1092. St. Vitus.

[891] (S. Seifart Th. I. S. 17.)


Ein armer Tagelöhner, der oft den Christus bei Prozessionen und geistlichen Schauspielen vorgestellt hatte, und überhaupt ein sehr frommer Mann war, starb und hinterließ seinem Sohne, außer einem alten Schubkarrn und ein Paar wackligen Stühlen und Tischen nichts als ein hölzernes Bild vom h. Veit. Den heiligen Vitus, der nicht von dem Christenglauben hatte lassen wollen, hatten die grausamen Heiden dazu verdammt, sich lebendig in einen Kessel voll siedenden Oels zu stellen. So war denn der »Sünte Vit«, den der Tagelöhner seinem Sohne hinterließ, auch in Holz abgebildet und seine Füße standen in einem großen Klotz, der wie ein Kessel gestaltet war. Der Sohn war indeß lange nicht so fromm als der Vater, er warf den heiligen Veit als ein nutzloses Ding in den Stall und gedachte ihn im Winter als Feuerholz zu verwenden. An einem kalten Wintertage wollte er denn auch seinen Vorsatz ausführen, legte den heiligen Veit auf den Sägebock und setzte die Säge an, um ihm zuerst den Klotz von den Füßen zu sägen. Das sah eine arme Frau, welche mit in dem Hause wohnte, und schrie den gottlosen Menschen an, »ob er sich denn nicht der Sünde fürchte, er solle einhalten, sie habe zwar selbst nichts übrig, aber sie wolle ihm doch vier Mariengroschen für den Sünte Vit geben.« Das ging der Mann ein und verkaufte den Heiligen. Die Frau trug den Gemißhandelten in ihre Stube und sah[891] zu ihrer Betrübniß, daß das eine Bein bereits durchgesägt war. Sie holte nun Leim herbei, um den Schaden wieder gut zu machen, aber als sie an dem Beine drückte und bog, da brach auf einmal der ganze Klotz ab, rollte mit heftigem Gepolter durch die Stube und o Wunder! Hunderte von Goldstücken rollten aus seiner Höhlung hervor. Nun wurde die Frau steinreich. Den h. Vitus aber ließ sie vergolden und ihn statt des hölzernen Kessels einen ganz silbernen machen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 891-892.
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