988. Die Babylonie.

[828] (S. Hartmann in den Osnabr. Mittheil. 1864. Bd. VII. S. 334 etc.)


Die Babylonie, ein stattlicher Berg in der Bergkette des westlichen Süntelsgebirges, erhebt sich oberhalb Blasheim, einem Dorfe in der Nähe von Lübbecke an der Osnabrück-Mindener Chaussee. Auf ihm hatte Wittekind eine Burg, die Babylonie, nach welcher der Berg benannt ist, und in diesen unter seiner Burg verwünschte sich der geschlagene Held mit seinem ganzen Heerestroß nach der Schlacht auf dem Wittenfelde. Manches Mal sieht man ihn mit seinem Gefolge auf weißem Rosse in den Bergen reiten, und wenn er mit lautem Getöse und Waffenlärm aus dem Berge hervorbricht,[828] so bedeutet dies den Anwohnern Krieg.155 Hier liegen große Schätze verborgen, ein weißes Fräulein läßt sich sehen, welches die Auserwählten oder solche, welche sie durch ihre Kunst zwingen, zu den Schätzen führt und davon mittheilt und dabei des Befreiers aus den Räuberbanden harrt.

Die Babylonie wird häufig von Schatzgräbern besucht und es giebt zahlreiche Sagen hierüber.156

Einst hatten sich ein Mönch aus Minden, welcher die schwarze Kunst verstand, ein Bauer aus der Nähe von Lübbecke und ein alter Mann aus einem Dorfe bei Minden vorgenommen, den in der Babylonie befindlichen Schatz zu heben. Zu dem Ende hatten sie aber zuvor eine Recognoscirung des Terrains beschlossen und sich auf drei Pferden von dem Hofe des Bauern aus nach der Babylonie begeben. Wie sie an den Berg kommen, sehen die Begleiter nichts Außerordentliches, nur Busch und Braken. Auf Geheiß des Mönchs steigen sie von den Pferden, und wie der Bauer sich nach einem Gegenstande umsieht, an welchen er die Pferde binden kann, beruhigt ihn der Mönch mit der Versicherung, daß dieselben sich nicht verlaufen würden, auch wenn er sie los und ledig ließe. Darauf zieht der Mönch ein Fläschchen hervor und läßt die beiden Gefährten daran riechen. Diesen ist jetzt zu Sinne, als könnten sie durch Mauern rennen, und so gehen alle drei in den Berg hinein. Wie sie nun drinnen sind, befinden sie sich in den Gängen einer Burg, der Wieksburg, und gelangen zu einer Treppe, welche sie hinunter in ein Gemach führt, in dessen Mitte ein mit einem weißen Tuche bedeckter Tisch steht und dessen Wände von einem in der Decke befindlichen Karfunkel hell erleuchtet werden. An dem Tische sitzen drei weißgekleidete Fräulein in einem traumartigen Zustande. Wie sich die drei in dem Gemache umsehen, entdecken sie zu ihrer großen Freude sieben Tonnen mit Silber und eben so viele mit Gold gefüllt, aber sehen auch zu ihrem größten Schreckenden Bösen unter der Treppe kauern. Nachdem sie Alles beschaut haben, gehen sie wieder zurück und treten aus dem Berge heraus in's Freie, wo sie ihre Pferde noch auf demselben Flecke wie angefesselt vorfinden. Begierig nach dem Besitz der Schätze, welche sie so eben gesehen haben, fragen nun auf dem Rückwege die beiden Begleiter den Mönch, ob er keine Mittel und Wege wisse, wie man sich des Schatzes bemächtigen könne. Dieser zeigt sich bereit zu dem Wagniß und bestimmt die Zeit, in welcher man daran gehen wolle. Bevor aber diese herangenaht war, hat sowohl der Mönch als auch der Bauer das Zeitliche gesegnet und somit ist aus der Hebung des Schatzes für dieses Mal nichts geworden.

Am Ende des vorigen Jahrhunderts hat einmal ein Schäfer um die Mittagszeit seine Heerde ruhig auf dem Platze gehütet, auf welchem, zwischen Lübbecke und Blasheim gelegen, jährlich der Blasheimer Markt abgehalten wird. Der fühlte sich auf einmal emporgehoben und nach der Babylonie entführt. Hier in den Berg eingelassen, kommt auch er in das bekannte durch den Karfunkel erhellte Gemach und findet ebenfalls die drei weißgekleideten Fräulein an dem weißbekleideten Tische sitzen, welche ihn freundlich[829] nöthigen, von den Schätzen zu sich zu nehmen, zu jeder Nöthigung aber die Warnung hinzufügen, er möge das Beste nicht vergessen. Dieses ist eine Springwurzel gewesen. Der Schäfer achtete jedoch ihrer nicht und bei jeder Mahnung, das Beste nicht zu vergessen, wühlt er gierig in denselben herum, um das Beste zu finden und vor Allem möglichst viel von ihnen einzusacken. Wie er nun mit gefüllten Taschen sich entfernt und der Blume nicht achtet, wird er von den hinter ihm zuschlagenden eisernen Thoren so heftig an die Ferse getroffen, daß er nie ordentlich wieder hat gehen können. In die Babylonie ist er nicht wieder hineingekommen; hätte der Thörichte die Springwurzel nicht vergessen, so würde sich ihm bei jedem Besuch der Berg geöffnet haben.

Ein Bauer, welcher die schwarze Kunst verstand, ward von seinen zwei Brüdern unterrichtet, daß in der Babylonie ein großer Schatz verborgen liege. Diese drei verabredeten sich nun, den Schatz gemeinschaftlich zu heben. Zuvor erkrankt indeß einer der Brüder und nun ward ein Mann, der einer eigentlichen Schatzgräberfamilie angehörte, aufgefordert, an dessen Platz zu treten. Er ist dazu bereit und geht an dem bestimmten Tage früh Morgens von Haus weg, um seinen entfernt wohnenden Bruder abzuholen. Dieser empfängt ihn mit dem Bedeuten, daß er sich freuen könne, so leicht davon zu kommen, es koste ihm nichts etc., woraus jener Neuhinzugekommene schließt, daß die andern wohl einen Pact mit dem Bösen abgeschlossen hätten, er aber als zufällig Mitwirkender diesem nicht unterwürfig sein werde. Wie nun die drei, nachdem auch der Bauer hinzugekommen, bei der Babylonie angelangt sind, fangen sie tüchtig an zu graben und kommen gegen Abend an einen viereckigen hohen Stein, welcher gerade vor ihnen steht. Dies ist jedenfalls die Thür in den Berg gewesen und der Neuhinzugekommene hat auch, nachdem Alles bis untenhin aufgeräumt war, unter dem Stein weg mit der ganzen Länge des Arms in den Gang hineinfassen können. Leider ist die Sonne dem Untergange nahe gewesen, und weil nur bis dahin hat gearbeitet werden dürfen, und auch nur an einem Mittwoch, so hat die Arbeit bis dahin aufgeschoben werden müssen. In den nächsten Tagen aber stirbt schon der eine von den dreien und unglücklicher Weise gerade der Schwarzkünstler, und somit ist auch dieses Mal die Hebung des Schatzes vereitelt worden.

155

Bei Osnabrück ist auch eine Wittekindsburg, aus welcher der verwunschene Heeresfürst hervortritt und mit Waffenlärm über den grundlosen Kolk zu Icker fährt.

156

Eine ist schon oben Bd. I. S. 715 etc. erzählt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 828-830.
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