836. Der Gangolfsbrunnen zu Mendt.

[731] (Poetisch beh. von Henninger Bd. II. S. 202 etc.)


Der Ritter Gangolf war aus Mendt nach Palästina gezogen und hatte zuvor seinen Bürgern versprochen, wenn er gesund zurückkehre, wolle er Allen etwas aus dem gelobten Lande mitbringen. Als er nun glücklich dorthin gekommen war, erinnerte er sich, daß der heißeste Wunsch der Einwohner[731] von Mendt sei, einen Brunnen zu besitzen, denn bisher hatte man dort stets fruchtlos nach Wasser gesucht und mußte dasselbe aus weiter Ferne holen. Als er daher am Grabe des Erlösers zu Jerusalem seine Andacht verrichtete, bat er flehentlich den Heiland, seinen Unterthanen eine Quelle aufschließen zu wollen, und in der nächsten Nacht erschien ihm im Traume ein Engel Gottes und sagte ihm, der Herr habe sein Gebet erhört, er solle, wenn er nach Hause zurückgekehrt sei, neben der Kirche mit seinem Pilgerstabe in die Erde stechen und flugs werde eine starke Ader krystallhelles gesundes Wasser herausbrechen und nie versiegend fortquellen, bis eine gottlose Hand dasselbe verunreinigen werde, denn dann werde der Quell sich wieder in die Erde zurückziehen. Als nun der Ritter nach Hause zurückgekehrt war, da hat er seinen Unterthanen erzählt, was er ihnen mitgebracht habe und siehe, vor Aller Augen hat er an dem bezeichneten Orte seinen Stecken in die Erde gestoßen und jener wundervolle Quell ist herausgeschossen, den man heute noch den Gangolfsborn nennt. Dieser hatte nun manches Jahrhundert die Umgegend mit seinem Naß erquickt, da ist einmal am Pfingstmontag, während die Gemeinde vor dem Hochaltar versammelt war, eine schändliche Jüdin zu dem Born gegangen und hat in dem Wasser desselben zum Hohn Windeln ausgewaschen und siehe plötzlich erscholl aus der Erde ein dumpfes Brausen und vor den Augen der Missethäterin sank das Wasser in der Erde Schooß zurück und der Brunnen war leer. Darüber entfuhr ihr ein gräßlicher Wehschrei und herbei stürzte alles Volk aus der Kirche und vernahm mit Entsetzen, was geschehen war. Schon wollten sie die Thäterin in Stücken reißen, da rief die Stimme des Priesters sie in das Gotteshaus zurück, er nahm die Monstranz mit der geweihten Hostie und zog gefolgt von Andächtigen hin zu dem Brunnen und nachdem Alle nieder auf den Boden gefallen waren und im gläubigen Gebet den Herrn angefleht, nicht so Viele um der Sünde einer einzigen Frevlerin willen strafen zu wollen, siehe da hörte man aus der Erde tief herauf ein Rauschen immer näher und näher heraustönen und plötzlich quoll der Quell wieder wie zuvor. Seitdem ist er aber niemals wieder versiegt, wohl aber ziehen noch heute am zweiten Pfingstfeiertag die Kinder zu Mendt nach dem Brunnen und bekränzen ihn mit Blumen und tanzen um ihn herum.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 731-732.
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