1150. Der Glockensee.

[931] (S. Gottschalk, Sagen der Deutschen Bd. I. S. 48. Harrys Th. I. S. 26.)


Im Dorfe Moringen im Göttingischen findet sich in einem Garten ein Teich, der Opferteich genannt. In frühern Zeiten wurde in seiner Nähe unter großen Eichen Gericht gehalten und von den Opfern, die hier gebracht worden sind, soll er auch den Namen erhalten haben. Der Teich ist sehr tief, hat gar keinen sichtbaren Zufluß, aber reichliche unterirdische Quellen. Man erzählt von ihm, daß es alljährlich in der Weihnachtszeit von 12-1 Uhr in seiner Tiefe läute.

Die Mönche des Tempelherrnklosters, das vor Zeiten dort gestanden, hatten nämlich einmal eine neue Glocke gießen lassen und in dem noch stehenden Kirchthurme aufgehängt. Sie vergaßen aber, nach alter Sitte sie vor dem Gebrauche zum Gottesdienste einzusegnen und zu taufen. Nun wollten sie die Glocke zuerst in der heiligen Weihnacht zur Christmesse gebrauchen. Aber kaum hatte sie den ersten Klang gethan, so wurde sie wie durch eine wunderbare Kraft losgerissen, stürzte zum Schallloche des Thurmes hinaus und in den Opferteich.

Hier liegt sie bis auf den heutigen Tag, in jeder Weihnacht aber hebt sie sich in die Höhe, läutet und versinkt wieder. Seit der Zeit ist aber auch der Gottesdienst in der Kirche in Verfall gerathen und das Tempelherrnkloster aufgehoben. Auch kann ihrerwegen kein Fisch in dem Teiche leben. Bei hellem Wetter haben Einige die Glocke in der Tiefe des Wassers liegen sehen; auch kann man noch an der Seite des Schalllochs die Spuren ihres heftigen Durchflugs wahrnehmen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 931.
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