124. Das älteste Haus in Potsdam.176

[119] In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bestand Potsdam fast nur aus vier Straßen, in deren Mitte auf einer kleinen Erhöhung des Bodens die mit einem Begräbnißplatze umgebene Kirche und unweit davon ein kleines Rathhaus stand; so hatte sie auch nur zwei Thore, das eine, das Brandenburger, führte durch den Wall in der Gegend des neuen Marktes, das andere, in der Gegend der grünen Brücke, hieß das Berliner, und war nur zum Theil durch eine Mauer, größtentheils aber durch einen Graben und ein festes Pfahlwerk mit dem ersteren verbunden. Von dem Berliner Thor längs der Havel hin bis über die jetzige Burg und Heiligegeiststraße lag eine doppelte Reihe von Fischerhäusern, der Platz an der Havel aber, auf dem jetzt die Heiligegeist-Kirche steht, war durch einen breiten Graben zur Insel gemacht, auf der Landseite geschützt durch Mauer und Wall, auf der andern durch den breiten Fluß. Hier stand die Burg, das sogenannte alte Haus Potsdams, ein viereckiges steinernes Gebäude mit spitzen Giebeln und einem runden Thurm an jeder Ecke. Da wo jetzt das Schloß sich erhebt, war durch Joachim ein kleines Lustschloß errichtet, unweit der hölzernen Brücke, welche Friedrich I. statt der Fähre 1406 über die Havel hatte er bauen lassen. Unterhalb der Stadt, dem Tornow gegenüber, und von ihm durch einen dichten Eichenwald getrennt, der sich weithin nach Fahrland und Nedlitz erstreckte, lag der Kiez, ein Fischerdorf, dessen wendische Bewohner unter einem Schulzen lebten.

Dieser Schulze hatte nun ein ganz junges niedliches, schwarzäugiges Mädchen von kaum sechszehn Jahren zur Mündel, die allen jungen Burschen des Dorfes den Kopf verdrehte, und so auch ihrem Vormunde. Ob derselbe nun gleich zum dritten Male Wittwer war, so ließ er es sich doch beikommen, einem vierten Frauenzimmer seine welk gewordene Hand anzubieten, und siehe, er ward erhört, am Osterfeste 1536 ward seine rothbäckige Mündel seine vierte Frau. Sie lebte als solche gerade so fort wie vorher als Mädchen, sie trug nach wie vor ihre Fische zu Markte und ging an den Sonntagen in die Schenke zu Tanze, wo es ihr keine Andere an Frohsinn und Scherzen zuvor that.

Da ist sie einstmals im nächsten Sommer, als sie wieder Fische in die Schloßküche tragen wollte, wie der Churfürst Joachim II. sich gerade der[119] Jagd wegen mit zahlreichem Gefolge im Schlosse zu Potsdam aufhielt, im Walde unweit des Kiezes mit einem großen stattlichen Herren unter einer großen Eiche zusammengetroffen, der hat sie freundlich angeredet und sich über das und jenes mit ihr unterhalten, hat sie auch bis ans Thor begleitet. Später hat sie den Mann noch oft auf ihrem Wege zur Stadt getroffen und stets mit ihm eine längere oder kürzere Zeit gesprochen, ja sie hat sich ordentlich geärgert, wenn sie einmal zur Stadt ging und ihren Gesellschafter nicht traf. Es ist ein großer schöner Mann in der Mitte der Dreißiger gewesen, hat sich ihr gegenüber für einen Beutner, der viele Bienenstöcke in den hohlen Eichen besäße, die er aber an Andere verpachtet hätte, ausgegeben und gesagt, er halte sich hier in der Nähe auf, um Acht zu haben, daß ihm nicht die jungen Schwärme entführt würden. Er hat aber über alle möglichen Gegenstände mit ihr Rede gepflogen, und da sie ihn um Vieles, was sie nicht wußte, gefragt, sie gewissermaßen unterrichtet, so daß sie bald viel mehr wußte als alle ihre Gespielinnen, und das ganze Dorf erstaunt war, wie des Schulzen Frau plötzlich eine so kluge Frau geworden sei. Gegen das Ende des Herbstes blieb aber der Herr plötzlich aus und die Frau Schulzin sah nun erst, was derselbe ihr geworden war, ohne ihn wurde ihr das Leben fast unerträglich, und dies um so mehr, weil sie Niemanden hatte, dem sie ihre Noth klagen oder ihr Herz ausschütten konnte.

Eines Tages, als sie wieder einmal zur Stadt ging, da sah sie eine große Menge Arbeiter bei der Eiche, die gruben die Erde aus und schienen eine Grundmauer errichten zu wollen. Auf ihr Befragen erfuhr sie, Churfürst Joachim, wegen seiner Klugheit Nestor genannt, lasse hier ein Jagdschloß bauen, auf dem Hofe desselben solle aber die Eiche in der Mitte der Gebäude stehen bleiben. Im nächsten Jahre ließ sich der Bienenvater wieder sehen und als er mit ihr zusammenkam, that er gar nicht, als wäre längere Zeit zwischen ihrer letzten Zusammenkunft verflossen, sondern war gerade so vertraulich, als hätten sie sich erst gestern gesehen. So ging es einige Zeit fort und die arme Schulzin ward immer mehr verliebt in ihn, so daß sie gar nicht mehr an ihren Mann dachte. Da trug es sich zu, daß in dem Herbst desselben Jahres ein Wolkenbruch in der Gegend von Potsdam fiel, die Havel stieg über ihre Ufer, viele Schiffe der Bewohner vom Kiez wurden zerstört oder vom Strom mit fortgeführt, und als in der darauf folgenden Nacht im Dorfe auch noch eine Feuersbrunst ausbrach, welche unter andern auch das Haus des Schulzen verzehrte, da war große Noth in dem armen Fischerdorfe, denn der größte Theil der Bewohner war in den Fluthen umgekommen und die übrigen hatten alle ihre Habe in der Feuersbrunst verloren. An den Folgen dieses Schrecks starb der alte Schulze in wenigen Tagen, seine Frau aber blieb seit dem Tage verschwunden. Einige Monate nachher bezog nun aber der Churfürst sein neues Lustschloß und bewohnte dasselbe seit jener Zeit nur mit wenigen Unterbrechungen. In der Umgegend aber ward die Rede laut, man sehe ihn in den Gängen des das Schloß umgebenden Gartens oft mit einer jungen schönen Frau lustwandeln, die große Aehnlichkeit mit der verschollenen Frau Schulzin habe. Auch nach seinem Uebertritt zur evangelischen Kirche im Jahre 1536 ist er häufig auf jenem Jagdschlosse gewesen, allein keiner der Hofleute, die er dorthin mitnahm, hat, darum befragt, über jene schöne Dame Rede gestanden, so daß man[120] zuletzt gar nicht mehr davon gesprochen und die ganze Sache für einen Spuck gehalten hat. Zwanzig Jahre nachher brannte das ganze damalige Potsdam ab und nur das Jagdschloß im Eichenwalde beim Kiez blieb von allen Gebäuden aus früherer Zeit übrig, wurde aber später vom Churfürsten Friedrich Wilhelm auf den Wunsch seiner frommen Gemahlin zu einem Wittwenhause eingerichtet. Dasselbe ist bis in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts stehen geblieben, da wurde es zwar niedergerissen, allein das neu aufgebaute Predigerwittwen-Haus steht genau auf den Grundmauern des alten Jagdschlosses, ist also streng genommen das älteste Haus der Stadt Potsdam.

176

Nach Reinhard S. 113.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 119-121.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band