751. Die Wolderus-Kapelle.870

[708] Zur Zeit Karls des Großen lebte im Wessagagau ein reicher sassischer Edeling und Graf, Namens Waltgerus (Wolderus oder Walter). Seine Burg hatte er zu Dörenberg (dem jetzigen Dornberg) und seine großen Güter lagen am Johannisbache und an der Aa. Er blieb unvermählt und beschloß, zu Ehren der Jungfrau Maria ein Frauenkloster zu gründen. Er wollte dasselbe erst in der Nähe seiner Burg bauen, allein im Traume erschienen ihm Erscheinungen, welche ihn davon abmahnten. Er flehte also zu Gott, derselbe möge ihm selbst einen Platz anweisen. Da erschien ihm des Nachts im Traume ein glänzender weißer Stier, eine brennende Wachskerze auf seinem Horne tragend. Nun wurde auf einem seiner Vorwerke ein weißer Stier ausgewählt, demselben auf jedes Horn eine brennende Wachskerze gesteckt und das Thier darauf von Dörenberg losgelassen, damit es frei weiter gehe. Die Stelle, wo es sich niederlegen werde, solle als Wahrzeichen für den Gott wohlgefälligen Platz zur Gründung des Stiftes gelten. Der Stier ging in der Ebene den Bach entlang und legte sich auf einer kleinen Anhöhe aus Müdigkeit nieder. Schon glaubte man den rechten Ort gefunden zu haben, als das Thier sich plötzlich erhob, weiter ging und erst da, wo die Aa in die Werra fällt, liegen blieb. Nun war der Gott wohlgefällige Ort ermittelt. Den Platz, wo der Stier nur ausgeruht hatte, nannte man Müdehorst und noch ist dort in der Gemeinde Dornberg ein großer Bauerhof, dessen Besitzer der Meier zu Müdehorst heißt. Den Hof trug er früher von der Abtei Herford zum Lehen und mußte deshalb jährlich am 10. December einen scheckigen Ochsen und einige Scheffel Korn an die Abtei liefern, welches Alles an die Armen vertheilt ward. An dem Orte, wo der Stier liegen geblieben war, erbaute Wolderus ein Kirchlein von Holz, die alte Wolderuskapelle, und begann dann neben derselben (832) den Bau eines Stiftes für 14 edle Jungfrauen, das erste Stift im Sassenlande. Er zog sich selbst dorthin zurück, allein da sein Vermögen nicht zureichte, die Stiftung in angemessener Weise zu vollenden, bat er Kaiser Ludwig den Frommen um seinen Schutz und Unterstützung, welchen derselbe auch der mit fürstlichen Gerechtsamen ausgestatteten »gefürsteten und freiweltlichen Abtei zu Hervorden« verlieh. Er selbst starb am 16. December 840 und ward in dem von ihm erbauten Kirchlein begraben. Um nun der Abtei Ansehen durch Reliquien zu verschaffen, erbat sich die dritte Aebtissin Hedwig im Jahre 860 von Karl dem Kahlen den bisher zu Soissons aufbewahrten Körper der heil. Pusinna. Dieser Heiligen weihte (1282) die Aebtissin Swanehilde die von ihr erbaute Haupt- oder Münsterkirche. Dieselbe stand auf einem Hofe, der früher dem Wolderus gehört hatte und »dat Hus tho den siewen Sunnen« hieß. Deshalb hat man über der großen Kirchthür an der Mittagsseite sieben runde und vergoldete Platten zum Andenken eingefügt, welche sieben Sonnen darstellen sollen, welche man angeblich zur Zeit der Erbauung der Kirche am Himmel stehen sah. In diese Kirche wurden dann die Gebeine der heil.[708] Pusinna, sowie der Körper des Wolderus gebracht und in ein stattliches Grab vor dem Altar der heiligen Apostel gesenkt.

870

S. Vormbaum S. 69 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 708-709.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band