weil er mit den Saltzburgischen Geldern diebisch umgegangen ist.

HERR WACKERMANN. Der Schelm!

DER ADVOCAT. Kan ich jetzo gehen?

HERR WACKERMANN. Ja! und kommen sie Morgen wieder. Muhmgen und Cathrine gehen sie, wohin sie wissen, und kommen sie hernach wieder.[138]


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 130-139.
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