979. Die rauhen Leute und der Schmied im Darnssee.

[819] (S. Sudendorf a.a.O. S. 148 etc. Darnach Kuhn, Westphäl. Sagen Bd. I. S. 41 etc.)


In dem Darnssee, der zwischen Bramsche und Malgarten liegt, lebte vor Zeiten ein kleines Völkchen, welches die rauhen Leute genannt ward, weil es von oben bis unten mit Haaren bewachsen war. Einzelne von ihnen kamen mitunter aus dem See und verkehrten mit den Menschen, so lange als die Gegend um den See noch nicht sehr bevölkert war, seit dieser Zeit aber ließen sie sich nicht mehr sehen. In jener alten Zeit hörten nun aber die Umwohner jede Nacht ein gewaltiges Hämmern und Pinken aus der Gegend des Sees, gerade als wenn ein Schmied fleißig auf dem Amboße arbeite. Einige Bauern wollten auch um Mitternacht im Mondenscheine etwas auf dem Darnssee haben schwimmen sehen. Sie schifften darauf zu und siehe es war ein Schmied, der bis an den Gürtel im Wasser saß und so weit man es sehen konnte, wie ein Ziegenbock behaart war. Mit dem Hammer in der Faust deutete er auf seinen Amboß und zeigte, daß er Arbeit haben wolle. Die Bauern verstanden ihn und das ganze Dorf vertraute ihm von nun an alle seine Schmiedearbeit an. Niemand aber hat ihn gesehen, außer denen, welchen er sich zuerst auf dem See gezeigt hatte. Denn wer ein Geschirr hatte, das irgend wie reparirt werden sollte, der legte es am Abend auf einen flachen Stein, welcher am nördlichen Ufer des Sees zwischen zwei alten Eichen stand, und wer eine neue Arbeit bestellte, der schrieb sie auf einen offenen Brief oder rief sie laut über den See. Dann kam der Schmied in der Nacht, holte die Arbeit und verbesserte und schmiedete, was verlangt war. Hatte man ungewöhnlich viel Abeit bestellt, dann wurde die Nacht über ein heftigeres Hämmern und Lärmen im See vernommen. Man weiß aber keinen Fall, daß sie nicht schon in der ersten Nacht fertig geworden wäre. Schon vor Tagesgrauen lag sie auf dem Steine und auf einem daran gebundenen Streifen stand der Preis geschrieben. Das Eisen und die Arbeit des Schmiedes waren stets von ausgezeichneter Güte und der Preis verhältnißmäßig nicht hoch. Deshalb bezahlten ihn auch seine Kundmänner bis auf den letzten Heller. Sie legten den Preis wieder auf den Stein unter den alten Eichen und dieser wurde seitdem die Tafel des Schmieds genannt. Viele Jahre dauerte aber dieser redliche Handel und die Eper standen sich gut dabei. Sie hatten damals die besten Pflugeisen im Lande. Es war aber in der Eper Bauerschaft ein rachgieriger Mann, der überredete sich aus Geiz, der Schmied könne um Gottes Lohn arbeiten, es mache ihm ja gar keine Mühe, und er sei ja schon Narr genug, allzubillig zu arbeiten,[819] so einem Narren müsse man thun, wie ihm recht sei. Dieser legte statt des Geldes einen schmutzigen Lohn auf des Schmieds Tafel. Da zischte das Wasser und ein Speer mit einem scharfen Eisen, aus dem See geschleudert, durchbohrte den Ruchlosen. Die Erde unter dem Steine borst und verschlang ihn. Das Hämmern des Schmieds ward seitdem nicht mehr gehört, er hat sich in die Tiefe des unergründlichen Sees zurückgezogen. Die Eichen grünten noch manches Jahr, aber vor etwa siebzig Jahren verdorrten ihre Kronen, da wurde die Axt an ihre Wurzel gelegt und seitdem sind sie auch verschwunden. Den Platz jedoch, wo des Schmieds Tafel gestanden hat, bezeichnet noch jetzt eine geringe Senkung am Ufer, man hat dieselbe schon oft auszufüllen versucht, aber immer vergeblich, sie ist stets wieder eingesunken und bildet für alle Nachkommen ein ewiges Wahrzeichen der begangenen Frevelthat.150

Lange nach dieser Zeit kam einst Hackmann, der Wehrfester von Hackmanns Erbe an den Darnssee um Schilf am Ufer zu schneiden. Da fand er ein behaartes nacktes Weib, welches sich mit ihrem Kinde im warmen Ufersande sonnte. Als dieses den Bauern kommen hörte, da lief es fort und sprang in den Darnssee. Der Bauer aber nahm das Kind mit nach Haus, hier lag es gewöhnlich unter der Bank, welche die Unnerherdsbank genannt wird. Es gedieh aber gut und wuchs rasch heran. Denn wenn der Bauer mit seinem Volke auf dem Acker war, dann kam die rauhe Mutter und säugte ihr Kind heimlich. Sie überschritt aber nie die Schwelle des Hauses, sondern blieb unten vor der Hecke der Niendören oder Einfahrtsthür stehen und lockte das Kind. Dieses lief dann vor das Heck, durch welches ihm die Mutter die Brust reichte. Als der Bauer das Kind einige Jahre gehabt hatte, da nahm er es und schor es, damit es ein Ansehen bekomme, wie ein anderes Kind. Als aber die Mutter wiederkam um ihr Kind zu säugen und sah, daß es geschoren war, da wurde sie zornig und rief: »Mine Kind geschoren | Hackmanns Stie verloren | Bit in't drüdde un veerte Lid.« Darauf kehrte sie wieder zurück in den Darnssee und das Kind mit ihr. Von diesem Augenblick aber an war Unglück auf Hackmanns Erbe. Während die vier Wehrfester regierten, über welche der Fluch ausgesprochen war, war Hagelschlag, Mißwachs und Sterbgang an Vieh und Menschen auf der Stelle und Alles, was sie anfingen, das hatte weder Gedeihen noch Gelingen.

