234. Die beiden Frauen zu Aulosen.298

[208] Vor vielen hundert Jahren lebte auf seinem Schlosse zu Aulosen in der Wische ein Herr von Jagow. Er hatte eine Frau und viele Kinder, aber weil er sehr fromm und gottesfürchtig war, so ließ er Alles im Stich und zog mit den deutschen Herren in den Türkenkrieg, um den Erbfeind des christlichen Glaubens besiegen zu helfen. Dort ging es ihm indessen sehr schlecht, er wurde gefangen und als Sclave verkauft. Er kam als Gärtner zu einem vornehmen türkischen Herrn. Die Tochter dieses Türken kam oft in den Garten, in welchem er arbeitete, und sah ihn und hatte Gefallen an ihm, weil er ein sehr schöner und schmucker Herr war. Sie fühlte auch bald Mitleiden mit seinem Unglücke, und endlich hatte sie ihn in ihrem Herzen so lieb gewonnen, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnte. Der Ritter merkte dies Alles wohl, und obgleich er seine Gemahlin von ganzem Herzen liebte, so war er doch auch der Türkentochter gut, weil er nur durch ihre Hilfe hoffen durfte, seine Freiheit zu erlangen und seine Hausfrau, seine lieben Kinder und seine Heimath wieder zu sehen. Deswegen ließ er sich mit ihr ein und versprach ihr, sie neben seiner Gemahlin zu heirathen, wenn sie ihn befreien und zu dem christlichen Glauben übertreten wolle. Dazu war sie gern bereit. Sie entfloh glücklich mit ihm aus der Sclaverei; in Deutschland wurde sie eine Christin und dann durch die Dispensation des Papstes seine Hausfrau.

Es war gerade am Grünen-Donnerstag zu Mittag, als der Ritter mit seiner Türkin auf seinem Schlosse zu Aulosen ankam. Seine deutsche Hausfrau und seine Kinder saßen eben am Mittagstisch und aßen. Sie freueten sich sehr, wie sie ihren Herrn und Vater wiedersahen, den sie todt geglaubt hatten, und die erste Frau nahm die mitgebrachte zweite mit Freuden neben sich auf. Beide Frauen wurden die besten verträglichsten Freundinnen und blieben dies bis an ihr seliges Ende. Das Bildniß der Türkin wird noch unter den Jagow'schen Familiengemälden gezeigt; sie ist darnach ganz ausnehmend schön gewesen. Sie ist auch, wie man sagt, zu Großen-Ganz begraben; in dem Kirchengewölbe daselbst zeigt man auch ihren einbalsamirten Körper, auch zeigt man dort zwei Leichensteine, auf welchen zwei weibliche Figuren ausgehauen sind, welches die beiden Frauen dieses Ritters sein sollen. Der Ritter aber stiftete zur Erinnerung an seine glückliche Heimkehr[208] auf den Grünen-Donnerstag eine Armenspende, daß alle Armen, soviel deren sich einfinden würden, auf dem Schlosse mit Erbsen und Stockfisch, als welches Gericht seine Familie bei seiner Rückkehr gerade gegessen, gespeiset werden und ein Stück Brod mit Speck mit auf den Weg bekommen sollten. Noch vor nicht gar langer Zeit war dieses Bettlerfest so besucht, daß an fünfhundert Arme dahin wallfahreten.

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Nach Temme S. 54 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 208-209.
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