59. Der h. Marsilius und die Holzfahrt zu Cölln.

[77] (Nach Weyden S. 67 etc.)


Die Sage erzählt, es hätten die Bewohner Cöllns, das früher nach seiner Gründerin Aprippina, der Gemahlin des römischen Kaisers Claudius Colonia Claudia Agrippina hieß, von allen Deutschen den Römern am treuesten angehangen und so wäre es gekommen, daß als die am Niederrheine lagernden römischen Legionen einst einen ihrer Anführer als Gegenkaiser gegen Vespasian erwählt hatten, sie gleichwohl nicht mit ihnen gemeinschaftliche Sache machten, sondern letzterem treu blieben. Darauf belagerten die Aufrührer die Stadt und obwohl die Bürger mehrere Stürme abschlugen, so kamen sie doch sehr ins Gedränge, da sie namentlich nur auf sich selbst angewiesen waren und auf Entsatz nicht rechnen durften. Der Vorsitzende des Cöllnischen Senats, Marsilius, war aber ein gar tapferer und kluger Mann, der sich nicht beirren ließ und als selbst in der Stadt eine Empörung ausbrach und er gezwungen werden sollte, den Belagerern selbst die Thore zu öffnen, that er es nicht, sondern forderte die Wüthenden auf, erst noch den Erfolg einer Kriegslist abzuwarten, von der er sich einen Sieg über ihre Feinde versprach. Er hieß die Frauen der Bürger sich wappnen und mit dem nöthigen Gezeug hinaus in den damals die Stadt umgebenden Wald fahren, als wollten sie Holz fällen. Als nun die Feinde des Zuges ansichtig wurden, setzten sie demselben in aller Hast nach, da auf einmal erscholl ein lautes Kriegsgeschrei im Rücken der überraschten Verfolger. Es waren die Cöllner, ihren Consul Marsilius an der Spitze, und wie sich auch die Feinde widersetzen mochten, sie waren zu sehr durch ihre allzuschnelle Verfolgung der Cöllnischen Frauen in Unordnung gekommen, sie wurden vollständig geschlagen, und der Gegenkaiser fiel selbst in die Hände der Cöllner. Zwar ward derselbe vom Senat zum Tode verurtheilt, allein auf den Vorschlag des Marsilius ward ihm Leben und Freiheit versprochen,[77] sofern er alle Privilegien, Gerechtsame und Freiheiten, welche die Stadt bisher besessen, von neuem bestätigen und anerkennen wolle. Als er das gethan, setzte man ihn in Freiheit.

Dem Befreier Cöllns aber setzten die Bürger der Straße gegenüber, die jetzt vom St. Aposteln-Kloster nach der Stätte führt, wo einst die Reinolds-Kapelle stand, ein prächtiges Grabdenkmal, welches die spätere Zeit mit dem Namen Marsilius- oder Marzellenstein bezeichnete. Es war ein Mauerbogen, auf dem ein Sarkophag ruhete. Der Bogen stürzte 1568 theilweise ein, doch erhielt sich der Theil, welcher dem Sarkophage zur Stütze diente. Im vorigen Jahrhundert ward das Denkmal abgetragen und die Reste ins städtische Zeughaus gebracht, von wo sie aber auch verschwunden sind.

In späterer Zeit wurden Agrippa, der dadurch, daß er im J. 37 nach Chr. den von den Sueven bedrängten Ubiern Wohnsitze auf dem linken Rheinufer angeboten hatte, wo jene dann eine Stadt, das sogenannte oppidum Ubiorum erbauten, gewissermaßen der erste Gründer Cöllns genannt werden kann, denn Agrippina erhob erst 13 Jahre nachher die schon bestehende Stadt zur römischen Colonie, und Marsilius die Schildhalter des Cöllnischen Wappens und sind als solche über den östlichen Eingängen des Kaufhauses Gürzenich am Rathhause nach dem Heumarkte zu und in den herrlichen Glasfenstern des linken Seitenschiffs des Doms angebracht. Unter dem Bilde des Agrippa stehen folgende Verse:


Der herrliche Marcus Agrippa ein heidnisch Mann

Vur Gotz Geburt Agrippinam nu Cölen began


und bei Marsilius heißt es:


Marsilius Heiden ind der sere stoulze

Behielte Coelen ind sy voiren tzo Houlze.


Bis in die spätesten Zeiten ehrten aber die Cöllner jenen Sieg des Marsilius durch den sogenannten Holzfahrt- oder Hölzges-Tag, der am Donnerstag nach Pfingsten gefeiert wurde. Schon am Pfingstdienstag ward eine Art Vorfeier desselben gehalten, denn der Cöllner Stadtrath, die Geistlichkeit und Schuljugend zog in feierlicher Procession von der Pantaleonskirche durch das Weyer Thor nach dem Sülzer Kapellchen, wo ein feierliches Hochamt gehalten ward, als aber letzteres im Jahre 1474 niedergerissen ward, ward es nur unter einem Zelte abgehalten. Am nächstfolgenden Tage ward ein Volksfest, ein Vogelschießen gehalten, und am nächsten, dem Donnerstag fand dann die eigentliche Holzfahrt statt. Die Bürger wählten unter sich einen Anführer, den sie Ritter oder Rittmeister nannten. Dieser zog nun schwergewappnet an der Spitze der Bürger nach dem Ossendorfer Büschchen oder nach dem Häuchen, einem Wäldchen bei Sürd, wo sich die Bürgerschaft, nachdem sie ihrem Anführer ein Kränzlein aufgesetzt hatte, mit Spielen im Freien belustigte. Das Kränzchen war eine Anspielung auf den Sieg, den damals Marsilius erfochten und wurde in einem eigenen Schrein bei dem Stadtbanner aufbewahrt; bei feierlichen Gelegenheiten oder Kriegsgefahr, wo das Stadtbanner ausgesteckt ward, zeigte man den Bürgern auch das Kränzchen. Der Rittmeister kehrte nach dieser Krönung in feierlichem Zuge nach der Stadt zurück und die Feierlichkeit schloß mit einem Festschmause im Hause desselben und mit Gelagen der Bürger in der Stadt selbst. Diese[78] großartige Feier der Holzfahrt dauerte bis zum Jahre 1500 fort, da ward sie vom Senate aufgehoben, die Zünfte aber und der Weyerstraßer Gerichtssprengel feierten den Hölzgestag noch durch Schmäuse fort bis zur Ankunft der Franzosen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 77-79.
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