218. Jacob Thau, der Hofnarr auf der Bolkoburg.

[252] (S. Ruinen. Wien, 1834. Bd. IV. S. 22 etc. u. Fischer, Preuß. Burgvesten Bd. I. S. 112 etc.)


Die Bolkoburg oder das Bolkenschloß, ganz nahe bei der Stadt Bolkenhain in Schlesien, ist eine der ältesten und größten Burgen Schlesiens. Dieselbe soll in ihren Trümmern noch verborgene Schätze enthalten. Das Merkwürdigste daran ist der 150 Fuß hohe, halb runde, halb viereckige Thurm, der sogenannte Hungerthurm. Derselbe war schon um 1057 vorhanden. Auf ihn führte keine Thüre; ein in der Höhe aus der Mauer führender Balken, mit einem vor mehreren Jahren noch vorhandenen Räderwerke, diente dazu, die nothwendigen Bedürfnisse hinaufzuschaffen. Wie seine Bewohner ehemals hineingekommen sind, läßt sich nur muthmaßen. Tritt man zu der jetzt in ihn gemachten Oeffnung hinein, so sieht man sich nach Zurücklegung einiger Stufen in einer Schauder erweckenden dunklen Tiefe, dem ehemaligen Burgverließ. Ueber sich bemerkt man eine ehedem ganz runde Oeffnung, über welche ein eiserner Deckel, der durch eine Kette festgehalten wurde, gelegt war und der wahrscheinlich nur dann einmal weggerückt wurde, wenn man sich einer überflüssig gewordenen Person entledigen wollte und dieselbe hier von oben hinabstürzte. Man fand hier eine große Masse Knochen, deren größter Theil dem weiblichen Geschlecht angehörte. Man vergrub sie dem Eingang gegenüber, welche Stelle sich auch durch einige Erhöhung sichtbar macht. In einer Mauerblende, die man auch zeigt, fanden sich Menschen- und Thierknochen vor. Diese sollen von einem Fräulein herrühren, welche angeblich mit einem Hunde Umgang pflegte, von[252] diesem befruchtet ward und hierauf mit diesem an jenem Orte eingemauert worden sein soll.

Die Bolkoburg ist übrigens noch darum wichtig, weil hier Bolko oder Boleslaw, der einzige Sohn Herzogs Bolko II. († 24. Juni 1368) und der Agnes, einer Tochter Herzogs Leopold VIII. von Oesterreich, der letzte Abkömmling der Herzöge von Schweidnitz und Jauer, durch einen unglücklichen Steinwurf getödtet ward und mit ihm der Mannesstamm der Schweidnitzer Herzöge erlosch. Seine Asche ruht in der Fürstenkapelle der ehemaligen Grüssauer Klosterkirche, und eine Marmortafel, deren lateinische Inschrift von seinem Untergange Kunde giebt, deckt dieselbe. Es giebt hierüber zwei Sagen. Nach der einen hätte der junge Bolko mit seines Vaters Hofnarren gescherzt, der, wie alle seine Standesgenossen, das Recht hatte, mit seinem Herrn jedweden Spaß zu treiben. Einst klopfte der junge Prinz dem Narren an die Stirne, um anzudeuten, daß sein Kopf leer sei; da ergriff derselbe ein Ziegelstück, drohte, warf und traf damit den fürstlichen Jüngling so unglücklich am Schlaf, daß derselbe leblos zu Boden sank.

Die zweite Sage ist weitläufiger und lautet so:

