383. Der herumwandelnde Leichnam zu Erfurt.471

[335] Es war zur Zeit Luthers zu Erfurt ein junger Student, welcher sich in eine Jungfrau heftig verliebt hatte. Derselbe zog einen seiner Kameraden, der die Zauberkunst verstand, zu Rathe, und dieser versprach ihm, wenn er sich dieselbe zu umarmen enthalten wolle, dann werde er es durch seine Kunst zu Wege bringen, daß die geliebte Jungfrau vor ihm erscheinen werde. Der Andere versprach ihm auch solches zu thun. Hierauf kommt die Jungfrau auch wirklich in die Kammer des Studenten und stellt sich gegen ihn sehr liebreich und freundlich. Als sie ihr Liebhaber sah, war er alsbald vor Freuden gleichsam ganz außer sich, und weil er sich nicht enthalten konnte, umfing er seine Geliebte mit seinen Armen. Dieselbe fiel aber alsbald vor ihm todt zur Erde nieder, worüber er sowohl als der mit anwesende Zauberer gar höchlich erschracken. Endlich hat der Letztere durch seine Kunst es zu Stande gebracht, daß der Teufel diesen Leichnam wieder zu bewegen auf sich nahm, und vermittelst dessen Hilfe ist sie nach Hause und wieder zu ihrer gewöhnlichen Arbeit gegangen, hat aber eine sehr tödtliche und bleiche Farbe behalten, auch kein Wort mehr geredet. Als dies drei Tage gedauert, haben die Eltern des Mädchens etliche Geistliche zu sich entboten. Da dieselben nun die Jungfrau ernstlich anredeten, ist der Satan aus dem Leichnam gewichen und letzterer todt und stinkend hingefallen.

471

Nach Remigius Bd. II. S. 126 und 247.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 335.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band