461. Der Freund der Zwerge.

[484] (S. Arndt Bd. I. S. 247. [II. A. S. 205 etc.])


Nicht weit von der Ahlbeck liegt ein kleiner Hof, Namens Granitz, unter der großen waldigen Uferforst, welche auch die Granitz genannt wird. Auf diesem Höfchen lebte vor nicht langen Jahren ein Herr von Scheele. Dieser war aber in spätern Jahren ganz in Trübsinn versunken und ging mit Niemandem mehr um, ob er wohl früher ein Lebemann und munterer Jäger gewesen war. Dies kam daher, daß seine drei schönen Töchter, die man die drei Blonden hieß und die hier in des Waldes Einsamkeit unter Heerden und Vögeln aufgewachsen waren, mit einem Male in einer Nacht davongegangen waren und nie wieder gekommen sind. Das hatte der alte Mann sich zu Gemüthe gezogen und in Folge dessen allen Umgang mit Menschen abgebrochen. Dagegen ging er viel mit den kleinen Schwarzen um und war manche Nacht außer dem Hause, ohne daß Jemand erfuhr, wo er gewesen war. Wenn er aber um die Morgendämmerung nach Hause kam, flüsterte er seiner Haushälterin zu: »Pst! Pst! ich habe heute an hoher Tafel geschmaust.«

Dieser Herr von Scheele aber pflegte manchmal aufzuthauen und dann erzählte er seinen Freunden, in den Granitzer Tannen um die Ahlbeck und an dem ganzen Ufer wimmele es von Unterirdischen. Auch hat er Leuten, die er dort spazieren führte, oft eine Menge kleiner Spuren gezeigt, wie von den allerkleinsten Kindern, die da im Sande von ihren Füßchen einen Abdruck hinterlassen hätten, und ihnen plötzlich zugerufen: »Horch! wie es da wieder wispert und flüstert!« Ein anderes Mal, als er mit guten Freunden längs des Meeresstrandes hinging, ist er wie in Verwunderung plötzlich stillgestanden, hat auf das Meer gezeigt und gerufen: »Da sind[484] sie meiner Seele wieder in voller Arbeit, und viele Tausende sind um ein Paar versunkene Stückfässer Wein beschäftigt, die sie ans Ufer wälzen. Was wird dies die Nacht für ein lustiges Gelage werden!« Dann hat er ihnen erzählt, er könne sie sehen bei Tage und bei Nacht, und ihm thäten sie nichts, ja sie seien seine besonderen Freunde und einer habe sein Haus einmal von Feuersgefahr errettet, da er ihn nach Mitternacht aus tiefem Schlafe aufweckte und ihm einen Feuerbrand zeigte, der vom Heerde gefallen war und schon anderes Holz und Stroh, das auf dem Flure lag, anzünden wollte. Man sehe beinahe alle Tage einige von ihnen am Ufer, bei hohen Stürmen aber, wo das Meer sehr tobe, seien sie fast alle da und lauerten auf Bernstein und Schiffbrüche und gewiß vergehe kein Schiff, von welchem sie nicht den besten Theil der Ladung bärgen und unter die Erde in Sicherheit brächten. Und wie herrlich da unter den Sandbergen bei ihnen zu wohnen sei und welche krystallne Paläste sie hätten, davon habe auch kein Mensch eine Vorstellung, der nicht da unten gewesen sei.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 484-485.
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