648. Das große Weinfaß auf den Spiegelsbergen.761

[604] Einst saß der Bischof Heinrich von Halberstadt (gegen Ende des 16. Jahrhunderts) mit einem andern fremden Bischof, der seit einem Monate schon sein Gast war, an einem schönen Sommerabend im Freien vor seinem Schlosse zu Gröningen. Sie hatten, seitdem sie sich zur Mittagstafel gesetzt, von nichts als von dem großen Weinfaß gesprochen, welches sich damals ein Bischof am Rhein hatte erbauen lassen und waren darin einig, daß eigentlich ein jeder geistliche Herr ein solches haben solle. Allein mit der Ausführung konnten sie nicht auf's Reine kommen. Da trieb der bischöfliche Hirte Konrad die schöne ihm anvertraute Schafheerde quer über den Schloßhof und bot seinem Herrn einen guten Abend. Der Bischof dankte ihm gnädig und sprach: »Höre, Konrad, wo ist denn Harm?« Da pfiff der Schäfer und ein schöner großer Widder sprang erst zum Schäfer und dann[604] zum Bischof, der ihn streichelte und mit den Brocken, die er selbst von der Tafel für ihn aufbewahrt hatte, fütterte. Er sprach dann noch einige Worte mit ihm und fragte ihn lächelnd, wann er denn Hochzeit machen werde? Konrad zuckte die Achseln und trieb seine Heerde in den Stall.

Da wunderte sich der fremde Bischof gar sehr, wie es komme, daß sein geistlicher Herr Bruder soviel Umstände mit seinem Schäfer mache, allein dieser sagte, sein Schäfer sei der beste und ehrlichste Mensch in seinem Sprengel und verdiene seine Gnade im vollen Maße. Darüber lachte aber der fremde Bischof laut und meinte, er habe darin mehr Erfahrung, ganz ehrliche Diener zu finden sei ganz unmöglich, wenigstens an einem geistlichen oder fürstlichen Hofe, sie seien alle Schelme und betrögen ihre Herren, nur einer mehr, der andere weniger. Der Halberstädter Bischof aber widersprach ihm auf das Entschiedenste und vertheidigte die Treue seines Schäfers, so daß, indem Jener von seiner Behauptung nicht abstehen wollte, nichts übrig blieb, als den armen Konrad in Versuchung zu führen. Die beiden Bischöfe wetteten um ein Weinfaß, das 150 Fuder Wein fassen könnte, das sollte der, welcher die Wette verlöre, dem andern bauen lassen. Damit gingen sie Beide schlafen.

Der fremde Bischof aber ließ, ehe er sich niederlegte, seinen vertrauten Knecht, der auch die Stelle seines Hofnarren bei ihm versah, kommen, erzählte ihm, was geschehen war, und wollte seine Ansicht hören, wie wohl die Wette zu gewinnen und der arme Konrad zum Bösen zu verführen sei. Anfangs wollte zwar des Bischofs heimlicher Rath, wie ihn seine Kameraden spottweise nannten, nichts davon wissen, allein als dieser ihm ein gutes Trinkgeld versprach, wenn er den Schäfer zur Unredlichkeit vermögen könne, so ließ er sich zu dem Geschäft herbei. Sein Herr hatte ihm gesagt, der Schäfer habe eine Geliebte, darauf baute er seinen Plan. Er zog am nächsten Morgen Erkundigung über seine Verhältnisse ein und erfuhr, allerdings liebe der Schäfer eine hübsche Bauerdirne, allein dieselbe wolle von seinen Anträgen nichts wissen, bevor er nicht ein eigenes Häuschen habe, da er und sie arm wären. Er begab sich also zu dem Mädchen und gewann sie für seinen Plan. Hierauf kehrte er zu seinem Herrn zurück, theilte ihm mit, was er im Sinne habe, und begehrte von ihm zur Ausführung seines Planes eine ziemliche Summe Geldes. Diese erhielt er auch, ging wieder zu der schönen Liese, zeigte ihr das Sündengeld und versprach ihr, damit ein gerade im Dorfe verkäufliches Haus kaufen zu wollen, dafern sie ihm das brächte, was er haben wolle. Das Mädchen war gleich bereit und am andern Morgen machte sie sich an die Ausführung.

