465. Prinzessin Svanvithe.

[491] (Nach Arndt, Jugenderinnerungen Bd. I. S. 10 etc. [II. Ausg.])


Bei Garz, einem kleinen Städtchen auf der Insel Rügen, wo jetzt der Wall über dem See ist, hat vor vielen tausend Jahren ein großes und schönes Heidenschloß gestanden mit herrlichen Häusern und Kirchen, worin sie ihre Götzen gehabt und angebetet haben. Dieses Schloß haben aber dann die Christen eingenommen, alle Heiden getödtet, ihre Kirche zerstört und die Götzen die darin standen, ins Feuer geworfen, so daß jetzt nichts mehr von allen diesen Herrlichkeiten übrig ist als der alte Damm und einige Sagen von dem Manne im Panzer und mit dem Helme, der auf dem weißen Schimmel über die Stadt und den See hinreitet. Um Weihnachten und Johannis aber klingt es heraus aus dem See, da ist der Götzentempel in das Meer versunken. Im Wall aber sitzt eine wunderschöne Prinzessin mit zurückgeschlagenen Haaren und weinenden Augen und wartet auf den, der sie erlösen soll. Hiervon giebt es nun aber beim Volke folgende Sage.

Zu der Zeit, als das Garzer Heidenschloß von den Christen belagert ward und bereits so bedrängt war, daß mehrere seiner Thürme den Einsturz drohten und die Bewohner desselben schon nur sehr wenig noch zu essen hatten, da herrschte da drinnen der eisgraue Vater des Königs von Rügen. Er konnte weder mehr hören noch sehen und sein einziges Vergnügen bestand darin, in den Edelsteinen und Goldhaufen zu wühlen, welche tief unter der Erde in einem kostbaren aus Marmor und Krystall gebauten Saale aufgespeichert lagen. Während nun aber oben gekämpft ward und auch der König, des alten Mannes Sohn, mit vielen andern seiner streitbaren Männer unter dem Schwerte der Christen sein Leben lassen mußte, saß der Alte da unten bei seinen Schätzen. Er hatte die Thüren und Treppen, die dort hinabführten, sorgfältig vermauern lassen, also daß Niemand eine Ahnung haben konnte, daß da unten eine Schatzkammer sei, denn er kannte ganz allein einen unterirdischen Gang, der unter der Erde weglief, viele hundert Stufen tiefer als das Schloß und jenseits des Sees einen Ausgang hatte, wo er allezeit herauskonnte um sich Speise und Trank zu verschaffen. Als nun endlich das Schloß in die Hände der Christen fiel und alles Lebende darin ihren Schwertern verfiel, da machten sie Feuer an[491] und Alles verbrannte, die Thürme und Mauern brachen zusammen und die Thüre zur Schatzkammer ward verschüttet und Niemand war mehr übrig, der überhaupt gewußt hätte, daß eine solche dort gewesen war. Der alte König saß aber noch viele Jahre da unten bei seinem Golde und hatte seinen heimlichen Gang offen, daß er beliebig hinaus und herein konnte. Endlich aber ist er doch gestorben und zur Strafe in einen magern schwarzen Hund verwandelt worden, dessen Aufgabe es war, bei den Schätzen zu liegen und sie zu bewachen. Nachts aber zwischen 12 und 1 Uhr, da muß er noch immer umgehen, als ein altes graues Männchen mit einer schwarzen Pudelmütze auf dem Kopfe und einem weißen Stocke in der Hand. So sieht man ihn im Garzer Holze am Wege nach Poseritz. Auch geht er zuweilen um den Kirchhof herum, denn dort befinden sich viele Heidengräber, in denen viel Gold und Silber mit begraben ist. Er will es holen, kann es aber nicht bekommen, denn an einen geweihten Ort darf er nicht.

