774. Der Türkenschuß.

[690] (Nach Enslin a.a.O. S. 160 etc.)


Es ist einmal ein junger Florentiner in die Sclaverei nach Algier gerathen und in den Gärten des Dey's als Arbeiter verwendet worden. Dort hat er eine Christensclavin, eine Landsmännin von sich kennen gelernt und von dieser erfahren, daß sie die Zofe der Tochter des Dey's, Zobeide sei und daß es ihr gelungen wäre, dieselbe zum Christenthume zu bekehren und, soweit zu bringen, daß sie geneigt sei, Algier zu verlassen und in das Land der Christen zu fliehen, so es möglich sei, Jemanden zu finden, der sie begleite und unterwegs beschütze. Natürlich erbot sich der Italiener sofort dazu, theils weil er eben selbst seine Freiheit wieder erlangen wollte, theils weil er hörte, daß die junge Türkin sehr schön sei. Die Sclavin verschaffte ihm auch bald Gelegenheit die Prinzessin zu sehen und die beiden jungen Leute verständigten sich sehr bald nicht blos dahin mit einander zu entfliehen, sondern sich auch auf christlichem Boden zu verheirathen. Mittlerweile hatte aber der Dey seine Tochter einem gewissen Dhul Makan, einem vornehmen Türken und seinem Günstling, zur Ehe versprochen, als er nun derselben mittheilte, daß sie sich bereiten solle, denselben in wenigen Tagen zu heirathen, so weigerte sie sich zwar, allein ihr Vater machte wenig Umstände mit ihr, sondern vermaß sich hoch und theuer, so sie bei ihrem Widerstande beharren werde, wolle er sie in einen Sack stecken und ins Meer werfen lassen. Diese Drohung beschleunigte die Ausführung der längst schon beschlossenen Flucht, Zobeide entfloh mit ihrer Zofe, dem Florentiner und einigen Christensclaven, welche derselbe ins Vertrauen gezogen hatte, glücklich schon in der nächsten Nacht in einer kleinen Barke und sie gelangten auch, ehe noch ihre Verfolger sie einholen konnten, nach Gibraltar. Zwar folgte ihnen Dhul Makan auch dorthin, allein sie waren bereits fort nach Florenz, wo der Vater des jungen Mannes, ein reicher Kaufherr Namens Lasca wohnte. Als sie daselbst anlangten, war derselbe jedoch nicht daheim, sondern zur Frankfurter Messe gereist. Voller Sehnsucht seinen Vater, der ihn für todt hielt, wiederzusehen, folgte ihm der junge Paolo, so hieß er nämlich, mit seiner Braut und groß war die Freude des alten Mannes, als er den Todtgeglaubten in seine Arme schloß und hörte, welches Glück er in der Sclaverei gemacht hatte. Unterdessen war aber Dhul Makan, der den Spuren seiner entflohenen Braut und ihres Entführers ohne Mühe gefolgt war, auch nach Frankfurt gekommen und da[690] er erfahren hatte, daß der Kaufmann und sein Sohn im Gasthaus zur Rose eingekehrt waren, so miethete er sich gegenüber in dem Eckhause der Hasengasse ein und lauerte nun auf eine Gelegenheit sich an den Verhaßten, die außer dem Bereiche seiner Macht waren und keine Ahnung von seiner Nähe hatten, zu rächen. Am nächsten Morgen stellte er sich denn auch ans offene Fenster und fing an ein Lied zu singen, von dem er wußte, daß es Zobeide oft gesungen hatte. Als nun jene gegenüber die bekannten Töne hörte, trat sie neugierig zu wissen, woher wohl die Klänge ihrer Heimath kommen könnten, mit ihrem jungen Gatten ans Fenster des Gasthauses. Als sie nun gegenüber ihren frühern Bräutigam eine Pistole in der Hand auf sie zielend stehen sah, sank sie voll Entsetzen ihrem jungen Gatten, der ihr gefolgt war, in die Arme. In demselben Augenblicke aber gab der eifersüchtige Türke Feuer und tödtete Beide auf einen Schuß. Da sie Beide allein im Zimmer gewesen waren, so hatte Niemand das Geschehene bemerkt, man hatte zwar den Schuß gehört, allein erst nach einiger Zeit vermißte man das junge Ehepaar, suchte und fand es ermordet im Blute liegen. Der Türke hatte aber sogleich nach vollbrachter That andere Kleider angelegt, sich aufs Pferd geschwungen und war schnurstracks nach Sachsenhausen gejagt, von wo aus es ihm leicht war zu entkommen, ehe man noch daran denken konnte, ihn überhaupt zu verfolgen. Das Haus aber, wo der Türke gewohnt, hieß von da an »zum Türkenschuß« und der Besitzer desselben ließ das Bild Dhul Makans mit gespannter Pistole in Eichenholz aushauen und an die Ecke des Hauses im ersten Stockwerk aufstellen, wo es noch zu sehen ist.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 690-691.
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