Sie ging wie zufällig in die Gegend, wo Konrad seine Heerde durchtreiben mußte, krauten. Ihr Konrad freute sich nicht wenig, als er seine Schöne erblickte, er flog zu ihr hin, um sie zu begrüßen, allein sie empfing ihn wider Erwarten ziemlich kalt und als er sie fragte, warum sie nicht freundlicher sei, da versetzte sie, wenn er ihr nichts Neues über ihr zukünftiges Häuschen sagen könne, wie er dies beschaffen wolle, werde er noch oft so ein finsteres Gesicht bei ihr zu sehen bekommen. Darüber ward denn Konrad ganz traurig und meinte, ob es denn sonst nichts gebe, was er ihr zu Gefallen thun könne, um ihr ein freundliches Gesicht abzugewinnen. Darauf antwortete die Liese, welche dieses Anerbieten eben nur bezweckt hatte,[605] sofort damit, daß sie ihm sagte, er möge ihr seinen Harm schenken, daß sie ihn verkaufen und sich von dem Erlös ein Häuschen kaufen könne. Traurig erwiederte Konrad: »Verlange was Du willst, nimm die besten zehn Schafe aus der Heerde, nimm alle fünfzig, die mir gehören, nur den Widder laß mir, zwar gehört er mir eigenthümlich, denn ich habe ihn aufgezogen, allein wenn der Bischof nicht alle Abende meinen Harm füttern kann, verliere ich seine Gunst, ich kann und darf ihn nicht verkaufen.« Damit ließ sich aber Liese nicht abweisen, sie meinte, seine Liebe müsse gar nicht so heiß sein, daß er ihr nicht einmal dieses kleine Opfer bringen wolle etc. So stritten sie sich lange, Konrad weinte, und vor Unmuth endlich gestand ihm Liese, sie habe den Widder bereits für ein kleines Häuschen verkauft, welches sie sich Beide schon so lange gewünscht hätten, sie müsse ihn also auf jeden Fall abliefern, heute noch, es koste was es wolle, sie habe einmal ihr Wort gegeben und dies könne sie nicht brechen. Genug, sie unterstützte diese Klagen noch durch verschiedene Thränen und redete ihrem Konrad zu, dem Bischof vorzureden, der Widder sei gestorben oder von einem Wolfe gefressen worden, genug auf irgend eine Weise den Verkauf zu beschönigen.

Konrad ließ sich denn endlich überreden, ihr den Widder noch vor Mittag zu überliefern und sie versprach ihm dafür, binnen vier Wochen seine Frau zu werden, und damit trennten sie sich. Als jedoch der Schäfer seine Geliebte nicht mehr sah, da fing er an Gewissensbisse zu empfinden, zwar stiegen böse Gedanken in ihm auf, die ihm vorspiegelten, wie leicht es ihm sein werde, durch irgend eine List oder Lüge sich bei dem Bischof weiß zu brennen, aber immer siegte wieder sein Gefühl für das Bessere bei ihm und er konnte sich nicht entschließen, eine Lüge zu erfinden. Gleichwohl mußte er aber auch den Widder abliefern und so zersann er sich den Kopf, wie er sein Wort halten, aber auch ehrlich bleiben könne. Endlich schien er einen Mittelweg gefunden zu haben, denn er trieb seine Heerde weiter und noch vor Mittag überlieferte er mit einem tiefen Seufzer seinen lieben Harm an Liese, die ihn gegen das Kaufgeld des Häuschens umtauschte, ohne weiter über den Zusammenhang der Dinge nachzugrübeln.