Einst traf auch ein Bauer, welcher Fischens halber an der Darnssee ging, einen fremden Knecht am Ufer. Der Bauer hieß Fischer und wohnte nicht fern vom See auf der Stelle, welche noch jetzt Fischers Erbe genannt wird. Der Knecht war gekleidet wie ein anderer, aber rauh im Gesichte und an den Händen. Derselbe bot dem Bauer seine Dienste an und sagte, als er nach dem Lohne fragte, darüber wollten sie wohl einig werden. Der Bauer nahm ihn an und er war sein treuester und fleißigster Knecht. Als er sieben Jahre gedient hatte, da sagte er zu dem Bauer: »Meine Zeit ist um, ich muß jetzt von Dir, verlange aber keinen andern Lohn, als ein zweischneidiges untadelhaftes Schwert, welches ohne Dingen ehrlich gekauft ist.«[820] Der Bauer ging hin nach Bramsche und erstand ein solches Schwert, handelte aber vier Pfennige davon ab. Da der Knecht dies Schwert sah, fing er an zu jammern: »Das ist mein Unglück, warum hast Du mir dies gethan? Gehe schleunigst wieder hin und bringe die abgezogenen Pfennige zurück. Sonst fürchte ich, möchte es zu spät werden!« Als der Bauer die Pfennige nachgezahlt hatte, führte der Knecht ihn an den Darnssee und sagte: »Ich muß zu meinem Vater zurück. Aber ich fürchte, daß ich mich zu lange aufgehalten habe, und daß die Zeit, welche mir mein Vater gesetzt, schon abgelaufen ist. Mein Weg geht durch ein Thor tief unten im Darnssee, welches von zwei Hunden bewacht wird. Ist das Schwert untadelhaft, wie es sein muß, und komme ich zur rechten Zeit, dann kann ich sie abwehren, komme ich aber zu spät, dann werden sie mich zerreißen. Du sollst selbst sehen, welches mein Schicksal ist; im letzten Falle erscheint Blut, im ersten aber Milch auf dem Wasser, so daß es davon ganz weiß wird.« Darauf schlug er kreuzweis ins Wasser, so daß sich dasselbe bis unten theilte, und stürzte hinein mit seinem Schwerte. Als aber die Wellen sich über ihm schlossen, da wurde der See roth von seinem Blute.

Vom Wege nach Malgarten sieht der Wanderer am jenseitigen Ufer des Sees Ellhorns Kotten halbversteckt im Erlengebüsche liegen. Der Mann, welcher vor Zeiten diesen Kotten bewohnte, pflegte seiner Geschäfte wegen oft an den See zu kommen. Als er einst an den See ging, traf er am Ufer einen Mann, welcher nackt und vom Kopfe bis zu den Füßen behaart war. Dieser erbot sich, ihm für ein gewisses Geld Schmiedearbeit zu machen. »Die Arbeit«, sagte er, »werde er am andern Morgen am Ufer finden, wohin er denn auch das Geld zu legen habe.« Der Bauer nahm das Anerbieten an und benutzte es zu verschiedenen Malen. Eines Morgens aber, als er wieder ans Ufer ging, fand er einen haarigen Klumpen am Ufer liegen. Aus Neugier nahm er ihn auf und eilte damit nach seinem Hause. Hinter ihm her der Schmied, welcher ihn einzuholen suchte und mehrfach rief: »Mein Kind, mein Kind!« An der Wehr des Kottens kehrte der Schmied wieder um. Fortan brachte aber der Bauer keine Arbeit mehr an den See und der Schmied ließ sich ferner nicht mehr sehen. In seinem Hause angelangt, bemerkte der Bauer, daß der Klumpen ein mit Haaren besetztes Kind sei, welches sich wie ein Igel zusammengerollt hatte. Er fütterte nun dasselbe auf, als es aber groß geworden war, sagte es eines Morgens: »Ich muß zu meinem Vater zurück in den See. Wenn Du aus dem Wasser Blutstropfen aufsteigen siehst, dann gehe heim, ich komme nie wieder. Siehst Du sie nicht, dann gehe ich mit Dir zurück.« Der Rauhe stürzte sich darauf in den See, drei Blutstropfen tauchten auf und er kam nie wieder.151

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Diese Sage von dem Schmied erinnert an eine ähnliche, welche Walter Scott im Kenilworth Th. II. cap. 1 erzählt und von der alten Sage von Wieland dem Schmied hergenommen ist.

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Eine ähnliche Sage steht bei Grimm, Deutsche Mythologie S. 280.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 819-821.
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