479. Der Klabatermann.

[507] (Nach Temme S. 300 etc.)


In Pommern giebt es ebenso wie in ganz Norddeutschland an denjenigen Orten, wo Schiffe gebaut werden80, den sogenannten Klabatermann. Dies ist ein kleiner Mann, kaum zwei Fuß hoch, in rother Jacke, weißen Schifferhosen und mit einem runden Hute bedeckt. Gesehen haben ihn nur Wenige und es verlangt auch Niemand darnach ihn zu sehen, denn wer ihn gesehen hat, der muß bald sterben. Er ist der gute Geist des neugebauten Schiffs und seiner Mannschaft. Man sieht ihn zwar nicht, allein desto mehr hört man ihn und gewahrt seine unsichtbare Thätigkeit. Ist am Schiffe etwas an einer Stelle entzwei, wo Niemand hinkommen kann, da kalfatert sie der Klabatermann, und davon hat er seinen Namen. Ist der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen und droht Gefahr, da stößt ihn gewiß der kleine unsichtbare Schutzgeist und heißt ihn aufstehen und die Augen offen haben. Den Matrosen hilft er, ohne daß sie ihn sehen, bei allen ihren Arbeiten und namentlich bezeigt er sich den fleißigen und flinken gegenüber gefällig und thätig, nimmt auch von ihnen Speise an, die faulen aber und trotzigen quält und zwickt er so lange, bis sie sich bessern. Hilft aber diese Ermahnung nicht, dann läßt er sich vor ihnen sehen und schneidet ihnen grimmige Gesichter, dann ist aber auch ihr letztes Stündlein in der Nähe. Beim Sturme hört man ihn an allen Ecken des Schiffes handtieren, wenn er aber bemerkt, daß trotz aller Anstrengungen desselben nichts zu retten ist, dann steigt er so hoch er kann, gewöhnlich auf die Spitze des Bugspriets und stürzt sich von hier mit großem Geräusche hinab in die Wellen. Alsdann wissen aber die Schiffer, daß es aus mit ihrem Schiffe ist und hat ihn ja einer von ihnen hinabspringen sehen, so gilt es für gewiß, daß dieser das Land und die Seinen nicht wieder sieht. Dann arbeitet auch Niemand mehr, sondern Jeder ist nur noch auf seine eigene Rettung bedacht.

Man sagt nun aber, man könne ihn durch folgendes Mittel auch ohne Gefahr zu sehen bekommen. Man muß nämlich des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr allein zum Spilloch gehen und sich selbst durch die Beine durch und so durch das Spilloch sehen: dann kann man den kleinen Geist erblicken, wie er an der Vorderseite des Spillochs steht. Ist er aber nackt, so darf man ihm nicht etwa aus Mitleid Kleider zuwerfen, denn dies nimmt er übel.

Man glaubt aber auch, daß nicht ein jedes Schiff einen solchen Kalfater- oder Klabatermann habe, sondern daß nur einigen dieses Glück zu Theil werde. Er selbst soll aber eigentlich die Seele eines Kindes sein, welches todt geboren oder doch vor der Taufe gestorben ist. Wenn solche Kinder in der Haide unter einem Baume begraben worden und von einem solchen Baume irgend etwas zu dem Baue des Schiffes verwendet worden ist, dann geht mit dem Holze die Seele des Kindes als Klabatermännchen[507] in das Schiff hinüber. Es giebt übrigens auch Schiffer, welche sagen, daß ein Schiff, welches einen solchen Klabatermann bei sich trage, niemals untergehen könne.

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Z.B. in Schleswig-Holstein (S. Müllenhoff, Sagen aus Schlesw.-Holst. S. 319.)

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 507-508.
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