Nun war aber für denselben Abend von den beiden Bischöfen Konrads Ehrlichkeitsprüfung angesetzt worden. Sie saßen abermals bei einem Becher Wein vor dem Schloßthore und erwarteten Konrad, der mit seiner Heerde vorbeikommen mußte, wo freilich der Widder fehlte, den der fremde Gast bereits in seinem Besitz hatte. Natürlich kam es auch so, Konrad kam mit seiner Heerde an, allein diesmal sprang kein Widder lustig zum Bischof Heinrich, um sich von ihm füttern zu lassen. Augenblicklich fragte dieser: »Wo ist Harm?« Da antwortete Konrad mit fester Stimme: »Den habe ich verkauft, Herr Bischof; ehrlich währt doch am Längsten, dies ist mein Wahlspruch und soll es immer bleiben!« Dem Diener des fremden Bischofs, welcher für seinen Herrn schon die Wette gewonnen zu haben geglaubt hatte und in der Nähe war, gefiel diese Rede Konrads nicht sonderlich. Der Bischof aber ward sehr zornig und fuhr den Schäfer hart an: »Warum hast Du ihn verkauft, ohne mir ein Wort zu sagen? ich hätte Dir das Zehnfache bezahlt!« Da versetzte Konrad: »Ein Schelm hat meine Braut verführt, wie einst die Schlange die Eva, und dann hat diese mich verführt, wie einst Eva den Adam. Ich weiß den Namen desselben, allein ich will ihn nicht nennen, wenn er[606] mir meinen Harm wiedergiebt. Liese hatte ohne mein Wissen sich verleiten lassen, das Thier zu verkaufen, darum mußte ich dasselbe hergeben, so schwer es mir wurde, ihr Wort konnte ich sie nicht brechen lassen, das ist der Grund, warum ich den Widder weggegeben habe!« Zwar wollte Bischof Heinrich schmählen, allein der fremde Gast sprach: »Ich habe die Wette verloren, dies war die Probe.« Der Halberstädter aber freute sich mehr über die bestandene Ehrlichkeitsprüfung seines Schäfers, als über das gewonnene Weinfaß, und so versprach er ihm denn die Hochzeit auszurichten und noch die halbe ihm anvertraute Heerde dazu schenken zu wollen. Der Gast aber wollte nicht nachstehen, er gab ihm den Widder zurück und ließ ihm auch das dafür gezahlte Geld als Hochzeitsgeschenk. Treu seinem Worte ließ er aber das große Weinfaß bauen, das sonst so manchen Reisenden nach Gröningen zog, sich jetzt aber auf den Spiegelsbergen bei Halberstadt befindet.

An dieses Weinfaß, dessen Erbauer Michael Werner aus Landau war, der auch das große Heidelberger Faß gemacht hatte, und für das ein besonderer Keller im Schlosse Gröningen hatte eingerichtet werden müssen, denn es faßte 141 Fuder Weins, war 636 Centner schwer (124 Centner wogen allein die eisernen Schienen und Reifen, sowie die 955 Schrauben daran), 30 Werkschuhe lang und 18 Werkschuhe dick und trug eine Aufschrift, worin alles dies gesagt war, knüpft sich aber noch eine andere Sage, welche also lautet:762