Im böhmischen Riesengebirge lebte ein armer Weber, Namens Thau, der einen einzigen Sohn, Jacob genannt, hatte. Als derselbe 12 Jahre geworden war, starb sein Vater, und ein Kräutersammler, Kilian Wolfsheimer, ein verschlagener und heimtückischer Mensch, der eine merkwürdige Antipathie gegen alle todten Körper, mochten sie nun von Menschen oder Thieren herrühren, besaß, nahm ihn zu sich, um sich an ihm einen Gehilfen bei seiner Beschäftigung zu erziehen. Dieser Mann, dessen Hauptgeschäft in Zubereitung von Giften bestand, hatte bereits einen Gehilfen, Peter Schmaucher genannt, der den kleinen Jacob in der Kräuterkunde zu unterrichten hatte, und eine Haushälterin, Katharina Müller genannt, eine leidenschaftliche Katzenfreundin. Nachdem der junge Mensch hier ohngefähr sechs Jahre gelernt, sollte er seine erste Wanderung antreten, um selbständig Kräuter im Gebirge zu sammeln. Er verließ frohen Muthes die räucherige Baude seines Meisters und durchstrich das Riesengebirge. Hier saß er eines Tages am brausenden Zackenfall und wollte schon auf diesem Platze übernachten, da ging ein Mann vorüber, fragte ihn, was er hier wolle, und als der Jüngling gesagt, was er vorhabe, hieß er ihn aufstehen und mit ihm gehen, damit er nicht etwa dem Berggeist des Riesengebirges, dem boshaften Rübezahl, der hier sein Wesen treibe, in die Hände falle. Jener nahm das Anerbieten mit Freuden an, vorzüglich nachdem er im Verlauf seines Gesprächs entdeckt hatte, daß der Mann mit Wolfsheimer bekannt sei, und begleitete ihn in seine Hütte. Nachdem er einige Zeit bei ihm und seiner Familie verweilt, pochte es auf einmal und herein trat eine liebliche Mädchengestalt, die von den Bewohnern der Hütte mit dem Namen Kunigunde begrüßt ward und auf Befragen, wo sie herkomme, zur Antwort gab, ihre Muhme habe ihr erlaubt, hier herauf einen Ausflug zu machen und von hier aus den Sonnenaufgang zu betrachten. So geschah es auch; Alle sahen dieses erhabene Schauspiel mit einander an und nachdem sie das Frühstück zusammen eingenommen, nahm das Mädchen wieder Abschied und ließ es sich gefallen, daß der Jüngling, der seine Mutter und Geschwister nach Jahre langer Trennung einmal wiedersehen wollte und deshalb denselben Weg zu gehen[253] hatte, sich ihr zum Begleiter anbot. Unterwegs wurden sie so vertraut miteinander, daß das Mädchen den jungen Jacob einlud, wenn er zurückkehre, bei ihrer Muhme einzusprechen. Dies that er auch, und die Letztere fand auch so viel Gefallen an dem jungen Menschen, daß sie ihm selbst ein Nachtlager in ihrem Hause anbot. Allerdings fiel ihm das Benehmen der beiden Frauen und ihre Einrichtung auf, die weit über ihren Stand und ihre Verhältnisse zu sein schien.

Jacob kehrte nun zu Wolfsheimer zurück, der ihn sehr freundlich empfing, da er weit über sein Erwarten reichlich eingesammelt hatte. Unterdessen kam auch dessen anderer Gehülfe, Peter Schmaucher, zurück und erzählte als Neuigkeit aus Schweidnitz, wo er sich einige Zeit aufgehalten hatte, daß der dasige Erbprinz Bolko, Herzog Bernhard's ältester Sohn vermißt werde. Dies ging aber so zu.

