24. Die drei Linden zu Berlin und die Herren von der Linde.

[36] Auf dem heiligen Geist-Kirchhof zu Berlin standen bis ins 17te Jahrhundert drei große Linden, der Brüder Linden genannt, welche sich über den Kirchhof verbreiteten; unter ihnen wurde oftmals Gottesdienst gehalten. Dieselben hatten folgende Geschichte.67

Am Schlusse des 16ten Jahrhunderts unter der Regierung des Kurfürsten Johann Georg lebten zu Berlin drei Brüder, Bruno, Michael und Gotthold mit Namen. Dieselben liebten sich, wie selten zu geschehen pflegt, wirklich als Brüder und lebten zusammen in ungestörter Liebe und Eintracht, ohne daß eine Leidenschaft des einen oder des andern diesem Liebesbunde Eintrag gethan hätte. Da trug es sich zu, daß Gotthold, der jüngste derselben, im Hause seines Onkels die Tochter Meister Rapposi's, des ersten Kapellmeisters des Churfürsten, eines Italieners, kennen lernte und sich also in sie verliebte, daß er keine Ruhe hatte, wenn er sie nicht gesehen hatte, was sehr leicht war, da ihr Vater im Hause seines Onkels wohnte. Bald gelang es ihm auch, die Gegenliebe der schönen Italienerin zu erlangen und er beschloß nun, seine Brüder von seinem Glück in Kenntniß zu setzen und ihren Rath einzuholen, wie er es einrichten solle, die Einwilligung ihres stolzen Vaters zur Verheirathung mit seiner Geliebten zu erlangen. Diese beschlossen nun, es solle der ältere Bruder Bruno, der zufällig ein tüchtiger Geiger war und vom Churfürsten die Aufforderung erhalten, einmal in einem Hofconcerte vor[36] ihm zu spielen, bei dem stolzen Italiener für seinen Bruder den Freiwerber machen. Dies geschah auch, denn als Bruno mit solchem Beifall gespielt, daß ihn der Kurfürst auf frischer That zu seinem zweiten Kapellmeister ernannte, glaubte er, der Zeitpunkt sey zu seinem Vorhaben vorzüglich günstig, weil Rapposi wohl seinem Collegen die erste Bitte nicht abschlagen werde, wandte sich daher an ihn und brachte seine Werbung vor. Allein es kam anders, als er gedacht, der Italiener, neidisch auf den Beifall, den Bruno davon getragen, und ärgerlich, daß er an demselben einen Nebenbuhler bekommen, schlug es ihm rund ab und wußte es so einzurichten, daß seiner Tochter aller Verkehr mit ihrem Geliebten abgeschnitten ward.

Da begab es sich, daß im April des Jahres 1585 eine Kindesmörderin auf der Langenbrücke gesäckt werden sollte: ganz Berlin strömte zu diesem Schauspiele, natürlich auch der Italiener Rapposi, und es fügte sich, daß in dem Gedränge derselbe neben jene drei ihm wohl bekannten Brüder zu stehen kam. Auf einmal erscholl ein lautes Geschrei, der Italiener stürzte nieder und indem er auf ein in seiner Brust bis an's Heft steckendes Messer und die neben ihm stehenden Brüder zeigte, gab er seinen Geist auf. Niemand zweifelte, daß einer derselben den Mord begangen habe, aber wer es gewesen, ob Bruno oder Gotthold, darüber sollte erst ein Verhör derselben entscheiden. Zuerst ward also Bruno, auf den als den dem Ermordeten zunächst Gestandenen der meiste Verdacht fiel, befragt, ob er der Thäter sey, derselbe aber verneinte nicht blos entschieden die That, sondern leugnete auch, daß er wisse oder gesehen habe, von wem sie begangen sey. Gleichwohl ward derselbe, da der Schein wider ihn war, zum Tode verurtheilt. Da beschlossen seine zwei Brüder, jeder für sich, ohne den andern in Kenntniß zu setzen, sich für ihren Bruno dem Tode zu weihen, sie begaben sich vor Gericht und erklärten, nicht Bruno habe den Mord verübt, sondern sie. Kaum hatte aber Bruno gehört, wie jeder seiner zwei Brüder dem Gericht gegenüber sich als den Thäter ausgebe, da erklärte er selbst, er habe nur aus Furcht vor der Strafe vorher sein Verbrechen in Abrede gestellt, er selbst sey der wahre Mörder, nicht seine Brüder. Nun kamen aber die Richter in Verlegenheit, einer mußte den Mord begangen haben, aber drei verschiedene Personen nannten sich als Urheber desselben; sie wandten sich also, um nicht einen Unschuldigen zu strafen, an den Kurfürsten und baten um seine Entscheidung. Derselbe befahl aber, die Entscheidung Gott dem gerechten Richter zu überlassen. Er befahl, drei gesunde Lindenbäumchen sollten von den drei Brüdern verkehrt, die Wurzeln nach oben, auf dem heiligen Geist-Kirchhofe in die Erde gepflanzt werden; welches Bäumchen nun nicht Wurzel schlagen und grünen werde, dessen Pflanzer sollte als von Gott verurtheilt für den Mörder geachtet und hingerichtet werden. Und so geschah es auch; in feierlicher Procession, begleitet von allen Geistlichen Berlins, dem Gerichtshofe und vielen Berliner Bürgern, wurden die drei Brüder auf den Kirchhof geführt; nachdem alle gebetet hatten, und fromme Lieder gesungen worden waren, pflanzte jeder der drei Brüder sein Bäumchen und ging dann frei nach Hause. Allein seht, was geschah, keines der Bäumchen ging ein, die gepflanzten Linden schlugen sämmtlich aus dem obersten Ende des Stammes kräftige Wurzeln in die Erde, die eigentlichen Wurzeln verwandelten sich in Kurzem in blätterreiche Zweige, so daß die Bäume statt in die Höhe, gar üppig in die Breite wuchsen.[37] Als somit der allmächtige Gott selbst das Urtheil gesprochen, wagte Niemand mehr, an der Unschuld der drei Brüder zu zweifeln, sie wurden ganz freigesprochen. Gotthold heirathete die Tochter des Italieners, der Kurfürst aber erhob die drei Brüder, um ihnen auch seinerseits eine Anerkennung für ihre gegenseitige Aufopferung zu Theil werden zu lassen, unter dem Namen der Herren von den Linden in den Adelstand und setzte die Linden in ihr Wappen, welches man vor nicht gar langer Zeit in der heiligen Geist-Kirche sehen konnte; die Linden aber wuchsen so frisch heran, daß sie bald den ganzen Kirchhof überschatteten und im Jahre 1623 mit Stützen versehen werden mußten. Später sind sie jedoch eingegangen. Wer der wahre Mörder gewesen, ist nie an den Tag gekommen, man vermuthet aber, der Italiener habe sich selbst den Tod gegeben, um seinen verhaßten Nebenbuhler Bruno so am besten stürzen zu können.

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Nach Al. Cosmar, Sagen und Miscellen aus Berlins Vorzeit. Berlin 1831. Th. I. S. 1-24. W. Ziehnert, Preußische Volkssagen. Leipzig. o.J. Th. I. S. 173 sq. und der kürzern Darstellung bei Lothar, Volkssagen S. 93. Sehr romantisirt bei Alfr. Oldenbach, Auswahl der schönsten Preußischen Volkssagen. Berlin 1840 in 12. S. 1-41.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 36-38.
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