Als es noch zu Gröningen lag, trug es sich zu, daß an einer von den Kellerwänden, wo es sich befand, etwas auszubessern war. Der Kellermeister ließ also einen Maurer kommen und trug ihm diese Arbeit auf. Da der Kellermeister den Fleiß und die Geschicklichkeit des Gesellen kannte, ließ er ihn fast den ganzen Tag allein und kam nur dann in den Keller, wenn er selbst Langeweile oder mit dem Gesellen zu schwatzen Lust hatte. Die Reparatur sah wichtiger aus als sie wirklich war und noch vor Abend hatte sie Andreas, so hieß der Maurer, beendigt. Für voll sollte ihm der Tag gelohnt werden, daher er bis zum Feierabende noch im Keller zu verweilen gedachte. Müßig und müde betrachtete er sich nun gemächlich das Ungeheuer von Weinfaß, las seine Aufschrift, zählte die Reifen und eisernen Schienen, ja selbst die Schrauben, allein nach und nach hatte er etwas materiellere Bedürfnisse, er wünschte etwas von dem guten Wein, welchen es barg, zu sich zu nehmen, um sich nach seinem Tagewerk zu erquicken. So viel er dazu brauche, meinte er, werde man nicht vermissen. Der Rebensaft war vom besten Gewächs und mundete ihm; er trank und trank, bis der Weingeist und die Kellerluft ihn betäubte und neben das Weinfaß bettete. Da die Feierabendzeit längst vorüber war und Andreas noch nicht aus dem Keller kam, stieg der Kellermeister hinab und sah sogleich, was vorgefallen war; da er aber fürchtete, wegen seiner eigenen Nachlässigkeit bei Beaufsichtigung des Maurers zur Verantwortung gezogen zu werden, so ließ er ihn schlafen und beschloß, ihn erst früh aus dem Keller zu lassen und dann tüchtig auszuzanken. Indeß dauerte der Weinrausch unseres Andreas nicht allzulange, er erwachte gegen Mitternacht und wußte erst nicht, wo er war, nach und nach aber besann er sich[607] auf das Vorgefallene und fand, daß es für ihn am Ersprießlichsten sein würde, sich ruhig zu verhalten und dann bei Anbruch des Tages sich möglichst ungesehen fortzuschleichen. Er setzte sich also auf eine steinerne Erhöhung unweit der Thüre und tröstete sich bei etwa entstehendem Durste mit der Nähe des Weinfasses.

