996. Der Wehrwolf.

[834] (S. Mittheil. d. Osnabr. V.f. Gesch. Bd. VII. S. 377, III. S. 250.)


Einst saßen zwei Arbeiter nach gethaner Arbeit und erwarteten das Mittagsessen, welches ihnen gebracht werden sollte. Von diesen war der eine in Besitz eines Zauberriemens. Dieses mochte der andere wissen und stellte sich schlafend. Alsogleich verwandelte sich der erste in einen Wehrwolf, lief zu einer nahen Weide und verzehrte eines der dort grasenden Fohlen. Als nun das Mittagsessen kam und der Fohlenfresser keinen Appetit hatte, ja sich über seinen Kameraden lustig machte, daß dieser einen solchen Hunger[834] habe, antwortete ihm dieser: »Du kannst gut sprechen, ich habe auch kein Fohlen im Magen.« Da sah jener sich verrathen und entfernte sich mit wüthenden Blicken auf Nimmerwiederkehr.

In Wellmanns Kotten zu Nortrup im Kirchspiel Hagen lebte ein Bauer, Namens Johann, welcher sich mittelst eines ledernen Riemens oder Gürtels in einen Wehrwolf verwandeln konnte und dann im Heidhorn und auf dem Heidberge sich herumtrieb und von dort herab auf den benachbarten Weiden Kühe und Rinder verschlang. Wenn er nach Hause zurückgekehrt war, gab er seinen Raub wieder von sich und bereitete Hackelduhnen (ein gehacktes Fleischgericht) daraus. Eines Tages hatte er seinen Riemen umgespannt und war schon im Begriff ein Rind zu rauben, als ihm seine Frau zurief: »Jann siih tiau, wat du döhst, et sind Wellmes Köhe!« Diese Worte sind seitdem in Hagen zum Sprichwort geworden, wenn Jemand etwas unternimmt, was er nicht thun darf. Zuletzt trieb Johann seine Räubereien so arg, daß Verdacht gegen ihn entstand und deshalb eine Anzeige beim Amte Iburg erfolgte. Der Vogt, welcher nun zur Untersuchung der Sache nach Nortrup gesandt wurde, fand den Räuber zwar nicht in seiner Wohnung, auch konnte er nicht erfahren, wo sich derselbe aufhalte; der Zauberriemen aber hing an der Wand in der Wohnstube. Von Neugierde getrieben, umgürtete sich der Vogt damit, worauf er, sofort in einen Wehrwolf verwandelt, wüthend davon rannte. Da er den Zauberspruch nicht kannte, welchen der Räuber anwandte, um die menschliche Gestalt zurück zu erhalten, so läuft er in dortiger Gegend noch bis auf den heutigen Tag herum als Wehrwolf158.

158

Diese Sage ist auch poetisch behandelt von J. Crone a.a.O. S. 106 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 834-835.
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