920. Nidda und Altenburg.

[787] (S. Justi, Hess. Denkwürd. Bd. IV. 2. S. 298. Winkelmann, Beschr. v. Hessen Bd. VI. S. 231. Archiv f. hess. Gesch. Bd. IV. S. 287. 284.)


Zu der Zeit Kaiser Friedrich Barbarossa's war im Hessenlande ein Raubgraf, der that in der Gegend vielen Schaden; er hieß Berthold und saß auf einer Bergveste, Altenburg geheißen und 1/4 Stunde von dem Dorfe Dauernheim gelegen. Da er nun beim Kaiser verklagt ward, so wurde seine Veste belagert und hart bedrängt. Endlich erbot sich die Gräfin, die Gemahlin des Räubers, zur Uebergabe, begehrte aber freien Abzug mit so viel von ihren besten Sachen, als ihr Esel und sie selbst würden tragen können; das ward ihr zugesagt unter der Bedingung, daß nicht etwa der Graf auf dem Esel reite, als welcher zu dem Besten gehöre. Die Gräfin sagte das zu, daß nicht etwa der Graf auf dem Esel sitzen sollte, setzte aber ihre drei Söhnlein auf des Esels Rücken, und nahm ihren Gemahl auf ihren eigenen und so zogen sie hinab. Weit kamen sie jedoch nicht von der Altenburg, die nun von des Kaisers Söldnern zerstört ward und es gelobte die Gräfin, nachdem sie ihren Gemahl hatte absitzen lassen, sich da anzubauen, wo der Esel stehen bleiben würde. Da blieb der Esel bald darauf stehen, die Gräfin aber trieb ihn zum Fortgehen an und rief: »Nit da! nit da!« aber der Esel stand so steif, wie einst Bileam's Eselin, welche redete, und sie mußten allda bleiben und bei einem Feuer die Nacht zubringen. Darauf haben sie sich dort angebaut und ein Schloß begründet, welches den Namen Nidda empfing, oder gar drei Schlösser, für jedes der drei Söhnlein eins. Jene Wiese, wo der Esel stehen blieb, heißt noch bis heute die Eselswiese.

In dem Schooße des Berges aber, wo die Altenburg stand, ruhen noch bis zum heutigen Tage reiche Schätze. Vor mehr als hundert Jahren lebte zu Dauernheim ein Bauer, Namens Röser, der ging einst nach der Altenburg und da er dort eine sehr schöne und seltne Blume fand, so steckte er sich dieselbe auf den Hut. Bald fühlte er aber an demselben eine besondere Schwere; er nahm ihn deswegen ab und fand, daß sich die Blume in einen großen Schlüssel verwandelt hatte. Zugleich bemerkte aber Röser eine Thüre, welche in den Berg ging. Mit Hilfe des Schlüssels öffnete er dieselbe und ging in den Berg hinein. Bald gelangte er in ein Gemach, das allerlei Schätze enthielt. Nachdem er nun von denselben sich die Taschen gefüllt hatte und im Begriffe war, wieder fortzugehen, vernahm er eine Stimme, die rief: »Vergiß das Beste nicht!« Dies bezog Röser nicht auf den Schlüssel, den er in der Freude über die Schätze neben sich hingelegt hatte, sondern auf die Schätze, welche noch dalagen. Er steckte deswegen[787] noch mehr ein. Da rief's zum zweiten Male: »Vergiß das Beste nicht!« Und nun packte er von Neuem ein, was er nur konnte. Als es aber darauf zum dritten Male noch vernehmlicher erscholl: »Vergiß das Beste nicht!« da bemächtigte sich seiner eine solche Angst, daß er hastig nach der Oeffnung lief, durch welche er gekommen war. Indem er aber durch dieselbe eilte, fiel die Thüre so heftig hinter ihm zu, daß sie ihm die beiden Fersen an den Füßen abschlug, wovon er in der Folge lahm ward. Die Goldstücke trösteten ihn jedoch für seine Wunden und halfen ihm die Schmerzen ertragen. Als er aber geheilt war, fühlte er sich unglücklicher als zuvor, denn er erkannte nun, was jene Stimme unter dem »Besten« verstanden habe, und daß er nur durch seine Verblendung sich um den Schlüssel und dadurch um die Möglichkeit gebracht habe, die andern Schätze zu holen. Oft zwar wanderte er später nach der Altenburg und sah sich überall um, aber er fand weder die schöne Blume wieder, noch die Thüre, welche zu den Schätzen führte.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 787-788.
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