994. Die zwei Kreuze bei Osterkappeln.

[832] Auf dem Wege zwischen Osterkappeln und Hitzhausen steht ein moosbewachsenes Felsenkreuz. Dasselbe hat folgenden Ursprung. Einst ward im Dorfe eine neue Kirche gebaut, schon war dieselbe fertig, da fehlte nur noch die Glocke. Man hatte inzwischen aus fernen Landen einen geschickten Glockengießer Namens Spar herbeigerufen, der auch mit seinem Gesellen eifrig an den Guß ging und dazu auf freiem Felde einen großen Schmelzofen erbaute. Schon lag die irdene, mit dem Kreuze bezeichnete Form bereit, die glühende Speise in sich aufzunehmen, da eilte der Meister erst noch hinein ins Dörfchen, um sich durch ein Glas Bier zum Gusse zu stärken, allein leider wurden aus einem gar viele, und ganz hatte er seine Glocke vergessen, sein Gesell aber, der befürchtete, der rechte Augenblick zum Gießen möchte ungenützt vorübergehen, öffnete, da sein Herr nicht zurückkam, den Ofen und herein in das Modell floß die glühende Masse. Noch immer kam aber der Meister nicht, und da die Masse verkühlt war, schwang er den Hammer, ein Schlag, die Form zersprang und hell und rein lag die Glocke vor ihm da. Da kam endlich taumelnd der Meister dahergerannt und rief schon von weitem: »Halloh, Gesell, zum Werke!« Der aber antwortete: »Das Werk ist schon gethan, ich habe die Glocke gegossen und ihr Klang wird den Meister loben!« Wüthend schrie aber da der Trunkene: »Was hast Du Unverschämter gethan, mit Deinem Blute sollst Du die Frechheit büßen, daß Du Deinem Meister des Ruhms, die beste Glocke gegossen zu haben, beraubt hast!« und damit stieß er ihm sein scharfes Messer ins Herz, daß der Arme lautlos zu Boden sank. Aber alsbald packte Entsetzen den Mörder und wie von Rachegeistern verfolgt[832] eilte er fort durch Wald und Flur, so weit ihn seine Füße trugen. Niemand hat je wieder von ihm gehört. An dem Orte aber, wo der grausige Mord geschah, ist als warnendes Denkmal jenes Kreuz errichtet worden.

Es steht aber noch ein zweites Kreuz zwischen Osterkappeln und Bomte, ebenfalls zum Andenken einer Mordthat. Einst wohnte in dem letztgenannten Dorfe eine arme Wittwe mit ihrem einzigen kleinen Sohne. Da schickte ihr der Herr schwere Krankheit und eines Abends tief im Winter, als alles vorräthige Holz verbrannt war, da bat sie den Knaben hinauszugehen in den herrschaftlichen Wald um dürre Reiser zu sammeln, denn sie lag im Fieberfrost. Der Knabe war auch gleich bereit, eilte hinaus in den Wald und sammelte sich dort bald ein Bündel dürres Holz, welches er dann mit einer Leine zusammenband um es hinter sich nach Hause zu schleifen. Schon war er bald aus dem Walde heraus, da hörte er plötzlich laut rufen: »Steh, Bube, steh!« Es war der böse Holzvogt, der ihn aus der Ferne entdeckt hatte. Der Knabe aber in der Hoffnung zu entkommen und seiner kranken Mutter doch noch das Holz zum Wärmen bringen zu können, stand nicht und siehe der Hartherzige gab Feuer und todt lag der arme Knabe in seinem Blute um ein bischen Holz halben am Boden. Der Schuß aber lockte Leute herbei, sie trugen stumm der kranken Mutter die kleine Leiche ans Krankenbett und der Todesschreck schickte sie in wenig Sekunden schmerzlos ihrem Liebling nach, zum Andenken aber an die gräßliche That des Unbarmherzigen pflanzte man das steinerne Kreuz an jener Stelle auf, wo das Kind gefallen war.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 832-833.
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