Nun wohnte aber zu derselben Zeit ein König in Bergen auf Rügen, der eine wunderschöne Tochter hatte, welche Svanvithe hieß und deren Schönheit unzählige Freier nach der Insel lockte. Allein sie schwankte lange hin und her, ehe sie sich für einen derselben entschied. Dies war Herr Peter, ein Prinz von Dänemark, ein stattlicher Herr, und bald fand denn auch die Verlobung statt. Es war aber gleichzeitig auch noch ein polnischer Prinz am Hofe des Königs, der hatte lange Jahre vergeblich um die schöne Prinzessin gefreit und aus Rache darüber, daß ein Anderer als er ihre Hand erhalten solle, wußte er sowohl dem alten König als dem ganzen Hofe glauben zu machen, Svanvithe sei keine Jungfrau mehr, sondern habe lange schon heimlich mit ihm verbotenen Umgang gepflogen. Als dies Herr Peter hörte, gab er ihr ihr Wort zurück und zog auf und davon. Der König aber ward zornig über die Schande, die seinem Hause widerfahren war und befahl seinen Dienern, seine ungerathene Tochter ihm aus den Augen zu schaffen. Er ließ nun in einem mit dichten Mauern umschlossenen und von dichten Bäumen beschatteten Garten einen hohen Thurm aufführen, wo weder Sonne noch Mond hineinschien, und in diesen ließ er die Prinzessin, die erst sechszehn Sommer zählte, sperren. Das ganze Licht aber, was in den Thurm kam, fiel durch ein Loch in der Thüre desselben hinein und durch dasselbe bekam das Mädchen auch Speise und Trank. Weder Bett noch Tisch noch Stuhl war darin, sondern die Unglückliche mußte auf bloßer Erde liegen. So vergingen drei ganze Jahre und der König war schneeweiß geworden vor Kummer und Sorgen und die Jungfrau war abgemagert und blaß und elend geworden von dem ungesunden Aufenthalt und der schlechten Kost. Da fiel ihr in ihrer Einsamkeit die Sage ein von dem Königsschatze unter dem Garzer Walle und sie dachte damit ihre Unschuld und die boshafte Verleumdung des polnischen Prinzen an den Tag zu bringen. Als ihr also ihr Hüter das nächste Mal wieder ihre Kost durch das Thürschübeloch hereinreichte, bat sie ihn, er möge doch hingehen zu ihrem Vater und ihn bitten, seiner einzigen Tochter doch als letzte Gunst die Erlaubniß zu gewähren, ihn noch einmal sehen und sprechen zu dürfen. Der König aber ward sehr zornig, als ihm der Wächter diese Botschaft ausrichtete und schlug es ihr mit harten Worten ab. In der Nacht aber soll er einen Traum gehabt haben, der ihn sehr beunruhigte, und so ließ er denn bei seinem Erwachen[492] den Wächter rufen und hieß ihn seine Tochter zu ihm führen. Als Svanvithe aber vor ihm stand, bleich und hager und mit zerrissenen Kleidern und Schuhen, ganz wie die ärmste Bettelfrau, da fiel es dem König schwer aufs Herz, daß er so hart gegen sie gewesen war. Sie aber sah ihn ruhig an und betheuerte ihm nochmals ihre Unschuld und wie sie lediglich durch die Tücke des polnischen Prinzen um ihren guten Namen gekommen sei und fügte hinzu, sie sei fest entschlossen, durch eine kühne That nicht blos ihre Jungfrauschaft zu beweisen, sondern auch ihren Vater und sein Reich zu Reichthum und Ehren zu bringen. Wie er wisse, liege unter dem alten Schloßwalle zu Garz ein großer Schatz begraben, der könne nur von einer Prinzessin gehoben werden, die von jenen alten Königen herstamme und eine reine Jungfrau sei. Wenn nämlich diese den Muth habe, in der Johannisnacht zwischen 12 und 1 Uhr nackt und einsam den Wall zu ersteigen und darauf rückwärts so lange hin und her zu treten, bis es ihr gelinge die Stelle zu treffen, wo die Thore und Treppen verschüttet sind, die zu der Schatzkammer führten. Sobald sie diese mit den Füßen berühre, werde es sich unter ihr öffnen und sie werde sanft heruntersinken in das Gold und könne sich von den Herrlichkeiten dann auslesen was sie wolle, und bei Sonnenaufgang wieder herausgehen. Was sie aber selbst nicht tragen könne, das werde der alte Greis mit seinen Gehilfen ihr nachbringen. Sie sei aber überzeugt, daß, wenn ihr dies gelinge, Niemand mehr an ihrer Tugend und Keuschheit zweifeln werde.

Als sie so gesprochen hatte, da winkte der König dem Wächter leise zu und alsbald kamen Frauen und Dienerinnen herbei und trugen sie weg in ein Seitenzimmer. Dort ward sie auf ein kostbares Lager gebettet und mit den besten Speisen und Getränken bewirthet und mit königlichen Gewändern bekleidet, und der Wächter raunte ihr zu, daß ihr Vater ihr die mitternächtliche Wanderung gestatte. Sprechen durfte sie jedoch nicht und Niemand durfte mit ihr reden, nur der Wächter, der ihr im Thurme die Speisen gebracht hatte, durfte zu ihr und dieser allein wußte, wer sie war.

