IV.

[141] Einst soll in diese verrufene Höhle ein Bauer ziemlich weit hineingegangen und an eine verschlossene Thür gekommen sein, weil ihn aber Grausen anwandelte, ist er ohne weiteres Nachforschen wieder umgekehrt. In dieser Höhle soll sich nun aber ein großer von Kerzen erhellter Saal befinden, in dem an einer langen Tafel die Geister dieses Berges sitzen und zur ewigen Strafe in Haufen Goldes wühlen müssen. Vor längerer Zeit soll aber hier des Nachts ein kleines graues Männlein mit langem, schneeweißen Barte bemerkt worden sein. Dies hörte ein gewisser Reichard aus dem Dorfe Seidau und beschloß die Sache genau zu untersuchen. In einer finstern Nacht machte er sich, nachdem er von den Seinen rührend Abschied genommen hatte, auf den Weg. Kaum hatte er die Spitze des Berges erreicht, so stand auch schon das graue Männlein vor ihm. So muthig Reichard erst gewesen war, so verzagt war er nun, doch erholte er sich[141] bald wieder und fragte das Männlein, wer es sei und was es hier zu thun habe. Ich bin, erwiderte es mit froher Hast, ein Geist aus diesem Berge und bin um eines Versehens willen von den andern Berggeistern verdammt, hundert Jahre lang allnächtlich diesen Berg auf- und abzusteigen, bis der Tag meiner Erlösung kommt, und Du, fuhr er fort, bist bestimmt, mich zu erlösen, und das geschieht, wenn Du allein den ungeheuern Schatz, der in diesem Berge verborgen ist, heben wirst. Dies allein zu thun aber weigerte sich Reichard hartnäckig, da erlaubte es das Männlein, daß er seinem Bruder den Vorfall entdecken und ihn zur Hebung des Schatzes mitbringen könnte. Sie versahen sich mit den nöthigen Werkzeugen und bestiegen in nächster Mitternacht den Berg. Das Männlein empfing sie, gebot ihnen aber, wenn Stimmen aus der Tiefe sie fragen würden, was sie mit dem Schatze machen wollten, ja nicht zu antworten, und sich durch Drohungen nicht erschrecken zu lassen. Die Brüder fingen an zu graben und fanden, wornach ihre Seele sich sehnte, den Schatz. Als sie ihn aber heben wollten, erscholl aus der Tiefe eine furchtbare Stimme. Die Schatzgräber schwiegen. Die Stimme drohte sie zu tödten, wenn sie nicht Antwort gäben. Da ward Reichard's Bruder doch ängstlich und antwortete, daß sie sich damit ein frohes Leben zu verschaffen gedächten, und der Schatz – sank mit donnerndem Gepolter in die Tiefe! Seit dieser Zeit hat der unglückliche Geist noch keine Erlösung gefunden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2, Dresden 21874, S. 141-142.
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