Der Prinz sollte sich nach dem Willen seiner Eltern mit Agnes, einer Tochter des Herzogs Leopold von Oesterreich, vermählen. Er hatte aber ein Liebesverhältniß mit einem Fräulein Kunigunde von Siedow angeknüpft und der Vater derselben, Lothar von S., war damit im Einverständniß. Natürlich lag der Mutter des Prinzen hieran nichts; sie entfernte also zuerst den Vater des Mädchens unter dem Vorwande einer Gesandtschaft vom Hoflager und schickte denselben nach Polen, wo man ihn aber auf ihre Veranstaltung gefangen setzte. Die Fürstin ließ nun die Nachricht verbreiten er sei gestorben, und bald verschwand auch seine schöne Tochter. Als der junge Prinz über den Verlust seiner Geliebten nun etwas beruhigt schien, befahlen ihm seine Eltern nach Oesterreich zu ziehen und um die Prinzessin Agnes zu freien; allein als man, da inzwischen sein Vater Bernhard den 29. April 1336 gestorben war, ihn von Wien zurückholen wollte, hörte man, er sei dort gar nicht angekommen, und Alles war in Schweidnitz bei dieser Nachricht in Bestürzung gerathen. Wolfsheimer aber schien sich hierüber gar nicht zu wundern, sondern meinte, der Prinz werde jetzt gewiß schon wieder dorthin zurückgekehrt sein; zu Jacob aber sagte er, er solle sich fertig machen, auf drei Tage nach dem Iserkamme zu gehen, um dort Kräuter zu sammeln. Dies geschah auch und da das Dorf, wo Kunigundens Muhme wohnte, in der Nähe war, so machte er, nachdem er mit seiner Arbeit zu Stande gekommen war, dorthin einen Abstecher, um zu sehen, was die zwei Frauen machten. Allein er traf nur eine Magd daselbst an, welche ihm sagte, ihre Herrschaft sei verreist, wohin, wisse sie selbst nicht. Er mußte also traurig zu Wolfsheimer zurückkehren. Er fand die Gartenthüre hinter dem Hause offen, trat ein und lagerte sich ermüdet im Schatten eines Hollunderstrauches. Nicht lange darauf trat sein Meister von einem graugekleideten fremden Manne begleitet auch ein und beide setzten sich in eine Laube. Dort fingen sie ein Gespräch an, aus welchem der lauschende Jacob so viel herausnahm, daß sein Meister eine kranke Nonne vergiften solle und daß dieser angeblich, um nicht Verdacht zu erregen, nicht selbst hingehen, sondern seinen Lehrburschen Jacob hinsenden wolle; thue nun die ihm mitgegebene Arznei die beabsichtigte Wirkung, so könne er die Schuld auf den Jüngling wälzen und sagen, derselbe habe sich bei der Wahl der Mittel vergriffen. Nachdem nun der Graue dem alten Wolfsheimer eine bedeutende Summe Geldes ausgezahlt und noch mehr nach vollbrachter That versprochen[254] hatte, entfernten sich die beiden Bösewichter; Jacob aber wankte bleich und zitternd aus dem Garten zu der Haushälterin Wolfsheimer's, die inzwischen seine Gönnerin geworden war, und theilte derselben mit, was er gehört hatte. Dieselbe hatte ebenfalls gehorcht und nebenbei noch in Erfahrung gebracht, daß die betreffende Nonne die in's Kloster gesteckte Geliebte des Prinzen Bolko sei, welche jetzt auf Befehl seiner Mutter durch Gift aus dem Wege geräumt werden solle, weil der Prinz geschworen hatte, er werde, so lange sie lebe, niemals eine andere heirathen. Die Haushälterin sagte nun Jacob, er solle in Gottes Namen den Auftrag übernehmen; die Aebtissin des betreffenden Klosters Liebenthal sei eine Jugendfreundin von ihr, sie wolle ihm ein silbernes Crucifix, das selbige ihr einst zum Andenken geschenkt, mitgeben, um sich ihr gegenüber ausweisen zu können; er solle dann der Aebtissin Alles, was er gehört, mittheilen, sie werde ihm schon Glauben schenken, und so könne das Bubenstück verhindert werden. Richtig kam am folgenden Tage ein Bote aus dem Kloster und berief den alten Wolfsheimer dorthin, um eine kranke Nonne zu behandeln, und verabredetermaßen schützte derselbe selbst Unwohlsein vor und beauftragte deshalb Jacob, an seiner Statt sich dorthin zu begeben und der Nonne die Arzneien, welche er ihm mitgeben werde, zu überbringen. Jacob machte sich also auf den Weg nach Liebenthal, stellte sich der Aebtissin vor und bat um eine geheime Unterredung; in dieser theilte er der Aebtissin mit, was er gehört und überreichte derselben, um seinen Worten Vertrauen zu verschaffen, das Crucifix der alten Haushälterin. Die Aebtissin theilte ihm nun ihrerseits mit, der Geheimschreiber der alten Herzogin habe ihr befohlen, die von Wolfsheimer gesendeten Arzneien der Nonne zu geben, mit der Bemerkung, daß wenn sie nicht anschlügen, man ja die Gestorbene sogleich beisetzen solle. Die Aebtissin sagte nun, es sei klar, daß das Mädchen sterben solle; sie werde also ihren Tod fingiren, einen leeren Sarg beerdigen, das Mädchen aber entfliehen lassen. So geschah es auch; Jacob brachte selbst mit Hilfe einer vertrauten Nonne die Jungfrau heimlich aus dem Kloster und zu seiner Mutter in seinen Heimathsort, dann kehrte er aber zu Wolfsheimer zurück und sagte, die Nonne sei in Folge der ihr gereichten Mittel gestorben. Der Bösewicht stellte sich hierüber ganz zornig, sagte, es sei durch seine Unwissenheit geschehen, da er sich in der Wahl der Mittel versehen habe und jagte ihn als unbrauchbar aus dem Hause. Jacob aber begab sich nun in seiner Mutter Haus und kochte dort auf eigene Rechnung Kräuter.

