864. Das Wendelinuskapellchen am Kreuzwege bei Steinhaus.

[742] (Poetisch behandelt in der Chronik von Fulda. Vacha 1839 in 8°. S. 51 etc.)


Steinau oder Steinhaus bei Fulda war der Sitz der schon erwähnten Raubritterfamilie von Steinau (oder Steinhaus oder Steinruck). Hier lebte vor ohngefähr hundert Jahren ein armer, aber braver Mann, Namens Hans Schwarz, der sich sein Brod damit verdiente, aus Holz und Stein Obst, Thiere und Heiligenbilder zu schneiden und an die Vorübergehenden, denn seine Erzeugnisse standen schön geordnet am Fenster, zu verkaufen. Darunter[742] befand sich auch das Bild St. Wendelin's als Hirt, denn der Sage nach war dieser der Beschützer des krank gewordenen Viehes. Nun hatte einst eine Viehseuche fast alles Vieh im Dorfe Steinhaus hinweggerafft, da erschien dem armen Hans im Traume St. Wendelin und befahl ihm, er solle hoch oben am Kreuzweg im freien Felde ein kleines Kirchlein erbauen und fleißig beten, daß Gott das Viehsterben aufhören lasse und die allgemeine Noth ihm zum Glück werden möge. Als nun Hans am andern Morgen seiner Frau das gehabte Traumgesicht erzählte, und sagte, daß er wohl den Muth, eine solche Kapelle zu erbauen, aber kein Geld dazu habe, da hieß ihn jene hin zum Petersberger Propste, dem das Feld zu Lehn ging, gehen, ihm seinen Traum erzählen und ihm für den Platz sein geschnitztes Obst anbieten, ihn auch um Holz und Steine bitten. Dies that er auch und der fromme Propst gab ihm nicht blos Holz und Steine, sondern auch den nöthigen Lehm, und der Pfarrer des Dorfes Margarethenhun das nothwendige Geld. Nun baute er rüstig darauf los und ließ es sich nicht nehmen, das Kirchlein innen und außen mit künstlichem Schnitzwerk zu verzieren, Thiere und Heilige, obwohl jetzt vom Wurm gefressen und vom Alter gesprungen, sind in Unzahl daran zu sehen. Alles wallfahrete nun dahin, was krankes Vieh im Stalle hatte, und wenn man Hilfe und Trost im Gebet gefunden hatte, hing man zum Dank die Ketten, an welche das Vieh im Stalle angebunden gewesen war, darin auf. Nun hatte aber Hans aus jenem Bau keinen Vortheil erlangt und seine Frau plagte ihn Tag ein Tag aus, er solle doch sehen, daß er auch etwas für seine Mühe bekomme. Sie wollten sich also zur Belohnung ihrer Arbeit eines Nachts die Ketten holen. Zwar widerstand Hans lange, endlich aber gab er nach und in der Mitternachtstunde schlichen sie hinauf zur Kapelle und schleppten so viele Ketten heraus, als sie nur fortbringen konnten. Kaum hatten sie sich aber, zu Hause angelangt, zur Ruhe gelegt, da erschien auch im Hirtenkleide St. Wendelin und im heiligen Zorn stieß er so heftig in sein Kuhhorn, daß das ganze Haus erbebte und das sündige Ehepaar erschreckt erwachte. Und siehe, die an der Wand aufgehängten Ketten bewegten sich von selbst herab und ließen sich auf Hans und seine Frau herab, hingen sich ihnen auf und drückten sie so lange, bis sie im stärksten Laufe hinaufeilten nach der Kapelle und die gestohlenen Ketten dorthin zurückbrachten.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 742-743.
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