985. Die Rosen ohne Dornen.

[826] (Poetisch bey. v. Crane S. 16 etc.)


Einst wohnte hoch auf seinem Schlosse bei Osnabrück ein Graf von Tecklenburg, dem es gelungen war, die Bürger sich zinsbar zu machen.[826] Namentlich waren es die Metzger, denen er jeden Monat eine neue Taxe auflegte. Dieselbe mußte regelmäßig sein Burgzwerg, der auf einem Esel ritt, in die Stadt bringen, und weil sein Thier sehr langsam ging, kam er immer zu spät, die Metzger aber durften nicht eher auf dem Markte ihre Waare feilbieten, als die Taxe in ihren Händen war. Deshalb drohten sie dem kleinen Manne oft mit dem Tode, wenn er sich nicht besser beeilen werde. Mochte nun dieser wirklich nicht schneller kommen können oder achtete er die Drohung nicht, genug, es blieb beim Alten und eines schönen Tages machten sich ein Paar Metzger über ihn, schlugen ihn todt, zerhackten ihn in viele kleine Stücke, thaten diese in einen Korb, luden ihn dem Esel auf und jagten ihn nach der Burg hinauf. Da ward der Graf halb rasend vor Wuth, sammelte seine Leute, schloß die Stadt ein und brachte die Bürger bald durch Hunger dahin, daß sie demüthig den Grafen um Gnade baten. Erweicht von ihren Bitten versprach derselbe auch, ihnen zu verzeihen, wenn sie binnen Jahresfrist ihm zwei Scheffel der sogenannten Düblinghöver, eine Art Silberheller, die ein früherer Bischof von Osnabrück hatte prägen lassen, ein blaues Windspiel und einen Rosenstock, der keine Dornen an sich trage, liefern könnten, wo nicht, werde er ihre Stadt dem Boden gleich machen. Da war guter Rath theuer, denn Niemand wußte, wie diesem Verlangen entsprochen werden könne. Als nun aber schon eine ziemliche Zeit verflossen war und der Termin der Ablieferung heranrückte, da ließ der Magistrat im ganzen Lande verkünden, daß der, welcher ihnen aus der Noth helfen und das Befohlene liefern könne, eine große Belohnung empfangen solle. Siehe, da kam ein Bauersmann und erbot sich, für eine gewisse Summe das Gewünschte herbeizuschaffen. Zwar zweifelte der Stadtrath an der Möglichkeit der Erfüllung, allein er hatte keine Wahl und so ward denn dem Bauer die verlangte Summe zugesagt, ihm aber auch auf das Bestimmteste gedroht, daß, so er sein Versprechen nicht zu erfüllen vermöge, sein Leben dem Henker verfallen sei. Und richtig, noch war das Jahr nicht vorüber, da erschien der Bauer auf dem Rathszimmer, an der einen Hand ein himmelblaues Windspiel, in der andern einen Rosenstock und auf dem Rücken einen Sack, der voll der schönsten Silberheller war. Befragt, wie er es angefangen habe, diese scheinbar unmöglichen Gegenstände doch herbeizuschaffen, sagte er, die Silberheller habe er dadurch bekommen, daß er weit und breit bekannt gemacht habe, er löse einen jeden um den doppelten Preis ein, da hätten ihm von allen Orten und Enden die Bettler solche zugetragen. Das blaue Windspiel habe er dadurch hervorgebracht, daß er zwei Hunde in eine Kammer mit blauen Wänden und Fenstern eingesperrt, ihnen blau angemalte Speisen vorgesetzt und ihnen nur in blauer Kleidung genaht sei, während sie durchaus keinen andern Menschen zu Gesicht bekommen hätten. Dann habe er eine dünne gläserne Röhre genommen und ein junges Rosenzweiglein hineingeleitet, das habe denn darin getrieben und sei fortgewachsen, da die Wurzel in guter Erde gesteckt habe, weil aber der Raum zu eng war, so hatten die Dornen darin keinen Platz und so kam ein Rosenstengel ohne dieselben zu Stande. Der kluge Bauer erhielt die verheißne Belohnung und der Graf seinen bestimmten Tribut, die Silberheller sind aber längst eingeschmolzen und das Geschlecht der blauen Windhunde nicht fortgepflanzt worden, wohl aber giebt es seitdem noch Rosen[827] ohne Dornen in den Ziergärten, welche angeblich von jenem Rosenstock abstammen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 826-828.
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