581. Zwergsagen auf der Nordseite des Harzes.678

[526] Einst wohnten viele tausend Zwerge in den Felsklüften und in den noch vorhandenen Zwerglöchern. Aber nur selten erschienen sie den Landesbewohnern in sichtbarer Gestalt; gewöhnlich wandelten sie durch ihre Nebelkappen geschützt ungesehen und ganz unbemerkt unter ihnen umher. Manche dieser Zwerge waren gutartig und den Landesbewohnern unter gewissen Umständen[526] wohl sehr behilflich, die z.B. bei Hochzeiten und Kindtaufen mancherlei Tischgeräthe aus den Höhlen der Zwerge erborgten. Nur durfte sie Niemand zum Zorne reizen, sonst wurden sie tückisch und bösartig und thaten dem, der sie beleidigte, allen möglichen Schaden.

In dem Thale zwischen Blankenburg und Quedlinburg bemerkte einst ein Bäcker, daß ihm immer einige der gebackenen Brode fehlten; und doch war der Dieb nicht zu entdecken. Dieser beständig fortdauernde geheime Diebstahl machte, daß er allmählig verarmte. Endlich kam er auf den Verdacht, daß die Zwerge Ursache an seinem Unglück sein könnten. Er schlug also mit einem Geflechte von schwanken Reisern so lange um sich her, bis er die Nebelkappe einiger Zwerge traf, die sich nun nicht mehr verbergen konnten. Es wurde Lärm. Man ertappte bald noch mehrere Zwerge bei Diebereien und nöthigte endlich den ganzen Ueberrest des Zwergvolkes auszuwandern. Um aber die Landeseinwohner einigermaßen für das Gestohlene zu entschädigen und zugleich die Zahl der Auswandernden überrechnen zu können, wurde auf dem jetzt sogenannten Kirchberg, bei dem Dorfe Thale, wo sonst Wendhausen lag, ein großes Gefäß hingestellt, worin jeder Zwerg ein Stück Geldes werfen mußte. Dieses Faß fand sich nach dem Abzug der Zwerge ganz mit alten Münzen angefüllt. So groß war ihre Anzahl. Das Zwergvolk zog über Wahrnstedt (ein Dorf bei Quedlinburg) immer nach Morgen zu. Seit dieser Zeit sind die Zwerge aus dieser Gegend entschwunden. Nur selten ließ sich seitdem hier und da ein einzelner Zwerg sehen.

Die Zwerge vom Kreuzberge schoben einst den Menschen eines ihrer Kinder unter.679 Da nahmen die Menschen eine halbe Eierschaale, Wasser darin zu kochen, und das Zwergkind sagte: »Mutter, wat wutte da maken?« Die Mutter sagte: »Dik Thee inüe kooken.« Da sagte das Kind:


Sau bin ick doch sau oolt

Wie de Schimmelwoolt,

Dreimal e hacket im dreimal e koolt,

Und häwwe noch nich e sein in der Eierschaale Water koken.


Damit war das falsche Kind fort und das rechte wieder da. Es war gebracht von einem Zwerge, der sagte dem Knaben: er solle auf den Sonntag allein vor das Zwergloch kommen und rufen. Er erzählte aber, daß die Zwerge äßen von Silber und Gold. Zeug hatte er von den Zwergen bekommen, wenn das zerriß, strich ein Zwerg mit der Hand darüber und es war heil; hatte er ein Loch im Kopf, so ward von den Zwergen mit bloßer Hand darüber gestrichen und es war heil; er hatte das eine Bein meist in der einen Hand gehabt, auf dem andern hatte er gehuckt. Er hatte gesessen auf einer Hütsche, zum Schlafen kroch er in eine Mütze, dann trugen sie ihn wohin und er schlief besser wie im Bette. Er wäre dann fortgewesen, wußte nicht wohin. – Den Sonntag brachten die Seinen ihn aus dem Thore. Vor dem Loche rief er einen Namen und der Gerufene stand da und machte ihm Vorwürfe, weil er geschwatzt habe. Doch sagte er: wenn er sich gewaschen habe, solle er vor den Tritt gehen, dann solle Geld daliegen. Dafür solle er verschwiegen sein. Zum Anfange bekam er 100 Thaler, 10 Thaler sollte er seiner Mutter geben, das Uebrige verborgen an bestimmte Leute.[527] Er solle sich aber ja des Morgens vorher erst jedesmal waschen. Es zeigte sich, daß er drei Tage fortgewesen, vor dem Loche war es aber nicht dunkel geworden. Seinen Eltern gab er einen Theil des Geldes. Am andern Morgen lagen da für ihn 4 Groschen, für die Mutter 4, für den Vater 8, also gerade das Tagelohn. So ging es einige Male, bei den Eltern aber erwachte die Neugier. Die Frau stand einst auf und sah den Jungen das Geld wegnehmen, bekam aber dann sogleich einen Nasenstüber, und dabei rief es: »So neugierig wie Du sind alle Frauensleute!« Ihre Nase schwoll an, der Doctor wollte den Ursprung der Krankheit wissen. Sie aber schwieg, verlor die Nase und verfluchte den, der das Geld gebracht haben sollte. Der Knabe wurde zum Sonntag um 11 wieder nach dem Kreuzberge bestellt. Dort gab die Erscheinung ihm einen Topf, da sollte er hineinstippen und seiner Mutter die Nase wischen, dann würde sie gut werden, ebenso aber würde es helfen, wenn sonst Jemand krank oder verwundet wäre. Und so geschah es auch. Der Junge aber wurde zuletzt Ritter von der Harburg, die Quarge (Zwerge) von der Harburg mußten fort und zogen bei Nacht und Nebel ab. Die zwei ältesten mußten Alles aus dem Loche ihm zu Füßen legen, auch alle Nebelkappen. Die Zwerge wurden gefragt, wohin sie wollten? »Nach Goslar in den Rammelsberg zum Kaiser Otto«, antworteten sie. Der Ritter setzte danach eine Nebelkappe auf und in dieser wünschte er, daß sein Schloß auf dem Berge gegenüber stände, da stand's da und guckte plötzlich gegen die Harburg, auf der sein Schloß bisher gestanden hatte. Der Ritter aber nannte sich der rothe Ritter und nach der rothen Farbe, nach der er selbst sich nannte, hieß er auch das neue Schloß: Wernige-rood. Und weil sein Schloß fortgerückt war, nannte er's Wernigerode-Rochefort.

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S. Otmar S. 329.

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Nach Pröhle S. 50.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 526-528.
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