580. Die Sage vom Teufelsbade beim Kloster Michaelstein.677

[524] In dem düstern schattigen Thale, wo einst das Kloster St. Volkmarstein gestanden hat, lag ein einsames Jagdschloß, dem Grafen von Blankenburg gehörig. Hier lebte er den größten Theil des Jahres in glänzender Umgebung, denn die Schönheit seiner einzigen Tochter zog eine große Schaar junger Edelleute, die sich um ihre Hand bewarben, dorthin, allein Keiner vermochte ihre Augen auf sich zu lenken, im Gegentheil, sie wies Alle mit kaltem Hohne zurück, indem sie es laut aussprach, daß nur, wenn sie unter den deutschen Fürsten und Edlen einen antreffe, der ihr an Schönheit ebenbürtig sei, sie diesem allein angehören wolle. Eines Tages befand sie sich mit ihrem Vater, von großem Gefolge umgeben, auf der Jagd in den benachbarten Forsten. Da erblickte sie in geringer Entfernung einen stolzen Edelhirsch, der in flüchtigem Laufe dem wildesten Dickicht sich zuwandte. Sogleich spornte sie ihren Zelter zu dessen Verfolgung an. Als der Graf dies sah, rief er der Tochter zu, sie möchte zurückbleiben und nicht dem schaurigen Tannendickicht sich nahen. Denn dort hause der Böse und bade in dem wilden Gießbache seine Glieder. Wer aber ohne durch einen geweihten Rosenkranz oder durch ein anderes heiliges Amulet geschützt zu sein in das Gebiet des Teufels sich hineinwage, sei mit Leib und Seele dessen Gewalt verfallen. Doch diese Worte drangen nicht zu den Ohren der Gräfin. Denn schon hatte sie die Grenze jener Wildniß überschritten und war über Bergklüfte und Waldströme, welche ihren Weg hemmten, kühn hinweggesetzt. Da gelangte sie zu einer Moorfläche, wo jetzt das Wasser im Mönchenmühlenteiche sich ansammelt, und vermochte nicht weiter ihre Verfolgung fortzusetzen. Vergeblich schleuderte sie noch ihren Jagdspieß nach dem Wilde. Bald war der Hirsch zwischen den Büschen verschwunden, welche hier und da aus dem Moore hervorragten. Doch als sie sich umwandte, um nach der erfolglosen Jagd ihr Gefolge wieder aufzusuchen, hatte sie einen seltsamen Anblick. In eine dem Anscheine nach künstlich ausgehöhlte Kluft stürzten die[524] Gewässer des Waldbachs jäh hinunter, um unter der Erde ihren Lauf fortzusetzen. Und am Rande der steilen Felswand lag ein Jüngling von hoher, schöner Gestalt und blühendem Antlitz in tiefem Schlummer. Ein Jagdspeer, welcher neben ihm lag, deutete an, daß er von der Jagd ermattet hier eingeschlafen sei. Die junge Gräfin fühlte sich von dem Anblick des schönen Schläfers wunderbar erregt, sie konnte ihr Auge nicht mehr von ihm abwenden und hielt es für ihre heiligste Pflicht, den Schlafenden von der Gefahr des Herabstürzens vom Rande des Abgrunds unverzüglich zu retten. Sie trat also an ihn heran und zog ihn sanft zurück. Der unbekannte Jäger aber rief: »So danke ich Dir, holdes Mädchen, mein Leben«, und schloß sie in seine Arme, und die stolze Grafentochter, welche bisher die Bewerbungen der angesehensten Fürsten zurückgewiesen, duldete die Umarmung eines ihr völlig fremden, jedenfalls tief unter ihr stehenden Mannes. Ja sie vergaß sich soweit, daß sie ihm ungescheut ihre plötzlich erwachte Liebe bekannte und ihn aufforderte, wenn anders er dieselbe erwidere, solle er sich am andern Morgen im Thale mit einem Rosse einfinden, sie werde vom Schlosse herabkommen und mit ihm entfliehen.

Als sie diese Worte gesprochen, nahte schon der Graf an der Spitze seiner Jagdgenossen, und seine Tochter, schnell entschlossen, stellte ihm den Jäger als den Retter ihres Lebens vom Sturz in den Abgrund vor. Der Graf lud ihn natürlich ein, als Gast mit in sein Schloß zu kommen, eröffnete aber auch auf dem Wege dahin seiner Tochter, daß er eben seinen Entschluß gefaßt und einem Fürsten ihre Hand zugesichert habe, mit dem sie am andern Tage verlobt werden solle. Die Gräfin erschrack über diese unverhoffte Mittheilung, allein noch durfte sie hoffen mit ihrem Geliebten zu entfliehen und so dem unwillkommenen Verlobungsfeste zu entgehen.

