820. Die vertriebene Pest.

[723] (S. Kehrein a.a.O. Th. III. S. 53 etc.)


Vor ein Paar hundert Jahren herrschte in der Gegend von Marienberg die Pest und die Leute starben dahin wie die Fliegen. Da kam einmal in den Nachmittagsstunden ein alter Bettelmann in ein Haus und verlangte ein Stückchen Brod. In dem Hause war aber nur eine alte Frau, die konnte nicht gut fort und saß vorn auf dem Bett und weinte. »Warum heult Ihr denn so?« fragte der Bettler. »Ach!« sagte die Frau, »mein Mann ist mir vor einer Stunde an der Pest gestorben und liegt dort auf der Bank auf dem Stroh, meine zwei Jungen aber sind in den Breeser Wald gelaufen, denn über den Wäschebach kann die Pest nicht hinüber. Seht einmal wie mein Mann schon so schwarz ist wie Kienruß. Nun bin ich mutterseelenallein, bleibt doch da und helft mir meinen Mann begraben!« – »Das will ich thun«, sagte der Bettler, »aber ich bin hungrig, denn ich habe heute noch nichts bekommen. Habt Ihr nichts zu essen?« – »Ja«, sagte die Frau, »auf dem Ofen stehen noch Kartoffeln und Salat. Schneidet Euch auch ein Stück Brod dazu ab!« Der Bettler aß tüchtig und wie er so aß, da kam durch das Fenster ein schwarzes Ding, so groß wie eine Maus und fuhr in ein Nagelbohrloch in der Wand. Auf einmal sprang der alte Bettler auf und nahm einen hölzernen Nagel und schlug ihn in das Loch und sprach: »Gott sei Lob und Dank, daß ich Dich einmal habe. Das war die Pest, ich habe sie nun vernagelt. Jetzt könnt Ihr Euere Jungen wieder zurück rufen!« Nun ging die Frau hinaus aus dem Hause und pfiff auf dem Finger und schnell kamen ihre Söhne zurück und die Mutter erzählte ihnen, wie es der Bettler mit der Pest gemacht hatte. Da waren Alle froh und der Bettler mußte die Nacht da bleiben und sich aufs Heu legen und von Stund an sah und hörte man nichts mehr von der Pest.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 723.
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