Mittlerweile hatte die Aebtissin der alten Herzogin den Tod der Nonne gemeldet und diese ihren Sohn davon in Kenntniß gefetzt; derselbe wollte zwar hierüber verzweifeln, allein nachdem ihm seine Eltern vorgestellt, daß dies alles nichts helfen könne und er als letzter Stammhalter des Hauses die Verpflichtung habe, dasselbe nicht untergehen zu lassen, so ließ er sich endlich doch herbei die österreichische Prinzessin zu heirathen. Zwar wollte Kunigunde, nachdem sie dies erfahren, sich für immer in einem Kloster begraben, allein die Bitten Jacob's und seiner Mutter bestimmten sie doch, diesen Entschluß aufzuschieben. So oft aber Jacob nach Schweidnitz ging, mußte er ihr genaue Nachricht von ihrem Bolko bringen, denn obwohl sie ihn nie mehr den ihren nennen konnte, hatte sie doch noch dieselben Gefühle für ihn. Eines Tages brachte Jacob von dort die Neuigkeit mit nach[255] Hause, der Hofnarr des Herzogs sei gestorben und man suche einen Nachfolger; da rieth nun Kunigunde demselben, sich um diese Stelle zu bewerben, weil sie allerdings der Ansicht war, daß wenn er die Stelle bekäme, sie Alles, was ihren geliebten Bolko betreffe, sogleich aus der ersten Hand erfahren und so, ohne daß er es bemerke, stets in naher Berührung mit ihm bleiben könne. Zwar wollte Jacob Anfangs gar nichts davon wissen, allein da sie immer wieder von Neuem in ihn drang, so ließ er sich schließlich doch bewegen, sich mit um die Stelle zu bewerben, und sonderbarer Weise, ob er gleich alles das nicht besaß, was eigentlich ein Hofnarr haben soll, er lief allen den Rang ab und ward gewählt.

Agnes gebar ihrem Gemahl einen Sohn, als dieser aber zwei Jahre alt war, starb die alte Herzogin; in Folge davon entließ aber der König von Polen Kunigunden's Vater aus der Gefangenschaft. Derselbe eilte nach Schlesien zurück, schlich verkleidet nach Schweidnitz, forschte nach dem Schicksal seiner Tochter und erfuhr, daß sie im Kloster gestorben sei. Man theilte ihm auch mit, daß die Arzneien Wolfsheimer's hieran Ursache gewesen seien; er ging also auch zu diesem, und der Bösewicht sagte ihm, nicht er, sondern sein Schüler, der jetzige Hofnarr zu Schweidnitz, Jacob Thau habe den Tod des Mädchens verschuldet, er werde dies auch, wenn er sich erkundigen wolle, im Kloster Liebenthal erfahren. Dies that er auch und als er sich hier oberflächlich unterrichtet, begab er sich nach der Burg zu Bolkenhain, wo sich der Herzog nebst seiner Gemahlin befand. Der racheschnaubende Ritter trat in den Schloßhof und fragte nach dem Hofnarren. »Hier bin ich«, sagte Jacob, den kleinen Prinzen auf den Armen wiegend. »Ist dieses Kind Dein?« frug Lothar. »Ja«, antwortete Jacob Thau. »Nun denn, Kind um Kind«, rief grimmig der Ritter, und mit diesen Worten zerschmetterte sein gewichtiger Streithammer des Prinzen Schädel. Er entwich hierauf mit Blitzesschnelle, und der Burgvogt ließ hierauf den Narren fesseln, weil er aussagte, den Prinzen durch einen unvorsichtigen Steinwurf getödtet zu haben, um Kunigunden nicht zu verrathen, welche mittlerweile auf seine Veranlassung unerkannt als Wärterin des Kleinen in's Schloß gekommen war. Das Todesurtheil folgte seinem Bekenntniß, seine Pflegemutter begleitete ihn zur Richtstätte beim Köppenthore zu Schweidnitz, wo die Kirche zu St. Wolfgang sieht. Hier fiel sein Kopf, und nahe bei dem Kreuze, welches unter dem Kirchlein im Stadtgraben eingemauert ist, wurde der Enthauptete begraben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 252-256.
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