519. Der Thomaspfennig und Kuttenzins.609

[469] In den Dörfern Altrode und Stangerode ist bis ums Jahr 1807 eine sonderbare Abgabe gewesen, der sogenannte Thomaspfennig oder Kuttenzins, den die dasigen Bauern aufs Amt zu Endorf zu liefern hatten. Derselbe hat folgenden Grund gehabt.

Auf der Konradsburg ist im 14. Jahrhundert ein Mönchskloster gewesen, dessen Bewohner sich aber nur durch ein gottloses, leichtsinniges Wesen hervorthaten, alles Andere vornahmen als beten, auf den Dörfern herumzogen und bettelten, dabei aber sich fleißig nach den Frauen und Töchtern ihrer Beichtkinder umsahen und dieselben zu verführen trachteten. Da ist denn in Stangerode ein Bauer gewesen, Hartung mit Namen, ein recht netter Dreißiger, der hatte eine junge lebenslustige Frau, aber keine Kinder. Auf diese warf Bruder Thomas sein Auge und wußte sich nach und nach in ihre Gunst zu setzen, weil ihr Mann sie nach ihrer Meinung zu kalt behandelte. Sie wurden zuletzt ganz einig und die Frau versprach ihrem Buhlen, sie wolle ihn in ihr Haus lassen, wenn ihr Mann wieder, wie er oft zu thun pflege, nach Halle fahren werde, um Salz zu holen. Sie machten nun mit einander aus, der Mönch solle, wenn er kommen wolle, am Holze in der Nähe des Dorfes wie ein Kalb blöcken, und wenn die Luft rein und der Mann fern sei, dann möge die Frau zur Antwort wie ein Hund bellen. Wie gedacht so geschehen, sobald der gute Hartung das nächste Mal wieder nach Salz fuhr, gab der Mönch seine Nähe durch Blöcken kund und die Frau antwortete ihm mit Bellen, und so wiederholte sich die Sache mehr als einmal. Allein[469] seit dieser Zeit war die Frau wie umgetauscht, das böse Gewissen ließ ihr keine Ruhe, sie ward mürrisch und finster, während sie früher immer heiter gewesen war, putzte sich nicht mehr und Hartung wußte nicht, was er aus ihrem Betragen machen sollte. Allein der Verräther schlief nicht, eines schönen Tages sahen sein Schwager Hirrsche und sein Nachbar Probst, wie der Mönch, nachdem er geblöckt und die Frau ihm durch Bellen geantwortet hatte, bei Nacht in des Bauern Haus schlich und erst früh wieder herausschlüpfte. Natürlich steckten sie dem betrogenen Ehemann bei seiner Rückkehr von Halle sofort ein Licht auf und als derselbe zweifeln wollte, veranlaßten sie ihn selbst, die Frau auf die Probe zu stellen. Er stellte sich also an, als ob er wieder gen Halle nach Salz fahren müsse, nahm freundlich Abschied von der ungetreuen Frau und fuhr mit seinem Geschirr zum Dorfe hinaus. Als er aber bis in den Wald gekommen war, hielt er an, band seine Pferde an einen Baum und kehrte ins Dorf zurück, des Nachts aber schlich er sich mit seinem Schwager und einem andern Nachbar in sein Haus und traf leider den Mönch bei seiner Frau. Sie schlugen den Mönch mit einer Axt zu Boden und die Frau mußte schwören, so ihr verziehen und sie am Leben gelassen werden solle, nie zu sagen, was sie gesehen habe. Hierauf schleppten sie den Leichnam des Pater Thomas in den Wald unter eine Eiche und legten ihn in ein tiefes Loch, welches sie zu diesem Behufe schon Tags vorher gegraben hatten. Hartung aber fuhr gen Halle und kam von dort, so wie er es stets gethan, erst die dritte Nacht wieder heim. Indessen war das ganze Kloster in Aufruhr, denn Pater Thomas war nicht heimgekehrt und ob seine Mitbrüder wohl wußten, daß er auf schlechten Wegen gegangen sei und ihm jedenfalls von irgend einem beleidigten Ehemann der Garaus gemacht worden sei, so hatten sie doch auf Niemand bestimmten Verdacht. Da trug es sich zu, daß seit jener Nacht alle Nächte um 12 Uhr ein Geist durch das Dorf schwebte, der wie ein Kalb blöckte und Niemanden ruhig schlafen ließ. Das ganze Dorf zog nun in's Kloster und bat die Mönche, sie möchten doch den bösen Geist wieder bannen. Dadurch schöpften dieselben Verdacht, bald darauf aber hat durch Zufall ein Bauerjunge die Grube gefunden, in welcher Hartung den Pater vergraben hatte; der Leichnam ward herausgenommen und in geweihter Erde bestattet und von Stund an hörte der Spuk auf. Die Patres aber haben zur Strafe für alle Zeiten bestimmt, es solle zum Andenken an jene Mordthat jeder Bauer, der ein Haus in dem Dorfe besitze, wo Pater Thomas erschlagen ward, am St. Thomastage einen Silberpfennig als Zins aufs Amt nach Endorf tragen und zwar vor Sonnenaufgang, wer aber diese Zeit versehe, der solle für jede Viertelstunde zu später Ankunft eine volle Heringstonne als Strafe zahlen. Seit dieser Zeit haben denn die Bauern in jenem Dorfe aus diesem Kuttenzins eine Art Fest gemacht. Am Abend vor dem Thomastag Schlag acht den 20. December ging der Dorfrichter in jedes der dreizehn Häuser, die das Kuttengeld zu bezahlen hatten, und rief, sobald er ans Haus kam, laut: »Gebt unsern Herren den Thomaspfennig, den Kuttenzins!« Hatte er nun den Pfennig erhalten, so ging er in ein zweites Haus und so fort, bis er alle dreizehn bekommen hatte. Dann ging er mit vielen andern Bauern, die aus vollem Halse schrieen: »Kuttenzins, 's ist zwar sehr wenig, bringn mer den Herrn den Thomaspfennig!« in das erste Haus nach Endorf hinüber,[470] dort tranken sie tüchtig und machten bis Mitternacht einen Heidenlärm, dann aber zogen sie alle zusammen vor dem Tage aufs Amt, wo sie unter Grölen und Schreien für ihr Geld die gebührende Quittung erhielten, der Richter aber bekam von dem Amtmann noch ein Trinkgeld und dann zogen Alle unter dem lauten Geschrei: »Wir haben den Kuttenzins gebracht!« von dannen und nach Hause in die Schenke, wo von Neuem getrunken ward. Dieser Unfug hat bis ins Jahr 1807 gedauert.

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S. Sagen und Geschichten aus der Vorzeit des Harzes. Halberstadt 1847. Th. I. S. 150. Poetisch behandelt von Giebelhausen Th. II. S. 29.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 469-471.
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