1121. Zwerge bei Hitzacker.

[907] (S. ebd. S. 67 n.b. Harrys,. Niedersächs. Sagen Th. I. S. 20.)


In alten Zeiten haben sich in den Bergen und insonderheit in dem Schloßberge bei Hitzacker kleine unterirdische Leute als Zwerge aufgehalten, welche sich zwar selten sehen ließen, doch aber gegen die Inwohner dieses Ortes sich sehr gutthätig bewiesen und ihnen mit ihrem Hausgeräthe bei Hochzeiten und andern dergleichen Festivitäten zur Hand gingen. Wenn die Bürger brauen wollten, liehen sie ihnen auf ihr Begehren eine Braupfanne, so daß sie in diesen Fällen nur ein Kind oder einen Dienstboten nach dem Berge zu schicken brauchten, welche den Unsichtbaren im Namen dessen, der diese Gefälligkeit in Anspruch nahm, einen Gruß vermeldeten mit der Bitte, die gedachte Pfanne oder anderes dergleichen Hausgeräthe auf einige Tage leihen zu wollen. Hierauf ging der Bote nach Hause und am folgenden Morgen oder kurz nachdem der Bote wieder zu Hause angekommen war, fand man die Pfanne oder das gewünschte Hausgeräthe am Berge stehen. Hat man nun solches nicht mehr gebraucht, so mußte man es wieder an die vorige Stelle bringen, auch eine Kanne frisches Bier und ein frisches Brod dazu stellen, und daneben ein Danksagungsschreiben im Namen des Hauswirths und der Wirthin, worauf dann das Geräth nebst dem Briefe und der Gegengabe von den Zwergen, aber allemal so, daß es kein Mensch bemerkte, wieder in Empfang genommen ward. Einstmals ist aber ein Handwerksbursche vorbeigekommen, der, weil er die Pfanne nebst der Kanne Bier und dem Brode allda vorfand und vor Hunger und Durst ganz ermattet[907] war, diese Victualien verzehrte und sich damit erquickte, aber die Unverschämtheit hatte, die Pfanne mit seinem Koth zu besudeln. Darum hat man seitdem die Pfanne auf Wunsch nicht mehr wie vormals vorgefunden, sondern bemerkt, daß den Bürgern vielmehr Schaden zugefügt, auch von den Unterirdischen das Bier in den Kellern ausgetrunken ward. Endlich ist ein kleines Männlein zu dem Fährmann gekommen und hat von ihm begehrt, er solle am folgenden Tage zu einer bestimmten Zeit und Stunde mit der Fähre sich am gedachten Berge einfinden und für genugsame Bezahlung etliche Personen überfahren. Als nun der Fährmann dies verabredeter Maßen gethan und sich zur bestimmten Zeit eingefunden, ist eine unzählige Menge kleiner Leute in die Fähre gestiegen, so daß der Fährmann nichts als Köpfe gesehen, und hat er von dem vorgedachten Männlein den Befehl erhalten, abzufahren und seine Passagiere auf das jenseitige Ufer überzusetzen. Nachdem er solches etliche Male wiederholt hatte, ist ihm von dem gedachten Männlein eine reichliche Belohnung an Geld gegeben worden, man hat aber seitdem nicht das Geringste mehr von den unterirdischen Einwohnern und Zwergen wahrgenommen.

Sonst haben sie auch den ungetauften Kindern sehr nachgetrachtet und dieselben öfters vertauscht, wie denn der Verfasser der handschriftlich erhaltenen Chronik von Hitzacker manche Personen gekannt hat, welche dergleichen ausgetauschte Kinder gewesen sein sollen. So erzählte man von dem damaligen Bürgermeister Johann Schulze, daß, als seine Mutter mit ihm in den Wochen gelegen, in der Nacht ein ganzer Trupp solcher kleinen Leute in das Haus kam, sich um den Feuerherd setzte und Feuer anzündete, an welchem sie ein kleines Kind wärmten, welches sie umzutauschen gedachten. Als nun die Mutter hierüber aufwachte und eben das Kraut Orant in der Wiege hatte, konnten sie das Kind nicht mit fortbringen, sondern ließen es fallen, wovon es zeitlebens ein Zeichen an der einen Augenbraue behalten hat.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 907-908.
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