Noch hatte er nicht minutenlang gesessen, als er in der einen Kellerecke ein weißes aus dem Boden aufsteigendes Licht erblickte, das nach und nach den ganzen Kellerraum erhellte. So furchtlos und keck nun aber auch unser Andreas sonst war, so fing es ihm doch an etwas grausig zu Muthe zu werden, und als er nun gar noch in der Mitte des Lichtscheines ein kaum zwei Spannen hohes, erdfahles Männchen aus dem Kellersande sich hervorwühlen sah, da stiegen ihm die Haare zu Berge und er schlug ein Kreuz. Der Zwerg aber ließ sich dies nicht anfechten, sondern er kam auf ihn los und hieß ihn gutes Muthes sein und forderte ihn auf, sich eine Gnade von ihm auszubitten. Andreas aber verlangte zum großen Erstaunen des Erdmännchens weiter nichts, als daß er ihn aus dem Keller lassen solle. Da meinte dasselbe, wenn es weiter nichts wäre, das solle bald geschehen sein, so er aber wieder einmal Durst nach einem Trunke aus dem großen Weinfaß verspüre, solle er nur um Mitternacht mit dem linken kleinen Finger an den Mittelnagel des Thürschlosses dreimal klopfen, und er wolle ihm öffnen. Nun öffnete der Zwerg die eiserne Thür und Andreas lief, ohne sich umzusehen, so schnell als er konnte nach seiner Wohnung und gelobte sich selbst bei allen Heiligen, dem großen Fasse und dem Erdmännchen nie in seinem Leben wieder zu nahe kommen zu wollen. Nach einigen Stunden Morgenschlafes begab er sich zu dem Kellermeister, sagte, er sei gestern Abend mit seiner Arbeit fertig geworden und wolle sich nur noch sein Handwerkszeug holen, welches er im Keller habe liegen lassen. Der Kellermeister hatte aber den Abend vorher sich selbst aus Aerger einen Rausch getrunken und mußte jetzt selbst geweckt werden. Freilich erschrak er nicht wenig, als er den Maurer vor sich stehen sah, den er im Keller eingeschlossen zu haben meinte, allein es blieb ihm nichts übrig, als anzunehmen, durch seine Sinne getäuscht worden zu sein; derselbe stand in eigener Person vor ihm und daher hielt er es für besser, sich nichts merken zu lassen. Er nahm also seine Schlüssel, stieg in den Keller hinab und fand die Thüre natürlich verschlossen und das Handwerkszeug des Maurers an dem angegebenen Orte. Damit war die Sache vor der Hand aus. Zwar gelüstete es den Maurer manchmal nach einem Trunke aus dem großen Weinfasse, allein er dachte an seinen Schwur und hatte auch sonst noch Anderes zu denken, denn er hatte ein Liebesverhältniß mit einer reichen Bürgerstochter, die er bei einem Bau in ihres Vaters Hause hatte kennen lernen, angeknüpft und dieses machte ihm viel Sorgen. Diesmal ging es aber nicht wie gewöhnlich, der arme Maurer wurde nicht zurückgewiesen; weil das Mädchen einmal gar zu verliebt in ihn und ihr Vater ein schwacher Mann war, wußte sie es dahin zu bringen, daß derselbe nachgab und sie ihn heirathen durfte. Nur mußte er das Maurerhandwerk aufgeben und seinem Schwiegervater versprechen, Feldwirthschaft zu erlernen und seine zahlreichen Aecker zu bewirthschaften. Dies that er auch und die Sache ging, so lange der Vater lebte, ganz gut. Da starb derselbe, die Tochter erbte Alles und da er nur der Verwalter ihres[608] Eigenthums war, so konnte er es nicht hindern, daß seine Frau, in der die Laster der Ueppigkeit und der Putzsucht nur geschlummert hatten, jetzt von ihm die gänzliche Veränderung ihrer Lebensweise forderte. So bescheiden sie bisher gelebt hatten, so groß ging es nun bei ihnen zu; alle Tage war offene Tafel bei ihnen, kostbare Kleider und Schmuck ward in Menge angeschafft, ungetreue Dienstboten halfen getreulich dazu, und so kam es, daß, da die junge Frau auf keine Vorstellungen ihres Mannes, sich einzuschränken, hören wollte, alle seine Sparsamkeit und Fleiß nichts half und er eines schönen Tages fand, daß er so ziemlich fertig war. Nun kamen die Vorwürfe, er klagte seine Frau an, daß durch ihre sinnlose Verschwendung die Armuth in ihr Haus eingezogen sei, und sie warf ihm vor, wenn sie nicht ihn, einen armen Maurer, sondern einen reichen Junker geheirathet, könne sie noch im Wohlstande sein. Solche und ähnliche Reden waren ihre tägliche Unterhaltung, die natürlich ihren Zustand keineswegs erleichterte. Zwar suchte Andreas sein Handwerkszeug wieder hervor, allein er hatte bei der guten Zeit das Arbeiten verlernt. Da dachte er an seinen Freund, das Erdmännlein, und stand in der nächsten Mitternacht an der Kellerthür, klopfte nach der ihm vorgeschriebenen Weise an und geräuschvoll öffnete sie sich. Andreas trat ein, vor ihm stand der Zwerg in seinem erdfahlen Mantel und hieß ihn mit besonderer Freundlichkeit willkommen. Er verlangte von ihm zu trinken, da meinte das Kellermännchen, das könne geschehen, hier sei genug für seinen Durst, denn es seien erst vor Kurzem neue Vorräthe angekommen. Damit gab er ihm Wein aus dem großen Fasse. »Säume aber nicht«, warnte er ihn mit aufgehobenem Finger, »denn nach Mitternacht kann ich die Thüre nicht mehr öffnen!« Andreas ließ sich dies nicht zweimal sagen und zechte nach Herzenslust, aber je mehr er trank, desto heftiger ward sein Durst und ließ ihn nicht an die Zeit denken. Der Sinne beraubt, sank er vor dem Fasse nieder, die Mitternachtstunde ging vorüber und das graue Männchen war verschwunden.

Nun war aber denselben Abend vorher auch der Kellermeister in den Keller gegangen und hatte sich, um ungestört den Geist und die Güte des neuen Getränkes zu prüfen, eingeschlossen, aber auch er war von den Dünsten des jungen Weins berauscht besinnungslos zu Boden gefallen. Nach Mitternacht erwachte er und Schrecken und Grauen rieselte durch seine Glieder, denn unweit von sich hörte er ein gewaltiges Schnarchen und Rasseln. Da er wußte, daß er allein herabgestiegen war und Niemand durch die verschlossene Thüre ihm hätte folgen können, hielt er das Geräusch für Geisterspuk, raffte sich auf und schwankte so schnell er vermochte nach der Thür. Als er aber den Keller verlassen hatte, kehrte in der frischen Luft doch insoweit seine Ueberlegung zurück, daß er auf die Vermuthung kam, es möge mit dem Schnarchen natürlich zugegangen und in der That ein zweiter Trinker im Keller gewesen sein. Er kehrte also am nächsten Morgen, von einer Anzahl von Knechten begleitet, in den Keller zurück und ließ, unter dem Vorwande, seinen Ring verloren zu haben, alle Winkel desselben durchsuchen.

Unterdessen war auch Andreas von seinem Weinrausche erwacht und als er das Rasseln an der Thüre hörte, auf das große Weinfaß gestiegen und hatte sich darauf still niedergelegt. Hier konnte er, sich ruhig verhaltend, nicht leicht entdeckt werden, aber er kam auf den unklugen Einfall, während[609] der Kellermeister im hintersten Theile des Kellers suchte, an der Vorderseite des Fasses herabzuspringen, um durch die Thüre zu entwischen. Aber der Sprung mißlang und preßte dem Unglücklichen unwillkürlich einen dumpfen Schrei aus. Schnell wandten sich die Sucher um und Andreas war in ihren Händen. Darob jubelte aber Niemand mehr als der Kellermeister, denn nun fand er Gelegenheit, die von ihm selbst begangenen Wein-Veruntreuungen einem Andern in die Schuhe zu schieben und so zugleich an ihm Rache zu nehmen, weil Andreas ihn früher einmal, als er sich Zärtlichkeiten gegen seine Frau hatte herausnehmen wollen, ziemlich unsanft zurückgewiesen hatte. Der Kellermeister meldete also den Vorfall so gehässig als möglich dem Bischof und freute sich schon im Geiste des Verdammungsurtheils, welches den armen Andreas treffen würde. Der Bischof aber, ein ziemlich gerechter Mann, fand aus der Anklage des Kellermeisters mit leichter Mühe das Parteiliche heraus und ließ den Gefangenen vor sich führen. Er fragte ihn selbst nach dem Hergange der Sache und Andreas berichtete ehrlich, was er gethan hatte, nur verrieth er kein Wort von dem Erdmännlein, denn er hatte früher gehört, der Herr Bischof sei kein sonderlicher Freund von derartiger Gesellschaft. Der Bischof freute sich eigentlich insgeheim über die Aussage des Maurers und befahl, man solle demselben diesen Abend gesalzene Fische als Fastenspeise vorsetzen, ihn aber dann die Nacht hindurch in den Keller sperren, zuvor jedoch das große Faß, sowie alle kleinern Kameraden desselben sorgfältig versiegeln. Was weiter mit dem Sünder geschehen solle, werde er morgen bestimmen. Andreas bedankte sich bei dem Bischof für die gnädige Strafe, bekam seine gesalzenen Fische zu essen und ging dann, zwar mit niedergeschlagenen Blicken, aber sonst guten Muthes in den Keller hinab, denn er vertraute auf die Hilfe des Erdmännchens. Der Kellermeister aber versiegelte sorgfältig alle Weinfässer und auch, was ihm nicht befohlen war, die Thüre, damit ihm ja sein Feind nicht entgehen könne. Am Morgen schickte der Bischof einen seiner Diener zu dem Kellermeister mit dem Befehl, den Gefangenen aus dem Keller in ein ordentliches Gefängniß zu führen und ihm Speise und Trank zu geben. Der Kellermeister und seine Knechte stiegen in den Keller hinab, fanden das Siegel an der eisernen Thüre unversehrt und ebenso das große Weinfaß und die kleinern Fässer alle noch wohl versiegelt, allein keinen Gefangenen, denn diesen hatte das Erdmännchen getränkt und in der Nacht entfliehen lassen. Was jedoch dann mit ihm geworden ist, weiß man nicht, denn seine Frau hat ihn niemals wiedergesehen.

761

Nach Otmar S. 295 etc., abgedruckt in den Sagen aus der Vorzeit des Harzes S. 86 etc.

762

Nach Ziehnert Bd. II. S. 66 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 604-610.
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