352. Der auf Rosen wandelnde Esel zu Halle.426

[311] Dieses Wahrzeichen befindet sich an der glatten Wand der Ostseite der am Markte von Halle gelegenen und im Jahre 1529 aus der alten im 13. Jahrhundert bereits erbauten Marien- und der wahrscheinlich noch ältern Gertrudenkirche entstandenen und 1554 völlig vollendeten Haupt- und Oberpfarrkirche zu Uns. L. Frauen, der sogenannten Marktkirche, und zwar in der Nähe des nördlichen der beiden Hausmannsthürme.427 Die Mauer selbst,[311] an welcher sich das in Relief gearbeitete Bildwerk befindet, ist übrigens wahrscheinlich noch ein Ueberbleibsel der innern Wand der alten Marienkirche. Dieses Bild, einen auf Rosen gehenden Esel darstellend, scheint der oberhalb angebrachten Jahreszahl 1533 halber erst in diesem Jahre seine Entstehung gehabt zu haben, sieht man aber die Arbeit selbst und das Kostüm des Eseltreibers an, so scheint es älter zu sein; es könnte also von seinem früheren Orte hierher versetzt oder auch nur die Copie eines ältern Bildes sein. Man hat nun verschiedene Erklärungen versucht. Dr. Thondorff428 hat über die nicht eben wichtige Abbildung des Wahrzeichens die folgenden Verse gesetzt:


»Die Arbeit und den Nutz, darin zu Hall besteht

Das Salzwerk, zeiget an, der hier auf Rosen geht.«


Olearius429 giebt an, daß es den Nießbrauch des edlen Salzwerkes oder der sauren Arbeit bei demselben liebliche Nutzbarkeit anzeigen solle. Brückmann430 dagegen behauptet, es solle damit die Billigkeit des Getreides zu der Zeit, wo man gerade die Kirche erbaut habe, angezeigt werden. Letztere Erklärung, die außerdem sehr gesucht ist, paßt übrigens schon darum nicht, weil das Jahr 1532 durchaus nicht ein sogenanntes wohlfeiles Jahr war. Wie dem nun auch sein mag und wie bei vielen andern Wahrzeichen es der Fall ist, die eigentliche Entstehungsursache ist in Vergessenheit gekommen und der Volkswitz hat sich eine beliebige zusammenreimen müssen. Die erste Volkssage darüber lautet aber so:

Als einst der Kaiser Otto (I.?) zu Halle erwartet wurde, wollten die Hallenser ihn vor dem Rannischen Thore, wo er seinen Einzug halten sollte, mit einigem Pomp empfangen, sie hatten ihm also zu diesem Ende Blumen gestreut. Da war plötzlich wahrscheinlich in Folge starker Regengüsse im Oberlande in der Aue eine Ueberschwemmung entstanden, so daß der Kaiser nicht den geraden Weg über Brosen, sondern über die hohe Brücke durch das Schifferthor, um in Halle einzureisen, wählen mußte. Da nun kurz nach der Ankunft des Kaisers der Müller von Böllberg seinen beladenen Esel zu dem Thore hereintrieb, wo man die Blumen gestreut hatte, schritten natürlich beide statt des Kaisers über die Blumen dahin und die Stadt erhielt seitdem den auf Blumen wandelnden Esel zum Wahrzeichen.

So schön nun auch diese Sage klingen mag, so harmonirt sie doch nicht mit dem Relief selbst, denn es ist keineswegs ein auf gestreuten Blumen wandelnder Esel, sondern ein auf einem Zweige einherschreitender. Andere Quellen nennen übrigens statt Otto I. Otto II. und noch Andere den Kaiser Friedrich Barbarossa.

Eine zweite Sage (s. oben S. 305) erzählt, dieses Wahrzeichen beziehe sich eben auf jenen Bischof, der einst den Halloren erlaubt habe, die Stadt Halle zu erbauen und den man, als er wiedergekommen, auf den ersten Esel, der je nach Halle kam, gesetzt und ihn so in das Thor eingeführt, vor ihm her aber, um ihn zu ehren, Rosen gestreut habe. Wäre letztere Sage aber richtig, so würde es bei alledem sehr komisch erscheinen, daß man nicht den Bischof selbst auf einem auf Rosen wandelnden Esel zum Wahrzeichen wählte,[312] sondern dafür ein mit einem Sacke beladenes Müllerthier nebst dahinterherschreitendem Treiber mit geschwungener Peitsche. Daher wird man wohl zu der von H. Otto431 gegebenen Erklärung übergehen müssen, welcher es nicht für unwahrscheinlich hält, daß dieses Bildwerk den christlichen Kreuzträger darstellt, der unter den Mühseligkeiten des Lebens und unter der Zuchtruthe des Treibers zwar einen sauren Weg wandelt, doch aber stets in der süßen Hoffnung auf himmlische Belohnung, welche ihm nicht entgehen kann, befangen ist.

Man hat endlich dieses Bild auch, doch ohne allen Grund, mit dem Vorgeben in Verbindung bringen wollen, daß der Erzbischof Albert deshalb sich zum Niederreißen der alten Marienkirche veranlaßt gefühlt, weil er bei den Hausmannsthürmen einen verborgenen Schatz und die Urkunden von der Entstehung der Stadt zu finden vermeinte, wozu ihm sein Günstling, Hans von Schönitz, aber nur in der selbstsüchtigen Absicht, damit seinem Hause, das an der Stelle der ehemaligen Lampertskapelle lag, eine freiere Aussicht zu verschaffen, gerathen haben soll. Endlich ist keineswegs der Umstand zu übernehmen, falls man nämlich das Eselsbild in eine Beziehung zu dem alten Salzwerke bringen will, daß man in der That im Jahre 1477, um mit dem Salze, das damals keinen rechten Absatz finden konnte, einen ausgebreiteten Vertrieb zu erzielen, dasselbe auf Eseln in entlegenere Städte transportirte. Uebrigens ist der darunter angebrachten Inschrift zufolge dieses Wahrzeichen, welches noch zur Zeit des Olearius farbig angemalt gewesen ist, im Jahre 1758 restaurirt worden.

426

Nach Schäfer in der Illust. Zeitung 1858, S. 34, wo eine Abbildung. Ueber die Rolande überhaupt s. Zöpfl, Alterthümer des deutschen Reichs. Bd. III. Leipzig 1861.

427

Hausmann hieß nämlich im Mittelalter der auf dem Stadtthurm gewöhnlich wohnende Stadtpfarrer.

428

Beschreibung des Salzwerks zu Halle 1670.

429

Haligraphia S. 23.

430

Epistol. Itiner. Wolfenbüttel 1732 in 4°. Ep. XLIX. p. 19.

431

Mittheilungen des Thüringisch-Sächs. Alterthumsvereins Bd. VI. H. IV. S. 56.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 311-313.
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