Während der Jagdzug schon ganz in der Nähe des gräflichen Schlosses war, kam des Weges daher ein alter frommer Eremit, welcher so eben im Kloster St. Michaelstein seine Andacht verrichtet hatte, wie er dies täglich zu thun pflegte, und sich nun nach seiner unfern vom Wege belesenen Klause zurückbegab. Schon als der Geliebte der Gräfin den Greis von Ferne erblickte, wie er im Gebet begriffen den Rosenkranz in der Hand hielt, verzogen sich seine Gesichtszüge zu einem grauenhaften Ausdrucke, als nun aber vollends jener dem Volke mit dem Crucifix den Segen spendete, verschwand er plötzlich aus der Schaar der Ritter und ward nicht mehr gesehen. Zwar fiel seine plötzliche Entfernung dem Grafen auf, allein derselbe war viel zu sehr mit den Vorbereitungen zur Verlobung seiner Tochter beschäftigt, als daß er sich über die Abwesenheit des ihm so wie so fremden Jägers hätte beunruhigen sollen, und die Gräfin wieder schrieb selbige andern Gründen zu, die mit ihrer für den folgenden Morgen beabsichtigten Entführung in Verbindung standen.

Mit den ersten Strahlen des anbrechenden Tages hörte sie schon Rosseshufe unten erschallen und sogleich eilte sie unbemerkt aus dem Schlosse hinab ins Thal. Auf einem schwarzen Rosse sitzend erwartete sie der Ritter, doch als sie sich zu ihm aufs Roß geschwungen, da entdeckte sie auf dem Antlitz des Geliebten einen seltsamen fremden Ausdruck und ein kaltes höhnisches Lächeln spielte um seine Lippen, so daß sie sich in seiner Umarmung ganz beängstigt fühlte. Dessen ohngeachtet schmiegte sie sich an ihn an und sprach:[525] »In Deinen Armen, Geliebter, will ich erwarmen, die Morgenluft weht so schneidend kalt.« Doch mit einem seltsamen Lachen erwiederte er: »Bald wird Dir schon heiß werden, wenn wir erst in meinem Hause angelangt sind.« Der Gräfin ward es bei diesen Worten ganz unheimlich, allein wie ward ihr, als der Ritter seinen Rappen geraden Weges nach dem Schlosse hinlenkte und unter den Fenstern desselben angekommen mit lauter Stimme dem Grafen zurief: »Sieh, Graf, wie Deine Tochter von einem Bräutigam, den sie sich selbst gewählt, sich entführen läßt! Komm herab und versuche es, sie Dir wiederzuholen.« Mit diesen Worten drehte er sein Roß dem Walde zu und als er sehr bald den Grafen mit einem Haufen Reisiger hinter sich erblickte, fing er an dieselben zur Verfolgung anzuspornen, indem er sie bald nahe an sich herankommen ließ, bald wieder mit Blitzesschnelle floh. So jagte er dem Tannendunkel zu, wo der Gießbach in der steilen Felsenschlucht sich verliert. Der Graf, im Eifer des Nachsetzens, sprengte ihm nach in das verrufene Tannendickicht hinein. »Willkommen!« rief ihnen hier der Entführer zu, »willkommen auf meinem Grund und Boden! Nun mögt Ihr Zeugen sein, wie ich meine Braut minne!« Bei diesen Worten umschlang er die Zitternde wilder und heftiger als bisher, indem er sie mit seinen Krallen zerfleischte, während ein Feuerstrom aus seinem Munde hervordrang. Dann sprang er mit ihr in den Schlund hinein, an dessen Oeffnung die Unglückliche ihn zuerst erblickt hatte. Entsetzt floh der Graf, denn er konnte nicht zweifeln, daß seine Tochter in der Gewalt des Höllenfürsten wäre. Darin allein gewann er noch einigen Trost, daß er zur Rettung der Seele seiner Tochter im Kaltenthale eine Kapelle stiftete. Bald darauf versuchten zwei Mönche von St. Michaelstein, Hans und Henning, an der Schlucht des Teufelsbades selbst, in welches der Böse die Gräfin hinabgezogen hatte, Messe zu lesen und so ihre Seele aus der Gewalt der Hölle zu erretten. Wenn sie ihr Vorhaben glücklich erreichten, durften sie von der Freigebigkeit des Grafen hohe Belohnungen erwarten. Allein noch ehe sie das Teufelsbad erreichten, wurden sie in ein Paar Felsen verwandelt, die noch jetzt ihren Namen tragen.

Von der Grafentochter hat man nie wieder etwas gesehen, doch geht unter dem Volke die Sage, daß ihr Leichenzug um Mitternacht durch das düstere Tannengehölz, in welchem das Teufelsbad liegt, sich fortbewege. Das Teufelsbad selbst ist noch jetzt zu sehen, nur das Moor, welches einst eine große Fläche bedeckte, ist verschwunden. Den Bemühungen der Mönche ist es gelungen, das Wasser in einem Teiche zu sammeln; dasselbe fällt dann in das Teufelsbad hinein und fließt eine Strecke weit in einem unterirdischen Kanale fort, bis es mit einem Wasserfalle wieder hervorbricht.

677

S. Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes S. 142 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 524-526.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon