680. Der Schatz im Thurme zu Osterode.794

[639] Es ist einmal ein Müller in der neuen Mühle im Innerstethale bei Clausthal gewesen, der hat einen Gesellen gehabt, aus Osterode gebürtig, dem hat das Gesicht nach der Schulter zu gestanden, so daß er alle Leute über die Schulter angesehen hat. Der Meister hat ihn nun einmal gefragt, ob ihm das Gesicht immer so gestanden habe. Das hat der Bursche verneint. Da hat er ihn weiter gefragt: wie denn das gekommen sei, daß ihm nun das Gesicht nach der Schulter zu stehe? »Ach«, sagt der Bursche, »was könnte Euch das helfen, wenn ich es Euch erzählte? Es graut mir jedesmal, wenn ich daran denke.« Aber da der Meister immer fragte und ihm gar keine Ruhe ließ, fing der Müllerbursche an zu beichten.

Bei Osterode, nach Clausthal zu, steht ein alter Thurm, darunter sind große weite Keller und es soll in diesen Kellern ein überaus großer Schatz vergraben liegen. Nun haben sich einmal eine große Menge junger Leute zusammengerottet, um nach dem Schatze zu graben. Der Müller, damals noch ein unbesonnener kecker Bursche, ist auch mit dabei gewesen. Nachdem sie lange gegraben, kommen sie endlich in einen großen Kellerraum, der weit hineingeht unter den Berg. Wie sie am Ende des Kellers sind, graben sie wieder und kommen auch auf einen großen Kasten. Der Müllerbursche ist einer von denen gewesen, die den Kasten herausheben. Wie sie damit schon fast in der Mitte der Höhle sind, erschallt plötzlich hinter ihnen eine furchtbare Stimme: »Halt, so nicht! Einen von Euch muß ich zum Opfer haben!« Da lassen sie den Kasten fallen und stürzen nach dem Ausgange des Kellers zu. Da schreit der Teufel: »Nehmt das Geld! gebt mir einen! den da mit dem rothen Kamisol!« Das ist gerade der Müllerbursche gewesen und er ist der Letzte. Indem hat er ihn schon beim Kopfe, aber gerade wie er ihm denselben umdrehen will, besinnt sich der Bursche noch, daß er schreit: »Nein, Teufel, mich sollst Du nicht haben!« und dazu ein Kreuz macht. Da wirft ihn der Teufel zum Loche hinaus. Seit der Zeit hat dem Müllerburschen beständig das Gesicht nach der Schulter gestanden. Aber in den Keller hat sich seitdem Niemand hineingewagt.

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S. Harrys Bd. II. S. 36.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 639-640.
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