573. Der Finkenheerd in Quedlinburg.670

[518] Wenn man in Quedlinburg durch die große hohe Straße nach dem Schloßplatze gehen will, so erblickt man fast am Ende des Zieles zur rechten Seite ein Nebengäßchen, welches ebenfalls nach dem Schloßplatz führt. Dieses Nebengäßchen erweitert sich in der Mitte zu einem kleinen und unregelmäßigen Platze, welcher seit undenklichen Zeiten den Namen Finkenheerd führt und woran sich folgende Sage knüpft.

Kaiser Konrad I. verfiel in eine tödtliche Krankheit, als man eben von ihm Hilfe gegen die wilden Hunnenschwärme erwartete, welche das deutsche[518] Reich bedrängten. Da ließ er seinen Bruder Eberhard, den Herzog der Franken, zu sich nach Limburg an der Lahn kommen, wo er krank lag und sagte zu ihm in Gegenwart vieler anderer Fürsten und Herren: »Lieber Bruder, ich fühle, daß ich sterben werde. Laß Dir also Deine eigene Wohlfahrt und das Beste Deiner Franken empfohlen sein. Wir sind im Stande Heere zu stellen, haben Städte und Waffenvorrath, nur Glück und Geschicklichkeit haben wir nicht, das aber besitzt im vollen Maße Heinrich der Sachsenherzog: auf dem Sachsen allein beruht das Wohl des Reiches. Nimm diese Kleinodien und Kleider, nimm auch Lanze, Schwert und Krone der alten Könige, gehe damit zu Heinrich und mache ihn Dir zum Freunde für immer. Melde ihm, daß ich ihn Euch zum Nachfolger empfohlen habe.« Kaum hatte der Kaiser die Augen geschlossen, als sein Bruder mit den Reichskleinodien nach dem Harze abging, um dem Herzog Heinrich die unerwartete Botschaft zu bringen. Er fand den Sachsenherzog mit dem Vogelfange beschäftigt und zwar, wie man in Quedlinburg behauptet, an der Stelle, welche noch heutigen Tags der Finkenheerd genannt wird. Zwar maßen sich noch mehrere Orte auf dem Harze die Ehre an, daß auf einem nahen Platze, welcher in der Regel der Finkenheerd heißt, Heinrich I. seine Wahl zum deutschen Kaiser angenommen habe. Allein so viel steht fest, daß derselbe als Gründer der Stadt zu betrachten ist und sich sehr gern auf dem dasigen Schlosse aufhielt, welches jedoch nicht an demselben Platze gestanden zu haben scheint, wo das jetzige Schloß steht. Der Ort selbst soll nach einer andern Sage von dem Hunde Heinrichs, Quedel, seinen Namen erhalten haben. Das Grabmal dieses Hundes zeigt man noch jetzt neben dem Heinrichs und seiner Gattin Mathilde in der alten Krypta auf dem Schlosse zu Quedlinburg. In einem uralten Gewölbe, die Zither genannt, neben der Sacristei der Quedlinburger Schloßkirche zeigt man noch jetzt unter vielen andern sehenswürdigen Alterthümern auch einen alten Kamm von Elfenbein, welcher der Bartkamm Heinrichs I. genannt wird, sowie auch einen Reliquienkasten, der des großen Kaisers Eigenthum gewesen sein soll.

670

S. Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes S. 497 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 518-519.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band