Indeß waren vierzig Tage vergangen und der Tag vor Johannis kam heran, da ging sie zu dem König, ihrem Vater und sagte ihm Lebewohl. Beide aber weinten bitterlich, denn sie wußten nicht, ob sie einander wieder sehen würden. Sie verkleidete sich aber nun als ein gewöhnlicher Reiterbube und ging so von Bergen nach Garz, und als es vom Garzer Kirchthurm Zwölf geschlagen hatte, da stand sie auf dem Walle, legte ihre Kleider ab, so daß sie ganz nackt dastand, nahm eine Johannisruthe in die Hand und schlug damit rückwärts. Noch war sie nicht weit geschritten, da that sich die Erde unter ihr auf und sie sank hinab in ein großes marmornes, von tausend Lampen erleuchtetes Gemach, dessen Boden ganz mit Gold, Silber und Edelsteinen bedeckt war, so daß man kaum vor sich hintreten konnte. Sie sank aber so weich auf die Goldhaufen herab, daß es ihr gar nicht weh that, und als sie wieder aufstand und sich umsah, da sah sie in einer Ecke einen eisgrauen kleinen Mann sitzen, der ihr freundlich zunickte. Sie aber sprach kein Wort zu ihm, sondern winkte ihm nur mit der Hand, und augenblicklich verschwand er, statt seiner aber kamen viele Diener und Dienerinnen, die sich hinter ihr aufstellten, als erwarteten sie ihre Befehle. Sie aber bedenkend, wie kurz die Mittsommernacht ist, nahm so viel sie nur[493] fassen konnte von den Edelsteinen und Goldstücken, und den Dienern und Dienerinnen winkte sie zu, sie sollten ebenso thun und so sackten sich diese alle Taschen und Zipfel ihrer Kleider voll Kostbarkeiten und Goldstücken. Nun ging sie nach der Treppe zu, die von innen hinausführte, und die Diener und Dienerinnen immer hinter ihr drein, und schon war sie fast oben und sah bereits das Morgenlicht und hörte den Hahn den jungen Tag ankündigen, da fiel es ihr ein sich umzuschauen und zu sehen, ob jene ihr auch nachkämen. Da sah sie auf einmal den kleinen Mann sich in einen großen schwarzen Hund verwandeln, der mit feurigem Rachen und glühenden Augen ihr nachsprang. Sie aber entsetzte sich sehr und rief in ihrer Angst: »O Herr Jesus!« Als sie aber das Wort ausgesprochen hatte, da schlug die Thüre über ihr mit heftigem Knalle zu, die Treppe stürzte zusammen, die Diener und Dienerinnen hinter ihr verschwanden und sie stand wieder auf dem Boden des Saales und konnte nicht mehr heraus. Der alte König aber, als sie nicht wiederkam, grämte sich sehr, denn er wußte, daß sie den bösen Geistern zum Opfer gefallen war, und starb wenige Wochen nach ihrem Verschwinden vor Kummer und Harm. Der Prinzessin Svanvithe war aber ihr Unternehmen nur darum mißglückt, weil sie sich umgesehen und gesprochen hatte, denn dann verfällt man den Unterirdischen.

So sind viele Jahre vergangen, da hörte man auf einmal, die Prinzessin lebe noch und sitze unter dem Garzer Walle in der Schatzkammer und müsse nun mit dem alten grauen Urgroßvater die Schätze hüten helfen. Sie kann aber, sagt man, erlöst werden, wenn einer es wagt, auf dieselbe Weise, wie sie einst in der Johannisnacht es gethan hat, in die verbotene Schatzkammer hinabzufallen. Dieser muß sich dann dreimal vor ihr verneigen, ihr einen Kuß geben, sie an der Hand fassen und still hinausführen, aber bei Leibe kein Wort sprechen. Bringt er sie heraus, so wird er mit ihr fünfzig Jahre als König auf dem Throne sitzen und sie werden liebliche Kinder mit einander haben, der kleine graue spukende Mann aber wird verschwinden, wenn sie ihm seine Schätze entführt haben.

Es haben aber schon Manche versucht, sie zu erlösen, es ist aber bis jetzt Keinem gelungen und daher sitzt sie jetzt da unten über Goldhaufen gebeugt, ihr langes Haar hängt ihr über die Schultern hinab und sie weint unaufhörlich, um sie aber sitzen sechs junge Gesellen, die sie haben befreien wollen, aber jetzt den Schatz mit hüten müssen. Der letzte aber, der es versucht hat, war ein junger munterer Schuhmachergeselle, Namens Jochim Fritz, der ist immer viel auf dem Wall spazieren gegangen, plötzlich aber ist er verschwunden und nie haben ihn seine Eltern und Freunde wieder zu Gesicht bekommen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 491-494.
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