298. Der heilige Norbert und die weiße Kutsche mit seinen Gebeinen.364

[244] Der heilige Norbert, der 13te unter den Erzbischöfen von Magdeburg, war in seiner Jugend ein leichtsinniger Mensch. Geboren in der Nähe des Niederrheins, lebte er dort in Saus und Braus, bis ihn einst, als er gerade von einem Zechgelage kam, ein Donnerschlag vom Pferde stürzte; über eine Stunde lang lag er bewußtlos am Boden, da rief ihn eine Stimme aus der Wetterwolke und ermahnte ihn sich zu bessern; er wachte auf, aber zu einem bessern Leben, zog als Barfüßermönch im Jahre 1118 gen Rom und ward im Jahre 1127 vom Kaiser Lothar zum Erzbischof von Magdeburg erhoben. Hier führte er unter den verwilderten Geistlichen eine strenge Kirchenzucht ein, wäre aber beinahe von Meuchelmördern bei einem Volksauflaufe getödtet worden, allein nachdem er noch das Kloster unserer lieben Frauen mit Prämonstratensermönchen besetzt und das Kloster Gottes Gnaden bei Calbe gestiftet, zog er als Kanzler des Kaisers mit nach Rom und starb im Jahre 1133 den 6. Junius. Sein Leichnam ward in der Kirche unserer lieben Frauen in einem steinernen Sarge begraben und seine Gebeine galten stets für ein Palladium der Stadt, die man für unbezwingbar hielt, so lange sie dieselben in ihren Mauern bewahre. Allein die Stadt ließ sich im Jahre 1626 von dem Kaiser bewegen, ihm dieselben auszuliefern, und am 1. Mai 1627 hat der Abt zum Strahof bei Prag, Kaspar von Questenberg, dieselben[244] übernommen und auf einem von sechs weißen Pferden gezogenen weißen Wagen nach Prag geführt. Auch der Kutscher ist weiß gekleidet und das Geschirr der Pferde von schneeweißem Leder, sogar die Räder am Wagen weiß angestrichen gewesen. Ehe noch die Nachricht von dieser feierlichen Prozession, mit welcher Norbert's Gebeine in Prag eingezogen waren, nach Magdeburg gelangte, haben aber einige Bürger und Schaarwächter auch hier einen weißen Leichenzug, der vom Kloster unserer lieben Frauen über den alten Markt hinter der Münzstraße weg nach der Bank zu gefahren, bemerkt. Später hat sich dieser Zug und zwar jedesmal in der Walpurgisnacht noch öfters sehen lassen und allemal folgte dieser nächtlichen Erscheinung ein Krieg oder sonstige Calamität. Namentlich ist dies auch im Jahre 1631 geschehen, wo dann am 10. Mai die schreckliche Zerstörung der Stadt selbst erfolgte. Daher ist die weiße Kutsche stets zu Magdeburg als eine Unheilverkünderin angesehen worden. Das letzte Mal ist diese Erscheinung am 30. April des Jahres 1806 in der Mitternachtsstunde von zwei Bürgern in der Weise gesehen worden, daß ein weißer mit vier Pferden bespannter Kutschwagen, auf dessen hohem Bock ein weißgekleideter Kutscher saß, langsamen Schrittes von der Regierungsstraße bis zur Tischlerbrücke fuhr, sich dann rechts wandte und durch den Schwibbogen über einen Theil des alten Marktes fuhr, dort einige Minuten still hielt, gerade als ob er einen Reitertrupp an sich vorüber lassen wolle, hierauf quer über den Breitenweg nach der Münzstraße bog, an der Bank Halt machte und dann verschwand. Bekanntlich ist nachher im Herbste desselben Jahres die Schlacht bei Jena verloren und bald darauf Magdeburg von den Franzosen ohne Mühe erobert worden.

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Nach Relßieg Bd. I. S. 132 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 244-245.
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